Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2011 - 3 StR 188/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hatte den Angeklagten am 12. Oktober 2009 wegen besonders schwerer Vergewaltigung und Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt. Auf die insoweit beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat dieses Urteil am 8. Juli 2010 in den Aussprüchen über die Einzelstrafe wegen besonders schwerer Vergewaltigung sowie über die Gesamtstrafe aufgehoben, die zugehörigen Feststellungen jedoch aufrechterhalten (3 StR 151/10). Das auch gegen den Schuldspruch gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hatte er verworfen. Auf die neue Hauptverhandlung hat das Landgericht nunmehr - unter Einbeziehung zweier Geldstrafen aus Strafbefehlen des Amtsgerichts Hannover vom 2. Juni und vom 21. Juli 2010 - eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren ausgesprochen.
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- 1. Auch die neu bemessene Einzelstrafe wegen besonders schwerer Vergewaltigung hat keinen Bestand. Das Landgericht hat zu den Strafzumessungstatsachen neue Feststellungen getroffen, dabei aber nicht bedacht, dass diese zu den aufgrund der Entscheidung des Senats vom 8. Juli 2010 insgesamt bindenden Feststellungen des ersten Urteils nicht in Widerspruch treten dürfen.
- 3
- So führt das Landgericht aus, die Nebenklägerin leide bis heute unter Schlafstörungen und Alpträumen, habe Angst, bei Dunkelheit auf die Straße zu gehen, und bekomme bei Geräuschen im Treppenhaus Panikattacken und Schweißausbrüche. Auch jetzt habe sie noch "Vorbehalte" gegenüber Männern insgesamt; zunächst sei deshalb auch die Lebensgemeinschaft mit ihrem Freund gescheitert. Auch ihr 11-jähriger Sohn merke, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung sei. Diese Feststellungen sind indes mit denen im Urteil vom 12. Oktober 2009 nicht vereinbar, denn dort sind als Folgen der Tat lediglich Schlafstörungen und Angstzustände dargelegt, welche die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der ersten Hauptverhandlung bereits überwunden hatte.
- 4
- Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil, denn das Landgericht hat bei der Bemessung der Einzelstrafe strafschärfend "die ganz erheblichen psychischen Folgen für die Nebenklägerin" berücksichtigt, deren Traumatisierung bis heute andauere und sich auch negativ auf ihre Beziehungen zu ihrem Sohn und zu ihrem Lebensgefährten auswirke. Zwar hat es - als nach der ersten Hauptverhandlung eingetretenen Umstand und deshalb insoweit widerspruchsfrei - auch festgestellt, dass die Nebenklägerin, durch ihre Ladung als Zeugin zur neuen Hauptverhandlung wieder mit dem Tatgeschehen konfrontiert, einen zu einem bedrohlichen Alkoholexzess führenden Zusammenbruch erlitt. Gleichwohl kann der Senat nicht nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO entscheiden, denn für den Umfang der Schuld des Angeklagten kommt dieser Tatfolge nur eingeschränkte Bedeutung zu. Unter Beachtung der Vorgaben des Senats hätte das Landgericht die Nebenklägerin nicht nochmals vernehmen müssen.
- 5
- 2. Der Wegfall der Einzelstrafe führt zur Aufhebung des Urteils auch im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Deren Bemessung begegnet indes bereits unabhängig davon durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragschrift ausgeführt: "Nach den Feststellungen (UA S. 4) wurde der Angeklagte am 7. August 2009 durch das Amtsgericht Hannover wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Zudem erließ das Amtsgericht Hannover gegen ihn am 2. Dezember 2009 einen Strafbefehl wegen Erschleichens von Leistungen über 45 Tagessätze zu je 10 Euro. Beide Geldstrafen sind nach Darstellung des Landgerichts bereits vollständig vollstreckt (UA aaO). Ob diese Strafen im Rahmen der Gesamtstrafenbildung einzubeziehen waren, kann der Senat anhand der Urteilsgründe nicht feststellen, weil die Strafkammer weder den Zeitpunkt der den Verurteilungen zu Grunde liegenden Taten noch denjenigen ihrer Erledigung mitgeteilt hat, was zu einer Beurteilung des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen einer Einbeziehung notwendig gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2000 - 5 StR 280/00 und vom 13. November 2007 - 3 StR 415/07, NStZ-RR 2008, 72). Eine nach Erlass des ersten Urteils erfolgte Erledigung stünde - wie das Landgericht möglicherweise rechtsirrig angenommen hat - einer Einbeziehung der Strafen nicht entgegen, zumal im Falle einer Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht die Gesamtstrafenbildung in der neuen Verhandlung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verhandlung - hier also am 12. Oktober 2009 - vorzunehmen ist (st. Rspr. - etwa BGH, Beschluss vom 2. Mai 1989 - 1 StR 213/89, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 1; Beschluss vom 21. August 2001 - 5 StR 291/01, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 2; Be- schluss vom 13. November 2007 - 3 StR 415/07, NStZ-RR 2008, 72 f.; Beschluss vom 9. Dezember 2009 - 5 StR 459/09, NStZ-RR 2010, 106 f.; Beschluss vom 8. Oktober 2010 - 3 StR 368/10, Rdnr. 2; Beschluss vom 3. Mai 2011 - 3 StR 110/11, Rdnr. 6). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verurteilung vom 7. August 2009 Zäsurwirkung hinsichtlich solcher Straftaten entfaltet, die - wie die verfahrensgegenständlichen Taten - zeitlich vor dem Erlass dieser Entscheidung lagen, war das Urteil im Gesamtstrafenausspruch aufzuheben. Denn im Falle einer Zäsurwirkung jener Entscheidung hätten die beiden Geldstrafen aus den Strafbefehlen des Amtsgerichts Hannover vom 2. Juni 2010 und 21. Juli 2010 … nicht mit in die Gesamtstrafenbildung einbezogen wer- den dürfen."
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- Dem schließt sich der Senat an. Die Einbeziehung der nicht unerheblichen Geldstrafen aus den Strafbefehlen vom 2. Juni und vom 21. Juli 2010 in die Gesamtfreiheitsstrafe kann das Strafübel insgesamt verschärfen und so den Angeklagten beschweren.
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Annotations
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.