Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juli 2008 - 3 StR 167/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
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- I. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt: "1. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, weil sich die Beweiswürdigung zur Frage des Rücktritts vom Versuch des Totschlags als rechtsfehlerhaft erweist.
2. Es kommt nach allem nicht darauf an, dass die auf die Verletzung des § 261 StPO gestützte und zulässig erhobene (BGHSt 29, 18, 21; BGH NStZ 1987, 18; BGH StV 1993, 459; BGH StV 1993, 115; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 6; Meyer-Goßner StPO 50. Auflage
§ 261 Rdn. 38a m.w.N.) Verfahrensrüge ebenfalls begründet wäre. Namentlich vor dem Hintergrund der vorstehend genannten Gesichtspunkte war es - wie die Revision zu recht rügt - erforderlich, sich mit den Vernehmungen des Angeklagten vom 12.07. und 13.07.2007 näher auseinanderzusetzen. In keiner dieser Vernehmungen hat der Angeklagte angegeben, er sei der Meinung gewesen, keine Munition mehr in der Waffe gehabt zu haben. Zudem hat er erklärt, die Tatwaffe habe mit acht Schuss Munition geladen werden können. …."
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- Dem schließt sich der Senat an. Ergänzend weist er auf Folgendes hin:
- 4
- Die Einlassung des Angeklagten zu seiner Vorstellung über den Ladezustand der Pistole ist auch in sich widersprüchlich. Einerseits beharrte er darauf, die Waffe sei nur mit vier Schuss geladen gewesen. Andererseits gab er an, er wisse nicht, weshalb er - nach der festgestellten Abgabe von vier Schüssen - nicht weiter geschossen habe. Da der Geschädigte trotz seiner schweren Verletzungen in der Lage war, den Tatort zu verlassen, die Türe der Scheune zu verriegeln, zu seinem Pkw zu gehen und Rettungskräfte zu alarmieren, scheidet die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts von einem unbeendeten Versuch des Tötungsdelikts nicht von vorneherein aus.
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- II. Gegen die Begründung, mit der das Landgericht die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer schweren Körperverletzung bejaht hat, bestehen ebenfalls durchgreifende rechtliche Bedenken. Mit der Feststellung, der Geschädigte leide noch heute und voraussichtlich dauerhaft unter einer Taubheit zweier Finger und könne deshalb seinen Beruf als Tischler nicht mehr ausüben, ist die Tatbestandsalternative des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB (ein wichtiges Glied des Körpers … dauernd nicht mehr gebrauchen kann) nicht belegt, zumal die betroffenen Finger nicht benannt sind (vgl. BGHSt 51, 252). Außerdem ist nicht nachvollziehbar, dass die Verletzung des "nervus medianus" des linken Armes zu einer Taubheit zweier Finger der rechten Hand geführt haben soll. Auch eine dauernde Entstellung in erheblicher Weise im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist der pauschalen Feststellung, das Gesicht des Tatopfers sei dauerhaft deutlich deformiert, nicht zweifelsfrei zu entnehmen; denn für diese Tatbestandsalternative ist erforderlich, dass die Gesamterscheinung des Verletzten in einem Maße verunstaltet ist, bei dem die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten Folgen in etwa nahe kommt (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). In diesem Zusammenhang weist der Senat auf die Möglichkeit hin, die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder zu veranschaulichen.
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- III. Die Gefährlichkeitsprognose im Rahmen des § 63 StGB setzt die Feststellung voraus, dass ohne die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus weitere erhebliche rechtswidrige Taten nicht nur möglicherweise, sondern wahrscheinlich begangen würden (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 63 Rdn. 15 m. w. N.).
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Annotations
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person
- 1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, - 2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder - 3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.