Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juni 2011 - 3 StR 154/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Strafausspruch,
b) soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt, die sichergestellten Betäubungsmittel eingezogen und 875 € für verfallen er- klärt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Die - nicht sachverständig beratene - Strafkammer hat diese Entscheidung damit begründet, dass 'nach den eigenen Angaben des Angeklagten' (!) kein Hang im Sinne des § 64 StGB gegeben, der Angeklagte vielmehr lediglich 'Gelegenheitskonsument' sei (UA S. 9). Dem stehe nicht entgegen, dass er nach seiner Festnahme unter 'leichten Entzugserscheinungen' gelitten sowie - zu seinen Gunsten unterstellt - während der Inhaftierung eigeninitiativ Kontakt zur Drogenberatung aufgenommen habe (UA a.a.O.). Diese Ausführungen lassen besorgen , dass das Landgericht die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verkannt hat. Ein Hang gemäß § 64 StGB ist nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden (erheblichen ) Abhängigkeit zu bejahen; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte , auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; BGH, Senat, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, Rdnr. 4; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 64 Rdnr. 9 m.w.N.). Dass eine derartige Neigung beim Angeklagten besteht, lässt sich vorliegend nicht von vornherein ausschließen. So konsumiert der Angeklagte nach den Feststellungen seit vier bis fünf Jahren 'gele- gentlich' Cannabis sowie seit etwa drei Jahren Kokain, wobei die Mengen zwischen 0,5 bis 1,5 Gramm pro Woche betrugen (UA S. 4). Auch hatte er sich zu der verfahrensgegenständlichen Tat unter anderem deshalb bereit erklärt, weil er von seinem Auftraggeber zwei bis drei Gramm Kokain erhalten hatte, wovon er vor Antritt der Rückreise aus den Niederlanden etwa ein halbes Gramm zu sich nahm (UA S. 5 f.). Schließlich litt der Angeklagte nach seiner Festnahme nach eigenen Angaben einige Tage unter Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen , Schweißausbrüchen und Durst (UA S. 4). Angesichts dieser Feststellungen erscheint nicht fernliegend, dass das Gericht von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Unrecht abgesehen hat, zumal gerade eine körperliche Entzugssymptomatik erhebliche Indizwirkung für das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 StGB hat (BGH, Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - 3 StR 386/09, Rdnr. 6; Fischer a.a.O.). Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB nicht bereits offenkundig ausscheiden, ist über die Frage der Maßregelanordnung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, stünde der Anordnung der Maßregel nach § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht entgegen. Dieser hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.)."
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- Dem stimmt der Senat zu.
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- 2. Es ist nicht auszuschließen, dass die erneute Beweisaufnahme zu den Voraussetzungen des § 64 StGB auch Auswirkungen auf die Bewertung der Schuldfähigkeit des Angeklagten haben kann. Der Senat hebt deshalb auch den - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen - Strafausspruch auf, damit die Rechtsfolgenentscheidung insoweit insgesamt auf einheitliche und widerspruchsfreie Feststellungen gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 2 StR 204/01, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 7). Er schließt allerdings aus, dass der Angeklagte die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB beging.
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- 3. Ergänzend bemerkt der Senat: Die Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG durch das Landgericht ist entgegen der Ansicht des Revisionsführers und des Generalbundesanwalts nicht zu beanstanden; sie hätte deshalb für sich genommen nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs geführt. Es ist insbesondere nicht zu besorgen, dass das Landgericht keine wirkliche Abwägung aller relevanten Umstände vorgenommen, sondern sich bei der Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft allein an Art und Menge der Betäubungsmittel orientiert hat. Der vom Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung des Senats vom 1. März 2011 (Az: 3 StR 28/11) hatte ersichtlich ein Sachverhalt zugrunde gelegen, der sich von dem vorliegenden wesentlich unterscheidet. Neben zahlreichen weiteren Strafmilderungsgründen war unter anderem das Drogengeschäft durch verdeckte Ermittler der Polizei provoziert, vorangetrieben und in der Folge auch polizeilich überwacht worden. Es hatte zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden, dass die Drogen selbst im Falle der Durchführung des Geschäfts in den Handel kommen konnten; unabhängig davon war es noch nicht einmal zu einer Übergabe des Rauschgifts gekommen. Zu Gunsten der Angeklagten hatten daneben die Voraussetzungen von zwei vertypten Strafmilderungsgründen vorgelegen. All diese Gesichtspunkte sind hier nicht gegeben.
Mayer Menges
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer
- 1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, - 2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt, - 3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder - 4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.