Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Mai 2000 - 2 StR 629/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei Fällen, versuchten Betrugs in einem Fall, Untreue in 35 Fällen und Unterschlagung in einem Fall zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und s echs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs ; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.II.
Die Maßregelanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. Die bisherige Begründung des Landgerichts belegt weder, daß bei dem Angeklagten eine s c h w e r e andere seelische Abartigkeit besteht, noch, daß in deren Folge die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Untreue in den Fällen 3 - 37 e r h e b l i c h vermindert war. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, der Angeklagte leide an einer "histrionisch (hysterisch)-narzißtischen Persönlichkeitsstörung im Sinne des ICD 9 Nr. 301/8." Diese Bewertung leitet es aus folgenden Merkmalen und Wesenszügen des Angeklagten her: 1. Er sei übertrieben besorgt um die Wirkung seines Ä ußeren, wobei auch eine Vernachlässigung seines Aussehens und seiner Körperpflege während der gesamten Hauptverhandlung eingeschlossen sei. Seine Haare seien fettig und strähnig gewesen, sein Zahnstatus ersichtlich desolat. 2. Er fühle sich unwohl in Situationen, in denen er nicht im Mittelpunkt stehe. 3. Er zeige rasch wechselnde und oberflächliche Emotionen auf Beziehungen. 4. Er sei stark egozentrisch, sein Handeln sei auf unmittelbare Befriedigung ausgerichtet; Frustrationen durch Belohnungsaufschub ertrage er schwer, sie führten unter Umständen zu rastlosen Aktivitäten, um rasch zu mehr Geld zu kommen. 5. Er betreibe eine Dramatisierung bezüglich der eigenen Person sowie theatralisches Verhalten. 6. Er sei erhöht kränkbar. 7. Ihm fehle Einfühlungsvermögen und Bezugnahme auf andere.8. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen aus, um mit fremder Hilfe eigene Ziele zu erreichen. Dabei gebe es Überschneidungen zur narzißtischen Persönlichkeitsstörung. Dieses "Krankheitsbild" sei durch anlagebedingte und sonstige Faktoren entstanden. Der Angeklagte habe eine normale Intelligenz, eine gute Auffassungsgabe , eine besondere Antriebslage und hohe Wahrnehmungsfähigkeit. Er komme gut allein zurecht und setze sich hohe Ziele. Erreiche er diese Ziele nicht, führe das zu Frustrationen und einem pathologischen Narzißmus. Auf solche Situationen reagiere er seit seiner Jugend mit Lügengeschichten, um sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Diese "psychischen Abnormitäten" wirkten sich auch organisch aus. In Belastungssituationen sei es seit 1983 wiederholt zu psychischen Dekompensationen gekommen, die im Sinne einer Konversion zu einer schlaffen Beinlähmung ohne organische Grundlage führe, so daß er bei deren Auftreten auf den Rollstuhl angewiesen sei. Dieses Phänomen stelle er unbewußt in seinen Dienst. Das Zusammenwirken dieser Symptome wertet das Landgericht als s c h w e r e andere seelische Abartigkeit. Dieser rechtlichen Wertung kann der Senat jedoch nicht folgen. Der Angeklagte weist zwar gewisse psychische Auffälligkeiten auf. Diese rechtfertigen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit die Bewertung als s c h w e r e andere seelische Abartigkeit. Eine Relevanz der in Ziffern 1 und 2 mitgeteilten Befunde für die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit ist nicht zu erkennen. Im übrigen handelt es sich überwiegend um Eigenheiten oder Verhaltensweisen, die sich Täter eines Betrugs oder einer Untreue üblicherweise zunutze machen, um leichtgläubige Tatopfer zum eigenen Vorteil zu
schädigen. Von Gewicht könnte allenfalls die als Konversionserscheinung gedeutete Beinlähmung sein, die indessen im Zusammenhang mit den hier zu beurteilenden Taten nicht festgestellt wurde. Vielmehr entfaltete der Angeklagte zu deren Begehung eine rege europaweite Reisetätigkeit. Die vom Landgericht beschriebene Persönlichkeitsstörung hat auch keine e r h e b l i c h e Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Folge. Für die Fälle 1, 2, 38 und 39 hat das Landgericht dies selbst nicht angenommen, weil es sich bei diesen Taten um mehrstufige und mehraktige Geschehensabläufe gehandelt habe, bei denen dem Angeklagten noch genügend Möglichkeiten zum Gegensteuern verblieben seien. Für die Bankverfügungen in den Fällen 3 bis 37 gilt aber im Ergebnis nichts anderes. Selbst wenn man die vom Landgericht beschriebenen psychischen Auffälligkeiten zugrundelegt , rechtfertigt dies nicht die Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei jedenfalls bei den technisch gesehen einfach zu verwirklichenden Bankverfügungen wegen eines "starken inneren Zwangs" erheblich vermindert gewesen. Dies gilt um so mehr, als ein Zusammenhang zwischen der als Konversionserscheinung gewerteten Beinlähmung und der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der zu beurteilenden Taten bisher nicht nachvollziehbar festgestellt ist. Die Klassifizierung der Persönlichkeitsstörung unter ICD 9 Nr. 301/8 (= ICD 10 F 60.4) rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil sich allein hieraus weder das Gewicht der Störung ergibt, noch deren Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit. Bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als Grundlage für eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorhanden ist, hätte das Landgericht schließlich auch mitteilen
müssen, welche Diagnosen bereits früher wiederholt zu langen Aufenthalten des Angeklagten in geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser führten, so von Februar 1972 bis Dezember 1976 in Lüneburg und von Mitte 1979 bis Mitte 1980 im Bezirkskrankenhaus Haar. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der neue Tatrichter weitere Umstände feststellen kann, die bei der gebotenen Gesamtwürdigung die Annahme rechtfertigen , die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei der Tatbegehung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Hierüber muß daher neu verhandelt und entschieden werden.
III.
Da sich die fehlerhafte Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit auch auf die Strafzumessung auswirkt (§§ 21, 49 Abs. 1 StGB), kann der Strafausspruch insgesamt nicht bestehen bleiben. Er muß daher mit den zugehörigen Feststellungen ebenfalls aufgehoben werden, damit der neueTatrichter die zu verhängenden Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe umfassend aufeinander abstimmen kann. Jähnke Detter Bode Otten Rothfuß
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.