Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2012 - 2 StR 180/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
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- 1. Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Strafkammer leidet der Angeklagte seit 1997 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit inhaltlichen Denkstörungen, paranoider Symptomatik und teilweise eindeutig wahndeterminiertem Verhalten. Eine im Jahr 2004 angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB wurde zur Bewährung ausgesetzt und der Angeklagte lebte in der Folgezeit in derselben Therapieeinrichtung wie die später Geschädigte. Im Jahr 2010 nahm er wiederholt die ihm verordneten Medika- mente nicht vollständig ein und zeigte sich erhöht aggressiv. Von den weiblichen Bewohnern der Therapieeinrichtung sah er sich zu sexuellen Handlungen gedrängt. Anfang Dezember 2010 fragte er die im Rollstuhl sitzende Geschädigte , ob sie "etwas mit ihm machen wolle". Die Geschädigte lehnte ab und fuhr in ihr Zimmer. Der Angeklagte folgte ihr und führte dort an der schwerstbehinderten Geschädigten, die aufgrund diverser Lähmungen lediglich das rechte Bein, den linken Arm und die Hand eingeschränkt bewegen und nur leise und undeutlich sprechen konnte, gegen deren Willen den Oralverkehr durch.
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- Die Strafkammer ist davon ausgegangen, der Angeklagte sei bei Begehung der Tat schuldunfähig gewesen (§ 20 StGB). Unter dem Einfluss seiner Erkrankung habe bei ihm eine erhöhte Bereitschaft bestanden, dem Sexualtrieb nachzugehen, ohne zuvor andere Handlungsmöglichkeiten zu bedenken. Angesichts seiner Wahnideen sei davon auszugehen, dass er nicht in der Lage war, das Unrecht seines Tuns einzusehen.
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- 2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus werden nicht hinreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen tragen nicht die für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose.
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- Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn neben weiteren Anordnungsvoraussetzungen eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Stö- rungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08, Rn. 5; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, Rn. 7; vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, Rn. 10, NStZ-RR 2009, 198).
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- Diese Anordnungsvoraussetzungen werden vorliegend nicht hinreichend belegt. Ungeachtet dessen, dass letztlich unklar bleibt, welche erheblichen rechtswidrigen Taten zur Überzeugung der Strafkammer künftig zu erwarten sind, tragen die widersprüchlichen und ungenauen Ausführungen des Landgerichts nicht die Annahme einer Wahrscheinlichkeit "höheren Grades" für die künftige Begehung dieser Straftaten:
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- Die Strafkammer ist nach den Ausführungen des von ihr herangezogenen Sachverständigen davon ausgegangen, dass sich "mit hoher Wahrscheinlichkeit" eine ähnliche wie die vom Angeklagten begangene Tat wiederholen könne. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei zwar die Bereitschaft des Angeklagten für den Einsatz von Gewalt eher gering bis moderat ausgeprägt und eine Bereitschaft für Tötungshandlungen nicht erkennbar. Auch sei die Anlasstat als ein eher zufallsbedingtes Geschehen ohne zielstrebige Tatrealisation zu werten. Der Angeklagte übernehme aber keine Verantwortung für sein Handeln, zeige keine Empathie und sei nicht fähig, sich mit der Tat auseinanderzusetzen. Es liege daher eine "moderate bis deutliche Rückfallgefahr" vor; ohne Therapie oder andere risikosenkende Maßnahmen sei eine Rückfallfreiheit zwar möglich, jedoch nicht wahrscheinlich. Im Weiteren wird ausgeführt, die Legalprognose sei "aktuell sehr ungünstig, im günstigsten Fall neutral". In Freiheit sei mit "deutlicher" Wahrscheinlichkeit wieder mit Delinquenz zu rechnen; bei nicht genügender Medikation sei "durchaus" mit Gewaltdelikten , wie Körperverletzungen aber auch mit Sexualstraftaten und Tötungs- delikten zu rechnen. Im Anschluss an den Sachverständigen ist die Strafkammer schließlich davon ausgegangen, dass zumindest langfristig mit erneuten schwerwiegenden Straftaten "zu rechnen" sei.
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- 3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2010, 55 mwN). Zwar begegnet die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung im Hinblick auf die zum Nachteil der Geschädigten begangene rechtswidrige Anlasstat keinen rechtlichen Bedenken. Die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten wird indes nicht widerspruchsfrei begründet. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, bei dem Angeklagten habe krankheitsbedingt offenbar eine erhöhte Bereitschaft bestanden, ohne vorherige Erwägung anderer Handlungsmöglichkeiten dem Sexualtrieb nachzugehen, spricht dies eher dafür, dass der Angeklagte nicht oder nur erheblich eingeschränkt in der Lage war, sein Verhalten entsprechend seiner noch vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern. Demgegenüber ist die Strafkammer im Ergebnis davon ausgegangen, der Angeklagte sei wahnbedingt schon nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Handels zu erkennen. Im Hinblick darauf und um dem Tatrichter einheitliche Feststellungen zu ermöglichen, war auch der den Angeklagten für sich genommenen nicht beschwerende Freispruch aufzuheben.
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- 4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte vorliegend nur mit einer Anlasstat in Erscheinung getreten ist, die zudem nicht mit der Anwendung von körperlicher Gewalt verbunden war, auch das delinquente Vorleben des Angeklagten näherer Betrachtung bedarf. Auch dürfen die Zeiträume vor und nach der Tat, in denen der Angeklagte unauffällig geblieben ist, nicht unerörtert blei- ben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, Rn. 11, NStZ-RR 2011, 240, 241). Von daher sind auch Feststellungen dazu erforderlich, wie der Angeklagte , der die Therapieeinrichtung im Dezember 2010 verlassen hat und im Juli 2011 nach § 126a StPO vorläufig untergebracht worden ist, sich im Nachgang zu der Anlasstat verhalten und ob er weitere strafrechtlich relevante und gefährliche Handlungen begangen hat.
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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 des Strafgesetzbuches) begangen hat und daß seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird, so kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einer dieser Anstalten anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.
(2) Für die einstweilige Unterbringung gelten die §§ 114 bis 115a, 116 Abs. 3 und 4, §§ 117 bis 119a, 123, 125 und 126 entsprechend. Die §§ 121, 122 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass das Oberlandesgericht prüft, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen.
(3) Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht anordnet. Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung nicht aufgehalten werden. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Hat der Untergebrachte einen gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten im Sinne des § 1831 Absatz 5 und des § 1820 Absatz 2 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, so sind Entscheidungen nach Absatz 1 bis 3 auch diesem bekannt zu geben.