Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2018 - 1 StR 565/18

published on 22/11/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2018 - 1 StR 565/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 565/18
vom
22. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:221118B1STR565.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe – auswärtige Strafkammer Pforzheim – vom 28. Mai 2018, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. Der Schuldspruch wird jedoch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz eines verbotenen Gegenstandes, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen verurteilt ist.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltrei- bens mit Betäubungsmitteln unter Mitführung von Waffen in Tateinheit mit vor- sätzlichem Besitz eines verbotenen Gegenstandes“, unerlaubten Handeltrei- bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 14.380 Euro angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Schuld- und Strafausspruch begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts ist der Schuldspruch jedoch neu zu fassen.
3
2. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt: „Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte seit seinem 20. Lebensjahr regelmäßig Marihuana. Diesen anfänglichen Konsum steigerte er mit dem 25. Lebensjahr auf zwei bis drei Joints in der Woche. Im Jahre 2016 begann er auch mit dem Konsum von Kokain. Die Dosis lag bei etwa 3 bis 5 Gramm in der Woche. Der Beginn des Kokainkonsums führte zu einer weiteren Verstärkung des Marihuanakonsums. Der Kokainkonsum war immer wieder von längeren Pausen unterbrochen; Entzugserscheinungen traten beim Angeklagten nicht auf, auch nicht in der Untersuchungshaft. Bereits vor seiner Inhaftierung hat er seinen Konsum von Betäubungsmitteln reduziert und zeitweise vollständig eingestellt (UA S. 8 f., 24 ff., 36 ff.).
Das Landgericht hat hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten festgestellt, dass der Angeklagte durch den Verkauf von Betäubungsmitteln auch seinen Eigenkonsum finanzierte (UA S. 34, 36). Die Strafkammer geht, gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen , davon aus, dass bei dem Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei. Bei ihm handle es sich um einen sozial gut integrierten Menschen , der einen Beruf erlernt habe und dessen Lebensumstände durch den Konsum von Betäubungsmitteln nicht erheblich tangiert seien. Es sei daher nicht von einem Abhängigkeitssyndrom auszugehen (UA S. 36 f.). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist. Dabei genügt für die Annahme eines Hanges (§ 64 Satz 1 StGB) bereits eine erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine psychische Abhängigkeit bestehen muss (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2017 - 1 StR 415/17). Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum indiziert zwar ein Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus (Senat a.a.O. m.w.N.). Angesichts der Feststellung des Landgerichts, dass die verfahrensgegenständlichen Taten auch der Finanzierung von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum dienen sollten, kann die Ursächlichkeit des längeren Missbrauchs von verschiedenen Betäubungsmitteln für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten nicht verneint werden. Die Annahme eines Hanges steht schließlich nicht entgegen, dass der Angeklagte immer wieder in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Die im Hinblick auf die Nichtanordnung der Maßregel getroffenen Feststellungen waren mit aufzuheben
(§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie infolge des rechtsfehlerhaften Verständnisses zum Hangbegriff ihrerseits nicht tragfähig sind. Das Verschlechterungsverbot steht einer Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; Senat, Beschluss vom 5. September 2017 - 1 StR 350/17 m.w.N.).“
4
Dem schließt sich der Senat an.
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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published on 05/09/2017 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 350/17 vom 5. September 2017 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2017:050917B1STR350.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.