Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2000 - 1 StR 537/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betruges zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der Rüge liegt folgendes Prozeßgeschehen zugrunde: Nach dem 10. von insgesamt 16 Hauptverhandlungstagen legten die beiden aus derselben Sozietät stammenden Wahlverteidiger der Angeklagten ihr Mandat nieder. Am folgenden Hauptverhandlungstag beantragten die inzwischen beauftragten, aus verschiedenen Sozietäten stammenden neuen Wahlverteidiger die Aussetzung der Hauptverhandlung. Sie begründeten dies insbesondere damit, daß eine ordnungsgemäße Verteidigung der Angeklagten ohne eine Wiederholung der gesamten bisherigen Beweisaufnahme nicht möglich sei, weil sie sich kein eigenes Urteil über Inhalt und Glaubhaftigkeit der bisherigen Zeugenaussagen bilden könnten. Die Strafkammer hat diese und die beiden später gestellten Aussetzungsanträge zurückgewiesen. Sie hielt die angeordnete zehntägige Unterbrechung der Hauptverhandlung u.a. im Hinblick auf die den Verteidigern zur Verfügung gestellten Mitschriften der Berichterstatterin für ausreichend.Diese Verfahrensweise beanstandet die Revision mit Recht als unzulässige Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) und Verletzung des § 265 Abs. 4 StPO. Nach § 265 Abs. 4 StPO ist das Gericht verpflichtet, die Hauptverhandlung auszusetzen, wenn dies wegen veränderter Sachlage zu einer genügenden Vorbereitung der Verteidigung angemessen erscheint. Eine Veränderung der Sachlage kann auch durch einen Wechsel des Verteidigers eintreten (BGH NJW 1965, 2164, 2165). Erklärt der neubestellte Verteidiger, daß er zur Verteidigung nicht genügend vorbereitet sei, so entscheidet das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber, ob die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen ist. Das Gericht kann nach dem geltenden Strafverfahrensrecht die Hauptverhandlung grundsätzlich mit dem neubestellten Verteidiger fortsetzen, ohne von neuem beginnen zu müssen. Es wird immer von den Umständen des einzelnen Falles abhängen, ob die Anwesenheit desselben Verteidigers bei allen Teilen der Hauptverhandlung für eine sachgemäße Durchführung der Verteidigung unbedingt notwendig ist (BGHSt 13, 337, 340). Die Besonderheiten des vorliegenden Falles machten es erforderlich, die Hauptverhandlung auszusetzen oder – was hier nicht geschehen ist – zumindest den Hauptbelastungszeugen erneut, nunmehr in Anwesenheit der neuen Verteidiger, zu vernehmen (vgl. BGHSt 13, 337, 345). Von Bedeutung waren hier insbesondere die Schwere des Anklagevorwurfs (BGH NStZ 1983, 281), der zu nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafen geführt hat, und die Beweislage im Zeitpunkt des Verteidigerwechsels. Alle besonders wichtigen Zeugen waren bereits vernommen. Der zentrale Punkt des Verfahrens ist die Frage, ob der Angeklagte Dr. W. als Rechtsanwalt gegenüber einem Mandanten, bevor dieser der Mitangeklagten D. 400.000 DM zur Verfü-
gung stellte, hinsichtlich der beabsichtigten Verwendung des Geldes und der wirtschaftlichen Lage der Mitangeklagten D. unwahre Angaben gemacht hat. Dritte waren bei dem fraglichen Gespräch nicht zugegen. Die dazu von dem Geschädigten abgegebene Darstellung wird von den Angeklagten bestritten. Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen war daher – auch ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils – von entscheidender Bedeutung. Sie wurde von der Verteidigung u.a. mit der Begründung in Frage gestellt, der Zeuge habe während der Hauptverhandlung widersprüchliche Angaben gemacht. Hinzu kommt, daß die Kammer selbst der vom Zeugen während der Vernehmung gezeigten Mimik und Gestik Bedeutung beigemessen hat. So wird in dem angefochtenen Urteil angeführt, der Zeuge habe in Richtung des Angeklagten keinerlei Belastungsinteressen gezeigt und sogar einen Handschlag angedeutet, während er der Mitangeklagten lediglich einen abschätzigen Blick zugeworfen habe. Ob eine andere Beurteilung angezeigt sein könnte, wenn die Mandatsniederlegung erfolgte, um einen Abbruch der Hauptverhandlung zu erzwingen, kann dahingestellt bleiben. Für ein solches Verhalten gibt es hier keine Anhaltspunkte. Die Verteidiger beriefen sich insoweit auf einen erst im Laufe der Hauptverhandlung aufgetretenen Interessenwiderstreit. Dabei bezogen sie sich auf ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten, das die Strafkammer in den im hiesigen Verfahren nach dem 7. Hauptverhandlungstag erlassenen Haftbefehlen zur Begründung der Fluchtgefahr angeführt hatte. In diesem weiteren Ermittlungsverfahren wird die Angeklagte D. – anders als im vorliegenden Verfahren – vom Mitangeklagten Dr.W. belastet. Daß die
Mandatsniederlegungen aus diesem sachgerechten Grund (vgl. § 3 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte) erfolgten, hat auch die Strafkammer in den die Aussetzung ablehnenden Beschlüssen nicht in Frage gestellt. Schäfer Maul Granderath Wahl Schluckebier
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(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,
- 1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn - a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder - b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und - aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, - bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder - cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
- 2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war; - 3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist; - 4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; - 5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; - 6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; - 7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind; - 8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.