Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2004 - 1 StR 293/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
1. Für den Angeklagten war es jahrelang „selbstverständlich“, seine Lebensgefährtin W. zu ohrfeigen. Als er drohte, sie umzubringen, und die gemeinsame Tochter mißhandelte, trennte sie sich von ihm. Als er sie nicht umstimmen konnte, gab sich der Angeklagte „vordergründig“ einsichtig, wollte sie aber töten, wenn er keine „weitere Chance“ erhielte. Am 12. Geburtstag der Tochter traf man sich in einem Lokal, wobei er verborgen eine Waffe mit sich führte. Es kam alsbald zum Streit, die Tochter ging. W. wiederholte, sie ziehe einen „Schlußstrich“. Jetzt wollte er „verwirklichen, was er sich ... vorgenommen hatte, nämlich W. zu töten“. Er sagte, sie könne gehen, bezahlte und verließ mit ihr das Lokal. Beim Ausgang „erbat er einen letzten Kuß“, was sie ablehnte. Darauf schoß er die überraschte W. nieder. Als sie auf dem Boden lag, schlug er mit der Waffe auf sie ein und setzte sie ihr dann an die Schläfe, um sein „Werk“ zu „vollenden“. Wegen eines Defekts löste sich jedoch kein Schuß mehr. Daran scheiterte auch sein Versuch, den herbeigeeilten Küchenhelfer K. niederzuschießen, umfliehen zu können. W. ist seither im Wachkoma und vollständig gelähmt. 2. Deshalb wurde der Angeklagte wegen (heimtückisch begangenen) versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung z. N. W. und wegen versuchten Totschlags z. N. K. verurteilt. Nicht zuletzt wegen der schweren Folgen hat die Strafkammer die Strafe für den Mordversuch nicht gemäß §§ 23, 49 StGB gemildert, jedoch bei beiden Taten wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß §§ 21, 49 StGB. 3. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat. 4. Der Senat sieht Anlaß zu folgenden Hinweisen:
a) Es hätte nahe gelegen zu prüfen, ob der Angeklagte im Sinne des § 211 StGB niedrige Beweggründe hatte, sowohl bei dem sorgfältig vorgeplanten Versuch, W. zu töten, weil sie ihn verlassen hat (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 28; Schneider in MüKom StGB § 211 Rdn. 91 jew. m. w. N.), als auch bei demVersuch, K. zur Ermöglichung der Flucht niederzuschießen (vgl. Jähnke aaO Rdn. 17, 25; Schneider aaO Rdn. 173 jew. m. w. N.).
b) Die Strafkammer führt aus, der Sachverständige hielte für „gut vorstellbar“ , daß der Angeklagte wegen der Zurückweisungen im Hinblick auf seine narzißtische und histrionische Persönlichkeit so sehr gekränkt war, daß dies in „Fremdaggression“ umschlug. Dabei müsse auch der verweigerte Kuß berücksichtigt werden. Zwar sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten von alledem nicht berührt, es sei aber nicht auszuschließen, daß seine Steuerungsfähigkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB vermindert gewesen sei. Diese Aus-
führungen erscheinen der Strafkammer „vertretbar“, weshalb sie zu Gunsten des Angeklagten von einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit (§ 20 StGB) ausgeht. Hiergegen bestehen in mehrfacher Hinsicht rechtliche Bedenken: (1) Unbeschadet der Frage, ob hier für den Angeklagten mit der Ablehnung des Kusses zu rechnen war, wollte er ihn, als er sich endgültig zur Tötung entschlossen hatte. Schon deshalb liegt fern, daß sich hieraus für ihn günstige Folgen ergeben könnten. Demgegenüber hätte die Erörterung nahegelegen, ob diese „Bitte“ nicht ebenso wie seine Äußerungzu W. , sie könne gehen und d as gemeinsame Verlassen des Lokals sie nur in Sicherheit wiegen sollte. (2) Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sagt nichts darüber aus, ob sie im Sinne der §§ 20, 21 StGB „schwer“ ist. Hierfür ist maßgebend , ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. hierzu im einzelnen Senatsurteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03 = NStZ 2004, 437, 438; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Dafür sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der zur Tatzeit 53 Jahre alte Angeklagte lebte in geordneten Verhältnissen und war nahezu durchgängig, teils als Karosseriebaumeister, teils in der Gastronomie, berufstätig. In den Tagen vor der Tat wirkte er „positiv verändert“ und „gestärkt“, nachdem er sich erfolgreich um eine neue Wohnung bemüht hatte. Auch seine Vorstrafen, jeweils zu Geldstrafe wegen eines Verkehrsunfalls, Verleumdung eines Rechts-
anwalts in einem Zivilprozeß und Betrugs z. N. des Arbeitsamts deuten nicht auf eine schwere Persönlichkeitsstörung hin. (3) Schuldfähigkeit bezieht sich auf den konkreten Rechtsverstoß (BGH Beschluß vom 27. Juni 2000 – 1 StR 242/00; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 72), ist also für jede Tat gesondert zu prüfen. Selbst wenn man wegen der Enttäuschung des Angeklagten über W. von seiner erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei dem Versuch, sie zu töten, ausgeht, wäre zu erörtern gewesen, ob sich dies auch bei der anders motivierten Tat z. N. K. ausgewirkt hat. (4) Von alledem abgesehen ist die Frage, ob eine Beeinträchtigung im Sinne des § 21 StGB „erheblich“ ist, eine Rechtsfrage. Sie ist daher nicht dem Zweifelssatz zugänglich (vgl. BGHR StGB § 21 in dubio pro reo 1 m. w. N.). Sie ist vom Richter ohne Bindung von Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGH aaO m. w. N.). Der Sachverständige hat den Richter nur zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinischpsychiatrischen Anknüpfungstatsachen zu beraten, sofern der Richter hierüber nicht auf Grund seines Allgemeinwissens selbst befinden kann (BGHSt 43, 66, 77; BGH StV 1999, 309, 310; jew. m. w. N.). Bei der Beurteilung der Erheblichkeit fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehend Delikt ist (vgl. BGH aaO m. w. N.), bei (versuchten) vorsätzlichen Tötungsdelikten also hoch.
All dies gefährdet den Bestand des Urteils nicht. Weder die unterbliebene Prüfung niedriger Beweggründe noch die Annahme erheblich verminderter Schuld haben sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Wahl Boetticher Schluckebier Elf Hubert
moreResultsText
Annotations
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.