Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2006 - 1 StR 23/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 80 Fällen sowie wegen Unterschlagung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 96.001,25 Schweizer Franken angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten, die die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Soweit sie sich gegen die Verfallsanordnung richtet, hat sie hingegen Erfolg.
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- 1. Die Verfallsanordnung kann von Rechts wegen keinen Bestand haben, weil den Geschädigten der abgeurteilten Taten zivilrechtliche Ansprüche erwachsen sind, die der Verfallsanordnung zu Gunsten des Staates grundsätzlich vorgehen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das Landgericht hat dies nicht verkannt, aber gemeint, durch eine Verfallsanordnung sicherstellen zu dürfen, dass auf das auf dem Konto des Angeklagten bei der Schweizerischen Postfinanz liegende Guthaben "mit rangwahrender Wirkung" Zugriff genommen werden könne und auf diese Weise eine - gesetzlich nicht geregelte - nachträgliche Verteilung unter den Verletzten in die Wege geleitet werden könne.
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- Damit hat das Landgericht - wie die Revision und der Generalbundesanwalt zu Recht ausführen - die verfahrensrechtliche Rückgewinnungshilfe ins materielle Recht übertragen, obgleich dies einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Auch der gegenwärtig noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche Entwurf , der einen Auffangrechtserwerb des Staates vorsieht, ist noch nicht Gesetz (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 16/700).
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- Die Voraussetzungen der Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die zivilrechtlichen Ansprüche der im Urteil namentlich festgestellten Geschädigten genießen grundsätzlich Vorrang (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 73 Tatbeute 1; BGH StV 1995, 301; NStZ 2003, 533; siehe auch LK-Schmidt, 12. Aufl. § 73 Rdn. 34). Anders kann es dann liegen, wenn die Geschädigten keinen Anspruch geltend machen und darauf verzichten, dem Angeklagten also keine doppelte Inanspruchnahme droht und den Geschädigten auch keine Ersatzmöglichkeit entzogen wird (BGH NStZ-RR 2004, 54, 55; BGH, Beschluss vom 31. März 2004 - 1 StR 482/03 - insoweit in NStZ 2005, 213 nicht abgedruckt ). Dazu verhält sich das Urteil nicht ausdrücklich.
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- 2. Der Senat hat davon abgesehen, die Verfallsanordnung - wie vom Generalbundesanwalt beantragt - lediglich in Wegfall zu bringen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. November 1999 - 3 StR 346/99). Er erachtet es für sachgerecht, den Verfallsausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, Feststellungen darüber zu treffen, ob etwa die Geschädigten auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichtet haben (zu solcher Fallgestaltung vgl. BGH NStZ-RR 2004, 54, 55; BGH, Beschluss vom 31. März 2004 - 1 StR 482/03 - insoweit in NStZ 2005, 213 nicht abgedruckt). Sollte das nicht der Fall sein, sieht § 111i StPO die Möglichkeit vor, eine angeordnete Beschlagnahme zu Gunsten der Verletzten zu verlängern und diesen den Weg zu öffnen, ihre Ansprüche zivilrechtlich durchzusetzen (siehe weiter zur Rückgewinnungshilfe : § 111b Abs. 5 i.V.m. § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO; BGH StV 1995, 301; NStZ 2003, 533; BGH, Beschluss vom 6. Februar 1996 - 4 StR 727/95; KK-Nack, 5. Aufl. § 111b Rdn. 17 ff.). Dies erscheint nicht von vornherein aussichtslos , weil die Schweiz Vertragspartner des sog. Lugano-Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ist (VollstrZustÜbk 1988 = Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen in Lugano am 16. September 1988, BGBl. 1994 II 2658, ber. 1994 II 3772).
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- Sollte bis zur Neuverhandlung der Sache der bezeichnete Gesetzentwurf zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (BTDrucks. 16/700) in Kraft getreten sein (vgl. § 111i StPO Abs. 2 und Abs. 5 i.d.F. des Entwurfs), wird § 2 Abs. 5 StGB zu beachten sein. Nack Wahl Schluckebier Elf Graf
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.
(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.
(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat
(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.
(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.
(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.
(1) Ist die Annahme begründet, dass die Voraussetzungen der Einziehung oder Unbrauchbarmachung eines Gegenstandes vorliegen, so kann er zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden. Liegen dringende Gründe für diese Annahme vor, so soll die Beschlagnahme angeordnet werden. § 94 Absatz 3 bleibt unberührt.
(2) Die §§ 102 bis 110 gelten entsprechend.
(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.
(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.
(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.