Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2002 - 1 StR 195/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub, räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts dirigierte der Angeklagte den Taxifahrer H. R. als dessen Fahrgast auf einen Feldweg, stach dort mit einem Messer auf diesen ein, brachte dessen Barschaft an sich und flüchtete mit dem nun von ihm gesteuerten Taxi. Die Voraussetzungen erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer verneint. Die Revision
des Angeklagten, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
1. Die Strafzumessung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat dem Angeklagten straferschwerend angelastet , daß er nach der Tat mit großem Aufwand deren Spuren zu verwischen suchte. Er habe die von ihm getragene Tatkleidung weggeworfen, das Taxi in einem Hohlweg im Wald verborgen und seine Fingerspuren mittels Öl entfernt, welches er nach nochmaliger Rückkehr an den Abstellort von zu Hause mitgebracht habe (UA S. 37).
Das ist rechtsfehlerhaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allein der Versuch, sich selbst durch Beseitigung von Tatspuren der Strafverfolgung zu entziehen, kein zulässiger Strafschärfungsgrund. Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß dies selbst dann gilt, wenn die Spurenbeseitigung umsichtig oder kaltblütig vorgenommen wird (vgl. dazu nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 - Nachtatverhalten 13, 17, 18). Anders kann es sich allenfalls dann verhalten, wenn der Täter dadurch neues Unrecht schafft oder mit seinem Verhalten weitergehende Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen (BGH aaO). Solches läßt sich den Urteilsfeststellungen hier indessen nicht entnehmen.
Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß sich die in Rede stehende, zu beanstandende Straffindungserwägung auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe ausgewirkt haben kann. Deshalb unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung.
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet der Rechtsfolgenausspruch auch im übrigen, weil die Erwägungen des Landgerichts zur Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
und eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB unter Erörterungsmängeln leiden.
a) Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daû der 1976 geborene Angeklagte , der mit seiner Familie 1995 nach Deutschland übergesiedelt war, trinkgewohnt war. Er nahm bereits in Kasachstan Marihuana. 1995 kamen Erfahrungen mit Ecstacy, Kokain und Heroin hinzu. Im Jahr 1998 begann er, Heroin zunächst zu schniefen, später dann zu injizieren. Ab dem Jahr 1999 nahm er auch Kokain, das er später ebenfalls spritzte. Höhere Dosen als 1 g Heroin oder Kokain auf den Tag verteilt führte er sich indessen nicht zu. In den Jahren 2000 und 2001 gab es immer wieder Abstinenzzeiten, wobei es ihm jedoch nicht möglich war, diese über einen Zeitraum von mehr als einem Monat durchzuhalten. Am Nachmittag und Abend vor der Tat, gegen 14.00 Uhr und 21.00 Uhr, injizierte er sich Heroin. Beweggrund für den Überfall auf den Taxifahrer am folgenden Morgen war, daû er sich in einer schwierigen finanziellen Situation befand. Tags zuvor fühlte er sich schlecht und hatte Entzugserscheinungen. Seine Handyrechnung in Höhe von 822 DM konnte er nicht bezahlen. Sein Girokonto bei der Kreissparkasse stand mit 6.000 DM im Soll. Nach der am 27. Mai 2001 begangenen Tat und noch vor dem Versuch der Spurenbeseitigung besorgte sich der Angeklagte von einem Dealer für 50 DM Heroin und spritzte es sich. Im Anschluû an die Spurenbeseitigung erwarb er nochmals für 50 DM 0,2 g Heroin, das er sich injizierte, kaufte in den folgenden Tagen nochmals Heroin und hatte bei seiner Festnahme am 31. Mai 2001 aus dem erbeuteten Geld noch 100 DM zur Verfügung. Der Drogenkonsum des Angeklagten wurde durch die festgestellten Drogenwerte im Urin und in den Haaren belegt, in denen sich bei der chemischen Analyse sehr hohe Werte von Kokain und hohe Werte von Heroin fanden.
Die Strafkammer folgert mit dem Sachverständigen aus dem Umstand, daû der Angeklagte das gesamte erbeutete Geld nicht binnen kurzem in Dro-
gen umgesetzt habe, sondern bei seiner Ergreifung wenige Tage später noch 100 DM aus der Beute - in Höhe von ca. 1.100 DM - zur Verfügung hatte, daû beim Angeklagten keine erhebliche Entzugsproblematik vorgelegen habe. Daraus ergebe sich auch, daû es sich bei der Tat nicht um eine klassische Beschaffungstat gehandelt habe, auch wenn eine beabsichtigte Drogenbeschaffung "mit Motiv für die Tat" gewesen sei. Der Angeklagte habe das Geld neben dem Erwerb von Drogen auch noch zur Bezahlung seiner Handyrechnung und für die Rückführung des Sollsaldos seines Girokontos benötigt.
Im Rahmen der Erörterung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer ausgeführt, zwischen der Tat und der Alkohol- bzw. Drogensucht des Angeklagten bestehe kein "direkter unmittelbarer Kausalzusammenhang". Die vorhandene Alkohol- und Drogensucht erreiche nach ihren aufgetretenen Symptomen keinen solchen Schwergrad, daû sie als psychische Störung und psychiatrische Erkrankung im Sinne eines Hanges, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaû zu sich zu nehmen, gewertet werden könne. Dafür spreche auch in diesem Zusammenhang der "Rest von 100 DM der Beute", welche der Angeklagte trotz seines Drogenkonsums in den Tagen zuvor noch als Restgeld aus der Beute zur Verfügung gehabt habe, ohne sie schon zuvor für Drogenerwerb verwendet zu haben (UA S. 38).
b) Diese Ausführungen werden den an eine Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB sowie des § 64 StGB zu stellenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht. Nach den getroffenen Feststellungen ist es nicht ausgeschlossen , daû der Angeklagte bei Begehung der Straftat von der Angst vor ihm bekannten und sich steigernden Entzugserscheinungen beherrscht war. Ein derartiger Zustand kann die Hemmungsfähigkeit erheblich einschränken und deshalb für die Annahme der Voraussetzungen von § 21 StGB ausreichen.
Ein völliges Fehlen der Hemmungsfähigkeit ist indessen ersichtlich auszuschlieûen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein zwar noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB). Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuû zu schwerster Persönlichkeitsveränderung geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen; ferner unter Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt. Zu bedenken ist aber auch der Sonderfall, daû die Angst des Täters vor nahe bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen, die er schon als "grausamst" erlitten hat, die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ermöglicht (vgl. BGH NStZ 2001, 83; 1989, 430; BGHR StGB § 21 - BtM-Auswirkungen 11, 12). Nach den vom Landgericht im übrigen getroffenen Feststellungen hätte es sich auf der Grundlage dieses Maûstabes auch damit auseinandersetzen müssen.
Darüber hinaus ist zu besorgen, daû die Strafkammer bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB nicht in jeder Hinsicht von einem zutreffenden rechtlichen Maûstab ausgegangen ist. Ein "Hang" im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur - wovon das Landgericht möglicherweise ausgeht - eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit; es genügt vielmehr eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaû zu sich zu nehmen. Diese Neigung muû noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben (vgl. BGHR StGB § 64 - Hang 4, 5).
Diese rechtlichen Mängel führen dazu, daû der Rechtsfolgenausspruch insgesamt neu verhandelt werden muû.
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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.