Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2001 - 1 StR 143/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen und wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 1. Die Verfahrensrügen sind unbegründet:
a) Die Behandlung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch eine auf sexuellen Mißbrauch spezialisierte Kindergynäkologin , die feststellen werde, daß vom behaupteten Analverkehr noch heute sichtbare Verletzungen beim Tatopfer M. F. vorhanden sein müßten, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Strafkammer hat mit der Bestellung des
Stationsarztes Dr. S. z um Sachverständigen nicht das Beweisziel des Antrags reduziert. Dieser hatte das Tatopfer bereits drei Monate nach dem Analverkehr untersucht und keine Verletzungen mehr festgestellt. In der Bestellung dieses Sachverständigen lag somit auch keine Teilablehnung eines Beweisantrages, worüber die Strafkammer durch Beschluß nach § 244 Abs. 6 StPO hätte befinden müssen.
b) Die Strafkammer hat auch ohne Rechtsfehler den Hilfsbeweisantrag auf Ladung der Kindergynäkologin als weitere Sachverständige in den Urteilsgründen abgelehnt. Angesichts des begrenzten Beweisthemas war die Kindergynäkologin gegenüber dem sich im vierten Ausbildungsjahr zum Gynäkologen befindlichen Stationsarzt Dr. S. k eine Sachverständige einer anderen Fachrichtung. Auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gebot nicht, die Kindergynäkologin als weitere Sachverständige zu laden. 2. Der Beschwerdeführer hat auch mit der Sachrüge, die in einem nachgereichten Schriftsatz begründet worden ist, keinen Erfolg. Die Revision rügt, die Strafkammer habe zu Lasten des Angeklagten gewertet, es sei zu einer sozialen Isolation der Geschädigten gekommen, weil sich Familie, Freunde und Schulkameraden nach dem Offenbaren der Taten von ihr abgewandt hätten. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergebe sich, die Kammer habe den Ursprung der sozialen Isolation darin gesehen, daß der Angeklagte die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe bestritten habe. Damit werde ihm letztlich sein Verteidigungsverhalten angelastet, obwohl dieses nicht über die Grenzen einer angemessenen Verteidigung hinausgegangen sei. Dies trifft nicht zu.
a) Das Landgericht hat unter anderem dazu ausgeführt:
Nachdem der Vater der Geschädigten von dem inkriminierten Verhalten des Angeklagten Kenntnis erhalten hatte, informierte er verschiedene Familienmitglieder. Bei einem Treffen spielte der Vater die Tonbandcassette mit M. s Bericht über die sexuellen Übergriffe des Angeklagten ab. Da der Angeklagte sich nicht für seine Taten entschuldigte, entschloß sich der Vater zur Anzeige bei der Polizei. Das Bekanntwerden der sexuellen Übergriffe verschaffte der Geschädigten zunächst zwar Erleichterung. Aufgrund des Offenbarens der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hat sich die Familie von M. abgewandt. Ihr wird von den Verwandten nicht geglaubt, vielmehr wird sie als Lügnerin dargestellt und zum Teil auch beschimpft und von den Schulkameraden als Lügnerin bezichtigt. Hierdurch haben sich die Freunde und Schulkameraden von ihr abgewandt. Mangels anderer Möglichkeiten muß sie ihre Freizeit jetzt in einem Kinderhort für kleinere Kinder verbringen. Außer dem Vater hat sie niemand mehr. Seit acht Monaten befindet sie sich nun schon in psychologischer Behandlung; ein Ende ist derzeit nicht abzusehen. Für das ursprünglich kontaktfreudige und umgängliche Kind ist es ein schwer erträglicher Zustand , der es zusätzlich belastet. All dies hat der Angeklagte verschuldet.
b) Die durch die Tat verursachte familiäre und soziale Isolierung der Geschädigten durfte das Landgericht strafschärfend berücksichtigen. aa) Damit wird nicht auf das Verteidigungsverhalten des Angeklagten abgestellt, denn ihm wird nicht angelastet, er habe durch sein Bestreiten dem Opfer die Aussage vor Gericht nicht erspart (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 15; BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 4). Hier hat die Strafkammer zu Recht nicht nur die aus der Tathandlung unmittelbar entstandenen seelischen Folgen für das Tatopfer zur Schuldbemessung herangezogen, sondern auf die sozialen Folgen für M. abge-
stellt, die sich aus dem Bekanntwerden des Verdachts innerhalb des Familienverbandes ergeben und die sich nach dem Scheitern von Vermittlungsbemühungen ihres Vaters und dessen Anzeigenerstattung bei der Polizei im Verlauf des Strafverfahrens verstärkt haben. Bei Sexualstraftaten treten für das Tatopfer zu den psychischen Folgen regelmäßig Beeinträchtigungen hinzu, die sich aus der verfahrensrechtlichen Behandlung dieser Delikte und dem dadurch bedingten Rollenverhalten von Familienmitgliedern und Freunden ergeben , wenn dies nicht von vornherein durch ein umfassendes Geständnis des Täters vermieden wird. Werden Familienmitglieder oder Freunde zu Zeugen oder Anhörpersonen, die in polizeilichen Vernehmungen oder in der Hauptverhandlung zur Glaubhaftigkeit von Aussagen und damit letztlich zur Person des Opfers oder des Täters Stellung beziehen müssen, so wirkt sich dies in der Regel auch auf deren Verhalten gegenüber den unmittelbar Beteiligten aus. Die Strafkammer hat Feststellungen zu dem vom Vater der Geschädigten unternommenen Versuch einer Aufarbeitung des Geschehens innerhalb der Familie und zur Anzeige bei der Polizei getroffen. Sie hat die Entwicklung der Isolierung M. s im einzelnen dargelegt. Diese Umstände können hier nach § 46 Abs. 2 StGB als dem Angeklagten zurechenbare Folgen straferschwerend herangezogen werden. Denn dann werden ihm nicht das unterlassene Geständnis oder sein Prozeßverhalten vorgeworfen, was unzulässig wäre , sondern die sich aus dem Bekanntwerden der Taten zwangsläufig ergebenden Wirkungen der Durchführung des Strafverfahrens, die letztlich unabhängig davon sind, ob die Beteiligung der Personen aus dem persönlichen Umfeld an Vernehmungen oder an der Hauptverhandlung wegen Bestreitens oder Schweigens des Angeklagten oder sogar trotz seines Geständnisses erforderlich war (offen gelassen in Beschl. vom 4. Oktober 1994 - 5 StR 352/94). Soweit aus dem Urteil vom 18. Januar 1966 - 1 StR 571/65 - (abgedruckt in NJW
1966, 894) eine andere Auffassung hergeleitet werden könnte, hält der Senat jedenfalls diese nicht mehr aufrecht. bb) Derartige Folgen treten beim sexuellen Mißbrauch von Kindern durch Familienangehörige häufig ein und sind deshalb auch vorhersehbar. Die strafschärfende Berücksichtigung derartiger konkret festgestellter Folgen verstößt deshalb auch nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung des § 46 Abs. 3 StGB, denn sie sind nicht Merkmal des gesetzlichen Tatbestands. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur "Beeinflussung der Entwicklung des jungen Menschen im seelischen Bereich" (BGH StV 1998, 656 und 657; Beschl. vom 30. Juli 1998 - 4 StR 364/98) betreffen das geschützte Rechtsgut und sind deshalb nicht einschlägig. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Kolz
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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.