Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2000 - 1 StR 136/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Beleidigung verurteilt worden ist (Fall II 4 der Urteilsgründe); insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) klargestellt, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 190 Fällen schuldig ist;
c) das genannte Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren zu Fall II 4 der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil des Nebenklägers, M. L. , der zur Tatzeit 14 Jahre alt war) gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Damit erledigen sich die von der Revision erhobenen Einwände gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung (vgl. dazu BGHSt 36, 145, 150). 2. Der verbleibende Schuldspruch wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 190 Fällen begegnet keinen rechtlichen Bedenken. 3. Wie Revision und Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt haben, enthalten die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts einen Rechtsfehler , soweit die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, "daß er sich in der Hauptverhandlung völlig uneinsichtig und ohne Reue zeigte und die Geschädigten durch sein hartnäckiges Abstreiten der Taten als Lügner darstellte" (vgl. dazu BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4, 6, 15,
17).
a) Auf diesem Rechtsfehler kann, wie der Generalbundesanwalt dargelegt hat, der Ausspruch über die verhängten Einzelstrafen - die mit jeweils vier bzw. fünf Monaten Freiheitsstrafe im untersten Bereich des Strafrahmens liegen - nicht beruhen. In all den Fällen, in denen dem Angeklagten sexueller Mißbrauch von Kindern zur Last liegt, hat die Strafkammer jeweils einen minder schweren Fall angenommen, da der inzwischen 60 Jahre alte Angeklagte auf Grund einer hirnorganischen Persönlichkeitsveränderung in seinem Steue-
rungsvermögen erheblich vermindert war (§ 21 StGB) und bei den drei Geschädigten keine Nachwirkungen der Übergriffe verblieben sind.
b) Hingegen vermag der Senat nicht auszuschließen, daß der aufgezeigte Mangel die Höhe der Gesamtstrafe beeinflußt hat. Es liegt nicht fern, daß im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau der Taten, bei der auch die Persönlichkeit des Täters zu würdigen ist (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1, 3, 4), sich der zu Unrecht angeführte Straferschwerungsgrund zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Bei der neu zu treffenden Entscheidung kann wiederum strafmildernd ins Gewicht fallen, daß der Angeklagte bislang sozial eingeordnet und im wesentlichen straffrei gelebt hat, auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes besonders haftempfindlich ist und sich bereits seit dem 6. April 1999 in Untersuchungshaft befindet. 4. Der vom Nebenkläger "auch für das Revisionsverfahren" beantragten Bewilligung von Prozeßkostenhilfe bedarf es nicht, da die Bestellung seines Rechtsanwalts "als Beistand" durch Beschluß des Landgerichts vom 3. Dezember 1999 fortwirkt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 397 a Rdn. 17). Schäfer Maul Granderath Nack Wahl
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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.
(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.
(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.