Bundesfinanzhof Urteil, 21. Juni 2017 - V R 4/17
Gericht
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 21. November 2016 4 K 58/15 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Steuerbarkeit und Steuerpflicht der Einräumung von Nutzungsrechten an Baumgrabstätten.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines Waldgebiets in der Gemeinde A (Gemeinde). Er vermietete mit Vertrag vom 1. Mai 2006 der R-GmbH, deren Alleingesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Kläger ist, bis zum 31. Dezember 2015 ein Nutzungsrecht an den Bäumen, die durch die R-GmbH an Interessenten in Form von Urnenplätzen oder sog. Familienbäumen weitervermietet werden sollten. Der Kläger sollte nach dem Vertrag die Ruhehainbäume auswählen, einmessen, einen Lageplan erstellen und den Wald nach forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten pflegen.
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Am 10. Oktober 2006 erließ die Gemeinde eine Gebührensatzung und eine Satzung über die "Benutzung des Ruhehains Gemeinde A" (Satzung). Danach obliegt der Gemeinde als Betreiberin die Verwaltung des Ruhehains. Das Nutzungsrecht wird für einen Zeitraum bis zu 99 Jahren verliehen; die Ruhezeit beträgt vorbehaltlich anderer gesetzlicher Regelungen 25 Jahre.
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Mit Verträgen jeweils vom 20. November 2006 zwischen dem Kläger und der Gemeinde sowie zwischen der R-GmbH und der Gemeinde wurde vereinbart, dass der Kläger der R-GmbH die in der Satzung bezeichneten Waldflächen zur Errichtung des Ruhehains zur Verfügung stellt, die Verwaltung des Ruhehains von der Gemeinde besorgt wird und die R-GmbH die Nutzungsverträge mit den Interessenten abschließt und die Nutzungsentgelte festlegt.
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Der Nutzungsberechtigte erhielt bei Erwerb eines Nutzungsrechts für einen Ruhehainbaum eine von der R-GmbH ausgestellte Baumurkunde über den Erwerb des Rechts, im Wurzelbereich eines Ruhehainbaums eine biologisch abbaubare Urne beizusetzen. Zudem erteilte die R-GmbH eine Rechnung, in der sie u.a. über die Nutzung einer Urnenstätte, die Eintragung des Baums und des Nutzungsrechts in das Baumregister der Gemeinde, die Ausstellung der Baumurkunde und die Überlassung eines Lageplans abrechnete.
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Mit den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre (2007 bis 2010) behandelte der Kläger die Umsätze aus der Einräumung von Nutzungsrechten an Baumgrabstätten als nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie Umsätze.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stimmte den Steueranmeldungen zu. Im Anschluss an beim Kläger und bei der R-GmbH durchgeführte Außenprüfungen behandelte das FA die Einräumung von Nutzungsrechten an Baumgrabstätten als einheitliche steuerpflichtige Leistung. Das FA rechnete die Umsätze dem Kläger im Wege einer umsatzsteuerlichen Organschaft zu und änderte die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre entsprechend.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 512 veröffentlichten Urteil hinsichtlich der im Revisionsverfahren nur noch streitigen Einräumung von Nutzungsrechten an Baumgrabstätten statt.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) geltend macht.
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Das FG habe den wirtschaftlichen Gehalt der Vergabe von Nutzungsrechten an einer Baumgrabstätte unzutreffend beurteilt. Das wesentliche Merkmal einer Grundstücksvermietung bestehe in der Nutzungsüberlassung einer bestimmbaren Grundstücksfläche. Das sei zwar bei einem konventionellen Grab zu bejahen. Baumgrabstätten seien demgegenüber naturbelassen und nicht durch Grabsteine oder Bepflanzungen gekennzeichnet. Bei einer Baumgrabstätte gehe es nicht darum, ein bestimmtes Areal zu nutzen, sondern die Asche verstorbener Personen in den Wurzelbereich des Baums einzubringen, damit sie dort Teil des Waldbodens werde.
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Das FA weist zur Begründung seiner Revision ferner auf Erlasse der Finanzministerien der Länder Schleswig-Holstein vom 4. April 2011 (VI 358-S 7168-110) und Sachsen-Anhalt vom 8. Oktober 2015 (42-S 7168-37) sowie der Oberfinanzdirektionen Niedersachsen vom 30. Juli 2012 (S 7168-113-St 173) und Frankfurt/Main vom 21. Januar 2013 (S 7168 A-48-St 112) hin.
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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben, soweit die Umsätze aus der Einräumung von Nutzungsrechten an Baumgrabstätten als steuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG beurteilt wurden.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Nach der Nutzungsvereinbarung werde dem Nutzungsberechtigten ein Nutzungsrecht für die Beisetzung einer Urne eingeräumt, dessen Umfang in einer sog. Baumurkunde dokumentiert werde.
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Der Nutzungsberechtigte sichere sich gegen ein Entgelt das Recht, einen eindeutig definierten Grundstücksteil für seine Zwecke, nämlich für die Beisetzung einer Urne, zu nutzen und die Begräbnisstätte so in Besitz zu nehmen, als ob er deren Eigentümer wäre und jede andere Person von der Nutzung ausschließen zu können. Das entspreche dem unionsrechtlichen Vermietungsbegriff.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG verletzt § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG; denn seine Feststellungen zum Inhalt der übertragenen Nutzungsrechte sind widersprüchlich und ermöglichen es dem Senat nicht, über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG zu entscheiden.
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1. Steuerfrei ist gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.
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a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt eine steuerfreie Grundstücksvermietung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG vor, wenn dem Vertragspartner gegen Zahlung eines Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht eingeräumt wird, ein Grundstück in Besitz zu nehmen und andere von ihm auszuschließen (EuGH-Urteile Varenne vom 22. Januar 2015 C-55/14, EU:C:2015:29, Rz 22; Medicom und Maison Patrice Alard vom 18. Juli 2013 C-210/11, C-211/11, EU:C:2013:479, Rz 26; BFH-Beschluss vom 7. Februar 2017 V B 48/16, BFH/NV 2017, 629; BFH-Urteile vom 24. September 2015 V R 30/14, BFHE 251, 456, BStBl II 2017, 132; vom 13. Februar 2014 V R 5/13, BFHE 245, 92 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH).
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Für die Beurteilung, ob eine bestimmte Vereinbarung dieser Definition entspricht, sind alle Merkmale des Vorgangs sowie die Umstände zu berücksichtigen, unter denen diese erfolgt. Maßgebend ist insoweit der objektive Inhalt des Vorgangs, unabhängig von der Bezeichnung, die die Parteien ihm gegeben haben (EuGH-Urteile MacDonalds Ressort vom 16. Dezember 2010 C-270/09, EU:C:2010:780; Varenne, EU:C:2015:29; BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 10/12, BFH/NV 2013, 1635). Entscheidend ist, ob eine Leistung vorliegt, bei der das Vermietungselement prägend ist (z.B. BFH-Urteil in BFHE 245, 92).
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b) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze kann die Nutzungsüberlassung an geographisch eingemessenen, räumlich abgrenzbaren und individualisierten Parzellen zur Einbringung von Urnen eine steuerfreie Vermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG sein (BFH-Urteil vom 21. Juni 2017 V R 3/17).
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aa) Das FG hat den Sachverhalt zwar dahingehend gewürdigt, dass der prägende Charakter der von der R-GmbH ausgeführten Leistungen eine derartige Nutzungsüberlassung sei. Es ist auch eine im Wesentlichen vom FG als Tatsacheninstanz zu entscheidende Frage, ob nach dem objektiven Inhalt der Vereinbarungen dem Vertragspartner gegen Zahlung eines Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht eingeräumt wird, ein Grundstück in Besitz zu nehmen und andere von ihm auszuschließen.
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bb) Es stellt aber einen zum Fortfall der Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO führenden materiell-rechtlichen Fehler dar, wenn die Sachverhaltsdarstellungen im angefochtenen Urteil unzureichend oder widersprüchlich sind (BFH-Urteile vom 17. November 2015 VIII R 67/13, BFHE 252, 207, BStBl II 2016, 569; vom 25. Juni 2003 X R 72/98, BFHE 202, 514, BStBl II 2004, 403) oder die Tatsacheninstanz die maßgeblichen Umstände nicht vollständig oder ihrer Bedeutung entsprechend in ihre Überzeugungsbildung einbezieht (BFH-Urteile vom 18. Juni 2015 VI R 77/12, BFHE 250, 132, BStBl II 2015, 903; vom 28. März 2012 VI R 87/10, BFHE 236, 553, BStBl II 2012, 800; vom 20. Mai 2010 VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl II 2010, 1069).
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cc) Der Inhalt der Nutzungsvereinbarungen, der Baumurkunden und der Friedhofssatzung gehört zu den festgestellten Tatsachen, weil das FG auf diese Urkunden Bezug genommen hat (vgl. hierzu allgemein BFH-Urteil vom 19. März 1985 VII R 83/82, BFH/NV 1985, 59). Ausweislich der Nutzungsvereinbarung wird den Kunden ein Nutzungsrecht gemäß der Baumurkunde im Rahmen der geltenden Friedhofssatzung der Gemeinde eingeräumt. In § 2 Abs. 2 Buchst. a bis c der Friedhofssatzung wird zwischen Familienbäumen, Freundschaftsbäumen und gemeinsamen Bäumen unterschieden. Dabei erfolgt die Beisetzung der Urne im Wurzelbereich der als Ruhehainbäume registrierten Bäume. Ausweislich der Baumurkunde wird bei Gemeinschaftsbäumen das Recht übertragen, im Wurzelbereich eine biologisch abbaubare Urne beizusetzen und die Ruhestätte als Gedenkstätte im Rahmen der Friedhofssatzung zu nutzen.
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dd) Diese Sachverhaltsfeststellungen lassen nicht erkennen, wie das FG zu der Würdigung gelangt ist, nach dem objektiven Inhalt der Nutzungsvereinbarungen werde den Kunden das Recht eingeräumt, eine "konkret vermessene Baumgrabstätte" für eine vertraglich festgelegte Zeit in Besitz zu nehmen und damit wie ein Eigentümer zu verfahren. Im Hinblick auf die Gemeinschaftsbäume steht diese Würdigung sogar in klarem Widerspruch zum festgestellten Sachverhalt. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere Feststellungen zu treffen und auf dieser Grundlage erneut zu würdigen haben, ob den Kunden räumlich abgegrenzte Teile der Erdoberfläche (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8. Oktober 1991 V R 46/88, BFHE 167, 200, BStBl II 1992, 368) zur Nutzung überlassen worden sind oder ob sie lediglich das Recht zur Beisetzung einer Urne im Wurzelbereich eines bestimmten Baums erlangt haben.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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Annotations
(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss.
(2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück.
(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof
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in der Sache selbst entscheiden oder - 2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.
(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruhe.
(2) Der Bundesfinanzhof ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.
(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im Übrigen ist der Bundesfinanzhof an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.