Bundesfinanzhof Beschluss, 05. Mai 2011 - V B 11/11
Gericht
Tatbestand
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I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) hat beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der gegen ihn ergangenen Umsatzsteuerbescheide 2004 bis 2006 und in diesem Verfahren darüber hinaus die Übersendung der Akten zur Einsicht in seine Kanzlei ("Aktenausfolgung") beantragt. Das FG entschied mit Beschluss vom 24. November 2010, dass dem Beschwerdeführer Akteneinsicht in der Weise gewährt wird, dass er die Akten bei der Geschäftsstelle des FG oder einer Behörde seiner Wahl unter Aufsicht eines im öffentlichen Dienst stehenden Bediensteten einsehen kann. Der Antrag auf Übersendung der Akten in die Büroräume des Beschwerdeführers wurde abgelehnt. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein, der das FG nicht abhalf.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Sie ist nicht durch § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgeschlossen. Die Entscheidung über die Art und Weise von Akteneinsicht ist keine prozessleitende Verfügung im Sinne dieser Vorschrift (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, vgl. Beschluss vom 26. Januar 2006 III B 166/05, BFH/NV 2006, 963).
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2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
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a) Die Beteiligten können nach § 78 Abs. 1 FGO die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstellen auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Aus dem Begriff "einsehen" und der Regelung über die Erteilung von Abschriften u.ä. durch die Geschäftsstelle des Gerichts ergibt sich, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll und eine vorübergehende Überlassung der Akten an den Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt (BFH-Beschlüsse vom 2. September 2009 III B 246/08, BFH/NV 2010, 49; vom 1. August 2002 VII B 65/02, BFH/NV 2003, 59; in BFH/NV 2006, 963). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht (BFH-Beschluss vom 9. Juni 2010 II B 47/10, BFH/NV 2010, 1633, m.w.N.).
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b) Die Entscheidung, die Akten einem Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräumen zu überlassen, ist eine Ermessensentscheidung. Dabei sind die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen gegeneinander abzuwägen, also insbesondere die Vermeidung von Aktenverlusten, die Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Dritten sowie die jederzeitige Verfügbarkeit der Akten der möglichen Kosten- und Zeitersparnis für den Prozessbevollmächtigten gegenüberzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 2002 V B 5/02, BFH/NV 2002, 1464; vom 19. November 2002 V B 166/01, BFH/NV 2003, 484, und in BFH/NV 2006, 963, jeweils m.w.N.). Die Abwägung hat dabei allerdings das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu beachten, wonach die Übersendung die Ausnahme und daher auf eng begrenzte Sonderfälle zu beschränken ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 963).
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c) Der Beschluss des FG, mit dem es entschieden hat, dass eine Aktenübersendung in die Kanzlei des Beschwerdeführers nicht in Betracht kommt, entspricht diesen Grundsätzen. Ein Ausnahmefall, bei dem eine Übersendung der Akte in die Kanzleiräume in Betracht kommt, liegt nicht vor. Unbequemlichkeiten, die regelmäßig mit der Akteneinsicht außerhalb der Kanzleiräume verbunden sind, rechtfertigen keine Ausnahme von der Regel, Akteneinsicht grundsätzlich bei dem FG, bei einem anderen Gericht oder einer anderen Behörde zu gewähren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Januar 2000 VI B 418/98, BFH/NV 2000, 855, und in BFH/NV 2003, 59). Auch soweit der BFH als Beschwerdegericht und Tatsacheninstanz gehalten ist, eigenes Ermessen auszuüben (vgl. Senatsbeschluss vom 15. November 2004 V B 182/04, BFH/NV 2005, 569), sieht der Senat im Streitfall keine die Aktenübersendung ausnahmsweise rechtfertigenden Besonderheiten.
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d) Durch den Beschluss des FG wird auch nicht der verfassungsrechtliche Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) verletzt. Es liegt kein Verstoß gegen den Geschäftsverteilungsplan des FG vor. Nach dem für das Verfahren geltenden Geschäftsverteilungsplan war der 9. Senat des FG zuständig für Streitsachen wegen Umsatzsteuer, an denen der Beschwerdegegner als Finanzamt Beteiligter ist. Nach dem Zusatz Nr. 3 des Geschäftsverteilungsplans galt diese Zuständigkeit auch für Nebenverfahren wie Anträge auf AdV, nach Zusatz Nr. 4 hatte dieser Senat auch über Fragen der FGO zu entscheiden, wie z.B. die Akteneinsicht nach § 78 FGO. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers konnte die Streitsache hinsichtlich der Umsatzsteuer danach nicht von dem für die Einkommensbesteuerung zuständigen Senat des FG entschieden werden. Dass nach Auffassung des Beschwerdeführers die Umsatzsteuer nur Folge der Einkommensteuer sein soll, ist dabei unbeachtlich.
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(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.
(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
(1) Die Beteiligten können die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Beteiligte können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen.
(2) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, wird Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akten wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden. Über einen Antrag nach Satz 3 entscheidet der Vorsitzende; die Entscheidung ist unanfechtbar. § 79a Absatz 4 gilt entsprechend.
(3) Werden die Prozessakten in Papierform geführt, wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt werden.
(4) Die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die Arbeiten zu ihrer Vorbereitung, ferner die Dokumente, die Abstimmungen oder Ordnungsstrafen des Gerichts betreffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt.