Bundesfinanzhof Beschluss, 12. Apr. 2011 - III S 49/10
Gericht
Tatbestand
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I. Mit Urteil vom 30. September 2010 III R 39/08 hat der angerufene Senat auf die Revisionen des Klägers, Revisionsklägers, Revisionsbeklagten und Rügeführers (Kläger) sowie des Beklagten, Revisionsbeklagten, Revisionsklägers und Rügegegners (Finanzamt) das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. Dezember 2007 7 K 249/07 bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 2. Dezember 2010 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der Anhörungsrüge. Der entsprechende Schriftsatz ist am 10. Dezember 2010 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.
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Der Kläger macht geltend, der BFH hätte, wenn er in dem mit der Anhörungsrüge angegriffenen Urteil Ausführungen zu den Rechtsgrundlagen des Einspruchsrechts nach Beendigung der Vorläufigkeit gemacht hätte, zu dem Ergebnis kommen können, dass nach Beendigung der Vorläufigkeit nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) regelmäßig kein Einspruch mehr gegeben sei. Er hätte dann möglicherweise der Klage stattgegeben, weil der Kläger nicht auf einen regelmäßig unzulässigen Rechtsbehelf verwiesen werden könne.
Entscheidungsgründe
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II. Die Anhörungsrüge ist unbegründet und deshalb durch Beschluss in der Besetzung von drei Richtern zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Sätze 2 und 3, § 10 Abs. 3 Halbsatz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs wurde im Revisionsverfahren nicht verletzt.
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1. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens das Recht, vor Gericht Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, sofern das Vorbringen nicht nach den Prozessvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. März 2007 II S 1/07, BFH/NV 2007, 1094, m.w.N.).
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Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 1094, m.w.N.; vom 30. August 2007 IX S 6/07, BFH/NV 2007, 2324).
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2. Nach diesen Grundsätzen liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Senat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt haben könnte. Der Senat hat vielmehr das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
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Wie der Kläger mit seiner Rüge selbst vorträgt, sind seine Überlegungen, weshalb die Abgabenordnung nach Beendigung der Vorläufigkeit keine Rechtsgrundlage für einen Einspruch enthalte, auf den Seiten 9 f. des Urteils wiedergegeben. Der Senat hat entschieden, wie der Kläger weiter aus den Entscheidungsgründen auf den Seiten 20 f. des Urteils zitiert, dass der Steuerpflichtige nach Erledigung des Musterverfahrens gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO beantragen kann, dass die Steuerfestsetzung für endgültig erklärt wird, und er gegen die dann auch insoweit endgültige Festsetzung Einspruch einlegen und ggf. anschließend Klage erheben kann zur verfassungsrechtlichen Klärung, ohne dass dem § 351 Abs. 1 AO entgegensteht.
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Im Kern richten sich die Ausführungen des Klägers, wie auch der Schriftsatz vom 1. April 2011 zeigt, gegen die Rechtsauffassung des Senats im Urteil vom 30. September 2010. Sie enthalten das Vorbringen, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Hiermit kann der Kläger im Rahmen des § 133a FGO aber nicht gehört werden.
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3. Die Kostenpflicht der Anhörungsrüge folgt aus Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz.
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Annotations
(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn
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ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung (§ 2), die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden, - 2.
das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist, - 2a.
sich auf Grund einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein Bedarf für eine gesetzliche Neuregelung ergeben kann, - 3.
die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist oder - 4.
die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesfinanzhof ist.
(2) Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 4 endet die Ungewissheit, sobald feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein anzuwenden sind. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Satz 2 nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.
(3) Die vorläufige Steuerfestsetzung kann mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.
(1) Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, können nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt.
(2) Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10) können nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, angegriffen werden.
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 131 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.