Bundesfinanzhof Urteil, 15. März 2012 - III R 59/08

published on 15/03/2012 00:00
Bundesfinanzhof Urteil, 15. März 2012 - III R 59/08
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tatbestand

1

I. Die am 6. Oktober 1984 geborene Tochter des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) hielt sich von August 2004 bis September 2005 als Au-pair in den USA auf. Dort besuchte sie vier Kurse an einem Community College mit einem Umfang von insgesamt 163 Unterrichtsstunden. Dabei handelte es sich um:

2

     

-

 3 Wochenstunden "Intermediate Grammar"; insgesamt 42 Stunden in der Zeit vom 1. September 2004 bis zum 13. Dezember 2004;

-

4 Wochenstunden "Authentic Spoken English"; in der Zeit vom 31. Januar 2005 bis 28. April 2005 insgesamt 50 Stunden;

-

2,5 Wochenstunden "Let's talk"; in der Zeit vom 9. Februar 2005 bis 12. September 2005 insgesamt 35 Stunden;

-

"American Government and Politics"; in der Zeit vom 8. Juli 2005 bis 10. Juli 2005 insgesamt 36 Stunden.

   

3

Darüber hinaus nahm sie vom 19. bis zum 23. Juli 2004 an einem Au-pair-Workshop in New York teil.

4

Zum Sommersemester 2006 begann die Tochter des Klägers ein Studium der Internationalen Betriebswirtschaft - Interkulturelle Studien an der Hochschule X. Die Auswahl der Bewerber zu dem zulassungsbeschränkten Studiengang beruhte auf einer Rangliste, in die verschiedene Kriterien einflossen. Eine qualifizierende Auslandserfahrung, zu der auch ein Auslandsaufenthalt als Au-pair zählt, vermittelte abhängig von seiner Dauer bis zu 10 v.H. der erzielbaren Rankingpunkte. Ein Teil der Lehrveranstaltungen wird in englischer Sprache angeboten.

5

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung für die Tochter des Klägers ab dem 1. August 2004 auf und forderte das für August 2004 bis Mai 2005 gezahlte Kindergeld zurück, da der Au-pair-Aufenthalt nicht als Berufsausbildung anzuerkennen sei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00 (BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469) aus, Sprachaufenthalte im Ausland könnten nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn sie entweder mit anerkannten Formen der Berufsausbildung (z.B. dem Besuch eines Colleges oder einer Universität) verbunden seien oder von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht von im Regelfall mindestens zehn Wochenstunden begleitet würden. Die Tochter des Klägers habe auch unter Einbeziehung des Kurses "American Government and Politics", dessen Charakter als theoretisch-systematischer Sprachkurs zweifelhaft sei, sowie unter Berücksichtigung von Vor- und Nachbereitungszeiten bei einer Unterrichtsdauer von nur insgesamt 163 Stunden den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Mindestumfang deutlich verfehlt. Ausnahmetatbestände, die das Unterschreiten der Grenze von zehn Unterrichtsstunden pro Woche als unschädlich erscheinen lassen könnten, lägen nicht vor.

7

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469 handele es sich bei einem Sprachurlaub um Ausbildung, wenn dieser in einer Studien- oder Ausbildungsordnung vorgeschrieben oder empfohlen sei oder zehn Wochenstunden in Anspruch nehme; im Einzelfall könne das Unterschreiten dieser Grenze unschädlich sein. Entgegen der Rechtsauffassung des FG sei der Sprachaufenthalt der Tochter für ihren Studiengang empfohlen; er stehe damit in einem hinreichenden Zusammenhang.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

9

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

11

1. Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298).

12

a) Eine Berufsausbildung kann auch im Ausland absolviert werden. Sofern ein Kind dort z.B. eine Universität oder Fachschule besucht oder ein Praktikum zur Erlangung beruflicher Qualifikationen ableistet (Senatsurteil vom 26. August 2010 III R 88/08, BFH/NV 2011, 26), kann es auch dann berücksichtigt werden, wenn zugleich ein Au-pair-Verhältnis besteht. Ein Au-pair-Verhältnis dient regelmäßig nicht der Ausbildung; es schließt die Berücksichtigung eines Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wegen einer anderweitigen Ausbildung jedoch ebenso wenig aus wie ein neben der Ausbildung bestehendes Wehrdienstverhältnis (Senatsurteil vom 27. August 2008 III R 88/07, BFH/NV 2009, 132).

13

b) Nicht jeder Auslandsaufenthalt, der zu einer Verbesserung der Kenntnisse in der jeweiligen Landessprache führt, erfüllt das Tatbestandsmerkmal der Ausbildung für einen Beruf (BFH-Urteil in BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469; Senatsbeschlüsse vom 31. August 2006 III B 39/06, BFH/NV 2006, 2256; vom 14. September 2009 III B 119/08, BFH/NV 2010, 34). Zwecks Abgrenzung von längeren Urlauben und sonstigen Auslandsaufenthalten, etwa zur Persönlichkeitsbildung --z.B. zur Verbesserung der Selbstständigkeit oder um andere Länder und Kulturen kennenzulernen--, werden Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses nach ständiger Rechtsprechung daher nur dann als Berufsausbildung angesehen, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden, der nach seinem Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-)Ausbildung rechtfertigt und grundsätzlich mindestens zehn Wochenstunden umfassen muss (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701). Dabei ist grundsätzlich eine Durchschnittsbetrachtung für die Dauer des gesamten Aufenthaltes anzustellen, so dass bei insgesamt hinreichend umfangreichem Unterricht die Berücksichtigung in einem Ferienmonat nicht unterbrochen wird. Bei weniger als durchschnittlich zehn Wochenstunden können ausnahmsweise einzelne Monate gleichwohl als Berufsausbildung zu werten sein, wenn sie --z.B. infolge von Blockunterricht oder Lehrgängen-- durch intensiven, die Grenze von zehn Wochenstunden deutlich überschreitenden Unterricht geprägt werden.

14

c) Sprachaufenthalte im Ausland können darüber hinaus unter besonderen Umständen des Einzelfalls als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Fremdsprachenunterricht zwar weniger als zehn Wochenstunden umfasst, aber einen über die übliche Vor- und Nachbereitung hinausgehenden erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand des Kindes erfordert. Dies kann z.B. darauf beruhen, dass Einzelunterricht oder fachlich orientierter Sprachunterricht (z.B. Englisch für Juristen) erteilt wird oder das Kind Vorträge in der Fremdsprache hält (Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 2256).

15

d) Bezwecken der Auslandsaufenthalt und der Sprachunterricht, ein gutes Ergebnis in einem für die Zulassung zum Studium oder zu einer anderweitigen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest zu erlangen (z.B. TOEFL oder IELTS) oder wird ein Auslandsaufenthalt von einer Ausbildungs- oder Prüfungsordnung zwingend vorausgesetzt, so kann ein Auslandsaufenthalt ebenfalls als Berufsausbildung zu qualifizieren sein, obwohl weniger als zehn Wochenstunden Sprachunterricht erteilt werden.

16

e) Ein Auslandsaufenthalt ohne gründliche Sprachausbildung gehört demgegenüber nicht bereits deshalb zur Berufsausbildung, weil er Erfahrungen und Fähigkeiten vermittelt, die sich allgemein förderlich auf die Aussichten auswirken, für einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung ausgewählt zu werden, ohne dafür indessen erforderlich zu sein. Denn derartige Vorteile können auch durch eine vorübergehende Berufstätigkeit im Ausland oder längere Besuche bei im Ausland lebenden Verwandten erreicht werden, die ebenfalls nicht als Berufsausbildung einzustufen sind.

17

Im Übrigen berücksichtigen einige Hochschulen und Arbeitgeber bei der Bewerberauswahl auch die Ausübung von Mannschaftssportarten oder Leistungssport sowie soziales oder politisches Engagement von Jugendlichen, weil sie Kooperationsfähigkeit, eine zupackende Art oder Leistungsbereitschaft indizieren; um eine Berufsausbildung handelt es sich indessen bei der Mitgliedschaft in einer Sportmannschaft oder der Mitarbeit in einer Hilfsorganisation oder der Jugendorganisation einer politischen Partei unzweifelhaft nicht.

18

2. Die Entscheidung des FG, dass die Tochter des Klägers während ihres Au-pair-Aufenthaltes nicht i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde, ist danach revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

Ihr Fremdsprachenunterricht erreichte auch zusammen mit dem Kurs "American Government and Politics" sowie dem Au-pair-Workshop bei Weitem nicht einen Durchschnitt von zehn Wochenstunden; ob der Workshop aufgrund seiner Inhalte als Ausbildung in Betracht käme, ist daher unerheblich.

20

Die Teilnahme an dem Kurs "American Government and Politics" genügt auch nicht für sich den Anforderungen an eine Berufsausbildung: Der Kurs umfasste lediglich 36 Unterrichtsstunden und wurde nicht im Rahmen einer anerkannten Form der Berufsausbildung belegt. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Kurs zu einem fachlich anerkannten Abschluss führen sollte (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705: "associate degree"; vom 14. November 2000 VI R 128/00, BFHE 193, 457, BStBl II 2001, 495: "Master of Laws"), auf das anschließend im Inland betriebene Studium angerechnet wurde oder dieses beschleunigt oder wesentlich erleichtert hat; der Kurs wurde auch nicht von der Hochschule X für die Studienzulassung vorausgesetzt.

Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss. (2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück. (3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof 1. in der Sache selbs
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss. (2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück. (3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof 1. in der Sache selbs
1 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 26/08/2010 00:00

Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog Kindergeld für ihre 1981 geborene Tochter, die im Januar 2007 ihr Hochschulstudium der Germanistik, A
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof

1.
in der Sache selbst entscheiden oder
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Der Bundesfinanzhof verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der in dem Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.

(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.