Bundesfinanzhof Beschluss, 11. Dez. 2012 - III B 108/12

published on 11/12/2012 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 11. Dez. 2012 - III B 108/12
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Gründe

1

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die behaupteten Zulassungsgründe überhaupt in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt hat, liegen sie jedenfalls nicht vor.

2

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt insbesondere substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Hat der BFH die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist darzulegen, weshalb eine erneute oder weitere Entscheidung für erforderlich gehalten wird (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 III B 59/03, BFH/NV 2004, 166). Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinandergesetzt hat (z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46).

3

2. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.

4

Der Kläger hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob minderjährige Kinder eines deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Deutschland, die für weniger als zwei Schuljahre (1 1/2 Kalenderjahre) in der Türkei leben, in dieser Zeit dort bei den Großeltern untergebracht sind und sich jeweils in den größeren Schulferien bei den Eltern in Deutschland aufhalten, einen inländischen Wohnsitz haben.

5

Der Kläger hat sich weder mit der umfangreich vorhandenen Rechtsprechung und Kommentarliteratur zum Wohnsitzbegriff des § 8 der Abgabenordnung (AO) im Allgemeinen noch mit den konkreten Anforderungen an die Beibehaltung eines Wohnsitzes durch ein Kind, das sich zum Schulbesuch im Ausland aufhält, im Besonderen auseinandergesetzt. Der BFH hat indes bereits mehrfach die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehält (z.B. BFH-Urteile vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967; vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; Senatsbeschluss vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907, jeweils m.w.N.). Die Frage, ob im Einzelfall bei Anwendung dieser Grundsätze davon auszugehen ist, dass ein Kind seinen Wohnsitz im Inland hat, es dort einen weiteren Wohnsitz hat oder seine Aufenthalte lediglich Besuchscharakter haben, hat das Finanzgericht (FG) unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen (vgl. z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 1907).

6

3. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht unter dem Aspekt der Diskriminierungsverbote des europäisch-türkischen Assoziationsrechts, insbesondere der Beschlüsse Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 --ARB 1/80-- (nicht veröffentlicht) sowie Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige --ARB 3/80-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1983, Nr. C 110/60). Denn der Senat hat mit Urteil vom 15. Juli 2010 III R 6/08 (BFHE 230, 545) bereits entschieden, dass die beiden Assoziationsratsbeschlüsse auf Deutsche, die --wie der Kläger-- die türkische Staatsangehörigkeit nicht mehr besitzen, nicht anzuwenden sind.

7

Anders als der Kläger meint, führt aber auch der Umstand, dass seine Ehefrau --im Gegensatz zu ihm-- noch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, nicht zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Denn zum einen geht es im Streitfall ausschließlich um den Kindergeldanspruch des Klägers. Zum anderen ergibt sich aus dem Urteil in BFHE 230, 545, dass ein türkischer Staatsangehöriger in der Situation des Klägers für seine in der Türkei lebenden Kinder aus Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 gleichfalls keinen Anspruch auf Kindergeld herleiten könnte (vgl. Senatsurteil in BFHE 230, 545, unter II.4., sowie Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2010 III B 54/09, BFH/NV 2011, 433).

8

Gründe, warum der Senat seine diesbezügliche Rechtsprechung überdenken sollte, führt der Kläger nicht an.

9

4. Aus den gleichen Gründen ist auch der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht gegeben. Als spezieller Tatbestand der Grundsatzrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt auch dieser Zulassungsgrund voraus, dass über eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage zu entscheiden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2006 III B 2/05, BFH/NV 2006, 910, m.w.N.).

10

5. Die von dem Kläger gerügte Abweichung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Februar 2012  1 BvL 14/07 (BGBl I 2012, 507) liegt ersichtlich nicht vor. In dem genannten Beschluss hat das BVerfG Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Gewährung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Bayerisches Landeserziehungsgeldgesetz) i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. November 1995 (GVBl 1995, 818) sowie dessen Nachfolgeregelungen als mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für unvereinbar erklärt, weil diese Personen aus Gründen der Staatsangehörigkeit vom Landeserziehungsgeld ausschlossen. Es ist bereits nicht erkennbar, in welcher entscheidungserheblichen Rechtsfrage das FG eine andere Rechtsauffassung als das BVerfG vertreten haben soll. Der Kläger übersieht in diesem Zusammenhang insbesondere, dass die Verneinung seines Kindergeldanspruchs ihren Grund nicht in einer vorliegenden oder nicht vorliegenden Staatsangehörigkeit hat, sondern daraus resultiert, dass das FG unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles zu der Annahme gelangt ist, seine Kinder hätten ab Oktober 2010 ihren Wohnsitz i.S. des § 8 AO in der Türkei und damit nicht --wie von § 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes vorausgesetzt-- im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.

Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu
2 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 13/03/2014 00:00

Tenor 1. Der Aufhebungsbescheid vom 8. November 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2012 werden aufgehoben. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. 3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vo
published on 13/03/2014 00:00

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Tatbestand I. Der verheiratete Kläger stammt aus der Türkei, besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und hat drei Töchter, A.,
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1)1Als Kinder werden berücksichtigt

1.
Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1,
2.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten,
3.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.
2§ 32 Absatz 3 bis 5 gilt entsprechend.3Voraussetzung für die Berücksichtigung ist die Identifizierung des Kindes durch die an dieses Kind vergebene Identifikationsnummer (§ 139b der Abgabenordnung).4Ist das Kind nicht nach einem Steuergesetz steuerpflichtig (§ 139a Absatz 2 der Abgabenordnung), ist es in anderer geeigneter Weise zu identifizieren.5Die nachträgliche Identifizierung oder nachträgliche Vergabe der Identifikationsnummer wirkt auf Monate zurück, in denen die Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 vorliegen.6Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, werden nicht berücksichtigt, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a.7Kinder im Sinne von § 2 Absatz 4 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes werden nicht berücksichtigt.

(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu bestimmen, dass einem Berechtigten, der im Inland erwerbstätig ist oder sonst seine hauptsächlichen Einkünfte erzielt, für seine in Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Kinder Kindergeld ganz oder teilweise zu leisten ist, soweit dies mit Rücksicht auf die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Kinder in deren Wohnsitzstaat und auf die dort gewährten dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen geboten ist.