Bundesfinanzhof Beschluss, 11. März 2011 - II B 152/10

published on 11/03/2011 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 11. März 2011 - II B 152/10
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Gericht

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Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1. (Klägerin zu 1.) ist Miterbin zur Hälfte nach ihrem im April 2003 verstorbenen Bruder E. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 2. (Klägerin zu 2.) ist die Erbengemeinschaft nach E, zu der neben der Klägerin zu 1. auch deren Bruder B gehört.

2

Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die geänderten Erbschaftsteuerbescheide vom 12. Februar 2010, durch die er die Erbschaftsteuer aufgrund des Feststellungsbescheids des zuständigen Lagefinanzamts vom 15. Juni 2009 gegenüber der Klägerin zu 1. und B auf jeweils 4.488 € herabsetzte. Bei den Besitzposten berücksichtigte das FA u.a. aufgrund des Feststellungsbescheids vom 15. Juni 2009 jeweils einen Anteil von 19.875 € an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen. Der Feststellungsbescheid wurde von der Klägerin zu 1. mit der Klage vom 30. November 2010 angefochten, nachdem der Einspruch erfolglos geblieben war.

3

Entgegen dem Antrag der Klägerinnen setzte das Finanzgericht (FG) das Verfahren wegen Erbschaftsteuer durch Beschluss vom 13. Oktober 2010 gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus, da die Entscheidung des Lagefinanzamts in dem Einspruchsverfahren gegen den der Erbschaftsteuerfestsetzung zugrunde liegenden Bewertungsbescheid abzuwarten sei. Das FG half der dagegen gerichteten Beschwerde nicht ab, weil der Bewertungsbescheid aufgrund der dagegen erhobenen Klage noch nicht bestandskräftig und Grundlagenbescheid für den Rechtsstreit wegen Erbschaftsteuer sei.

4

Die Klägerinnen führen zur Begründung ihrer Beschwerde aus, die Aussetzung des Verfahrens sei unangebracht. Das Klageverfahren gegen die Feststellungsbescheide würde sich nämlich erübrigen, wenn ihrem Antrag entsprechend bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2003 geltenden Fassung (ErbStG) sowie der Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ErbStG berücksichtigt würden.

5

Die Klägerinnen beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben.

6

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

7

Da der von den Klägerinnen im Klageverfahren wegen Erbschaftsteuer vertretenen Auffassung nicht gefolgt werden könne, müsse die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids abgewartet werden.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO liegen nicht vor.

9

1. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen.

10

a) Eine Abhängigkeit zwischen zwei anhängigen Verfahren in diesem Sinne besteht nur, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren   in der Sache beeinflusst werden kann. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn feststeht, dass es im erstgenannten Verfahren nicht zu einer Sachprüfung kommen kann, dieses also unabhängig vom Ausgang des anderen Verfahrens zur Klageabweisung führt. Das ist u.a. der Fall, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen fehlen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177).

11

b) Ist die für eine Aussetzung erforderliche Abhängigkeit von zwei Verfahren gegeben, steht die Entscheidung über die Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig (Ermessensreduzierung auf Null), dass das Gericht den Streit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 25. August 2010 II R 65/08, BFHE 231, 239, BFH/NV 2011, 379; BFH-Beschluss vom 22. September 2010 IV B 120/09, BFH/NV 2011, 257).

12

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Bei der Entscheidung über die Aussetzung sind vielmehr prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen (BFH-Urteil vom 11. Mai 2010 IX R 26/09, BFH/NV 2010, 2067, unter II.1., m.w.N.; BFH-Beschluss vom 31. Mai 2010 X B 163/09, BFH/NV 2010, 2082, unter II.1.a).

13

Im Einzelfall kann eine solche Abwägung ergeben, dass trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid eine Fortführung des Verfahrens gegen den Folgebescheid ermessensgerecht ist (BFH-Urteil in BFHE 231, 239, BFH/NV 2011, 379, unter II.3.a, m.w.N.). Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Vorbringen eines Beteiligten den Folgebescheid als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist. In diesem Fall kann das betreffende Vorbringen bereits zur Entscheidung über die Klage führen, ohne dass es noch auf die Entscheidung über den Grundlagenbescheid ankommt. Dann kann eine zeitnahe Entscheidung sowohl der Prozessökonomie als auch dem (objektivierten) Interesse der Beteiligten entsprechen. Von Bedeutung ist dabei, dass unbeschadet einer Entscheidung über den Folgebescheid dieser bei einer nachfolgenden Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheids (auch im dagegen gerichteten Klageverfahren) gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) ebenfalls aufzuheben oder zu ändern ist, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf (BFH-Urteil in BFHE 231, 239, BFH/NV 2011, 379, unter II.3.a, m.w.N.).

14

2. Der Rechtsstreit war danach nicht auszusetzen.

15

a) Die Aussetzung scheidet hinsichtlich der Klägerin zu 2. schon deshalb aus, weil deren Klage, soweit sie sich gegen die Festsetzung von Erbschaftsteuer richtet, unzulässig und die vom FG zu treffende Entscheidung danach nicht von einer etwaigen Änderung des Feststellungsbescheids abhängig ist. Die Unzulässigkeit der Klage der Klägerin zu 2. ergibt sich aus § 40 Abs. 2 FGO. Die Klägerin zu 2. ist durch die Erbschaftsteuerbescheide nicht beschwert, weil diese lediglich gegenüber der Klägerin zu 1. und B ergangen sind. Eine Erbengemeinschaft als solche ist nicht Steuerschuldner der Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).

16

b) Hinsichtlich des Klageverfahrens der Klägerin zu 1. sind die Voraussetzungen für eine Abweichung von der Regel, dass das Klageverfahren gegen einen Folgebescheid bis zur Entscheidung über einen angefochtenen Grundlagenbescheid auszusetzen ist, erfüllt. Über das Begehren der Klägerin zu 1., die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b ErbStG anzuwenden und den Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ErbStG zu gewähren, kann unabhängig von dem noch nicht bestandskräftigen Feststellungsbescheid entschieden werden. Es entspricht unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven und somit auch zeitgerechten Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) der Prozessökonomie, über diese Fragen im Klageverfahren wegen Erbschaftsteuer alsbald zu entscheiden. Hat die Klägerin zu 1. dabei Erfolg, würde sich in ihrem Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid die Entscheidung über die unter Umständen schwierigen Bewertungsfragen erübrigen. Andernfalls würde die Abweisung der Klage gegen den Erbschaftsteuerbescheid der Berücksichtigung einer etwaigen späteren Herabsetzung des festgestellten Werts des land- und fortwirtschaftlichen Vermögens nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 110 Abs. 2 FGO nicht entgegenstehen.

17

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (BFH-Beschluss vom 28. Juni 2010 III B 73/10, BFH/NV 2010, 1847).

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(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,1.soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,2.soweit ein Ereignis eintritt, das steu
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(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,1.soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,2.soweit ein Ereignis eintritt, das steu
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Annotations

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,
2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung, in den Fällen des § 100 Abs. 2 auch die Änderung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) oder zu einer anderen Leistung begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(3) Verwaltet eine Finanzbehörde des Bundes oder eines Landes eine Abgabe ganz oder teilweise für andere Abgabenberechtigte, so können diese in den Fällen Klage erheben, in denen der Bund oder das Land die Abgabe oder einen Teil der Abgabe unmittelbar oder mittelbar schulden würde.

(1) Steuerschuldner ist der Erwerber, bei einer Schenkung auch der Schenker, bei einer Zweckzuwendung der mit der Ausführung der Zuwendung Beschwerte und in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 4 die Stiftung oder der Verein. In den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 ist die Vermögensmasse Erwerber und Steuerschuldner, in den Fällen des § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 ist Steuerschuldner auch derjenige, der die Vermögensmasse gebildet oder ausgestattet hat.

(2) Im Falle des § 4 sind die Abkömmlinge im Verhältnis der auf sie entfallenden Anteile, der überlebende Ehegatte oder der überlebende Lebenspartner für den gesamten Steuerbetrag Steuerschuldner.

(3) Der Nachlaß haftet bis zur Auseinandersetzung (§ 2042 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) für die Steuer der am Erbfall Beteiligten.

(4) Der Vorerbe hat die durch die Vorerbschaft veranlaßte Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten.

(5) Hat der Steuerschuldner den Erwerb oder Teile desselben vor Entrichtung der Erbschaftsteuer einem anderen unentgeltlich zugewendet, haftet der andere in Höhe des Werts der Zuwendung persönlich für die Steuer.

(6) Versicherungsunternehmen, die vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer die von ihnen zu zahlende Versicherungssumme oder Leibrente in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes zahlen oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen, haften in Höhe des ausgezahlten Betrags für die Steuer. Das gleiche gilt für Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers befindet, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bringen oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen.

(7) Die Haftung nach Absatz 6 ist nicht geltend zu machen, wenn der in einem Steuerfall in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gezahlte oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes wohnhaften Berechtigten zur Verfügung gestellte Betrag 600 Euro nicht übersteigt.

(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,
2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.

(1) Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger,
2.
in den Fällen des § 48 Abs. 1 Nr. 1 die nicht klageberechtigten Gesellschafter oder Gemeinschafter und
3.
im Fall des § 60a die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.
Die gegen eine Finanzbehörde ergangenen Urteile wirken auch gegenüber der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, der die beteiligte Finanzbehörde angehört.

(2) Die Vorschriften der Abgabenordnung und anderer Steuergesetze über die Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten sowie über die Nachforderung von Steuern bleiben unberührt, soweit sich aus Absatz 1 Satz 1 nichts anderes ergibt.