Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 08. Sept. 2016 - 13a ZB 16.50052

published on 08/09/2016 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 08. Sept. 2016 - 13a ZB 16.50052
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Verwaltungsgericht München, M 23 K 13.31182, 26/04/2016

Gericht

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Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 26. April 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Die Klägerin hält für klärungsbedürftig, ob „das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Belgien systemrelevante Schwachstellen aufweisen bzw. ob unter Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung des EGMR (EGMR vom 4.11.2014, NVwZ 2015/127) und des englischen Supreme Court (Entscheidung vom 19.2.2014, Az. UKSC 12) Art. 3 EMRK verletzt ist“ und ob „bei einer in den persönlichen Umständen des Betroffenen wurzelnden Grundrechtsverletzung eine Pflicht zum Selbsteintritt besteht“. Die aufgeworfenen Fragen seien bisher nicht entschieden und hätten Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Die neue Sachlage könne sie in Belgien nicht im Wege eines Asylfolgeantrags geltend machen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestehe bei gründlicher und individueller Prüfung ihrer Situation ein „real risk“ einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe dann eine Pflicht zum Selbsteintritt anerkannt, wenn im Falle der Überstellung eine in den persönlichen Umständen des Betroffenen wurzelnde Grundrechtsverletzung gegeben wäre (BayVGH, U.v. 3.12.2015 - 13a B 15.50124 - InfAuslR 2016, 206).

Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, über die prinzipielle Zuständigkeit Belgiens nach Art. 10 bzw. 13 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO), bestehe kein Streit. Erkenntnisquellen, die die Befürchtung rechtfertigten, dass in Belgien systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestünden, lägen nicht vor. Auch die Klägerin habe nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern in Belgien systemische Mängel vorhanden sein sollten. Aus den vorgelegten Attesten ergäben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für ein Abschiebungshindernis. Zwar befinde sich die Klägerin in medizinisch notwendiger Behandlung, es sei jedoch nicht zu erkennen, dass in Belgien eine adäquate Fortsetzung der Therapie nicht gewährleistet werden könne. Auch gebe es keine Belege dafür, dass die Klägerin gehindert wäre, diese neue Sachlage im Wege eines Asylfolgeantrags in Belgien zur erneuten rechtlichen Überprüfung zu stellen.

Soweit sich die Klägerin auf systemische Schwachstellen in Belgien bezieht, kann ihre Frage nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil sie eine Klärungsbedürftigkeit nicht aufzeigt. Der Zulassungsantrag wirft lediglich die Frage nach systemischen Mängeln auf, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass hierzu keine Erkenntnisse vorlägen, erfolgt. Woraus sich systemische Mängel in Belgien ergeben könnten bzw. weshalb die Klägerin gehindert seine sollte, dort einen Asylfolgeantrag zu stellen, legt sie nicht dar. Wird der Vorwurf erhoben, es bestünden systemrelevante Schwachstellen, so genügt es zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht, auf das Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung zu dieser Frage hinzuweisen. Es sind vielmehr Gründe darzutun, aus denen sich die Möglichkeit solcher Defizite ergibt (siehe auch BVerwG, B.v. 9.3.1993 - 3 B 105.92 - NJW 1993, 2825 zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung). Eine Konkretisierung ist vorliegend schon deshalb geboten, weil das gemeinsame europäische Asylsystem von der Vermutung ausgeht, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GR-Charta der Europäischen Union sowie mit dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht (s. hierzu - wie auch von der Klägerin zitiert - BayVGH, U.v. 3.12.2015 - a. a. O. m. w. N.). Es stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist (s. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; zum deutschen Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

Die weiter aufgeworfenen Fragen zu Art. 3 EMRK und einer Pflicht zum Selbsteintritt entziehen sich einer allgemeinen Klärung. Wie schon die Klägerin selbst ausführt, müsste ihre Situation unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls gründlich und individuell geprüft werden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK feststellen zu können. Das schließt eine grundsätzliche Klärung aus, weil sich hieraus keine verallgemeinerungsfähigen Schlüsse gewinnen lassen. Zudem befassen sich die von der Klägerin in diesem Zusammenhang genannten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des englischen Supreme Courts nicht mit dem Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen in Belgien, sondern mit der Situation in Italien.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

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published on 03/12/2015 00:00

Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsl
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Tenor 1. Die Anträge werden abgelehnt. 2. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten der Verfahren. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Die Antragsteller wenden sich im We
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(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.