Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Mai 2019 - L 20 KR 502/17

bei uns veröffentlicht am16.05.2019
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 7 KR 519/13, 29.06.2017

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.06.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger die Kosten einer selbst beschafften Immuntherapie wegen eines Krebsleidens in Höhe von 44.029,54 € von der Beklagten zu erstatten sind.

Der Kläger ist im Jahr 1968 geboren und bei der Beklagten krankenversichert.

Im Januar 2011 wurde beim Kläger ein Glioblastoma multiforme diagnostiziert, das noch im selben Monat mikrochirurgisch entfernt wurde. Daran anschließend wurden Radiochemotherapien mit Temozolomid durchgeführt.

Am 16.05.2012 wurde kernspintomographisch ein Rezidiv diagnostiziert, das am 26.06.2012 operativ entfernt wurde. Der Empfehlung einer erneuten Therapie mit Temozolomid, alternativ CCNU/Procarbazin, folgte der Kläger nicht, sondern unterzog sich - so die Angaben des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren A. T. in seinem für den Kläger gestellten Antrag vom 13.05.2013 - einer Therapie mit insgesamt sechs Gaben von dendritischen Zellen (Dauer jeweils etwas über eine Woche) ab 28.08.2012 bis 01.02.2013, mit Boswellia serrata ab 12/2012 und einer Misteltherapie ab dem 28.12.2012.

Ein Rezidiv ist bis heute nicht mehr aufgetreten.

Mit Schreiben vom 13.05.2013, bei der Beklagten eingegangen am 16.05.2013, beantragte der Arzt A. T. für den Kläger die Kostenerstattung einer Immuntherapie mit onkolytischen Viren, kombinierter Hyperthermie (aktiv und passiv), dendritischen Zellen, Artesunaten (bei hoher Transferrinrezeptor-Dichte) sowie Thymus-Präparaten zur Immunmodulation. Zur Begründung des Antrags wies der Arzt T. auf Folgendes hin: Der Krankheitsverlauf des Klägers müsse als äußerst günstig bezeichnet werden. Die Immuntherapie sei mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksam. Angesichts der insgesamt doch infausten Prognose seien alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die jetzt zur Verfügung stünden. Dazu zähle die Therapie mit onkolytischen Viren. Dass diese Therapie wissenschaftlich begründet sei, ergebe sich schon daraus, dass die Universität H-Stadt eine Studie damit durchführe. Im Falle des Klägers greife die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005. Es liege eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung stehe dafür nicht zur Verfügung; das globale Versagen der Chemotherapie sei in ihrer Unfähigkeit begründet, die Tumorstammzellen zu vernichten, wozu aber onkolytische Viren und dendritische Zellen in der Lage seien. Die gewählte Behandlungsmethode verspreche eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auch nur eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Die Therapie mit Hyperthermie und die Behandlung mit dendritischen Zellen seien bereits mit dem Nobelpreis belohnt worden. Zu onkolytischen Viren würden ca. 72 Studien weltweit laufen. Die Hyperthermie werde in der Onkologie als vierte Säule neben Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie anerkannt. Die Hyperthermie sei „eine wichtige Facette in einem immuntherapeutischen Gesamtkonzept“ (S. 5 des Schreibens vom 13.05.2013). Die Kombination von Fiebertherapie und Virustherapie biete sich aus immunologischen Gründen an. Eine Kombination von Fieber, Viren und dendritischen Zellen habe einen ganz besonderen Sinn und sei „nicht nur ein Sammelsurium“ (S. 9 des Schreibens vom 13.05.2013) verschiedener immuntherapeutischer Ansätze. Artesunate seien keineswegs ein Lebensmittel, sondern ein Heilmittel. Schulmedizinisch gesehen befinde sich der Kläger in einem palliativen Stadium. Da sowohl dendritische Zellen als auch onkolytische Viren im Stande seien, Krebsstammzellen aufzuspüren und zu beseitigen, folge daraus, dass die nun beantragte Therapie mit kurativer Intention durchgeführt werde. Der Anspruch gründe sich dabei auf die theoretische Grundlage, dass schicksalsentscheidend die Krebsstammzellen seien, die durch eine systemische Chemotherapie nicht vernichtet werden könnten, sehr wohl aber durch dendritische Zellen und onkolytische Viren. Der praktische Beweis ergebe sich u.a. daraus, dass in einer Pilotstudie bei vier von 14 Patienten mit Glioblastoma multiforme eine anhaltende Komplettremission „allein mit onkolytischen Viren erreicht worden“ (S. 14 des Schreibens vom 13.05.2013) sei. Beigefügt war dem Antrag ein „Kostenvoranschlag“, in dem die Kosten für die begehrten Therapiebestandteile aufgelistet wurden, ohne dass zu erkennen ist, wie oft welche Bestandteile zur Anwendung kommen sollten.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) Bayern äußerte sich mit einem sozialmedizinischen Gutachten vom 04.06.2013 zur beantragten Immuntherapie und den darin enthaltenen Therapiebestandteilen wie folgt: Eine Therapie mit dendritischen Zellen sei als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung bisher nicht anerkannt. Diese Therapie werde im Rahmen von Phase-1/2-Therapiestudien an mehreren Universitäten zu verschiedenen Karzinomtypen eingesetzt. Relevante wissenschaftliche Aussagen über Wirksamkeit und Risiken seien erst in der Zukunft zu erwarten. Es handle sich nach wie vor um ein hochexperimentelles Verfahren, das ausschließlich im Rahmen von klinischen Studien an universitären Instituten unter entsprechender Aufklärung angewandt werden solle. Bei allen Hyperthermieverfahren maligner Tumoren handle es sich um hochexperimentelle Methoden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe eine negative Empfehlung abgegeben. In Bayern gebe es ein Modellvorhaben, an dem ausschließlich Kliniken beteiligt seien, die besondere Anforderungen erfüllen würden. Für eine Fiebertherapie mit onkolytischen Viren lägen keine ausreichenden wissenschaftlichen Studien oder Unterlagen vor. Eine Erstattungsfähigkeit für Thymuspeptide sei nach den Arzneimittelrichtlinien nicht gegeben. Eine Anwendung von tierischen Organpräparaten am Menschen, wie sie der Arzt T. einsetze, verbiete sich. U.a. bestünde die Gefahr von Infektionen durch Krankheitserreger schwerster Erkrankungen (z.B. BSE). Für Artesunate gebe es keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei Krebserkrankungen. Die vom Arzt T. angebotenen Therapiemaßnahmen seien daher weder einzeln noch in Kombination wissenschaftlich anerkannt; es handle sich um hochexperimentelle Therapien. Zu einer Behandlung unter grundrechtsorientierter Auslegung wies der MDK darauf hin, dass ein Glioblastoma multiforme prinzipiell eine ungünstige Langzeitprognose habe, bei Ausschöpfen der vertraglichen Therapiemöglichkeiten aber viele Patienten mit einem zum Teil jahrelangen Überleben profitieren würden. Für eine Behandlung zur Verfügung stünden Operation, Chemotherapie mit Temozolomid und Nitrosoharnstoffen und Radiatio, auch mehrfach wiederholt. Eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die ausschließlich vom Arzt T. angebotene Therapiemischung könne in keiner Weise belegt werden.

Mit Bescheid vom 11.06.2013 lehnte die Beklagte den Antrag des vom Klägers ab.

Mit Schreiben vom 20.06.2013 legte der Kläger Widerspruch ein. Fakt sei, dass er mit Hilfe der konventionellen Medizin keinen Erfolg, sondern stattdessen erhebliche Nebenwirkungen gehabt habe. Außerdem lebe er derzeit nach seiner Therapie mit dendritischen Zellen, Hyperthermie und Infusionen, die er in B-Stadt gemacht habe, schon fünf Monate länger rezidivfrei als nach der Chemotherapie und den Bestrahlungen (nach der ersten operativen Entfernung). Er sei überzeugt, dass ihm die Therapie geholfen habe. Seit sechs Monaten arbeite er wieder ohne Unterbrechungen und ohne Nebenwirkungen. Er habe nichts mehr zu verlieren, daher sei es ihm egal, ob er nach Jahrzehnten an BSE erkranke.

In Zusammenhang mit dem Widerspruch des Klägers ging bei der Beklagten eine Stellungnahme des Arztes T. vom 21.06.2013 zum sozialmedizinischen Gutachten des MDK ein. Insbesondere wird darin die Verweisung des Klägers auf eine Studienteilnahme kritisiert, u.a. weil bei Studien der Erkenntnisgewinn an oberster Stelle stehe, nicht das Ziel der Heilung, und in einer Studie ohnehin nur das geprüft werde, was längst bekannt sei. Im Übrigen wies der Arzt T. erneut auf sein „immuntherapeutisches Gesamtkonzept“ (S. 7 dieser Stellungnahme) hin. Er halte das ganze System für korrupt. Eine Chemotherapie mit Temozolomid sei wirkungslos. Die mediane Überlebenszeit des Klägers habe sich bereits mehr als verdoppelt.

Ergänzend wurde der Widerspruch mit Schreiben der damaligen Bevollmächtigten des Klägers vom 10.07.2013 damit begründet, dass die Behandlung mit Chemotherapie nach dem erstmaligen Auftreten der Erkrankung den Kläger massiv belastet und das Auftreten eines Rezidivs nicht habe verhindern können. Es sei daher nicht mehr von einer erfolgversprechenden Therapie auszugehen. Unter Anwendung der Hyperthermietherapie, für die es diverse Wirkungsnachweise gebe, und der Behandlung mit dendritischen Zellen sei es bislang zu keiner Rezidivbildung gekommen; dies sei ein erheblicher Therapieerfolg. Eine auf Indizien gestützte und nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf liege vor.

Am (vermutlich) 19.08.2013 telefonierte ein Mitarbeiter der Beklagten mit dem Arzt T. wegen der Kosten der beabsichtigten Behandlung. Der Arzt gab dabei an, dass für die Behandlung mit Parvoviren mit monatlichen Kosten von 1.200,- € und für die Behandlung mit dendritischen Zellen von 6.500,- € monatlich auszugehen sei. Der Kläger teilte dazu im Rahmen eines Telefonats mit einem Mitarbeiter der Beklagten ergänzend mit, dass er davon ausgehe, dreimal pro Jahr dendritische Zellen, begleitet durch die Gabe von Parvoviren, zu benötigen.

Der Bevollmächtigte des Klägers teilte auf eine Nachfrage der Beklagten vom 22.08.2013, in der darauf hingewiesen worden war, dass nicht klar sei, welche Kosten geltend gemacht bzw. welche Therapien nun gemacht würden, mit Schriftsatz vom 02.09.2013 nur mit, dass der Kläger bisher 24.402,- € (für Hyperthermie, Mistelextrakte, Parvoviren, Thymus und Entgiftungsmittel) vorfinanziert habe und bereit sei, die Hälfte der Kosten selbst zu tragen. Auch bei zukünftigen Kosten werde der Kläger einen substantiellen Anteil selbst finanzieren. Eine Antwort auf die Frage der Beklagten, welche Kosten bzw. welche Therapieformen tatsächlich geltend gemacht würden und zur Entscheidung stünden, enthielt der anwaltliche Schriftsatz nicht. Beigelegt waren dem Schriftsatz vom 02.09.2013 ausweislich der Akte der Beklagten zwei Rechnungen des Dr. G., Medical Center C., über ärztliche Behandlungen (Hyperthermie) von September 2012 bis Oktober 2012 über insgesamt 10.157,29 €.

Anschließend befragte die Beklagte zwei Onkologen zu der vom Kläger begehrten Therapie. Prof. Dr. G. schloss sich mit Schreiben vom 25.09.2013 der Einschätzung des MDK an; die beim Kläger durchgeführten Therapiemaßnahmen seien allesamt entweder experimentell (dendritische Zellen) oder in ihrer Wirksamkeit nicht belegt. Prof. Dr. M. erklärte gegenüber der Beklagten telefonisch, dass sich die Behandlung mit dendritischen Zellen weiterhin im hochexperimentellen Stadium befinde, so dass eine Behandlung nur im Rahmen klinischer Studien empfohlen werden könne. Es gebe keine wissenschaftlich anerkannten randomisierten Studien zur Behandlung mit dendritischen Zellen, lediglich eine (fragwürdige) Studie zur Anwendung bei Prostatakarzinom. Die Behandlung solle unbedingt unter kontrollierten Bedingungen stattfinden.

An den Kosten für eine Therapie mit Hyperthermie (Rechnungen des Dr. G. vom 25.09., 09.10. und 22.10.2012) beteiligte sich die Beklagte mit einem Betrag in Höhe von 10.000,- €.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zwar liege eine tödliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Es stehe aber eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung bzw. sei bereits erfolgreich zur Anwendung gekommen. Zudem bestehe keine auf Indizien gestützte Aussicht auf Heilung oder positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die beantragte Therapie.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 04.12.2013 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben.

Die Klage ist wie folgt begründet worden:

Der Kläger habe die immunbiologische Behandlung weitaus besser vertragen als die vorherige Behandlung durch Zytostatika. Ferner sei es unter der Kombinationstherapie mit dendritischen Zellen, onkolytischen Viren, Hyperthermie und Mistelinfusionen bzw. Thymusinjektionen nicht nur zu keiner weiteren Rezidivbildung gekommen, sondern es sei sogar ein Rückgang der Tumorbildung festgestellt worden. Eine Kernspintomographie vom 08.04.2013 sei ohne Befund geblieben. Dies könne bei einer üblicherweise innerhalb weniger Monate tödlich verlaufenden Erkrankung nur als außergewöhnlicher Therapieerfolg gewertet werden. Die vom Kläger begehrte Therapie biete, gerade auch in der Kombination der einzelnen Bausteine, die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Zwar habe der GBA im Jahr 1995 eine Einführung der Hyperthermie in die vertragsärztliche Versorgung noch nicht empfohlen. Seitdem seien aber eine Vielzahl weiterer Arbeiten publiziert worden, die den therapeutischen Nutzen belegen würden, gerade auch für ein Glioblastoma multiforme. Auch die wissenschaftliche Datenlage zu einer Therapie mit dendritischen Zellen bzw. mit onkolytischen Viren belege einen klaren klinischen Effekt. Für die Entdeckung der dendritischen Zellen sei im Jahr 2011 der Nobelpreis für Medizin verliehen worden. Unstreitig dürfte sein, dass im Rahmen der durchgeführten Therapie ein bislang unerreichter Heilerfolg beim Kläger erzielt worden sei. Die aktuelle Bildgebung sei wiederholt befundfrei geblieben.

Für die im Klageantrag geforderten Behandlungskosten von insgesamt 44.209,54 € haben die Bevollmächtigten des Klägers als Anlagen K 03 bis K 012 Rechnungen des Dr. G., Medical Center C., vom 31.07.2012 bis zum 01.02.2013 (Gesamtbetrag dieser Rechnungen: 37.659,54 €) über lokale Hyperthermiebehandlungen vorgelegt. Zudem haben sie in einer Anlage K 13 genannten Zusammenstellung die nach den Angaben des Klägers entstandenen Heilbehandlungskosten aufgelistet und dabei weitere Kosten in Höhe von insgesamt 6.550,- € für Mistelaufbereitung, Parvoviren, Thymus, Entgiftung u.a. durch den Arzt T. geltend gemacht, wobei insofern keine Rechnungen beigefügt worden sind.

In der Folge hat das SG Behandlungsunterlagen des Klägers beigezogen, u.a, auch einen Befundbericht des behandelnden Arztes T.. Auf die Frage des SG, ob die dendritischen Zellen des Klägers mit Tumorantigenen oder Tumorlysaten beladen worden seien, hat der Arzt T. mitgeteilt, dass dies eine typische Frage des MDK sei, der keinerlei Erfahrung und Ausbildung in Sachen dendritischer Zellen besitze, und erläutert, dass Therapien mit unbeladenen dendritischen Zellen eindrucksvolle Therapieerfolge verzeichnen würden, weil diese Zellen notwendigerweise durch die Zellgewinnung mit Tumormaterial beladen würden. Auch beim Kläger sei der Wirksamkeitsnachweis unbeladener dendritischer Zellen erbracht.

Anschließend hat das SG mit Beweisanordnung vom 03.07.2014 Prof. Dr. J., Nationales Centrum für Tumorerkrankungen H-Stadt, zum Sachverständigen ernannt. Prof. Dr. J. hat sich in einem nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 29.06.2015 wie folgt geäußert:

Die verabreichte Therapie stelle eine hochexperimentelle Therapieform dar, die in Kombination bisher nicht kontrolliert prospektiv getestet worden sei. Zu keiner der hier kombinierten Therapiemodalitäten lägen kontrollierte prospektive Daten der Monotherapie vor, die eine Wirksamkeit der Therapieform suggerieren würden. Am ehesten lasse sich das wahrscheinlich noch von der dendritischen Zelltherapie behaupten, die für eine ganz andere Tumorindikation durch Beladung mit einem spezifischen Antigen sogar eine positive Phase III-Studie bestanden habe. Diese Daten würden sich aber nicht ohne weiteres auf das Glioblastoma multiforme übertragen lassen; dieser einen positiven Studie stünden zudem zahlreiche negative Studien gegenüber.

Was ihn, den Sachverständigen, an dem Therapieansatz des Arztes T. besonders irritiere, sei die Kombination all dieser Therapieansätze miteinander. Selbst wenn hierfür eine gewisse Rationale bestehen würde, sollte man doch fordern, dass diese Therapiemodalitäten in kontrollierten Studien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Toxizität geprüft würden, bevor man sie Patienten außerhalb von Studien anbiete und die Kostenträger dafür zahlen lasse. Das dem Kläger verabreichte Therapie-Regime würde in einem akademischen Zentrum eine Prüfung durch eine Ethikkommission nicht bestehen. Die Begründung des Arztes T. für die von diesem gewählte Kombination der Therapiemodalitäten interpretiere die zitierte Literatur ausgesprochen frei und unkritisch.

Auch der für eine Rezidivsituation eher günstige Krankheitsverlauf des Klägers verweise in keiner Weise darauf, dass die verabreichte Therapie wirke; auch der natürliche Krankheitsverlauf nach erneuter Resektion des Rezidivs könne durchaus das gleiche Ergebnis zeigen.

Abschließend hat der Sachverständige nochmals darauf hingewiesen, dass es sich um eine hochexperimentelle Therapie handle, für die es in dieser Kombination keine klinisch-wissenschaftliche Rationale gebe; die einzig mögliche Begründung liege in dem etwas günstigen Krankheitsverlauf.

Anschließend ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 19.10.2015 vom SG der den Kläger mit der streitgegenständlichen Therapie behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren A. T. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt worden. Am 11.08.2016 ist das unter dem Datum des 12.07.2016 erstellte Gutachten beim SG eingegangen. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Das Glioblastoma multiforme Grad IV sei schulmedizinisch gesehen eine absolut tödliche Erkrankung. Ein Überleben von drei Jahren sei selten, von fünf Jahren so gut wie nicht vorkommend. Die schulmedizinische Behandlung bestehe aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie, in der Regel Temozolomid. Am wirksamsten sei noch die Operation; sie verringere in Stundenschnelle die Tumorlast oft um über 90%, so dass der Tumor zumindest Platz habe zu wachsen. Auch die Bestrahlung habe einen gewissen Sinn. Sehr fragwürdig sei dagegen die Rolle der Chemotherapie. Bei der Konstellation des Klägers sei davon keine Wirkung zu erwarten. Aber auch ansonsten sei die standardmäßige Gabe von Temozolomid keine nachhaltige Lösung, da daraus allenfalls zwei bis drei Monate Lebensverlängerung resultieren würden.

Alle drei schulmedizinisch gebotenen Strategien (Operation, Bestrahlung und Chemotherapie) seien zur Verwendung gekommen, hätten aber keinerlei kurativen Anspruch. Im Gegensatz dazu habe die Immuntherapie mit onkolytischen Viren, dendritischen Zellen und Hyperthermie aber kurativen Anspruch. Dieser kurative Anspruch werde auf drei Fakten gestützt:

1. Der abstrakte Wirksamkeitsnachweis gehe aus der im Jahr 2004 vorgelegten Studie von Csatary hervor. Allein die Therapie mit onkolytischen Viren habe bei vier von 14 Patienten ein Langzeitüberleben von über fünf Jahren erreicht. Eine aktuelle Nachfrage habe ergeben, dass diese vier Patienten alle noch am Leben seien, also mit hoher Wahrscheinlichkeit als geheilt gelten dürften.

2. Das Institut für Tumortherapie in Duderstadt verfüge weltweit über die größte Erfahrung mit dendritischen Zellen. Auch mit dieser Therapie seien Heilungen mit hinreichendem Überzeugungsgrad beschrieben worden. Die Rationale zur Anwendung onkolytischer Viren ergebe sich schon aus dem Begriff, der „Geschwulst auflösend“ bedeute. Dies würden auch 50 klinische universitäre Studien zeigen. Damit sei die theoretische Grundlage gesichert.

3. Die Glioblastoma-Studie der Universität Witten-Herdecke und Ruhr Universität Bochum habe ein Langzeitüberleben durch lokale Hyperthermie in 10% der Fälle gezeigt, was dem Durchbruch einer Schallmauer gleichkomme.

Die Therapie mit dendritischen Zellen und onkolytischen Viren sei im Stande, die gefürchtete Krebsstammzelle zu vernichten, die bei herkömmlicher Behandlung immer ein Rezidiv verursache.

Dem Vorgutachter hat der Sachverständige Folgendes entgegengehalten:

Seit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 werde zwischen einem abstrakten und einem konkreten Wirksamkeitsnachweis unterschieden. Die abstrakten Nachweise habe er genannt. Der konkrete Wirksamkeitsnachweis sei das erstaunliche Faktum, dass der Kläger seine Krankheit nun schon im fünften Jahr bei bestem Allgemeinzustand überlebt habe. Die Wahrscheinlichkeit eines solch günstigen Verlaufs mit herkömmlichen Mitteln sei extrem unwahrscheinlich, praktisch gesehen ausgeschlossen; die Wahrscheinlichkeit liege unter 1%. Dies bedeute, dass die Wahrscheinlichkeit einer Therapiewirkung über 99% sei. Sofern der Vorgutachter die Aussage getroffen habe, auch der natürliche Krankheitsverlauf könne durchaus das gleiche Ergebnis zeigen, versäume dieser zu sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine erneute Resektion des Rezidivs dieses außerordentlich günstige Ergebnis hätte erzielen können, nämlich mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 1%. Es widerspreche jeglicher medizinischen Ethik, einen konkreten Patienten ausschließlich auf eine Therapie zu verweisen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% helfe und nicht einmal heilen könne. Wenn das aktuelle Überleben im Einzelfall die mittlere Überlebenszeit eines Kollektivs um das 2,5-fache übersteige, sei der Wirksamkeitsnachweis mit hinreichendem Überzeugungsgrad erfüllt. Der Kläger habe die mediane Überlebenszeit um das 7,3-fache überschritten. Wenn der Vorgutachter darauf hinweise, dass zu den hier kombinierten Modalitäten keine kontrollierten prospektiven Studien der Monotherapien vorlägen, die eine Wirksamkeit der Therapieform suggerieren würden, sei dies laut BVerfG völlig unerheblich; es werde nur eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht gefordert. Die Bemerkung, dass der einen positiven Studie zu dendritischen Zellen zahlreiche negative Studien entgegenstünden, sei wissenschaftskritisch völlig nichtssagend, da es viel leichter sei, ein falsch negatives als ein falsch positives Ergebnis zu produzieren. Sofern der Vorgutachter seine Irritation darüber geäußert habe, dass beim Kläger mehrere Therapieansätze miteinander kombiniert worden seien, zeige allein schon das Wort „Irritation“ die Voreingenommenheit des Vorgutachters. Der Vorgutachter verschweige, dass Monotherapien im Bereich der Schulmedizin ausgesprochen selten seien. Es gebe zurzeit keine Studie zur Therapie des Glioblastoma multiforme mit Viren, dendritischen Zellen und Hyperthermie. Den Patienten auf eine nicht existente Studie zu verweisen, heiße aber, ihm eine heilende Möglichkeit zu entziehen. Der einzige, der diese Forderung (nach einer Studie) erfüllen könne, wäre das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen H-Stadt unter der Leitung des Vorgutachters. Die Tumorerkrankung des Klägers könne indes nicht warten, bis sich der Vorgutachter dazu aufraffe, eine solche Studie durchzuführen. Das Vorgutachten kenne also kein Individuum und argumentiere nur vom Kollektiv (Studie) her. Verfassung und BVerfG hingegen würden das Individuum würdigen. Er wehre sich mit aller Entschiedenheit gegen die Bezeichnung als hochexperimentelle Therapie. Bei einem Experiment gehe es um Wissensgewinn, hier aber gehe es um einen individuellen Heilversuch.

Mit Schriftsatz vom 10.11.2016 hat die Bevollmächtigte der Beklagten darauf hingewiesen, dass mit der Klage geltend gemachte Rechnungen in Höhe von 37.660,84 € Behandlungen des Medical Center C. im Zeitraum vom 31.07.2012 bis 01.02.2013 für Hyperthermie beträfen. Der erste Antrag des Arztes T. stamme vom 13.05.2013, also nach der Feststellung durch das Klinikum A-Stadt vom 23.04.2013, dass kein Anhalt für ein Rezidiv oder eine Progredienz bestehe. Der Antrag enthalte eine Kombination von Fieber, Viren und dendritischen Zellen, wobei sich nicht erschließe, welche konkreten Therapiemaßnahmen beabsichtigt seien. Im Übrigen hat die Bevollmächtigte die Frage der Sinnhaftigkeit der beabsichtigten Maßnahmen aufgeworfen, da sowohl eine Hyperthermie als auch eine Behandlung mit dendritischen Zellen das Vorhandensein eines Tumors voraussetzen würden. Die vom Arzt T. für den Kläger beantragte Behandlung habe überhaupt erst ca. ein Jahr nach der zweiten erfolgreichen Operation und nach der Feststellung des Klinikum N-Stadt, dass kein Rezidiv festzustellen sei, beginnen sollen. Sofern von der Klägerseite der Eindruck erweckt werde, der Kläger habe im August 2012 die Kombinationsbehandlung beim Arzt T. bereits begonnen, sei dies nicht zutreffend. Tatsächlich sei der Kläger in B-Stadt von August 2012 bis Februar 2013 lediglich mit lokaler Hyperthermie behandelt worden. Sofern im Kostenübernahmeantrag des Arztes T. vom 13.05.2013 behauptet werde, dass vom 28.08.2012 bis zum 01.03.2013 sechs Gaben dendritischer Zellen erfolgt seien, gebe es keine belastbare Angabe dazu, ob diese dendritischen Zellen überhaupt mit Tumorantigenen beladen gewesen seien. Mit der Virentherapie/Artesunaten/Thymuspräparaten habe der Arzt T. nach eigenem Antrag vom 13.05.2013 noch nicht begonnen. Zu diesem Zeitpunkt habe die erste Voraussetzung des BVerfG „lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung“ nach dem Ergebnis des MRT vom 08.04.2013 (kein Rezidiv) nicht vorgelegen. Auch im weiteren klinischen Verlauf sei der Kläger rezidivfrei geblieben. Bei diesem Genesungserfolg dürfe die Beklagte die Kosten einer Kombination hoch experimenteller Therapieformen nicht erstatten. Zudem hätten dem Kläger nach der zweiten Operation Behandlungsmethoden zur Verfügung gestanden, die dem allgemeinen medizinischen Standard entsprochen hätten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 23.05.2017 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass auf die in den Anlagen K 08, K 09 und K 10 der Klageschrift vorgelegten Rechnungen von der Beklagten ein Teilbetrag in Höhe von 10.000,- € übernommen worden sei, wobei der Kläger den Erhalt dieses Betrags in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Da der Bevollmächtigte des Klägers zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, ist vertagt und zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren angehört worden.

Mit Urteil vom 29.06.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Betreffend einen Betrag von 10.000,- € sei die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da die Beklagte dem Kläger diesen Betrag schon erstattet habe. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihm für die alternativmedizinischen Behandlungen entstanden seien, habe. Ein auf § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gestützter Erstattungsanspruch scheide schon deshalb aus, weil sich der Kläger die Leistung besorgt habe, ohne zuvor die Krankenkasse einzuschalten. Auch habe die Beklagte den Antrag des Klägers nicht zu Unrecht abgelehnt. Ein Behandlungsanspruch mit einer nicht zugelassenen Behandlungsmethode setze nach § 2 Abs. 1a SGB V in Anlehnung an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98, voraus, dass bei dem Versicherten eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliege, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, und dass die nicht anerkannte Heilmethode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf biete. Letzteres sei aber vorliegend nicht der Fall.

Gegen das am 12.07.2017 zugestellte Urteil haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Eingang am 07.08.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt Die Berufung ist mit Schriftsatz vom 05.02.2018 wie folgt begründet worden:

Unzutreffend sei die Ansicht des SG, dass der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden sei. Die Bevollmächtigten haben dazu auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19.03.2014, L 5 KR 1496/13 verwiesen, wonach Einzelheiten des Beschaffungswegs für den Erstattungsanspruch keine ausschlaggebende Rolle spielen könnten und das Gericht zu prüfen habe, ob das Erstattungsverlangen in der Sache berechtigt sei. Vorrangig sei daher durch einen Sachverständigen zu klären, ob dem Kläger ein Erstattungsanspruch vor dem Hintergrund seiner persönlichen gesundheitlichen Situation zustehe. Der Obliegenheit des Versicherten, rechtzeitig einen Leistungsantrag zu stellen, stünden auch Pflichten der Beklagten gegenüber, insbesondere zu einer sachgerechten Beratung, da nur die Krankenkassen einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen hätten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte dieser Verpflichtung nachgekommen sei. Es habe auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der begehrten immunbiologischen Krebstherapie bestanden. Liege wie hier eine lebensbedrohliche, wenig erforschte Erkrankung vor, sei es bereits ausreichend, wenn die Annahme gerechtfertigt sei, dass der voraussichtliche Nutzen der Behandlungsmaßnahme die möglichen Risiken überwiege. Allein durch die selbstbeschaffte immunbiologische Krebstherapie sei eine Verbesserung erreicht worden. Es sei zu einem schnellen Größenrückgang des Glioblastoma multiforme WHO Grad IV gekommen. Dieser Therapieverlauf sei bei einer Erkrankung, die üblicherweise binnen weniger Monate tödlich verlaufe, als außergewöhnlich zu bezeichnen. Hier liege eine Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausgehenden Erfolg vor. Es müsse das Gesamtkonzept der Therapie gesehen werden. Vorliegend bestehe eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. An der Beweiswürdigung durch das SG hat der Bevollmächtigte bemängelt, dass der Gutachter Prof. Dr. J. ein zu hohes Evidenzniveau angelegt habe. Dieser verlange im Wesentlichen eine Evidenzlage, die einer arzneilichen Zulassung bzw. einer Aufnahme der Methode in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Vorliegend gehe es jedoch gerade um eine außervertragliche Versorgung aus Notstandsgesichtspunkten. Der in diesen Fällen anzusetzende Evidenzmaßstab betreffe die Notwendigkeit von Indizien für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

In ihrer Berufungserwiderung vom 05.03.2018 hat die Bevollmächtigte der Beklagten zunächst darauf hingewiesen, dass die Beklagte auf die Rechnungen des Dr. G. vom 25.09.2012, 09.10.2012 und 22.10.2012 an den Kläger bereits im November 2012 einen Betrag von 10.000,- € gezahlt habe. Insoweit sei die Klage bereits unzulässig. Im Übrigen werde bestritten, dass der Kläger die geltend gemachten Kosten überhaupt in dieser Höhe vorverauslagt habe. Zudem habe der Kläger den Kostenübernahmeantrag durch den Arzt T. am 13.05.2013 und damit zu einem Zeitpunkt gestellt, in dem durch die Kernspintomographie vom 08.04.2013 der Befund „kein Anhalt für Rezidiv/Progredienz“ erhoben worden sei. Der Anspruch des Klägers beurteile sich ausgehend von diesem Sachverhalt. Bei der vom Arzt T. durchgeführten Therapie handle es sich um eine Kombination aus nicht zugelassenen Behandlungsmethoden. Die Beklagte habe die in der Berufungsbegründung reklamierte Fürsorge- und Beratungspflicht erfüllt und über den Antrag des Klägers vom 13.05.2013 nach sorgfältiger Prüfung zeitnah entschieden.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben zur Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 23.07.2018 darauf hingewiesen, dass die seitens der Beklagten gezahlten 10.000,- € nicht abzuziehen seien, da sie nicht den streitgegenständlichen Zeitraum beträfen. Der Kläger habe sich vor der streitgegenständlichen Behandlung in Behandlung in B-Stadt befunden; an den behandelnden Arzt in B-Stadt seien die 10.000,- € gezahlt worden und daher vollkommen unabhängig von den beantragten Leistungen in diesem Verfahren. Zudem sind als Beleg der Erfolgsaussichten der begehrten Therapie Unterlagen aus einem Vortrag im Jahr 2017 des B. zur Therapie des Glioblastoma multiforme mit onkolytischen Viren und eine Grafik, die „auf einer Studie der Praxisgemeinschaft Duderstadt“, wonach sich eine erheblich höhere Überlebensrate bei einer Behandlung mit dendritischen Zellen und onkolytischen Viren ergebe, beigelegt worden.

Mit Schriftsatz vom 22.08.2018 haben die Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass der Kläger statistisch mehr als das 4,5-fache der durchschnittlichen Überlebensdauer erreicht habe - und dies bei bester Gesundheit; er sei sogar wieder arbeitsfähig. Beigefügt worden sind diverse Unterlagen, so * ein „Gutachten“ des B. MD PhD, CEO Go Viral Rapo Yerapeh Ltd, Jerusalem, vom 20.08.2018: Dieser hat darin ausgeführt, dass er ein Onkologe mit besonderer Expertise in onkolytischer Virentherapie und deren Anwendung bei Glioblastoma multiforme sei. Mit dem Arzt T. und seinen Patienten sei er bestens persönlich vertraut. Zudem sei er Gründer und CEO einer Firma, welche die Entwicklung optimaler onkolytischer Viren als Ziel habe. Zu der Behandlung des Klägers hat er darauf hingewiesen, dass die Lebenserwartung bei einem Glioblastoma multiforme miserabel sei und sich nach einem Rezidiv erheblich verschlechtere. Für den Kläger bedeute dies, dass seine maximale Lebenserwartung bis maximal Mai 2013 anzusetzen sei. Beim Kläger übertreffe eine Überlebenszeit von weiteren fünf Jahren in guter Gesundheit die bekannte Lebenserwartung. Der Kläger genieße mehr als siebeneinhalb Jahre lang normale Lebensqualität, sei voll arbeitsfähig und zeige radiologisch keinerlei Anzeichen der Grunderkrankung Glioblastoma multiforme. Somit sei ein einschlägiger Beweis für den Therapieerfolg einer unheilbaren Krankheit geführt. Ein Vergleich der vier Glioblastoma-multiforme-Patienten, die durch die Therapie mit onkolytischen Viren durch den Arzt T. überlebt hätten, mit der weltweit akzeptierten Überlebenskurve beweise einschlägig, dass diese Behandlungsmethode beim Kläger nicht nur die Lebenserwartung von 20 Monaten weit übertroffen habe, sondern dass ihm das Leben neu geschenkt worden sei. Es würde den Rahmen eines Gutachtens überschreiten, über die Therapie mit onkolytischen Viren und die Immuntherapie für Glioblastoma multiforme ausführlich zu referieren. Fest stehe jedoch, dass nun auch die wissenschaftliche Literatur diese neue Therapieform der onkolytischen Viren als Durchbruch in der Neuroonkologie erkannt habe. Der eindrucksvolle Krankheitsverlauf des Klägers sei der Beweis dafür. Mit dem Gutachter (gemeint sein dürfte Prof. Dr. J.) sei er natürlich einer Meinung, dass für medizinische Forschung grundsätzlich systematische Studien verlangt würden. Wenn der Arzt T. als experimenteller klinischer Forscher seinen Patienten diese innovative Behandlung anbiete, sei ihm zu diesem Erfolg zu gratulieren. In der Tat seien nun zahlreiche sorgfältige prospektive Studien erforderlich, um die optimale Behandlung für Glioblastoma multiforme weiterzuentwickeln, da diese Aufgabe natürlich vom Arzt T. nicht alleine bewältigt werden könne.

* zwei Veröffentlichungen in The New England Journal of Medicine, 12.07.2018: „Recurrent Glioblastoma Treatet with Recombinant Poliovirus“ (über eine Untersuchung im Zeitraum von Zeitraum von Mai 2012 bis Mai 2017) und „Exploiting Viruses to Treat Diseases“.

Die Bevollmächtigte der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 24.09.2018 darauf hingewiesen, dass die vom Kläger zur Erstattung mit den Anlagen K 03 bis K 12 vorgelegten Rechnungen wegen Hyperthermie von Herrn Dr. G. stammen und in der Summe einen Betrag von 37.660,84 € ergeben würden. Darauf seien von der Beklagten 10.000,- € bezahlt worden, so dass eine vom Kläger selbst bezahlte Summe von 27.660,84 € verbleibe. Die Kosten einer Wärmetherapie seien weder durch das Gutachten des Prof. Dr. J. noch durch die vorgelegte ärztliche Meinung vom 20.08.2018 als erstattungsfähig beurteilt worden. Das letztgenannte Schreiben beschäftige sich ausschließlich mit der Immuntherapie mit onkolytischen Viren. Die zudem geltend gemachten Kosten für Mistelaufbereitung, Parvoviren, Thymus und Entgiftung in Höhe von 6.056,- € seien nicht durch Rechnungen belegt; auch gebe es keinen Wirkungsnachweis für diese Therapie.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 23.10.2018 sind die Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen worden, dass die zur Begründung der Klageforderung vorgelegten Rechnungen zum größten Teil keine Behandlungen durch den Arzt T. beträfen, und aufgefordert worden, die ärztlichen Rechnungen für den bisher nicht belegten Teil der Klageforderung vorzulegen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 21.12.2018 mitgeteilt, dass die Anlagen K 03 bis K 12 Rechnungen des Dr. G. seien und fälschlicherweise der Arzt T. genannt worden sei. Darin seien noch keine onkolytischen Viren enthalten. Erst in den in der Anlage K 13 genannten letzten drei Rechnungen, welche Behandlungen durch den Arzt T. beträfen, seien onkolytische Viren enthalten. Beigefügt worden sind erstmals drei Rechnungen des Arztes T., nämlich vom 24.05.2013 über 241,18 € für eine Behandlung am 29.04.2013 (homöopathische Anamnese und Akupunktur), vom 05.08.2013 für eine Behandlung am 18. und 25.07.2013 über 5.048,31 € (onkolytische Viren und Thymusextrakt) und vom 19.09.2013 für eine Behandlung am 18.07.2013 über 162,98 € (Akupunktur).

Mit Schriftsatz vom 09.01.2019 hat die Bevollmächtigte der Beklagten nochmals darauf hingewiesen, dass die Rechnungen K 03 bis K 12 des Dr. G. keine onkolytischen Viren beträfen und auf diese Rechnungen von der Beklagten bereits ein Betrag von 10.000,- € bezahlt worden sei. Zudem würden von der Klägerseite immer wieder neue Beträge und Zahlen genannt und teilweise unleserliche Kontoauszüge zu den behaupteten Zahlungen vorgelegt. Vollkommen neu im Verfahren seien die Rechnungen des Arztes T. mit insgesamt 5.452,45 €. Auch inhaltlich entsprächen diese Rechnungen nicht dem Sachvortrag des Klägers; lediglich eine Position aus der Rechnung vom 05.08.2013 entspreche betragsmäßig einer Position aus der Anlage K 13 (Parvoviren).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Nürnberg vom 29.06.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für die selbstbeschaffte immunbiologische Behandlung in Höhe von 44.209,54 € zu erstatten Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen worden sind die Akten des SG, die Akten des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz (S 7 KR 515/13 ER, S 7 KR 587/16 ER und L 20 KR 626/16 B ER), in dem dem Kläger vorübergehend Leistungen für eine Behandlung durch den Arzt T. im Wege einer vorläufigen Kostenübernahme zugesprochen worden waren, sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Streitgegenstand

Streitgegenstand ist die Frage, ob der Kläger Anspruch auf Erstattung der von ihm geltend gemachten (und bis zur Klageerhebung, spätestens bis zum 19.12.2013) entstandenen Kosten durch eine vom Arzt T. durchgeführte Immuntherapie in Höhe von 44.029,54 € hat.

Bei der Bestimmung des Streitgegenstands sind folgende Grundsätze zu beachten:

Maßgebend für die Bestimmung des Streitgegenstands ist der geltend gemachte prozessuale Anspruch, d.h. Klageantrag und Klagegrund im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28.3.2013, B 4 AS 12/12 R - m.w.N.). Hiervon ausgehend wird der Streitgegenstand durch den objektiven Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids und das im Prozess geltend gemachte Begehren bestimmt. Der Streitgegenstand ist also die Schnittmenge von bescheidsmäßig getroffenen Regelungen einerseits und dem prozessualen Begehren eines Klägers andererseits.

Maßstab der Auslegung eines angefochtenen Bescheids ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2010, B 9 V 2/10 R).

Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen genauso wie von Anträgen ist ebenfalls der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, 1 BvR 461/03).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Der für den Kläger mit Schreiben des behandelnden Arztes T. vom 13.05.2013 gestellte Antrag auf „Kostenerstattung der Immuntherapie eines Glioblastoma multiforme mit onkolytischen Viren, kombinierter Hyperthermie (aktiv + passiv), dendritischen Zellen, Artesunaten (bei hoher Transferrinrezeptor-Dichte) sowie Thymus-Präparaten zur Immunmodulation“ (S. 1 des Schreibens vom 13.05.2013) ist - im wohlverstandenen Interesse des Klägers - dahingehend auszulegen, dass der Kläger damit zum einen eine Kostenerstattung für bereits durchgeführte und zum anderen eine Kostenübernahme für noch anstehende Therapiemaßnahmen einer Immuntherapie wegen des Glioblastoma multiforme durch den Arzt T. begehrt; dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem Schreiben vom 13.05.2013, in dem der für den Kläger den Antrag stellende behandelnde Arzt T. das Therapiekonzept vorgestellt und sowohl schon durchgeführte als auch bereits begonnene und damit zumindest zum Teil in der Zukunft liegende Maßnahmen aufgelistet hat.

Den vom behandelnden Arzt als Antrag auf „Kostenerstattung der Immuntherapie“ formulierten Antrag auf eine bloße Kostenerstattung im engen rechtlichen Sinn hinsichtlich bereits bis zur Antragstellung durchgeführter, also bereits abgeschlossener Behandlungsmaßnahmen zu beschränken, würde zu weit gehen und der laienhaften Verwendung des Wortes „Kostenerstattung“ nicht gerecht.

Dass die durchgeführten/durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen durch den Arzt T. zu erbringen waren/sind, ergibt sich zum einen aus dem Antrag des Arztes T. vom 13.05.2013, in dem dieser sein Therapiekonzept vorstellt und damit den zwingenden Schluss nahelegt, dass die Maßnahmen auch von ihm selbst durchgeführt würden, zum anderen aus dem beigelegten „Kostenvoranschlag“, der die Kosten aller Therapiebestandteile auflistet, und schließlich aus dem im Zusammenhang mit dem Widerspruch des Klägers vorgelegten Schreiben des Arztes T. vom 21.06.2013, in dem sich dieser zum Gutachten des MDK äußert und ergänzende Erläuterungen zu seinem „immuntherapeutischen Gesamtkonzept“ (S. 7 dieses Schreibens, ebenso S. 5 des Schreibens vom 13.05.2013) gibt; beide Schreiben vermitteln den Eindruck, dass die beantragte Immuntherapie in Gänze durch den Arzt T. durchgeführt wird. Hinweise darauf, dass vom Antrag auch andere Behandlungsmethoden oder Behandlungen durch andere Ärzte als den antragstellenden Arzt T. umfasst sein sollten, gibt es nicht. Insbesondere hat auch der Bevollmächtigte des Klägers auf die auf Klarstellung gerichtete Nachfrage der Beklagten im Widerspruchsverfahren nichts mitgeteilt, was Zweifel an der oben dargestellten Auslegung des Antrags wecken könnte.

Mit Bescheid vom 11.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.11.2013 hat es der Beklagte abgelehnt, die Kosten für die im Antrag vom 13.05.2013 näher beschriebene und durch den Arzt T. durchgeführte/durchzuführende Immuntherapie zu erstatten bzw. zu übernehmen.

Im Rahmen des Klageverfahrens (bestätigt auch im Berufungsverfahren) hat der Kläger einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 44.029,54 € geltend gemacht, wobei es sich dabei nur um solche Kosten handeln kann, die bis zur Klageerhebung, spätestens aber bis zum 19.12.2013, dem Datum des klägerischen Schriftsatzes mit der konkret bezifferten Antragstellung, entstanden sind (vgl. den im Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 19.12.2013 unter Ziff. 2. gestellten Antrag: „Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für die selbstbeschaffte immunbiologische Therapie entstandenen Kosten in Höhe von 44.209,54 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.“). Weder ist damals ein Antrag auf Übernahme der noch in der Zukunft entstehenden Kosten gestellt worden noch ist irgendwann im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens eine Umformulierung dahingehend erfolgt, dass auch noch später entstehende Kosten vom klägerischen Begehren umfasst sein sollten. Damit ergibt eine Auslegung des klägerischen Vorbringens zweifelsfrei, dass mit dem Kostenerstattungsantrag lediglich solche Kosten umfasst sind, die bis zur Klageerhebung, spätestens aber bis zum 19.12.2013, durch die beantragte Therapie entstanden sind. Mit der Frage, ob zu einem späteren Zeitpunkt entstandene Kosten dem Kläger zu erstatten sind, hat sich der Senat daher nicht zu befassen.

Gegenstand des Verfahrens ist somit die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der von ihm selbst bis zur Erhebung der Klage, spätestens bis zum 19.12.2013, aufgewandten Kosten für eine immuntherapeutische Behandlung wegen seines Glioblastoma multiforme durch den Arzt T. hat, wobei er die Klageforderung mit 44.029,54 € beziffert hat.

2. Kein Anspruch wegen der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V

Ein Anspruch wegen Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V besteht nicht.

Ein Antrag auf Kostenerstattung im rechtlichen Sinn ist schon per se nicht geeignet, die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V herbeizuführen. Ansprüche gegen eine Krankenkasse, die - wie sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche - unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind, unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V (vgl. BSG, Urteile vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, und vom 06.11.2018, B 1 KR 13/17 R).

Sofern der Antrag vom 13.05.2013 die Übernahme (noch) durch die Immuntherapie entstehender Kosten, also einen Sachleistungsanspruch im Sinne eines in die Zukunft gerichteten Kostenübernahmeanspruchs, betrifft, ist auch insofern keine Genehmigungsfiktion eingetreten. Ein Sachleistungsanspruch wegen der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V bzw. ein sich daraus ergebender Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V scheitert schon daran, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Antrag vom 13.05.2013 bereits deutlich vor Antragstellung mit der beantragten Therapie, die als einheitliche Behandlungsmaßnahme zu betrachten ist - der Arzt T. hat die beim Kläger angewandte Therapie wiederholt explizit als „immuntherapeutisches Gesamtkonzept“ bezeichnet (S. 5 seines Schreibens vom 13.05.2013, S. 7 seiner Stellungnahme vom 21.06.2013) -, begonnen hat (erste Gabe der dendritischen Zellen ab dem 28.08.2012 - Antragstellung mit Eingang des Schreibens des Arztes T. vom 13.05.2013 bei der Beklagten am 16.05.2013). Eine Aufteilung dieser im Sinne eines aufeinander abgestimmten Gesamtkonzepts durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen in einzelne Behandlungsschritte, die dann abhängig vom Zeitpunkt ihrer Durchführung der Genehmigungsfiktion zugänglich wären, verbietet sich wegen der einheitlichen Betrachtungsweise der Behandlungsmaßnahme (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 28/95).

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass eine Erstattung von Kosten für eine Behandlung durch Dr. G., nicht durch den Arzt T., auch daran scheitern würde, dass in dem Antrag vom 13.05.2013 kein fiktionsfähiger Antrag hinsichtlich einer Behandlung durch Dr. G. gesehen werden kann; dafür, dass eine Behandlung durch Dr. G. erfolgen sollte, gibt es im Antrag keinerlei Hinweise (vgl. oben Ziff. 1.).

3. Kein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V

Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V scheitert bis auf einen Betrag in Höhe von 5.048,31 € (maximal 5,452,47 €) schon daran, dass der Kläger in Höhe des Differenzbetrags zur Klageforderung in Höhe von insgesamt 44.029,54 € keine rechtlich wirksame Kostenlast nachgewiesen hat (vgl. unten Ziff. 3.2.). Bezüglich des Betrags von 5.048,31 € (maximal 5,452,47 €) scheitert der Kostenerstattungsanspruch daran, dass es an der Kausalität zwischen Leistungsmangel (nicht rechtzeitige Leistungserbringung bzw. Ablehnung durch die Beklagte) und Kostenlast des Klägers fehlt, da der Kläger die Beklagte nicht mit seinem Leistungsbegehren auf eine Immuntherapie befasst hat, bevor er diese Behandlung beim Arzt T. begonnen hat (vgl. unten Ziff. 3.3.). Im Übrigen hätte der Kläger zur Behandlung seines Glioblastoma multiforme auch keinen Sachleistungsanspruch auf eine Immuntherapie in der im Antrag vom 13.05.2013 beschriebenen Ausgestaltung gehabt (vgl. unten Ziff. 3.4.), was einem Kostenerstattungsanspruch entgegen steht.

3.1. Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs - allgemein

Die Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch, wie er hier geltend gemacht wird, kann nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sein. Dieser lautet: „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.“ Diese Regelung sieht also in Ergänzung des Sachleistungsprinzips der gesetzlichen Krankenversicherung, wie es in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V verankert ist, eine ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst beschaffen muss, weil ihm die Sachleistung entweder von der Krankenkasse zu Unrecht verweigert oder wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 11.10.1994, 1 RK 26/92, und vom 02.11.2007, B 1 KR 14/07 R). Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann deshalb nicht weiter reichen als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten. Voraussetzung ist daher, dass die selbst beschaffte Leistung nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Rechts (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.1995, 1 RK 8/94) ihrer Art nach oder allgemein von der Krankenkasse als Sachleistung zu erbringen ist.

Der Gesetzgeber hat für den Kostenerstattungsanspruch zwei Alternativen geregelt, zum einen den Fall einer rechtswidrigen Leistungsablehnung, zum anderen den einer unaufschiebbaren Leistung.

Voraussetzung des Erstattungsanspruchs des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) ist neben der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse ein Ursachenzusammenhang (Kausalität) zwischen der rechtswidrigen Leistungsablehnung und der dem Versicherten durch die Selbstbeschaffung der Leistung entstandenen Kosten. Dieser Ursachenzusammenhang ist zu verneinen, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R), oder wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen gewesen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse seinen Antrag ablehnen sollte (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R).

Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen in der Vergangenheit - von vornherein feststeht. Den Einwand eines vermeintlichen „Formalismus“, wie er früher vom BSG noch vertreten worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.09.1993, 1 RK 37/92), hat das BSG ausdrücklich aufgegeben (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R). Damit wird die grundsätzliche Beachtung des Sachleistungsprinzips dadurch abgesichert, dass eine Kostenerstattung nur dann erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14), aber auch deshalb, weil sie ihn vor der Behandlung mit untauglichen Methoden schützen kann.

Voraussetzung des Erstattungsanspruchs des § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. SGB V (unaufschiebbare Leistung) ist, „dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten“ (BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder z.B. wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.2012, B 1 KR 17/11 R).

Soweit das BSG früher dazu formuliert hat, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur dann begründet werden könne, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, vor der Beschaffung die Krankenkasse „einzuschalten“ (BSG, Urteil vom 25.09.2000, B 1 KR 5/99 R), hat das BSG diese Ansicht mit Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R, als zu eng und wegen einer Vernachlässigung der Normstruktur des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V aufgegeben und dies damit begründet, dass die Alternative zur rechtswidrigen Ablehnung des Antrags (§ 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V) gerade darin bestehe, um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte „die Entscheidung“ der Krankenkasse nicht mehr abwarten könne. Die Vorschrift des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V betreffe „auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der KK stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte“ (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R).

Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R). Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der Krankenkasse nicht abzusehen ist. § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. SGB V erfasst auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der Krankenkasse stellt, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten kann (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R). Liegt hingegen nicht nur ein Eilfall in diesem Sinne, sondern (sogar) ein (medizinischer) Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor, muss also ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden, ist der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. SGB V nicht einschlägig, sondern ausgeschlossen. Der Leistungserbringer erhält seine Vergütung für Notfallleistungen nicht vom (erstattungsberechtigten) Versicherten, sondern bei ambulanter Leistungserbringung von der Kassenärztlichen Vereinigung (aus der Gesamtvergütung, § 85 SGB V) und bei stationärer Leistungserbringung von der Krankenkasse. Der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. SGB V kann daher (gerade) auch dann erfüllt sein, wenn zwischen der erstmaligen Anfrage des Versicherten bei einem Behandler, einer etwaigen Voruntersuchung und dem eigentlichen Behandlungsbeginn längere (Warte-)Zeiten, ggf. auch mehrere Wochen, verstreichen (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R). Auch bei Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung im Sinn des § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. SGB V ist aber notwendig, dass die selbst beschaffte Leistung zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachleistung zu gewährenden Leistungen, also zu ihrem Leistungskatalog, gehört (vgl. BSG; Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R).

Zu beachten ist aber in diesem Zusammenhang, dass auch der Gesichtspunkt der Unaufschiebbarkeit den Versicherten grundsätzlich nicht von seiner Obliegenheit entbindet, der Krankenkasse vor Inanspruchnahme der begehrten Leistung die Möglichkeit zur Prüfung und Erbringung im Wege der Sachleistung dadurch zu eröffnen, dass er die Krankenkasse über die beabsichtigte Inanspruchnahme der begehrten Therapie informiert. Der Grund dafür liegt darin, dass mit der Selbstbeschaffung einer Leistung Gesundheitsgefahren verbunden sein und Behandlungsalternativen übersehen werden können, zumal die Einhaltung des Sachleistungsprinzips zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nicht nur im Interesse des betroffenen Antragstellers, sondern auch grundsätzlich im Interesse der Versichertengemeinschaft liegt (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R). Erfolgt eine derartige Information der Krankenkasse nicht, fehlt es grundsätzlich an der Kausalität zwischen Systemmangel (in Form einer nicht rechtzeitigen Leistungserbringung) und der Selbstbeschaffung durch den Versicherten, da dann der Krankenkasse wegen - vom Versicherten zu vertretender - Unkenntnis einer bestehenden Behandlungsnotwendigkeit die Möglichkeit einer rechtzeitigen Leistungserbringung überhaupt nicht eröffnet war; der Grund für die nicht rechtzeitige Leistungserbringung durch die Krankenkasse liegt dann darin, dass die Krankenkasse wegen der fehlenden Information durch den Versicherten die Erforderlichkeit einer Behandlung nicht kennen konnte und aus diesem Grund die Behandlung nicht erbringen konnte, nicht in einem Systemmangel. Lediglich in Fällen mit ganz besonderer Eilbedürftigkeit, die noch keinen medizinischen Notfall darstellen, ist eine vorherige Information der Krankenkasse durch den Versicherten verzichtbar und lässt die Kausalität zwischen Systemmangel und Selbstbeschaffung nicht entfallen, da anderenfalls der Versicherte in einer solchen Konstellation schutzlos gestellt wäre. Das BSG hat derartige Fälle mit ganz besonderer Eilbedürftigkeit, in denen eine vorherige Information der Krankenkasse durch den Versicherten nicht mehr verlangt werden kann, im Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R, wie folgt beschrieben:

„Lediglich dann, wenn aus medizinischen Gründen eine so hohe Eilbedürftigkeit bestanden hat, dass selbst eine Information der Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung nicht mehr zumutbar gewesen ist, steht also eine unterlassene vorherige Befassung der Krankenkasse mit dem Leistungsbegehren einem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen. Anderenfalls scheitert ein Erstattungsanspruch an der fehlenden Kausalität zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand, nämlich einem Mangel im Leistungssystem der Krankenversicherung dahingehend, dass eine Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden ist, und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast).“

3.2. Potenziell erstattungsfähige Kosten

Von der geltend gemachten Klageforderung in Höhe von insgesamt 44.029,54 € ist nur ein Betrag in Höhe von 5.048,31 €, bzw. bei für den Kläger äußerst wohlwollender Betrachtungsweise maximal 5,452,47 €, dafür geeignet, im Rahmen des streitgegenständlichen Kostenerstattungsanspruchs geltend gemacht zu werden.

Die von den Bevollmächtigten des Klägers zur Begründung der Klageforderung ins Verfahren eingeführten ärztlichen Rechnungen (nach der Gebührenordnung für Ärzte) (Anlagen K 03 bis K 12 zum Schriftsatz vom 19.12.2013 und Anlagen zum Schriftsatz vom 21.12.2018) betreffen nur in einer Höhe von 5.048,31 €, allenfalls bei sehr großzügiger Auslegung in Höhe von 5,452,47 €, Behandlungskosten, wie sie vom streitgegenständlichen Antrag auf eine Immuntherapie durch den Arzt T. abgedeckt sind. Im Übrigen betreffen die geltend gemachten Behandlungskosten Behandlungen durch einen anderen Arzt und sind schon deshalb nicht vom streitgegenständlichen Antrag und dem Bescheid der Beklagten umfasst. Dies begründet sich wie folgt:

„* Die in den Anlagen K 03 bis K 12 zum Schriftsatz vom 19.12.2013 vorgelegten ärztlichen Rechnungen stellen allesamt Rechnungen des Dr. G. für von diesem durchgeführte Behandlungen dar. Die von diesem Arzt durchgeführten Behandlungen sind aber nicht vom Antrag des Klägers vom 13.05.2013 erfasst. Der Antrag vom 13.05.2013 umfasst, wie seine Auslegung ergibt (vgl. oben Ziff. 1.), ausschließlich Behandlungen, die der Arzt T. im Rahmen der von ihm durchgeführten/durchzuführenden immuntherapeutischen Behandlung bei Antragstellung bereits erbracht oder damals noch zu erbringen beabsichtigt hat. Kosten für Behandlungen, die nicht vom Antrag und dem streitgegenständlichen Bescheid umfasst sind, können im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruchs auch nicht als rechtlich relevante Kostenlast des Klägers Berücksichtigung finden.“

* Die Rechnung des Arztes T. vom 24.05.2013 (über einen Betrag von 241,18 €) ist für eine homöopathische Anamnese und Akupunktur ausgestellt worden, also Behandlungsmaßnahmen, die nicht vom streitgegenständlichen Antrag auf eine Immuntherapie eines Glioblastoma multiforme umfasst sind. Eine Berücksichtigung als rechtlich relevante Kostenlast im Zusammenhang mit den geltend gemachten Kosten einer Immuntherapie kommt daher nicht infrage.

Aber selbst dann, wenn bei für den Kläger äußerst großzügiger Auslegung auch diese Kosten für im weitesten Sinne begleitende Maßnahmen zur Immuntherapie berücksichtigungsfähig wären, würde eine Erstattung aus anderen Gründen scheitern (vgl. dazu unten Ziff. 3.3. und 3.4.).

* Gleiches gilt für die Rechnung des Arztes T. vom 19.09.2013, in dem wiederum Maßnahmen der Akupunktur und einer homöopathischen Anamnese (in Höhe von insgesamt 162,98 €) abgerechnet worden sind.

* Die Rechnung des Arztes T. vom 05.08.2013 hingegen umfasst zweifelsfrei Kosten für Teilmaßnahmen der streitgegenständlichen Immuntherapie, nämlich eine Behandlung mit onkolytischen Viren am 18.07.2013 für 4.500,- € und eine Behandlung mit Thymusextrakt am 25.07.2013 in Höhe von 548,38 €.

Damit sind Kosten mit einem Gesamtbetrag von 5.048,31 € (maximal 5,452,47 € bei Berücksichtigung von Akupunktur und homöopathischer Anamnese) als rechtlich wirksame Kostenlast des Klägers im Zusammenhang mit der Immuntherapie nachgewiesen. Dass der Kläger im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens die Rechnungen für Behandlungen des Arztes T. noch nicht vorgelegt hatte und daher das SG zum damaligen Zeitpunkt durchaus auch davon hätte ausgehen dürfen, dass ein Kostenerstattungsanspruch bereits umfassend an einer nicht nachgewiesenen Kostenlast des Klägers scheitere, steht einer Berücksichtigung im Berufungsverfahren als weiterer Tatsacheninstanz nicht entgegen. Zwar sind die Rechnungen des Arztes T. erst nach der mit gerichtlichem Schreiben vom 23.10.2018 gesetzten Frist, die mit einem Hinweis auf die Folgen des § 106a SGG verbunden war, vorgelegt worden, eine Zulassung dieser Rechnung als Beweismittel verzögert aber nicht die Erledigung des Rechtsstreits im Sinne des § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGG.

3.3. Kausalität

Vorliegend ist eine Kausalität zwischen dem Leistungsmangel (nicht rechtzeitige Leistungserbringung bzw. Ablehnung des Antrags) und der Kostenlast des Klägers nicht nachgewiesen.

Der Kläger hat über acht Monate seit Beginn der Behandlung mit der Immuntherapie durch den Arzt T. - diese Therapie hat nach den Angaben im Antrag vom 13.05.2013 mit der ersten Gabe dendritischer Zellen am 28.08.2012 begonnen - verstreichen lassen, bevor er die Beklagte erstmals mit seinem Leistungsbegehren konfrontiert hat. Die Angaben im Antrag vom 13.05.2013 deuten - worauf es nicht weiter ankommt - im Übrigen darauf hin, dass sich der Kläger schon viel früher - nämlich im Mai 2012 mit der angegebenen Therapie einer Parapox-Virus-Therapie und im Juni 2012 mit der Anfrage am 20.06.2012 beim Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen H-Stadt wegen der Teilnahme an einer Parvo-H1-Studie - um eine alternative (Immun-)Therapie bemüht hat. Gleichwohl hat er der Beklagten zu keinem Zeitpunkt seine Absicht einer immuntherapeutischen Behandlung beim Arzt T. angezeigt und ihr keine Möglichkeit gegeben, sich mit diesem Begehren zu befassen und den Kläger zu beraten. Es liegen auch keinerlei Hinweise darauf vor, dass nach der Operation zur Entfernung des Rezidivs am 26.06.2012 plötzlich ein so hoher Zeitdruck entstanden wäre, dass es dem Kläger nicht einmal mehr möglich gewesen wäre, der Beklagten die beabsichtigte Therapie bei dem Arzt T. vor Therapiebeginn anzuzeigen, zumal sich der Kläger bereits unmittelbar nach der mittels MRT erfolgten Diagnose eines Rezidivs am 16.05.2012 und noch vor dessen operativer Entfernung mit der Frage der Anwendung alternativer Behandlungsmethoden beschäftigt hat (vgl. oben). Dass angesichts dieser Umstände, insbesondere des Abstands von zwei Monaten zwischen Rezidivoperation und Behandlungsbeginn beim Arzt T., dem Kläger eine Information der Beklagten über die beim Arzt T. beabsichtigte Behandlung nicht möglich gewesen wäre, ist daher nicht (in dem dafür erforderlichen Vollbeweis) nachgewiesen. Vielmehr hatte sich der Kläger nach der Überzeugung des Senats von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung, nämlich eine Immuntherapie, durch einen bestimmten Leistungserbringer, nämlich den Arzt T., festgelegt und war fest entschlossen, sich die Leistung unabhängig davon zu beschaffen, ob die Krankenkasse seinem Leistungsbegehren nachgeben würde oder nicht.

3.4. Kein Anspruch auf die beantragte Immuntherapie

Unabhängig von den bereits oben aufgezeigten, einem Kostenerstattungsanspruch entgegen stehenden Gesichtspunkten besteht ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V, der nicht weiter reicht als ein entsprechender Sachleistungsanspruch (§ 2 Abs. 2 SGB V) und daher voraussetzt, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R), auch deshalb nicht, weil die Voraussetzungen eines Sachleistungsanspruchs bezüglich der streitgegenständlichen Immuntherapie durch den Arzt T., wie sie im Antrag vom 13.05.2013 dargestellt ist, nicht gegeben waren.

Wie das SG zutreffend in der angefochtenen Entscheidung, auf die der Senat insofern gemäß § 153 Abs. 2 SGG verweist, ausgeführt hat, könnte die streitgegenständliche Immuntherapie zur Behandlung des Glioblastoma multiforme als ambulante ärztliche Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung allenfalls nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach dem seit 01.01.2012 geltenden § 2 Abs. 1 a SGB V erbracht werden. Dafür müssen folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:

* Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vor,

* bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung und

* es besteht für die begehrte Behandlung eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

Vorliegend scheitert ein Sachleistungsanspruch jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung.

3.4.1. Lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung

Der Senat geht davon aus, dass beim Kläger eine derartige Erkrankung vorliegt (vgl. zum Begriff der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung auch BSG, Urteil vom 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R).

Eine Gefährdungslage in diesem Sinne liegt erst in einer notstandsähnlichen Situation vor, in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Anknüpfungspunkt ist daher das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch ist damit auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt. Entscheidend ist daher, dass eine Krankheit lebensbedrohlich ist, d.h. in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen muss (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 26.03.2014, 1 BvR 2415/13, und vom 10.11.2015, 1 BvR 2056/12). Das BVerfG hat es dabei ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich „erst“ in einigen Jahren zum Tod führt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98, und vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06).

Mit Blick auf diese Vorgaben und die unbestrittenermaßen schlechte Zukunftsprognose und durchschnittliche Überlebenszeit bei einem Glioblastoma multiforme, insbesondere nach einem Rezidiv, wie es beim Kläger aufgetreten ist, die in einer mittleren Überlebenszeit von neun Monaten und der Quote für ein Dreijahresüberleben von nur etwas mehr als 5% zum Ausdruck kommen (so jedenfalls die vom Gutachter T. vorgelegte SEER-Datei aus den Zeiträumen 1988 - 2001), ist von einer lebensbedrohlichen Erkrankung auszugehen.

Wenn die Beklagte dies mit dem Argument infrage stellt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung der Kläger bereits seit längerer Zeit (operative Entfernung des Rezidivs am 26.06.2012; Antragstellung am 13.05.2013) keine maligne Erkrankung mehr aufgetreten sei und damit nicht mehr von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung ausgegangen werden könne, verkennt sie schon, dass die vom Kläger geltend gemachte Immuntherapie nach den Angaben im Antrag vom 13.05.2013 bereits am 28.08.2012 und damit nur rund zwei Monate nach der Operation begonnen worden ist. Dass zeitnah nach der (erfolgreichen) operativen Entfernung eines Rezidivs bei einem Glioblastoma multiforme ein weitergehender Behandlungsbedarf besteht, dürfte unstreitig sein und auch von der Beklagten nicht ernsthaft bestritten werden. So haben die den Kläger zunächst behandelnden Ärzte auch zu einer erneuten Therapie mit Temozolomid, alternativ CCNU/Procarbazin, also zu einer Chemotherapie, geraten; auch der MDK hat eine entsprechende Empfehlung abgegeben. Ein (dringender) Behandlungsbedarf hat daher zum Zeitpunkt des Beginns der streitgegenständlichen Therapie zweifelsfrei bestanden. Darauf, ob zum Zeitpunkt der später erfolgten Antragstellung der Kläger tatsächlich als bereits geheilt und nicht mehr behandlungsbedürftig zu betrachten gewesen wäre - dies unterstellt die Argumentation der Beklagten -, kommt es daher nicht an; denn entscheidend für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Behandlung kann nur der Zeitpunkt des Beginns der Behandlung sein, nicht der einer späteren Antragstellung wegen einer Kostenerstattung.

3.4.2. Zurverfügungstehen einer allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlung

Es spricht Einiges dafür, dass für die Behandlung des Klägers nach der operativen Entfernung des Rezidivs noch anerkannte Therapiemöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben. Dies steht aber vorliegend einem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen, weil für die streitgegenständliche Immuntherapie vom Kläger und seinem behandelnden Arzt T. eine über die im standardmäßigen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthaltenen Behandlungsmaßnahmen, die lediglich palliativer Art sind, hinausgehende Wirkung, nämlich kurativer Art, geltend gemacht wird.

Die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten, die einerseits einen Anspruch auf eine Behandlung begründen können, die nicht im standardmäßigen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten, also an sich von der Versorgung ausgeschlossen ist, setzen andererseits dem Leistungsbegehren eines Versicherten selbst im Fall einer regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit Grenzen. So gebieten es die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten, den Versicherten in einem solchen Fall auch davor zu bewahren, auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer zweifelhaften Therapie behandelt zu werden, wenn dadurch eine naheliegende, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird. Erst wenn feststeht, dass eine solche nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethode (generell) überhaupt nicht zur Verfügung steht oder im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte diese Behandlung nachgewiesenermaßen nicht verträgt, ist der vom BVerfG geforderte Bereich einer weiten, verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des SGB V eröffnet, in welchem auf den exakten wissenschaftlichen Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einer bestimmten Behandlungsmethode verzichtet werden kann und man sich mit einem der notstandsähnlichen Situation angemessenen geringeren Wahrscheinlichkeitsmaßstab begnügen darf (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R).

Im vorliegenden Fall hat der MDK in seinem Gutachten vom 04.06.2013 die Ansicht vertreten, dass mit einer ggf. nochmals wiederholten Operation, einer Chemotherapie mit Temozolomid und Nitrosoharnstoffen und einer Bestrahlung, möglicherweise mehrfach wiederholt, noch vertragliche Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stünden, die u.U. auch ein mehrjähriges Überleben bewirken könnten. Eine kurative Zielsetzung dieser Behandlung hat der MDK aber nicht angenommen.

Dies entspricht den Hinweisen in den damals gültigen Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie - Gliome (Stand 09/2012) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) (vgl. https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/ll_76_2012_gliome.pdf), die weitgehend den Leitlinien 2008 (vgl. https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2008/archiv/ll08kap_ 081. pdf) entsprechen und auf S. 12 Folgendes ausführen:

„Im Rezidiv sollte grundsätzlich eine Reoperation in Betracht gezogen werden. … Zudem kommt wie für die anaplastischen Gliome ausgeführt … eine zweite Strahlentherapie infrage, am ehesten in Form einer stereotaktischen hypofraktionierten Strahlentherapie … oder bildgeführten Strahlentherapie, eventuell in Kombination mit IMRT. … Im Rezidiv ist auch der Wert der Chemotherapie belegt. … Ein Unterschied in der Wirksamkeit zwischen Temozolomid und einem nitrosoharnstoffhaltigen Protokoll wie PCV … in der Rezidivtherapie des Glioblastoms wurde bisher nicht belegt ….“

Der vom Kläger gemäß § 109 SGG benannte Sachverständige, der behandelnde Arzt T., hat das Vorhandensein anerkannter schulmedizinisch gebotener Strategien (Operation, Radiatio und Chemotherapie) bestätigt, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass die schulmedizinisch gebotenen Strategien im Gegensatz zu der von ihm angewandten Immuntherapie lediglich palliativen Charakter hätten, aber keinen kurativen Anspruch. Auch der Senat geht davon aus, dass die allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten lediglich palliative Zielsetzung haben.

Dies zugrunde gelegt, nämlich dass die Schulmedizin nur palliative Behandlungsmöglichkeiten anbietet, weil sie jede Möglichkeit einer kurativen Behandlung eines Glioblastoma multiforme als aussichtslos betrachtet, kommt ein Anspruch auf eine alternative Behandlungsmethode dann in Betracht, wenn für die begehrte alternative Therapie eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.02.2013, 1 BvR 2045/12). Daran fehlt es vorliegend (vgl. unten Ziff. 3.4.3.).

3.4.3. Keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die beantragte Immuntherapie Derartige Indizien lassen sich nicht feststellen. Der Senat kann für die streitige Immuntherapie weder Indizien erkennen, die auf eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung des Glioblastoma multiforme des Klägers, wie sie vom Arzt T. geltend gemacht wird, hindeuten, noch solche, die auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, wie sie auch für einen Sachleistungsanspruch und damit eine Kostenerstattung ausreichen würde, hinweisen. Dabei stützt sich der Senat auf das vom SG gemäß § 106 SGG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. J.. Auch aus dem gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten des behandelnden Arztes T. ergeben sich derartige Indizien nicht, ebenso nicht aus den im Berufungsverfahren von den Bevollmächtigten des Klägers vorgelegten Unterlagen, insbesondere auch nicht aus dem „Gutachten“ des B..

Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 26.02.2013, 1 BvR 2045/12, dem eine kombinierte Immuntherapie (Hyperthermie, onkolytische Viren und dendritische Zellen) bei Vorliegen eines metastasierenden Ovarialkarzinoms, ebenfalls angewendet durch den Arzt T. (so dessen Angaben im vorliegenden Verfahren; vgl. auch http://www.nordbayern.de/region/gunzenhausen/biotherapeut-dr-T.-wird-vom-gericht-ermuntert-1.2806275), zugrunde lag, Folgendes ausgeführt:

„Es bedarf einer besonderen Rechtfertigung vor Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, wenn den der Versicherungspflicht unterworfenen Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden (vgl. BVerfGE 115, 25 <44>). Die Argumentation des Landessozialgerichts verkennt, dass die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, nicht losgelöst davon betrachtet werden kann, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt. Bei der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären (vgl. BSGE 97, 190 <201>). Bereits aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergibt sich, dass hinsichtlich der therapeutischen Ziele der Krankenbehandlung zwischen der Heilung einer Krankheit, der Verhütung ihrer Verschlimmerung und der Linderung von Krankheitsbeschwerden differenziert wird. Dabei ist nach Möglichkeit die Heilung der Krankheit als das vorrangige Behandlungsziel anzustreben, während die Verhütung einer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig nachrangige Behandlungsziele sind (vgl. bereits BSGE 78, 70 <85>). Bietet die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet, kommt die Alternativbehandlung nur dann in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, reichen hierfür nicht. Mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist es in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr jedoch nicht zu vereinbaren, Versicherte auf eine nurmehr auf die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht.“

Die Frage, ob eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vorliegt, ist - genauso wie das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit und das Fehlen einer anwendbaren Standardtherapie - nach den Regeln der ärztlichen Kunst und zum Zeitpunkt des Beginns der Behandlung zu beurteilen (vgl. BSG, Urteile vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, und vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R). Es ist also eine ex-ante-Betrachtung mit Blick auf die „voraussichtlichen Erfolgschancen“ der Behandlung durchzuführen; eine „rückblickende“ Beurteilung ausgehend „von einem Erfolg [der] Behandlung“, also deren Ergebnis, verbietet sich (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R). Dies hat zur Konsequenz, dass bei der Frage, ob eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vorliegt, der konkrete Erkrankungsverlauf des Antragstellers keine Bedeutung haben kann, da dieser nur mit einer - nicht zulässigen - rückblickenden Betrachtung einbezogen werden könnte.

Für die Prüfung des Vorliegens der auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, der einerseits eine abstrakte und andererseits eine konkret-individuelle Prüfung und Abwägung von Risiken und Nutzen einer Behandlungsmethode zugrunde zu legen ist (vgl. BSG, Urteile vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, und vom 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R), dürfen die Anforderungen wegen der grundrechtsorientierten Auslegung und des im Mittelpunkt stehenden Grundrechts des Lebens nicht überspannt werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2017, L 5 KR 1036/16; Bayer. LSG, Urteil vom 09.11.2017, L 4 KR 49/13). Gleichwohl begründet das subjektive Empfinden des Versicherten, auch gestützt durch die gleichlautende Einschätzung oder Empfehlung des behandelnden Arztes, oder das Befürworten der Therapie durch einzelne Ärzte allein - ebenso wie der positive Verlauf einer Erkrankung im konkreten Fall eines Antragstellers (vgl. oben) - Indizien im genannten Sinne grundsätzlich nicht (vgl. BSG, Urteile vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, und vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R; Bayer. LSG, Urteil vom 01.10.2018, L 4 KR 49/13; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 27.07.2016, L 5 KR 442/16, und vom 22.02.2017, L 5 KR 1653/15). Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, muss die gesetzliche Krankenversicherung auch nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (bzw. des § 2 Abs. 1a SGB V) nicht gewähren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.02.2013, 1 BvR 2045/12; BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R).

Die Anforderungen an die auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf unterliegen Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung. Es ist eine Differenzierung im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen, dass umso schwerwiegender die Erkrankung und umso hoffnungsloser die Situation ist, desto geringere Anforderungen an die ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg zu stellen sind (vgl. BSG, Urteile vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, und vom 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R).

Indizien für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf können sich auch außerhalb von Studien, vergleichbaren Erkenntnisquellen oder von Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften finden. Das BVerfG hat im Beschluss vom 06.12.2005,1 BvR 347/98, insofern Folgendes ausgeführt:

„Solche Hinweise auf einen individuellen Wirkungszusammenhang können sich aus dem Gesundheitszustand des Versicherten im Vergleich mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankten, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelter Personen ergeben sowie auch mit dem solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden oder behandelt werden. Insbesondere bei einer länger andauernden Behandlung können derartige Erfahrungen Folgerungen für die Wirksamkeit der Behandlung erlauben. Weitere Bedeutung kommt der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten zu, die die Symptome seiner Krankheit behandeln. Hinweise auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung können sich auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben; ….“

Zur Behandlung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel bei einer lebensbedrohenden, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung hat das BSG im Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, zum Gesichtspunkt der nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf Folgendes erläutert:

„Danach können als Beurteilungsgrundlage beim Fehlen anderer Studien auch „Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, u.Ä.; nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen“ in Betracht kommen (vgl § 9 Abs. 3 Punkt IV BUB-RL, § 18 Abs. 2 Punkt IV und Abs. 3 Punkt IV; § 20 Abs. 2 Verfahrensordnung).

… Fehlen theoretisch-wissenschaftliche Erklärungsmuster, kann im Einzelfall bei vertretbaren Risiken auch die bloße ärztliche Erfahrung für die Annahme eines Behandlungserfolgs entscheidend sein, wenn sich diese Erkenntnisse durch andere Ärzte in ähnlicher Weise wiederholen lassen (so schon zur Auslandsbehandlung BSGE 84, 90, 97 = SozR 3-​2500 § 18 Nr. 4 S. 20).“

Schließlich hat das BSG auch „wissenschaftliche Verlaufsbeobachtungen anhand von operierten 126 Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle“ als „ihrer Art nach ohne Weiteres geeignet“ betrachtet, „nach den Regeln der ärztlichen Kunst als Grundlage für „Indizien“ im dargelegten Sinne für eine positive Einwirkung zu dienen“ (BSG, Urteil vom 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R).

Nach Maßgabe dieser Vorgaben lässt sich bei der durchzuführenden abstrakten und konkreten Prüfung von Risiken und Nutzen für die beantragte Immuntherapie mit onkolytischen Viren, kombinierter Hyperthermie (aktiv und passiv), dendritischen Zellen, Artesunaten (bei hoher Transferrinrezeptor-Dichte) und Thymus-Präparaten zur Immunmodulation, wie sie im Antragsschreiben des Arztes T. vom 13.05.2013 beschrieben worden ist, keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf feststellen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Zunächst stellt der Senat fest, dass an den Evidenzmaßstab hinsichtlich der Frage, ob eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die beantragte Immuntherapie besteht, im vorliegenden Fall vergleichsweise niedrige Anforderungen zu stellen sind. Dies ergibt sich daraus, dass die vorliegende Erkrankung eines Glioblastoma multiforme, erst recht nach Auftreten eines Rezidivs, aufgrund der sehr schlechten Prognose und der geringen durchschnittlichen Überlebenszeit (vgl. oben Ziff. 3.4.1.) als eine sehr schwerwiegend-lebensbedrohliche Erkrankung zu betrachten ist, zumal die anerkannten medizinischen Methoden keinerlei kurativen Ansatz verfolgen und die zur Verfügung stehenden palliative Behandlungsmöglichkeiten nur von sehr beschränkter Wirkung sein dürften.

Aber auch bei Zugrundelegung dieses abgesenkten Evidenzmaßstabs lassen sich ausreichende Indizien für eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch die streitgegenständliche Immuntherapie nicht feststellen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

* Der sozialgerichtliche Sachverständige Prof. Dr. J., der aufgrund seiner beruflichen Stellung am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen H-Stadt über äußerst große Erfahrung und Kenntnisse hinsichtlich der Behandlung von Krebserkrankungen verfügt und dessen Einschätzung im Gutachten vom 29.06.2015 sich der Senat als überzeugend zu eigen macht, hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich bei der vom Arzt T. angewandten Therapie, die aus mehreren Therapiemodalitäten besteht, um eine hochexperimentelle Therapie handelt, für die keine klinisch-wissenschaftliche Rationale existiert. Dieser Umstand schließt eine Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus.

Auch für die einzelnen Therapiemodalitäten bestehen nach der Einschätzung des Sachverständigen keine Erkenntnisse dahingehend, dass sie von einer positiven Auswirkung bei der Behandlung eines Glioblastoma multiforme sein könnten. Sofern es für die dendritische Zelltherapie in der Krebstherapie noch gewisse Hinweise darauf gibt, dass diese bei Beladung mit einem spezifischen Antigen Auswirkung auf die Behandlung eines malignen Tumors haben kann, lassen sich diese Erkenntnisse, die nicht hinsichtlich des Glioblastoma multiforme erhoben worden sind und nach der Aussage des Sachverständigen durch diverse andere Studien erheblich in Zweifel gezogen worden sind, nicht auf die Behandlung eines Glioblastoma multiforme übertragen. Zudem ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die vom Arzt T. angewandte Therapie mit dendritischen Zellen gerade nicht mit einer Beladung der dendritischen Zellen mit einem Antigen verbunden ist, so dass die vom Sachverständigen Prof. Dr. J. angeführte positive Phase III-Studie, der eine Behandlung mit dendritischen Zellen, die mit einem Antigen beladen waren, zugrunde gelegen hat, ohnehin nicht auf die konkrete Behandlung zu übertragen ist - eben weil der Therapieansatz wegen der fehlenden Beladung mit einem Antigen ein ganz anderer ist und es für diesen andersartigen Ansatz keine derartige Erhebung gibt.

Ganz abgesehen davon, dass der Senat - mit Ausnahme des tatsächlich sehr günstigen Krankheitsverlaufs des Klägers, der aber bei der Beurteilung der Frage, ob Indizien für eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch die streitgegenständliche Immuntherapie erkennbar sind, ohne rechtliche Relevanz ist - auch für die einzelnen Therapiebestandteile keine Indizien für eine (positive) Beeinflussung des Krankheitsverlaufs des Klägers erkennen kann, steht einer derartigen aufgespaltenen Bewertung einzelner Therapiebestandteile auch entgegen, dass eine einheitliche Betrachtung des Behandlungskonzepts sowohl rechtlich geboten ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 28/95) als auch aus medizinischer Sicht vom behandelnden Arzt T. explizit postuliert wird (vgl. dessen Schreiben vom 13.05.2013, dort S. 5: „Die Hyperthermie ist hier keine Monotherapie, sondern eine wichtige Facette in einem immuntherapeutischen Gesamtkonzept.“ und S. 9: „Dass die Kombination von Fieber, Viren und Dendritischen Zellen einen ganz besonderen Sinn hat und nicht nur ein Sammelsurium verschiedener immuntherapeutischer Ansätze ist, wird jedem denkwilligen Arzt durch den Nachweis nahegelegt, dass nur im Zusammenwirken von Dendritischen Zellen, Newcastle-Viren und Lipoposysaccaarid (LPS), einem Bestandteil unseres Fiebermittels, das erwünschte Ergebnis erzielt werden kann, …“).

Sofern am Gutachten des Prof. Dr. J. von den Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 05.02.2018 beanstandet worden ist, dass dieser ein zu hohes Evidenzniveau für die Beurteilung der auf Indizien gestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu Grunde gelegt habe, greift dieser Einwand nicht durch. Es ist zwar richtig, dass allein mit dem Umstand, dass es universitäre Studien zur Beurteilung der streitgegenständlichen Therapie nicht gibt - was für den MDK in seinem Gutachten vom 04.06.2013 das entscheidende, rechtlich aber nicht haltbare Argument gewesen zu sein scheint, auch unter grundrechtsorientierter Auslegung einen Leistungsanspruch zu verneinen (vgl. dessen Gutachten vom 04.06.2013) -, nicht bereits das Vorliegen einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verneint werden kann. Der gerichtliche Sachverständige hat aber seine Beurteilung nicht allein darauf gestützt, dass es keine universitären Studien gibt. Vielmehr hat er erläutert, dass die beim Kläger angewandte Therapie als hochexperimentelles Verfahren zu betrachten ist, wobei er diese Bewertung nicht mit dem Fehlen klinischer Studien oder einer fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung der Therapieform begründet hat - anders als der MDK dies im MDK-Gutachten vom 04.06.2013 als tragende Begründung angegeben hat. Der Vorhalt der Bevollmächtigten des Klägers mag daher zwar gegenüber den Ausführungen des MDK zutreffend sein, nicht aber gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen.

* Auch aus dem Gutachten des gemäß § 109 SGG benannten behandelnden Arztes T. ergibt sich keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die streitgegenständliche Immuntherapie.

Sofern dieser einen abstrakten Wirksamkeitsnachweis der von ihm angewandten Immuntherapie behauptet, ist dies für den Senat mangels plausibler Begründung nicht nachvollziehbar.

Jedenfalls lässt sich dieser Schluss nicht aus der vom Sachverständigen T. angeführten Studie von Csatary aus dem Jahre 2004 ableiten. Denn diese „Studie“, die offenbar in einer Verlaufsbeobachtung von 14 Patienten besteht, betrifft nach den Ausführungen des Sachverständigen allein die Therapie mit onkolytischen Viren, nicht aber eine immunologische Kombinationstherapie in der vom Arzt T. angewandten Form. Ein Rückschluss auf eine potentielle Wirkung der beim Kläger angewandten Therapie lässt sich daher wegen der unterschiedlichen Ansätze und Therapieteile und dabei gerade des Umstands, dass der Arzt T. für die von ihm angewandte Behandlung ein aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken der verschiedenen Therapieansätze postuliert, nicht ziehen.

Ob das Ergebnis einer Beobachtung bei 14 (mit onkolytischen Viren behandelten) Patienten unter Zugrundelegung eines nur geringen Evidenzmaßstabs überhaupt ausreichend sein könnte, um ein Indiz für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu begründen - das BSG hat dies für den Fall von wissenschaftlichen Verlaufsbeobachtungen anhand von operierten 126 Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle bejaht (vgl. BSG, Urteil vom 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R) -, kann dahingestellt bleiben. Denn die Erkenntnisse von Csatary zu einer Therapie allein mit onkolytischen Viren betreffen eine andere Behandlungsform, als sie der Arzt T. beim Kläger mit der immunologischen Kombinationstherapie, bei der die Behandlung mit onkolytischen Viren nur ein Bestandteil von mehreren ist, zur Anwendung gebracht hat. Dies hat der Arzt T. sowohl als behandelnder Arzt als auch als gerichtlicher Sachverständiger wiederholt bestätigt und darauf hingewiesen, dass seine Behandlung auf einem Zusammenwirken der verschiedenen Therapiebestandteile aufbaue und nicht nur ein Sammelsurium verschiedener Behandlungsmethoden sei. Dass Erkenntnisse zu einem einzelnen Therapiebestandteil nicht zu einer Einschätzung hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Kombinationstherapie führen können, auch nicht im Sinne von Indizien bei abgesenktem Evidenzmaßstab, ist für den Senat logisch auch damit zu begründen, dass - geht man mit dem Arzt T. davon aus, dass sich die Therapiebestandteile gegenseitig beeinflussen - für Art und Umfang dieser gegenseitigen Beeinflussung keinerlei Hinweise im Sinne von Indizien vorliegen, auch nicht nach den Ausführungen des Arztes T. in seinem Gutachten. Vielmehr hat dieser die beim Kläger angewandte Therapie selbst als „individuellen Heilversuch“ (letzte Seite des Gutachtens des Arztes T. vom 12.07.2016), ohne dass offengelegte oder nachweisbare Erfahrungswerte für die Kombinationstherapie bestünden, also als experimentell beschrieben.

Für die Kombinationstherapie selbst gibt es, wie der Arzt T. als Sachverständiger selbst bestätigt hat, keinerlei Vergleichsdaten oder Erhebungen, auch nicht mit nur vergleichsweise geringer Patientenzahl.

Sofern der Sachverständige T. der Ansicht zu sein scheint, dass sich die von ihm behauptete Rationale zur Anwendung onkolytischer Viren bereits begrifflich daraus ergebe, dass „onkolytisch“ „Geschwulst auflösend“ bedeute, liegt auf der Hand, das allein mit der Verwendung sprachlicher Begrifflichkeiten kein medizinischer Wirksamkeitsnachweis und auch kein Indiz auf potentielle Wirkungen begründet werden können, was erst recht für die Kombination mit weiteren Therapiebestandteilen gilt.

Auch der Hinweis des Sachverständigen T. darauf, dass das Institut für Tumortherapie in Duderstadt weltweit über die größte Erfahrung mit dendritischen Zellen verfüge, geht ins Leere. Denn diesem Hinweis ist - wie bereits bei der angeführten Studie von Csatary - entgegenzuhalten, dass beim Kläger nach dem Ansatz des behandelnden Arztes T. ein Gesamtkonzept mit einer aufeinander abgestimmten Kombination verschiedener Therapieformen zur Anwendung kommen sollte. Insofern liegt also ein ganz anderer Behandlungsansatz vor als bei einer Monotherapie mit dendritischen Zellen, wie sie nach den Angaben des Sachverständigen T. beim vorgenannten Institut durchgeführt wird. Ob es für die Behandlung eines Glioblastoma multiforme mit dendritischen Zellen in Form einer Monotherapie Indizien für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gibt, ist vom Sachverständigen T. so nicht einmal behauptet worden und bedarf daher keiner weiteren Aufklärung.

Wie bereits zu den Ausführungen des Sachverständigen zur Therapie mit dendritischen Zellen und onkolytischen Viren (vgl. oben) ist auch hinsichtlich seines Hinweises auf eine Glioblastoma-Studie der Universität Witten-Herdecke und Ruhr Universität Bochum zur Hyperthermiebehandlung festzuhalten, dass diese Studie nach den Ausführungen des Sachverständigen wiederum nur eine Monotherapie betrifft und sich daher daraus keine Indizien für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Kombinationstherapie ergeben können.

Der auf einer Wahrscheinlichkeitsberechnung bestehende Ansatz des Sachverständigen T., dass die Wahrscheinlichkeit, einen Krankheitsverlauf wie beim Kläger zu erreichen, unter einem Prozent liege, daher die Wahrscheinlichkeit einer Wirksamkeit der von ihm angewandten Therapie bei 99% liegen müsse, ist zum einen für den Senat nicht nachvollziehbar und wird zum anderen den Kriterien nicht gerecht, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Beurteilung zu Grunde zu legen sind, ob eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare Beeinflussung des Krankheitsverlaufs des Klägers durch die bei ihm angewandte Kombinationstherapie gegeben ist. Denn der Begründungsansatz des Sachverständigen T. legt eine retrospektive Betrachtung zugrunde, wie sie sich bei der Beurteilung der Frage, ob eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare Beeinflussung des Krankheitsverlaufs gegeben ist, verbietet. Der Ansatz des Sachverständigen T. krankt daran, dass sich das vermeintliche Indiz allein aus dem konkreten Krankheitsverlauf des Klägers ergeben soll, dieser Verlauf aber nicht der Maßstab für die Beurteilung der Aussicht auf eine spürbare Beeinflussung des Krankheitsverlaufs sein kann. Denn derartige Hinweise können sich nicht aus einer retrospektiven Betrachtung des Krankheitsverlaufs des Klägers, sondern nur aus Konstellationen außerhalb dieses konkreten Behandlungsfalls ergeben. Würde man dem Ansatz des Sachverständigen T. folgen, würde im Übrigen eine Kostenerstattung allein davon abhängig sein, ob der Krankheitsverlauf eines Versicherten im Vergleich zum Durchschnittsfall günstiger war - dann wäre die Folge eine Kostenerstattung - oder nur durchschnittlich oder schlechter war - dann wäre die Folge keine Kostenerstattung -, unabhängig davon, worin die Gründe für den Krankheitsverlauf tatsächlich liegen. Dies würde dann dazu führen, dass bei identischen Ausgangssituationen und identischen Behandlungen je nach dem - schicksalshaften - Verlauf der Erkrankung eine Kostenerstattung erfolgen müsste oder nicht.

Somit lässt sich aus dem Gutachten des Arztes T. - anders als dies der Sachverständige glauben machen will - weder ein abstrakter Wirksamkeitsnachweis für die auch beim Kläger zur Anwendung gekommene Therapie noch ein konkreter Wirksamkeitsnachweis der Therapie beim Kläger ableiten, da der natürliche Verlauf nach der Entfernung des Rezidivs, also auch ohne die streitgegenständliche Therapie, durchaus der gleiche gewesen sein kann, wie er beim Kläger eingetreten ist. Darauf hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. J. hingewiesen.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies für die Entscheidung noch von entscheidungserheblicher Bedeutung wäre, weist der Senat auf folgende zwei Gesichtspunkte hin:

- Soweit es sich bei der streitgegenständlichen Behandlung des Klägers um einen „individuellen Heilversuch“ gehandelt hat, wie dies der behandelnde Arzt und vom Kläger benannte Sachverständige T. angegeben hat, liegt es nahe, dass diese Behandlung wegen Verstoßes gegen § 15 Berufsordnung der Ärzte Bayerns entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden ist, was einer Berücksichtigung im Rahmen eines Erstattungsanspruchs entgegenstehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R:

„Da die Regeln der ärztlichen Kunst maßgeblich sind, muss ggf auch die nicht dem sonst in der GKV vorausgesetzten medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmethode in erster Linie fachärztlich durchgeführt werden; die Behandlung muss … jedenfalls im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden (zum Arztvorbehalt vgl BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, SozR 4-​2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 26; Urteil des erkennenden Senats vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-​2500 § 31 Nr. 4: Tomudex, RdNr. 50 zu den Regeln der ärztlichen Kunst und Dokumentationspflichten). Den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht es auch, jedenfalls soweit es in der jeweiligen Berufsordnung ( vgl dazu auch die nicht als solche rechtsverbindliche Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte - MBO-​Ä 1997, DÄBl 1997 <94>, A-​2354; inzwischen § 15 Abs. 4 MBO-​Ä, DÄBl 2004<101>, A-​1578, A-​1580) entsprechend der „Deklaration von Helsinki“ vorgesehen ist, bei beabsichtigten Heilversuchen zuvor die zuständige Ethikkommission einzuschalten und ihre (ggf positive) Beurteilung abzuwarten (…).“

- Im Zusammenhang mit der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsanspruchs ist zu beachten, dass einem Anspruch gegebenenfalls auch der Umstand entgegen stehen kann, dass die Erkenntnisdefizite zu einer Behandlungsmethode in der Sphäre des Therapeuten liegen. Das BSG hat insofern im Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R, Folgendes ausgeführt:

„Eine weitere Begrenzung der sich aus der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs. 1a SGB V ergebenden Ansprüche auf Methoden, die noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, folgt aus der Mitwirkungsobliegenheit der Behandler. Die aus der grundrechtsorientierten Auslegung und aus § 2 Abs. 1a SGB V resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, verlangt unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs. 1a SGB V zugrundeliegenden medizinisch-​wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.“

Ausführungen im Gutachten des Arztes T. sowie in dem vom Kläger vorgelegten „Gutachten“ des B. vom 20.08.2018 lassen die Vermutung zu, dass der Arzt T. neben dem Kläger noch weitere Glioblastoma multiforme-Patienten behandelt hat. Unklar ist aber, um wie viele Patienten es sich handelt - im „Gutachten“ des B. werden „4 GBM Patienten“ (S. 2 dieses „Gutachtens“) genannt, im sozialgerichtlichen Gutachten des Arztes T. benennt der Sachverständige keine Zahl, sondern nur „meine Patienten“, wobei es sich dabei um mehr Patienten handeln muss, zumindest wenn die Angabe eines Langzeitüberlebens „in 30% der Fälle“ (drittletzte Seite des Gutachtens) eine rechnerisch genaue Angabe darstellt, weil er dann mindestens zehn Patienten behandelt haben müsste - und ob diese mit der immunologischen Kombinationstherapie behandelt worden sind, wie sie auch beim Kläger zum Einsatz gekommen ist - im „Gutachten“ des B. wird über eine „OV von Dr. T.“ (S. 2 dieses „Gutachtens“), wobei „OV“ die Abkürzung für „oncolytische Virotherapie“ (S. 1 dieses „Gutachtens“) ist, berichtet, wohingegen im Gutachten des Arztes T. eine Behandlung der Patienten „mit Onkolytischen Viren, Hyperthermie und ev. Dendritischen Zellen“ (drittletzte Seite des Gutachtens) angegeben wird. Ob im vorliegenden Verfahren ein Anspruch des Klägers auch daran scheitern könnte, dass eine aktive Bereitschaft des behandelnden Arztes T., einen Beitrag zum Abbau der vorhandenen Erkenntnisdefizite zu leisten, nicht erkennbar ist, kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben.

* Auch aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten „Gutachten“ des B. vom 20.08.2018 ergibt sich keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die streitgegenständliche Immuntherapie.

Ganz abgesehen davon, dass sich aus den Ausführungen des B. nicht ergibt, ob dieser bei der Beurteilung der beim Kläger angewandten Therapie den richtigen Zeitpunkt, nämlich den der Durchführung der Behandlung, zu Grunde gelegt hat oder seine Beurteilung auf neuere Erkenntnisse stützt, die aus rechtlichen Gründen bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht maßgeblich wären, enthält die Bewertung des B. wiederum nur Erläuterungen zu einer Behandlung mit onkolytischen Viren, nicht aber zu einem immuntherapeutischen Gesamtkonzept, wie es der Arzt T. beim Kläger angewendet hat. Es ist auch nicht klar, ob B. bei seinen Ausführungen überhaupt die Therapieform zugrunde gelegt hat, die beim Kläger zu Anwendung gekommen ist. Sofern B. den Nachweis des Therapieerfolgs der beim Kläger angewandten Therapie darin zu erkennen meint, dass der Kläger nach wie vor bei guter Gesundheit am Leben sei, verkennt er, dass zum einen eine retrospektive Betrachtung nicht zulässig ist und dass auch der natürliche Verlauf der Erkrankung des Klägers der gleiche sein kann, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. J. erläutert hat.

* Die vom Bevollmächtigten des Klägers dem Schriftsatz vom 22.08.2018 beigelegten Veröffentlichungen in The New England Journal of Medicine betreffen wiederum nur die Behandlung von Glioblastoma multiforme mit einer virologischen Therapie, nicht aber im Rahmen eines Gesamtkonzepts, wie dies beim Kläger zur Anwendung gekommen ist. Auf die obigen Ausführungen wird daher insofern verwiesen.

* Der Verlauf der Erkrankung des Klägers, also dass nach der operativen Entfernung des Rezidivs die Krebserkrankung bis heute nicht mehr aufgetreten ist, dürfte zwar ein in der Tat sehr seltener positiver Verlauf sein. Mit dem positiven Verlauf einer Erkrankung im konkreten Fall kann aber nicht ein Indiz für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf begründet werden (vgl. oben).

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der wiederholte Vortrag der Bevollmächtigten des Klägers (Klagebegründung vom 19.12.2013, Berufungsbegründung vom 05.02.2018), durch die streitgegenständliche Therapie sei es zu einem Größenrückgang des Glioblastoma multiforme WHO Grad IV gekommen, nicht den Tatsachen entspricht. Tatsächlich ist das Rezidiv mikrochirurgisch entfernt worden; danach ist nie mehr ein Tumor nachweisbar gewesen. Die streitgegenständliche Therapie kam damit allein in einem Zeitraum zur Anwendung, in dem überhaupt kein Tumor (mehr) vorgelegen hat. Ein „Größenrückgang“ eines - nicht mehr vorhandenen - Tumors kann damit nicht bewirkt worden sein.

Lediglich vorsorglich und der Vollständigkeit halber weist der Senat weiter darauf hin, dass sich an der Beurteilung und am Ausgang des Verfahrens auch dann nichts ändern würde, wenn die durch den Arzt Dr. G. durchgeführten Behandlungen einer Hyperthermie als vom Antrag vom 13.05.2013 umfasst betrachtet würden, weil im Gesamtkonzept des Arztes T. für den Therapiebestandteil der Hyperthermie der Arzt Dr. G. eingebunden worden wäre. Zwar wäre dann von einem größeren Betrag potenziell erstattungsfähiger Kosten auszugehen. An der rechtlichen Beurteilung würde sich aber ansonsten nichts ändern, so dass auch in diesem Fall die Berufung ohne Erfolg bleiben würde.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Mai 2019 - L 20 KR 502/17

Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Mai 2019 - L 20 KR 502/17

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Mai 2019 - L 20 KR 502/17 zitiert 17 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 13 Kostenerstattung


(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht. (2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 2 Leistungen


(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. B

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 27 Krankenbehandlung


(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt 1. Ärztliche Behandlung einsc

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 85 Gesamtvergütung


(1) Die Krankenkasse entrichtet nach Maßgabe der Gesamtverträge an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort im Bezirk der Kassenärzt

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 76 Freie Arztwahl


(1) Die Versicherten können unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, de

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106a


(1) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. (2) Der Vorsitzende kann einem Beteiligten unter Fristsetzung

Referenzen - Urteile

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Mai 2019 - L 20 KR 502/17 zitiert oder wird zitiert von 16 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Mai 2019 - L 20 KR 502/17 zitiert 16 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 09. Nov. 2017 - L 4 KR 49/13

bei uns veröffentlicht am 09.11.2017

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2012 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

Bundessozialgericht Urteil, 06. Nov. 2018 - B 1 KR 13/17 R

bei uns veröffentlicht am 06.11.2018

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lünebu

Bundessozialgericht Urteil, 24. Apr. 2018 - B 1 KR 29/17 R

bei uns veröffentlicht am 24.04.2018

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L

Bundessozialgericht Urteil, 20. März 2018 - B 1 KR 4/17 R

bei uns veröffentlicht am 20.03.2018

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufgehoben und der Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an da

Bundessozialgericht Urteil, 11. Mai 2017 - B 3 KR 30/15 R

bei uns veröffentlicht am 11.05.2017

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Juni 2015 aufgehoben.

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. März 2017 - L 5 KR 1036/16

bei uns veröffentlicht am 22.03.2017

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21.03.2014 wird zurückgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Tatbestand   1 Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten fü

Bundessozialgericht Urteil, 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R

bei uns veröffentlicht am 08.03.2016

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 02. Sept. 2014 - B 1 KR 4/13 R

bei uns veröffentlicht am 02.09.2014

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das La

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 26. März 2014 - 1 BvR 2415/13

bei uns veröffentlicht am 26.03.2014

Tenor Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 19. März 2014 - L 5 KR 1496/13

bei uns veröffentlicht am 19.03.2014

Tenor Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.02.2013 und der Bescheid der Beklagten vom 20.5.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.9.2010 aufgehoben.Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom

Bundessozialgericht Urteil, 07. Mai 2013 - B 1 KR 26/12 R

bei uns veröffentlicht am 07.05.2013

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 28. März 2013 - B 4 AS 12/12 R

bei uns veröffentlicht am 28.03.2013

Tenor Die Sprungrevision der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 06. März 2012 - B 1 KR 17/11 R

bei uns veröffentlicht am 06.03.2012

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozi

Bundessozialgericht Urteil, 01. März 2011 - B 1 KR 10/10 R

bei uns veröffentlicht am 01.03.2011

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 02. Dez. 2010 - B 9 V 2/10 R

bei uns veröffentlicht am 02.12.2010

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Mai 2009 aufgehoben.

Referenzen

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.02.2013 und der Bescheid der Beklagten vom 20.5.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.9.2010 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 06.08.2009 zurückzunehmen und der Klägerin 12.601,79 EUR zu erstatten.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für eine Krebsbehandlung mit autologen dendritischen Zellen.
Die 1958 geborene Klägerin, bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, erkrankte im Juni 2009 an einem malignen anorektalen Schleimhautmelanom. Am 05.06.2009 wurde eine operative Exzision des Tumors und am 13.07.2009 durch PD Dr. P. (Gemeinschaftspraxis PD Dr. P. und PD Dr. G. für onkologische, endokrinologische und minimalinvasive Chirurgie, N.-U.) eine transanale Tumornachresektion durchgeführt.
Am 09.07.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung bzw. die Übernahme der Kosten einer Behandlung mit dendritischen Zellen. Sie fügte zudem die Stellungnahme des PD Dr. G. vom 07.07.2009 bei. Darin ist u.a. ausgeführt, die Klägerin leide an einem fortgeschrittenen Melanom des Rektums. Für diese spezielle Melanom-Entität lägen keinerlei Therapieempfehlungen vor. Die Behandlung mit dendritischen Zellen sei als Ultima-Ratio-Therapie indiziert. Bei der Behandlung mit dendritischen Zellen handele es sich um eine individuelle Therapie zur Bekämpfung von Tumorerkrankungen. Aus kompetenten Vorläuferzellen, die aus dem Blut des Patienten gewonnen würden, könnten unter dem Einfluss von Zytokinen und Wachstumsfaktoren dendritische Zellen gezüchtet werden. Nach dem Zurückspritzen der aktivierten dendritischen Zellen in das Unterhautfettgewebe werde das körpereigene Immunsystem des Patienten zur Bildung von spezifischen Immunzellen und Antikörpern gegen den Tumor angeregt. Die Behandlung mit dendritischen Zellen, die in einem Unternehmen in U. (Firma C.) auf höchstem Niveau hergestellt würden, habe sich bereits bei einer nennenswerten Anzahl onkologischer Zentren durchgesetzt und werde von vielen Ärzten zur Behandlung von Tumorerkrankungen angewandt. Sie sei auch (bei moderaten Kosten) vorliegend indiziert, da sie die konventionellen Behandlungsformen ergänze und das körpereigene Immunsystem als weiteren Behandlungspfeiler zur Bekämpfung des Tumors in die Therapie einbeziehe.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg. In der MDK-Stellungnahme vom 24.07.2009 führte Dr. P. aus, die Unterlagen seien nicht ausreichend. Für die Klägerin stehe die leitliniengerechte Melanomtherapie nach den Empfehlungen der wissenschaftlich anerkannten Fachgesellschaften zur Verfügung. Vermutlich seien die vertraglichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht ausgeschöpft. Durch die Anwendung der beantragten Maßnahme bestehe keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
Mit Bescheid vom 06.08.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung bzw. die Übernahme der Kosten einer Behandlung mit dendritischen Zellen ab. Diese Behandlungsmethode gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs legte die Klägerin (u.a.) eine Stellungnahme PD Dr. P. vom 09.09.2009 vor. Darin ist ausgeführt, alle erfolgversprechenden konventionellen Behandlungsmethoden seien angewendet worden und würden auch weiter angewendet. Die Therapie mit dendritischen Zellen sei aus ärztlicher Sicht zwingend erforderlich. Unter der Kombinationstherapie mit dendritischen Zellen sei es bei vielen Patienten zu einem sehr erfreulichen Verlauf der schweren Krebserkrankung gekommen. Vergleichbare Therapien mit Behandlungserfolgen dieser Art gebe es nicht. Seit einer negativen Empfehlung des MDK aus dem Jahr 2000 sei eine Vielzahl weiterer Studien veröffentlicht worden. Die Annahme, bei der Therapie mit dendritischen Zellen komme es zu weitreichenden Nebenwirkungen und einer Verschlechterung der Lebensqualität, sei danach nicht zutreffend. Die Kosten der Therapie (ca. 4.100 EUR) seien erheblich niedriger als die Kosten einer Chemotherapie.
Vorgelegt wurde weiter der Bericht des Comprehensive Cancer Center des Universitätsklinikums U. vom 20.08.2009, in dem darauf hingewiesen wurde, dass im Tumor der Klägerin eine bisher nicht beschriebene c-kit-Mutation gefunden worden sei, und als Weiterbehandlungsmaßnahme eine adjuvante Therapie mit Interferon alpha in niedriger Dosierung empfohlen wurde.
Die Beklagte befragte erneut den MDK. Im MDK-Gutachten vom 05.10.2009 führte der Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, internistische Onkologie, medikamentöse Tumortherapie und Palliativmedizin Dr. G. aus, die Klägerin leide an einem kurativ operierten akral-lentiginösen malignen Melanom des anorektalen Übergangs. Hier sei eine den einschlägigen Leitlinien entsprechende Behandlung mit Interferon alpha in niedriger Dosierung vorgeschlagen worden. Eine akut lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege nicht vor. Ohne Anwendung der beantragten Behandlung trete in wenigen Wochen keine schwere irreversible Schädigung ein. Für die Klägerin stehe als vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeit die Therapie mit Interferon alpha zur Verfügung. Die vertragsärztlichen Behandlungsmöglichkeiten seien vermutlich nicht ausgeschöpft. Ob die vorgeschlagene Interferontherapie durchgeführt worden sei, gehe aus den Unterlagen nicht hervor. Durch die Behandlung mit dendritischen Zellen bestehe keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
Nachdem die Klägerin ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten am 06.10.2009 (telefonisch) mitgeteilt haben soll, die Interferon-Behandlung werde seit 2 Wochen durchgeführt und solle noch 18 Monate andauern, bat die Beklagte den MDK erneut um Stellungnahme. Im MDK-Gutachten vom 08.10.2009 führte Dr. G. (ergänzend) aus, bei der Klägerin liege ein lokal begrenztes, kurativ operiertes akral-lentiginöses malignes Melanom des anorektalen Übergangs vor. Ca. 90 % aller malignen Melanome würden derzeit als Primärtumor ohne erkennbare Metastasierung diagnostiziert. Die Anwendung tumor-antigen-präsentierender dendritischer Zellen sei nach der gegenwärtig vorliegenden Literatur zunächst beim malignen Melanom und hellzelligem Nierenkarzinom im Blickpunkt des Interesses. Sie sei allerdings nicht über das experimentelle Stadium hinausgekommen und keineswegs als Standard etabliert. Die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift „Der Onkologe“ (Organ der Deutschen Krebsgesellschaft) von August 2009 behandele als Hauptthema das Melanom. Danach habe die Anwendung von Interferon alpha in niedriger Dosierung über 18 Monate in den Stadien II - III in prospektiv-randomisierten Studien zu einem signifikanten Vorteil für die Patienten geführt. Die Behandlung mit niedrig-dosiertem Interferon alpha über 18 Monate hinaus solle jedoch nicht empfohlen werden.
10 
Bislang habe keine größere kontrollierte Studie beweisen können, dass das rezidivfreie Intervall oder die Gesamtüberlebenszeit durch eine adjuvante Vakzinierung (Einsatz dendritischer Zellen) habe verlängert werden können; die Vakzinierung stelle immer noch eine experimentelle Therapie dar. Der Einsatz dendritischer Zellen als Adjuvanz oder Maßnahme nach Interferon alpha finde in der genannten Veröffentlichung keinen Niederschlag. Auch in der zuletzt im September 2007 überarbeiteten AWMF-Leitlinie „Malignes Melanom der Haut“ fänden sich keine Hinweise auf eine adjuvante Therapie mit dendritischen Zellen im kurativ operierten Stadium. Vielmehr werde ausdrücklich auf die Immuntherapie mit Interferon alpha hingewiesen, das als einzige Substanz in prospektiv-randomisierten Studien zu einem signifikanten Vorteil geführt habe. Eine kombinierte Behandlung mit Interferon alpha und dendritischen Zellen werde nicht erwähnt. Die Deutsche Leitlinie Malignes Melanom vom Februar 2005 beschreibe für das nicht-metastasierte Stadium nur therapeutische und immunologische Ansätze und stelle wiederum klar, dass eine chemotherapeutische Modalität keinen Vorteil biete. Eine explizite Empfehlung zum Einsatz dendritischer Zellen im adjuvanten Setting finde sich in den Leitlinien nicht. Über Phase-I-Studien hinaus gebe es keine belastbaren Daten; das Verfahren habe auch keinen Eingang in die klinische Routine gefunden. Außerdem würden bei der Herstellung dendritischer Zellen äußerst verschiedene Methoden angewandt; ein qualitätsgesichertes standardisiertes Verfahren sei nicht konsentiert. Eine Therapie mit dendritischen Zellen parallel oder sequentiell zu Interferon alpha sei in der Leitlinie nicht erwähnt. Hier habe eine prospektiv randomisierte doppelblind angelegte wissenschaftliche Prüfung mit harten klinischen Eckpunkten nicht stattgefunden. Aufzufinden seien später durchgeführte Arbeiten vor allem bei metastasierten Patienten, bei denen jedoch insgesamt keine schlüssigen konsistenten Ergebnisse hinsichtlich einer weiteren Untersuchung der Anwendung von autologen dendritischen Zellen beim malignen Melanom abgeleitet werden könnten. Auch insoweit handele es sich lediglich um Phase-I-Studien, aus denen zudem hervorgehe, dass die Art und Weise der Präparation dendritischer Zellen weiterhin sehr heterogen sei. Auch in den USA seien offenbar Phase-I/II-Studien anhängig, allerdings existierten keine Publikationen, die eine belastbare Grundlage für eine Anwendung der dendritischen Zellen beim Menschen nahelegten.
11 
Zusammenfassend könne man feststellen, dass auch nach der neuesten Literatur kein hinreichender Wirksamkeitsnachweis für die in Rede stehende Behandlungsmethode insbesondere als adjuvante Therapie vorliege. Es gebe (nur) präliminäre erste klinische Versuche, die eine hinreichende Sicherheit oder gar einen Nutzen hinsichtlich der Anwendung bei der Tumorentität der Klägerin nicht geben könnten. Darüber hinaus bestehe insbesondere keine Evidenz hinsichtlich eines Benefits für den Patienten insoweit, als eine Überlegenheit gegenüber oder gar ein Effekt nach und zusätzlich zur Standardtherapie mit Interferon alpha nachgewiesen wäre. Eine Prüfung habe hier nicht stattgefunden, weil die Entwicklung noch nicht soweit gediehen sei. In der Richtlinie Methoden der vertragsärztlichen Versorgung (MvV-Richtlinie) sei die Behandlung mit dendritischen Zellen ebenfalls nicht erwähnt. Die Übernahme der Kosten für autologe dendritische Zellen komme schließlich auch deshalb nicht in Betracht, weil diese gewerblich, nicht apothekenmäßig hergestellt würden und eine arzneimittelrechtliche Zulassung hierfür nicht vorliege. Eine akut lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege bei der Klägerin nicht vor. Die Wirksamkeit der durchgeführten Therapie mit Interferon alpha lasse sich zunächst im definierten Therapieintervall von 18 Monaten feststellen. Danach solle die leitliniengerechte Nachsorge mit regelmäßigen Kontrollen erfolgen. Die medizinische Versorgung der Klägerin sei nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft durch die laufende Therapie mit Interferon alpha ausreichend sichergestellt. Eine Behandlung mit dendritischen Zellen sei keine wissenschaftlich geprüfte Methode zur Behandlung neben der laufenden Interferontherapie.
12 
Die Klägerin soll nach einem Aktenvermerk der Beklagten (vgl. Bl. 67 Verw.-Akten) am 08.10.2009 bei der Beklagten angerufen haben, sie sei mit einer Ablehnung nicht einverstanden, habe wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit aber nicht die Kraft, weitere Schritte zu unternehmen; der Vermerk schließt mit der Bemerkung, der Widerspruch habe sich damit erledigt.
13 
Unter dem 12.02.2010 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung bzw. die Übernahme der Kosten für eine Therapie mit dendritischen Zellen. Sie legte die Stellungnahme des PD Dr. G. vom 09.02.2010 vor. Darin ist ausgeführt, die Klägerin werde seit Juni 2009 wegen eines lokal fortgeschrittenen malignen Melanoms behandelt. Nach durchgeführter Operation sei eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen vorgenommen worden. Dadurch habe ein Rezidiv verhindert werden können. Wegen des offensichtlichen Erfolges der Therapie könne die Kostenübernahme nicht weiter abgelehnt werden. Insbesondere in den letzten Jahren sei der Einsatz dendritischer Zellen bei verschiedenen malignen Erkrankungen in zahlreichen Studien erprobt worden. Zu diesem Thema gebe es über 6000 wissenschaftliche Publikationen. Die Zulassung der Therapie durch die zuständige Behörde der USA stehe unmittelbar bevor.
14 
Die Beklagte befragte erneut den MDK. Im MDK-Gutachten vom 12.05.2010 führte Dr. B. aus, bei der Klägerin stehe für die adjuvante - nicht einmal die kurative - Situation ein zugelassenes und verkehrsfähiges Arzneimittel (Interferon alpha) zur Verfügung. Ob diese Therapie durchgeführt worden sei, könne den vorliegenden Berichten nicht eindeutig entnommen werden. Für die Herstellung von dendritischen Zellen gebe es eine Vielzahl von Verfahren, die sich nicht unerheblich voneinander unterschieden. Außerdem müsse man bei immunologischen Ansätzen in der Onkologie nach den einzelnen Tumoren unterscheiden, wobei hier vor allem das Melanom und das Nierenzellkarzinom von Interesse seien. Nach wie vor lägen keine prospektiven randomisierten kontrollierten Studien mit dendritischen Zellvakzinen vor. Die in Rede stehende Behandlung könne nicht als erprobt angesehen werden. Außerdem liege die notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung für die Herstellung dendritischer Zellen nicht vor. Auch sei nicht nachgewiesen, dass es nicht zu gefährlichen Toleranzinduktionen komme.
15 
Derzeit könne man nicht erkennen, ob die dendritischen Zellen auf rechtmäßige Weise hergestellt würden. Nach Auffassung des Regierungspräsidiums T. (Leitstelle Arzneimittelüberwachung) liege hier ein arzneimittelrechtlich nicht mehr zulässiges Inverkehrbringen dendritischer Zellen durch die Firma C. vor, bei der PD Dr. G. die Zellen offenbar herstellen lassen wolle. Die Firma C. verfüge nicht über eine entsprechende Herstellungsgenehmigung und dürfe die Zellen daher nicht an den behandelnden Arzt weitergeben. Die von PD Dr. G. angeführte Zulassung in den USA beziehe sich auf die Herstellung dendritischer Zellen zur Behandlung des Prostatakarzinoms und nicht des Melanoms. Die übliche und ausreichende Therapie für die Klägerin wäre die niedrig dosierte Anwendung von Interferon mit einer engmaschigen Überwachung.
16 
Mit Bescheid vom 20.05.2010 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin unter Hinweis auf das MDK-Gutachten vom 12.05.2010 erneut ab.
17 
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie leide unter einer absoluten Sonderform des Melanoms mit äußerst schlechter Prognose. Deshalb sei die Behandlung mit dendritischen Zellen indiziert. Diese Therapie sei vor etwa einem Jahr eingeleitet worden und sie sei seitdem rezidivfrei. Die Behandlung mit Interferon alpha sei nicht ausreichend. Die Krankenkassen hätten die Kosten einer Behandlung mit dendritischen Zellen auch in Einzelfällen übernommen. Hinsichtlich der Herstellung der dendritischen Zellen durch PD Dr. G. seien die Übergangsregelungen in § 144 Abs. 7 Arzneimittelgesetz (AMG) einschlägig
18 
Die Klägerin legte Rechnungen der Firma C. über die Herstellung dendritischer Zellen vom 16.07.2009 und 22.02.2010 (Kosten 4.078,11 EUR bzw. 4.261,84 EUR) vor. Als Herstellungszeitpunkt ist der 07.07.2009 bzw. der 09.02.2010 angegeben.
19 
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei der Behandlung mit autologischen dendritischen Zellen handele es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Empfehlung ausgesprochen habe. Die Behandlungskosten könnten daher grundsätzlich nicht übernommen werden. Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -) seien nicht erfüllt. Nach Auffassung des MDK liege eine akut lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung nicht vor. Außerdem stehe mit der Interferon-Behandlung im definierten Therapieintervall eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode zur Verfügung.
20 
Am 29.10.2010 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Ulm. Sie trug vor, sie leide an einer fortgeschrittenen Sonderform eines Melanoms mit äußerst schlechter Prognose. Nach Ansicht ihres behandelnden Arztes stünden hierfür konventionelle Behandlungsmethoden nicht ausreichend zur Verfügung, weshalb ihr die Therapie mit autologen dendritischen Zellvakzinen empfohlen worden sei. Diese sei als ultima ratio indiziert gewesen, um das Rezidivrisiko bzw. die Metastasenbildung auszuschließen oder zu verringern. Sie habe sich für die genannte Therapie entschieden und begehre nunmehr die Erstattung der hierfür entstandenen Kosten. Eine echte Behandlungsalternative gebe es für die Sonderform ihrer Krebserkrankung nicht; das gelte auch für die vom MDK angeführte Interferon-Behandlung. Diese sei allenfalls bei einem bereits metastasierenden Melanom als medizinischer Standard etabliert. Mit der seit 2009 durchgeführten Behandlung mit dendritischen Zellen habe bei ihr ein Rezidiv verhindert werden können. Das stelle einen erheblichen Therapieerfolg dar und rechtfertige die Anwendung der in Rede stehenden Behandlungsmethode.
21 
Die Klägerin legte eine Übersicht über die durchgeführte Behandlung mit dendritischen Zellen vor:
22 
Juni 2009
erste und zweite Immunisierung in der Praxis PD Dr. G.
16.02.2010
erste Immunisierung in der Praxis PD Dr. G.
15.03.2010
zweite Immunisierung in der Praxis PD Dr. G.
28.09.2010
erste Immunisierung in der Praxis PD Dr. G.
28.10.2010
zweite Immunisierung in der Praxis PD Dr. G.
23 
Die Rechnung der Firma C. vom 16.12.2010 (4.261,84 EUR; Herstellungszeitpunkt der dendritischen Zellen 21.09.2010), sei noch nicht beglichen.
24 
Das Sozialgericht erhob das Gutachten des Prof. Dr. K. (Hautklinik der Universitätsklinik E.) vom 02.03.2012.
25 
Der Gutachter führte aus, bei der Klägerin liege kein akral-lentiginöses Melanom, sondern ein Schleimhautmelanom vor; insoweit sei es bei den Vorgutachten offenbar zu einer Verwechslung gekommen. Schleimhautmelanome stellten eine seltene Untergruppe des Melanoms dar und träten mit 50- bis 100-mal geringerer Inzidenz auf. Sie hätten im Vergleich zu den häufigeren kutanen Melanomen (der Haut) eine wesentlich schlechtere Prognose mit 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 10% und 20%. Die mittlere Überlebenszeit liege bei 10 bis 13 Monaten. Sie werde weder durch den Umfang der lokalen chirurgischen Therapie noch durch eine elektive Lymphknotenausräumung signifikant verbessert, da es rasch zu Fernmetastasen komme.
26 
Eine zugelassene wirksame adjuvante Therapie zur Verhinderung einer Fernmetastasierung beim Schleimhautmelanom gebe es bisher nicht, was auch daran liege, dass Patienten mit Schleimhautmelanomen wegen ihrer besonders schlechten Prognose von Studien, auch von allen Interferon-Studien, ausgeschlossen würden. Mangels Alternativen würden sie in verschiedenen Zentren mit Interferonen oder Chemotherapie adjuvant behandelt. Die Erfahrungen seien aber unbefriedigend und würden nur anekdotenhaft in Übersichtsarbeiten erwähnt. In der Literatur finde sich keine einzige Publikation, die über eine wirksame adjuvante Therapie beim Schleimhautmelanom berichte. Angesichts der Seltenheit der Erkrankung sei auch nicht zu erwarten, dass es je große randomisierte Studien geben werde, die die für die Zulassung eines Medikaments erforderlichen statistisch belastbaren Daten liefern könnten. Die Wirksamkeit der Interferontherapie beim kutanen Melanom sei insgesamt gering; weniger als 10% der Patienten hätten davon einen Nutzen. Bei anstehenden Studien sei das Schleimhautmelanom aber wiederum ausgeschlossen.
27 
Er habe Publikationen zum Einsatz dendritischer Zellen gesichtet. Mehr als 300 Publikationen berichteten über die Anwendung dendritischer Zellen beim Menschen; die Gesamtzahl der Patienten betrage 3.400. Das Spektrum der bisher behandelten Tumorentitäten umfasse neben den dominierenden Melanomen, Hypernephrome und Prostatakarzinome sowie (in 113 Fällen) Mamma-Karzinome. Die Anzahl der Studien werde vom Melanom mit 74 Studien angeführt. In der großen Mehrheit handele es sich um Phase-I/II-Studien mit in der Regel bis zu 30 Patienten. In 2 Studien würden Daten aus randomisierten Phase-III-Studien vorgestellt. Derzeit gebe es keinen allgemeinen Standard zur Generierung und Applizierung dendritischer Zellen. Auch die Beladung der Zellen mit Tumorantigenen und die pro Impfung eingesetzte Menge dendritischer Zellen sei heterogen. Dennoch werde in fast allen Studien und in allen Tumorentitäten von einem klinischen Ansprechen bei einem Teil der Patienten berichtet. Die Patienten hätten mit wenigen Ausnahmen schulmedizinische Therapien absolviert und seien weiter progredient gewesen, so dass das Ansprechen auf dendritische Zellen nicht auf die Auswahl von Patienten mit von sich aus langsamerem Krankheitsverlauf zurückzuführen sei.
28 
Die beiden randomisierten Studien beträfen das Prostatakarzinom. Am 29.04.2010 sei nach Abschluss einer weiteren klinischen Phase-III-Studie das erste dendritische Zellvakzin als Arzneimittel in den USA zugelassen worden. Die (als Übersicht zusammengestellten 46) Studien für die Tumorentität Melanom ergäben Ansprechraten von wenigen % bis 30%. In 14 der 46 Studien werde über komplette Remissionen, die auch andere Tumorentitäten beträfen (Nierenzellkarzinom, Lymphom) berichtet. Die Nebenwirkungen der Behandlung mit dendritischen Zellen seien mild (u.a. Grippesymptome, Übelkeit, Hautreaktionen). Über Todesfälle werde nicht berichtet und es würden nur wenige WHO Grad III-IV Reaktionen festgestellt. Die Sinnhaftigkeit der Aktivierung des Immunsystems zur Behandlung des Melanoms sei kürzlich durch eine randomisierte Studie eindrucksvoll belegt worden, allerdings mit sehr hoher Nebenwirkungsrate (2 bis 3 Todesfälle). Für diese Studie seien auch Patienten mit metastasierendem Schleimhaut- und Aderhautmelanom zugelassen worden. Allerdings fänden sich in der Publikation keine Aussagen zur Wirksamkeit in diesen seltenen Untergruppen.
29 
Nach derzeitigem Kenntnisstand würden über 90% der Patienten mit einem Schleimhautmelanom innerhalb von 5 Jahren versterben, auch beim Einsatz zugelassener Standards einer adjuvanten Therapie. Im Fall der Klägerin wäre sogar eine Hochdosis-Interferontherapie mit Kosten von 30.000 EUR bis 40.000 EUR von der Beklagten finanziert worden, obwohl die seltene Untergruppe (Schleimhautmelanom) in allen Interferonstudien ausgeschlossen gewesen sei. Beim Auftreten von Metastasen wäre sodann auch eine Therapie mit Yervoy mit Kosten um 100.000 EUR gewährt worden, die bei maximal 10% der Patienten einen längeren Nutzen, aber bei 30 % der Patienten schwere und zusätzlich kostenträchtige Nebenwirkungen verursache. Die bei der Klägerin abgelehnte kostengünstige Immuntherapie mit patienteneigenen dendritischen Zellen habe ein viel höheres Potential im Gegensatz zu den unspezifischen Immuntherapien mit Interferon oder letztendlich mit Yervoy, spezifische Immunantworten gegen relevante Antigene, wie gegen die bei der Klägerin festgestellte Mutation im cKIT-Rezeptor hervorzurufen. Nur solche Immunantworten gegen individuelle Mutationen seien stark genug, alle Tumorzellen eines Patienten zu vernichten. Deswegen habe auch der Entdecker der dendritischen Zellen 2011 den Nobelpreis erhalten.
30 
Auch wenn bei der Klägerin wegen des malignen Schleimhautmelanoms keine akute Lebensgefahr bestehe, handele es sich bei der Erkrankung doch um eine regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit mit äußerst schlechter Prognose. Die angewandten Therapien entsprächen den Leitlinien und publizierten Erfahrungen. Die Klägerin habe sodann im Laufe eines Jahres 6 Vakzinierungen mit dendritischen Zellen erhalten, die von der Firma C. aus Vorläuferzellen ihres Blutes gezüchtet worden seien. Gesicherte Standards für die Herstellung und Applikation dendritischer Zellen gebe es noch nicht. Allerdings habe es sich bei der hier angewandten Herstellungsmethode um ein übliches Vorgehen gehandelt. Abgesehen von der Chirurgie, bei der die Exzision des Tumors mit einem Sicherheitsabstand angestrebt werde, gebe es beim Schleimhautmelanom keine weitere konservative Therapie. Hier liege de facto ein Systemmangel vor, weshalb nach der Rechtsprechung des BVerfG zur grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs die Voraussetzungen für die Finanzierung auch unkonventioneller Behandlungsmethoden erfüllt seien. Bei der Klägerin wäre die Überlebensprognose weder durch eine größere lokale Operation noch durch eine diagnostische oder elektive Lymphknotenexstirpation/-dissektion verbessert worden. Auch für eine Wirksamkeit der im Tumorboard des Comprehensive Cancer Center U. vorgeschlagenen Interferontherapie fehle beim Schleimhautmelanom jeglicher Anhalt. Auf Basis der publizierten Erfahrungen und des Ausschlusses von Schleimhautmelanomen bei allen bisherigen Interferonstudien müsse davon ausgegangen werden, dass eine Interferontherapie der Klägerin keinen Nutzen gebracht hätte.
31 
Die Beklagte legte das Gutachten des MDK N. (Kompetenz Zentrum Onkologie, Dr. W., Prof. Dr. H.) vom 16.07.2012 vor. Darin ist ausgeführt, beim anorektalen Melanom handele es sich um eine seltene Erkrankung. Die operative Entfernung des Melanoms gelte derzeit als Therapie der Wahl. Chemotherapie, Immuntherapie und Strahlentherapie würden bei Patienten mit anorektalen Melanomen in neoadjuvanter, adjuvanter und palliativer Intention eingesetzt. Für die Immuntherapie stünden Zytokine und Interferon alpha 2b oder Interleukin zur Verfügung. Wegen der kleinen Fallzahlen gebe es keine Standardtherapieprotokolle und entsprechend liege keine Evidenz bei der Evaluierung der Ansprechraten vor. Genauso wenig Evidenz bestehe bisher für den Stellenwert der Strahlentherapie. Nach einer Phase-II-Studie in den USA habe man angenommen, dass Chemotherapie als adjuvante Therapie bei Schleimhautmelanomen im Vergleich zu Interferon oder der Beobachtung rezidivfreies Überleben und Gesamtüberleben signifikant verbessere. Die Studie zeige aber auch, dass durch Gabe von Interferon im Vergleich zum Verzicht auf eine adjuvante medikamentöse Tumortherapie eine deutliche Verlängerung der Überlebenszeit erreicht werde (von 21 auf 41 Monate im Median). Die vermutete Wirksamkeit von Interferon auch beim Schleimhautmelanom habe somit bestätigt werden können.
32 
Wie von Prof. Dr. K. ausgeführt, gebe es keine zugelassene adjuvante Therapie zur Verhinderung von Fernmetastasen beim anorektalen Melanom. Interferon alpha 2a sei zur Therapie des malignen Melanoms des AJCC Stadiums II bei Patienten, die nach einer Tumorresektion krankheitsfrei seien, zugelassen. Interferon alpha 2b sei zur adjuvanten Therapie von Melanompatienten, die nach chirurgischem Eingriff tumorfrei, aber in hohem Maße rezidivgefährdet seien, zugelassen. Eine Unterscheidung zwischen kutanen Melanomen (der Haut) und Melanomen anderer, auch anorektaler Lokalisation sei der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht zu entnehmen. Auf der anderen Seite seien anorektale bzw. allgemein Schleimhautmelanome in großen Phase-III-Studien entweder nicht explizit erwähnt, nicht eingeschlossen oder von diesen Studien sogar ausgeschlossen worden. Obwohl die Daten keinen so deutlichen Überlebensvorteil wie bei anderen Tumorentitäten zeigten, sei gültige Lehrmeinung, dass Patienten mit malignen Melanomen im AJCC-Stadium II B/C und III - C eine adjuvante Interferontherapie unter sorgfältiger Abwägung und Aufklärung angeboten werden sollte. Das bedeute, dass grundsätzlich eine Standardtherapie zur adjuvanten Therapie des malignen Melanoms zur Verfügung stehe; das sei die zugelassene Interferontherapie. Andere Standardtherapien gebe es nicht. Eine adjuvante Vakzinationstherapie (durch dendritische Zellen) werde hingegen nach der - allerdings erst in der Konsultationsfassung vorliegenden - interdisziplinären S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms“ der Deutschen Krebsgesellschaft wie auch in allen vorherigen Versionen der Leitlinie nicht empfohlen.
33 
Hinsichtlich der adjuvanten Therapie anorektaler Melanome gebe es nahezu keine gesicherten Erkenntnisse. In der Literatur fänden sich deutliche Hinweise darauf, dass Patienten mit anorektalem Melanom regelhaft in Analogie zum kutanen Melanom behandelt würden, wie es in der Onkologie auch bei anderen seltenen Tumorentitäten gehandhabt werde. Zusammenfassend sei die (der Klägerin erteilte) Therapieempfehlung der Tumorkonferenz der Universitätsklinik U. sachgerecht, wenn diese aufgrund der Seltenheit von Schleimhautmelanomen ein Vorgehen analog der Hautmelanome empfehle. Der abweichenden Auffassung von Prof. Dr. K. müsse entgegengehalten werden, dass für die spezielle Situation der adjuvanten Therapie des anorektalen Melanoms kein anderer Therapieansatz, insbesondere auch nicht der Einsatz dendritischer Zellen, begründet werden könne und kein Anhalt dafür bestehe, dass es sich bei schleimhautassoziierten Melanomen um eine tumorbiologisch grundsätzlich von kutanen Melanomen distinkte Entität handele, so dass die Therapie mit Interferon in Analogie zur Therapie kutaner Melanome der gegenwärtig besten externen wissenschaftlichen Evidenz zur Entscheidungsfindung und damit auch dem Therapiestandard (§ 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V) entspreche.
34 
Die Anwendung dendritischer Zellen bei malignen Erkrankungen sei ein interessanter Therapieansatz. Deswegen gebe es hierzu auch viel Literatur, wenngleich ausgesprochen wenige Phase-III-Studien. Die Studienergebnisse zu dendritischen Zellen seien aufgrund der unzähligen verschiedenen Methoden schwer vergleichbar. Die allermeisten Studien hätten keine überzeugenden Ergebnisse liefern können. Die jetzt erforderliche Konsolidierung des Forschungsgebiets durch methodisch hochwertige vergleichende Studien sei aufgrund des erforderlichen Aufwands notwendigerweise mit einer Reduktion der Publikationsfrequenz verbunden; die Ära der kleinen, nicht kontrollierten Phase-I-Studien sei beendet. Der Nachweis klinischen Nutzens im Sinne einer positiven Einwirkung auf patientenorientierte Eckpunkte (wie Verlängerung der Überlebenszeit) sei bisher nicht bzw. nur in hier nicht einschlägigen Konstellationen erbracht worden. Die hierfür, auch von Prof. Dr. K., als Beleg für eine Wirksamkeit dendritischer Zellen angeführte Studie von Schadendorf sei kritisch kommentiert werden. Sie habe 98 Patienten mit malignen Melanomen in dem Stadium IV randomisiert, die mittels Standardchemotherapie oder mit Vakzinierung unter Verwendung von mit autologen Peptiden beladener dendritischer Zellen behandelt worden seien. Die Studie sei statistisch nur darauf ausgelegt gewesen, eine mögliche Überlegenheit der experimentellen Therapie (dendritische Zellen) zu zeigen. Ein Unterschied habe jedoch nicht herausgearbeitet werden können. Das mediane Überleben sei in beiden Gruppen nicht unterschiedlich ausgefallen. Die primären Endpunkte der Studie seien damit verfehlt worden. Es handele sich um eine hinsichtlich des Wirksamkeitsnachweises der Prüf-Intervention negative Studie. Die einzige auf Basis dieser Studie zulässig gesicherte Aussage sei, dass eine gegenüber DTIC bessere Wirkung hinsichtlich des Tumoransprechens und des Überlebens nicht nachgewiesen sei. Außerdem hätten an der Studie Patienten mit manifest metastasierten malignen Melanomen teilgenommen, also mit gegenwärtig makroskopischer Krankheitslast. Das sei von der adjuvanten Situation mit nur mikroskopischer Resterkrankung gerade bei immunologischen Ansätzen fundamental verschieden. Die Studie sei für die Situation der Klägerin daher nicht einschlägig. Eine andere von Prof. Dr. K. angeführte Studie betreffe Patienten mit Prostatakarzinomen. Das eingesetzte Antigen könne nur bei dieser Erkrankung wirksam sein. Eine Aussage für die Krebserkrankung der Klägerin sei daraus nicht zu gewinnen.
35 
Derzeit gebe es (im Hinblick auf den gegenwärtigen Forschungsstand) keinen allgemeinen Standard, wie dendritische Zellen generiert und appliziert würden. Welche Methode in der Praxis des PD Dr. G. angewandt werde, bleibe bewusst vage. Autologes patienteneigenes Tumorantigen könne bei der Klägerin jedenfalls nicht angewandt worden sein, weil der Tumor primär R0-reseziert worden sei und damit also bei der späteren Nachresektion am 13.07.2009 kein patienteneigenes Tumormaterial habe gewonnen werden können, das möglicherweise zur Beladung dendritischer Zellen nutzbar gewesen wäre.
36 
Mit der Herstellung der dendritischen Zellen ohne entsprechende Genehmigung verstoße die Firma C. gegen das Arzneimittelgesetz. Ein rechtswidrig hergestelltes Arzneimittel könne aber nicht Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkasse sein. PD Dr. G. halte 80 % der Kapitalanteile an der Firma C.. Hierüber sei die Klägerin offenbar nicht informiert worden. Insgesamt gebe es sehr vielfältige Möglichkeiten, dendritische Zellen zu veranlassen, immunologische Antworten des Organismus zur Bekämpfung von Tumorzellen in Gang zu setzen. Der Begriff dendritische Zelltherapie habe keinen spezifischen Inhalt; ohne nähere Erläuterung könne über das Therapieverfahren so keinerlei Aussage gemacht werden. Ferner sei eine Einordnung bezüglich belastbarer klinischer Daten aus Phase-III-Studien mit Belegen der Wirksamkeit der Therapie sowie valider Sicherheitsdaten zu fordern. Die vagen Angaben im Antrag der Klägerin seien so nicht prüffähig, insgesamt weit entfernt von einem konkreten Behandlungsplan und entbehrten jeden Hinweises auf vorherige wissenschaftliche Evaluation der konkret durchgeführten Therapie. Auch dem Gutachten des Prof. Dr. K. sei hierzu nichts Näheres zu entnehmen.
37 
Entgegen der Auffassung des Prof. Dr. K. habe man keine belastbaren wissenschaftlichen Studien gefunden, die einen Nutzen einer adjuvanten Therapie mit dendritischen Zellen bei malignen Melanomen belegten. Hier wäre ein Vergleich im Rahmen einer Phase-III-Studie zum zugelassenen und etablierten Standardmedikament Interferon zu fordern. Lediglich drei der von Prof. Dr. K. angeführten 46 Studien hätten die adjuvante Situation beim malignen Melanom betrachtet. Bezüglich dieser seien keine Effektivitätsdaten in der Tabelle berichtet. Auch die Nebenwirkungen seien angesichts des nicht nachgewiesenen Nutzens im Hinblick auf die angegebene Grad-III/IV-Toxizität ethisch nicht vertretbar.
38 
Letztendlich sei rein spekulativ, ob die dendritische Zelltherapie hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei Melanomen gegenüber den in der adjuvanten Situation belegten unspezifischen Immuntherapien, wie Interferon, geeigneter sei. Dafür gebe es, wie eingehend dargelegt, keine Daten. Dass die dendritische Zelltherapie ein geeigneter Einsatz sei, habe bislang nur für Prostatakarzinome, nicht jedoch für andere Tumorerkrankungen belegt werden können. Der Ansatz bei Prostatakarzinomen sei absolut prostataspezifisch und könne auf andere Tumore nicht übertragen werden.
39 
Bei der Klägerin liege eine potentiell lebensbedrohliche Erkrankung vor. Inwieweit die adjuvante Situation nach vollständiger Entfernung allen klinisch erkennbaren Tumors im Zustand der Heilungsbewährung die Definition der lebensbedrohlichen Erkrankung noch erfülle, sei fraglich. Regelmäßig tödlich verlaufend sei die Erkrankung in diesem Stadium nach dieser Behandlung jedenfalls nicht. Die operative Therapie sei leitliniengerecht erfolgt. Die anschließend vorgenommene Vakzinierung mit dendritischen Zellen sei jedoch hoch experimentell und aus den dargelegten Gründen abzulehnen. Die Erkrankung der Klägerin solle in Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin in Analogie zur adjuvanten Behandlung des kutanen malignen Melanoms therapiert werden. Somit sei die Gabe von Interferon leitliniengerecht und arzneimittelrechtlich zugelassen. Dass dies gängige Praxis bei nicht-kutanen Melanomen und dort auch erfolgreich sei, könne der Literatur entnommen werden. Dies sei auch gleichzeitig die allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG. Das gälte auch dann, wenn die Konferenz der Uniklinik U. der Klägerin empfohlen hätte, eine adjuvante Therapie sei nicht erforderlich. Allgemeinem medizinischem Standard entsprechend könne auch das Unterlassen einer spezifischen Therapie sein. Auch dann müsste die Überlegenheit alternativer Ansätze nachgewiesen werden. Ein Systemmangel liege nur dann vor, wenn es eine etablierte, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Therapie gäbe, die aufgrund vorwerfbarer verzögerter Anerkennung durch die zuständigen Gremien den Versicherten vorenthalten würde; das sei hier nicht der Fall. Bei der Klägerin sei die adjuvante Therapie mit Interferon die geeignete, zumutbare und dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Therapie der ersten Wahl. Der Einwand mangelnden Nutzens sei durch die neuere Literatur entkräftet. Die von der Klägerin nicht gewünschte Entfernung von Wächterlymphknoten wäre nicht nur diagnostisch, sondern auch therapeutisch indiziert gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass dies mit nicht vertretbaren Risiken behaftet gewesen wäre. Die Klägerin sei insgesamt nicht austherapiert gewesen. Vielmehr habe eine leitliniengerechte Behandlung zur Verfügung gestanden.
40 
Nachdem die Klägerin abschließend zu den vorliegenden Gutachten Stellung genommen und in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 26.02.2013 erklärt hatte, alle Rechnungen der Firma C. über die Herstellung dendritischer Zellen bezahlt zu haben, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 26.02.2013 ab.
41 
Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, hinsichtlich der Rechnung der Firma C. vom 07.07.2009 sei ein Überprüfungsantrag gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Streitgegenstand. Der (allein in Betracht kommende) Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V setze voraus, dass der Versicherte vor der Beschaffung der Leistung die Entscheidung der Krankenkasse über sein Leistungsbegehren abwarte. Die Klägerin habe die Gewährung einer Therapie mit dendritischen Zellen erstmals am 10.07.2009 beantragt. Aus der Rechnung der Firma C. vom 16.07.2009 gehe aber hervor, dass die bei der Klägerin applizierten Zellen bereits am 07.07.2009 hergestellt worden seien. An diesem Tag habe die Behandlung daher begonnen. Betrachte man alle Behandlungen mit dendritischen Zellen im Juli 2009, im Februar/März 2010 und im September/Oktober 2010 als Behandlungseinheit, könne die Klägerin schon mangels Einhaltung des Beschaffungswegs Kostenerstattung für die selbst beschaffte Leistung nicht beanspruchen. Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, sie habe die Behandlung mit dendritischen Zellen gewählt, weil sie leben wolle, stelle die Ablehnungsentscheidung der Beklagten insoweit keine Zäsur dar. Die Klägerin sei von Anfang an darauf festgelegt gewesen, weitere Behandlungen mit dendritischen Zellen vornehmen zu lassen. Nichts anderes gälte, wenn man jede Zellbehandlung - was vorzugswürdig sei - als neue Behandlungsleistung einstufen würde. Die Kostenübernahme für den zweiten Behandlungszyklus habe die Klägerin am 12.02.2010 beantragt. Nach der Rechnung der Firma C. vom 22.02.2010 seien die dendritischen Zellen hierfür aber bereits am 9.2.2010 hergestellt worden; die Beklagte habe den Antrag erst mit Bescheid vom 20.05.2010 abgelehnt. Für den dritten Behandlungszyklus, auf den sich die Rechnung der Firma C. vom 16.12.2010 beziehe, habe die Klägerin gar keinen Antrag bei der Beklagten mehr gestellt. Eine Notfallsituation, bei der die Entscheidung der Beklagten nicht habe abgewartet werden können, habe nicht vorgelegen.
42 
Der Klägerin stehe ein Leistungsanspruch auch in der Sache nicht zu. Die Therapie mit dendritischen Zellen stelle eine neue Behandlungsmethode dar, für die es eine (positive) Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht gebe. Systemversagen liege nicht vor. Für die Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen sei ein (Anerkennungs-)Antrag von den zuständigen Stellen nicht gestellt worden und dies sei offensichtlich auch nicht beabsichtigt. Die Klägerin könne ihr Leistungsbegehren schließlich nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -) zur grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bzw. auf § 2 Abs. 1a SGB V stützen. Zwar liege (unstreitig) eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Allerdings gebe es für die Anwendung dendritischer Zellen bei Schleimhautmelanomen kein wissenschaftlich ausreichendes Studienmaterial, aus dem auf eine durch Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf geschlossen werden könnte. Insoweit habe Prof. Dr. K. auf 46 Studien zur Behandlung des Melanoms mit dendritischen Zellen verwiesen. Zu den Ergebnissen dieser Studien habe er sich jedoch nicht geäußert, während im MDK-Gutachten des Kompetenz-Zentrums Onkologie vom 16.07.2012 auf diese Studien eingegangen und klargestellt werde, dass diese keinerlei Wirksamkeitsvorteile ergeben hätten, die größere Studie (Schadendorf, 2006) sogar negativ ausgefallen sei. Außerdem könnten die Studien nicht ohne Weiteres auf die bei der Klägerin vorliegende Sonderform des Melanoms übertragen werden. Die Behandlung mit dendritischen Zellen stelle - mit Ausnahme des Prostatakarzinoms - ein Verfahren dar, das sich noch in der wissenschaftlichen Entwicklung befinde. Die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen werde außerhalb klinischer Studien von der Deutschen Krebsgesellschaft nicht als Therapie empfohlen. Empfohlen werde vielmehr die Behandlung mit dendritischen Zellen nur innerhalb klinischer Studien. Die Deutsche Krebsgesellschaft fordere alle Ärzte auf, ihren Patienten von Therapieangeboten außerhalb von Studien auf privater Zahlungsbasis abzuraten und Patienten mit Informationsbedarf an ein entsprechendes Forschungs- und Studienzentrum zu verweisen (vgl. LSG Schleswig Holstein, Urt. v. 12.01.2012, - L 5 KR 49/10 -; LSG Hessen, Beschl. v. 27.08.2012, - L 8 KR 189/12 B ER - ; Stellungnahme der Deutschen Krebsgesellschaft vom 05.04.2011 - Presseinformation). Eine Kostenerstattung käme schließlich ohnehin nur für solche Behandlungen in Betracht, welche die Beklagte selbst rechtmäßig gewähren könnte. Der MDK habe insoweit darauf verwiesen, dass die Firma C. (unstreitig) nicht über eine behördliche Erlaubnis für die Herstellung dendritischer Zellen verfüge. Die Erteilung einer solchen Erlaubnis sei lediglich beantragt. Ob möglicherweise ein Ausnahmefall nach § 144 AMG in Verbindung mit § 2 und § 4 Abs. 9, Abs. 4b AMG vorliege, sei dahingestellt; es komme entscheidungserheblich darauf nicht an.
43 
Auf das ihr am 06.03.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.04.2013 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, auf Einzelheiten des Beschaffungswegs komme es nicht an, weil eine unaufschiebbare Leistung in Rede stehe. Sie sei unmittelbar auf die Inanspruchnahme einer Behandlung mit dendritischen Zellen angewiesen gewesen. Andernfalls hätte sie bereits binnen weniger Monate mit dem Tod rechnen müssen. Bei Leistungen, die nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs zu gewähren seien, müsse die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung nicht abgewartet werden. Auch in seinem Beschluss vom 06.12.2005 (a. a. O.) habe das BVerfG die Einhaltung des Beschaffungswegs jedenfalls offen gelassen. Sie stütze den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht unmittelbar auf § 13 Abs. 3 SGB V, sondern auf das Vorliegen einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung. Die Beklagte lehne die Gewährung dendritischer Zellbehandlungen grundsätzlich ab, weshalb man von ihr - zumal bei einem dringlichen Behandlungsfall - nicht vE. dürfe, eine erfahrungsgemäß langwierige Antragsbearbeitung und die absehbare Antragsablehnung abzuwarten. In Fällen, in denen sich die Krankenkasse losgelöst vom konkreten Behandlungsfall gegen eine neuartige Therapiemethode ausspreche, der Versicherte jedoch nach fachärztlicher Empfehlung auf einen unverzüglichen Therapiebeginn angewiesen sei, müsse die nachträgliche Antragstellung bei der Krankenkasse genügen. Sie habe im Übrigen nicht vor Antragstellung mit der Therapie begonnen. Die Herstellung der dendritischen Zellen sei mit dem Therapiebeginn nicht gleichzusetzen, sondern stelle lediglich die Voraussetzung für die (künftige) ärztliche Behandlung dar. Das Sozialgericht habe aus ihrer Äußerung zu Ende der mündlichen Verhandlung, am Leben bleiben zu wollen, zu Unrecht geschlossen, sie sei von vornherein auf die Behandlung mit dendritischen Zellen festgelegt gewesen. Auf die Möglichkeit, ihre Klage - ungeachtet der Erhebung eines Gutachtens - (schon) mangels Einhaltung des Beschaffungswegs abzuweisen, habe man sie nicht hingewiesen und ihr insoweit nicht rechtliches Gehör gewährt.
44 
Sie habe am 07.07.2009 die Gewährung bzw. Übernahme der Kosten einer dendritischen Zelltherapie beantragt. Diesen Antrag haben sie vorsorglich erneut am 12.02.2010 gestellt. Bei Erbringung der den Rechnungen der Firma C. vom 22.02.2010 und 16.12.2010 zu Grunde liegenden Behandlungen habe der Beklagten daher ein Leistungsantrag vorgelegen. Im Bescheid vom 09.10.2009 habe die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf die fehlende Anerkennung der Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und damit aus formal-rechtlichen Erwägungen abgelehnt. Die Ablehnungsgründe hätten auch für künftige Behandlungszyklen gegolten, weshalb sie einen erneuten Leistungsantrag als sinnlos hätte ansehen dürfen. Das Sozialgericht habe die Behandlung mit dendritischen Zellen auch zu Unrecht in unterschiedliche Behandlungszyklen aufgeteilt, die immer neu beginnen würden. Ihr behandelnder Arzt, PD Dr. G., gehe in aller Regel von einer einheitlichen und durchgehenden Immuntherapie, bestehend aus mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Zyklen, aus. Jeder Zyklus sei als Teil eines einheitlichen Therapieansatzes einzustufen, weshalb eine neue Indikationslage für die weitere Verabreichung dendritischer Zellen nicht erforderlich sei. Deswegen sei ein gesonderter Antrag vor jedem neuen Behandlungsschritt bzw. Zyklus nicht notwendig. Bei wiederkehrenden Behandlungsleistungen der vorliegenden Art setze die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse eine Zäsur mit der Folge, dass die Kostenerstattung (mangels Einhaltung des Beschaffungswegs) nur für die Zeit davor ausgeschlossen sei (vgl. LSG Schleswig Holstein, Urt. v. 12.01.2012, - L 5 KR 49/10 -; BSG, Urt. v. 25.09.2000, - B 1 KR 5/99 R -). Für seine davon abweichende Auffassung hätte das Sozialgericht wenigstens den behandelnden Arzt nach Inhalt und Ablauf der Immuntherapie befragen müssen.
45 
Ihr stehe auch der Sache nach ein Anspruch auf Gewährung der in Rede stehenden Immuntherapie als neuartige Behandlungsmethode zu. Dass es hierfür eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht gebe, stehe dem nicht entgegen. Für sie gebe es eine anerkannte Behandlungsmethode mit ebenso positiver wie risikofreier Wirkungsweise nicht. Das gehe aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. hervor. Prof. Dr. K. sei ein renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Onkologie, gerade im Bereich der malignen Melanome, und Koordinator des Hautkrebszentrums der Universitätsklinik E.. Die gegenteilige Auffassung des MDK könne nicht überzeugen. Das Fehlen klinischer Studien zur Behandlung ihrer Erkrankungen zeige gerade, dass sie auf die ihr angeratene Therapie mit dendritischen Zellen als ultima ratio angewiesen sei. Zumindest hätte das Sozialgericht ein weiteres (Ober-)Gutachten erheben oder Prof. Dr. K. zu den Einwendungen des MDK anhören müssen.
46 
Die Einschätzung der Deutschen Krebsgesellschaft aus dem Jahr 2011, wonach es der Behandlung mit dendritischen Zellen an einem ausreichenden Wirksamkeitsnachweis fehle, werde in der Wissenschaft nicht ausnahmslos geteilt. Für einen Leistungsanspruch nach Maßgabe einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs genüge es, wenn, außerhalb von klinischen Studien, zuverlässige und wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zu Qualität und Wirksamkeit der Behandlungsmethode vorlägen; um eine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode könne es in solchen Fällen naturgemäß nicht gehen. Außerdem genügten nach der Rechtsprechung des BVerfG auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussichten auf Heilung oder eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Dabei sei (auch) auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Der MDK habe das im Unterschied zu Prof. Dr. K. unterlassen und sich aus eher grundsätzlichen Erwägungen gegen die Therapie mit dendritischen Zellen ausgesprochen. Für die positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf genüge es, wenn zumindest das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten werde oder Komplikationen verhindert würden. Fehlten dabei theoretisch-wissenschaftliche Erklärungsmuster, könne im Einzelfall bei vertretbaren Risiken auch die bloße ärztliche Erfahrung für die Annahme eines Behandlungserfolges entscheidend sein, wenn sich diese Erkenntnisse durch andere Ärzte in ähnlicher Weise wiederholen ließen (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.06.2012, - L 11 KR 5856/09 -). Das sei hier der Fall. Relevante Risiken und Nebenwirkungen der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen seien bislang nicht aufgetreten oder bekannt geworden. Ein vom MDK und der Beklagten geforderter Wirksamkeitsnachweis sei nicht notwendig. Je schwerwiegender die Erkrankung, desto geringer müssten auch die Anforderungen an die Indizien für einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg ausfallen. Dabei könnten beim Fehlen evidenzbasierter Studien auch deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte und Meinungen anerkannter Experten oder Berichte von Konsensuskonferenzen in Betracht zu ziehen sein. Aus ihrer Sicht gebe es danach hinreichende Indizien für einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg. Man möge hierzu ggf. den Gutachter Prof. Dr. K. in der mündlichen Verhandlung befragen.
47 
Die Klägerin beantragt,
48 
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.02.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 06.08.2009 zurückzunehmen und ihr 12.601,79 EUR zu erstatten.
49 
Die Beklagte beantragt,
50 
die Berufung zurückzuweisen.
51 
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, aufgrund der lebensbedrohlichen Grunderkrankung habe eine Notfallsituation nicht vorgelegen. Das folge auch daraus, dass es sich bei der dendritischen Zelltherapie um eine adjuvante (unterstützende) Therapie gehandelt habe. Hypothetisch sei auch das postulierte Versterben innerhalb weniger Monate ohne Durchführung der begehrten Therapie. Aus den vorliegenden Gutachten gehe hervor, dass das klinisch erkennbare, lokal begrenzte Tumorgewebe vollständig operativ entfernt worden sei. Anhaltspunkte für Metastasen hätten nicht vorgelegen. Die weitere Therapie, ob nun durch Interferon oder durch dendritische Zellen, sei (nur) vorsorglich zur Minimierung eines letztendlich noch verbleibenden Restrisikos durchgeführt worden. Eine Ultima-Ratio-Therapie habe nicht vorgelegen, weil es Behandlungsalternativen gegeben habe. Die Klägerin habe den Leistungsantrag auch erst gestellt, als sie sich zur Behandlung mit dendritischen Zellen entschlossen gehabt habe. Andernfalls sei kaum erklärbar, dass der behandelnde Arzt bereits vor dem 07.07.2009 einen Herstellungsauftrag an das Labor (der Firma C.) erteilt habe.
52 
Die Firma C. hat unter dem 27.02.2014 mitgeteilt, sie habe die Herstellung autologer dendritischer Zellen im April 2012 eingestellt. Die Herstellungstätigkeit sei bis dahin unter der Verantwortlichkeit des PD Dr. G. gem. § 4b AMG ausgeübt worden. Die Herstellung dendritischer Zellen werde nunmehr von dem Labor PD Dr. G. (auf der Grundlage einer Anzeige nach § 67 AMG) vorgenommen. Die abschließende Erteilung einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG stehe noch aus.
53 
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat mit Schreiben vom 13.03.2014 (Bl. 51 LSG-Akte) dem Senat mitgeteilt, die Anwendung dendritischer Zellen zur Behandlung eines Schleimhautmelanoms oder anderer Erkrankungen sei bisher im Gemeinsamen Bundesausschuss nicht überprüft worden, auch sei ein entsprechender Antrag noch nicht gestellt worden. Schließlich bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für eine Antragspflicht vorlägen.
54 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
55 
Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem geltend gemachten Erstattungsbetrag von über 12.000 EUR überschritten. Die Berufung ist auch sonst zulässig (§ 151 SGG). Sie ist auch begründet. Die Beklagte hat die Erstattung der Aufwendungen der Klägerin für die Behandlung ihrer Krebserkrankung mit dendritischen Zellen mit den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht abgelehnt.
56 
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Beklagte der Klägerin 12.601,79 EUR zu erstatten hat, die die Klägerin der Firma C. auf deren Rechnungen vom 16.07.2009, 22.02.2010 und 16.12.2010 gezahlt hat. Die Erstattung des Betrags der Rechnung vom 16.07.2009 war bereits Gegenstand des Bescheids vom 06.08.2010. Ob der Widerspruch gegen diesen Bescheid tatsächlich von der Klägerin am 08.10.2009 fernmündlich zurückgenommen wurde und ob ein nicht weiter bestätigter Telefonvermerk eines Mitarbeiters der Beklagten ausreicht, das Widerspruchsverfahren einzustellen, kann offenbleiben. Da die Klägerin mit dem eingereichten Schreiben vom 09.02.2010 die Übernahme der gesamten Kosten der bisherigen Behandlung mit dendritischen Zellen verlangt hat, bezieht sich der Bescheid vom 20.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2010 nicht nur auf die Rechnungen vom 22.02.2010 und 16.12.2010, sondern auch auf die Rechnung vom 16.07.2010. Jedenfalls der Widerspruchsbescheid vom 28.09.2010 enthält eine abschließende Stellungnahme der Beklagten zum gesamten Behandlungskomplex mit dendritischen Zellen als Folge des im Juni 2009 operativ entfernten Schleimhautmelanoms der Klägerin. Das SG hat deshalb zu Recht in diesen Bescheiden eine inzidente Ablehnung eines Antrags nach § 44 SGB X in Bezug auf den Bescheid vom 06.08.2009 gesehen. Die Beklagte hat die erneute Überprüfung des Bescheids nach § 44 SGB X durch den Senat im Berufungsverfahren auch nicht in Frage gestellt.
I.
57 
Rechtsgrundlage des mit Klage und Berufung verfolgten Erstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Die Vorschrift bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift sieht in Ergänzung des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst beschaffen musste, weil sie von der Krankenkasse als Sachleistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. etwa BSG, Urt. v. 02.11.2007, - B 1 KR 14/07 R -; Urt. v. 14.12.2006, - B 1 KR 8/06 R -).
58 
Der hier allein in Betracht kommende Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V setzt die rechtswidrige Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und grundsätzlich auch einen Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Leistungsbeschaffung durch den Versicherten voraus. Die rechtswidrige Ablehnung der Leistung scheidet für solche (selbst beschaffte) Leistungen von vornherein aus, die von den Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung nicht zu erbringen sind. Der Kostenerstattungsanspruch gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB V reicht nämlich nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Der Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Leistungsablehnung und Leistungsbeschaffung durch den Versicherten fehlt, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urt. v. 30.06.2009, - B 1 KR 5/09 R -; vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sowie ab 01.01.2013 die Beschleunigungsvorschrift in § 13 Abs. 3a SGB V).
59 
§ 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V darf nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 19.03.2009 - 1 BvR 316/09) nicht in der Weise ausgelegt werden, dass er für einen bestehenden Leistungsanspruch die Funktion eines anspruchsvernichtenden Tatbestands entwickelt. Dies gilt erst recht, wenn - wie nachstehend aufgezeigt - bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts des SGB V ein Anspruch auf Behandlung mit dendritischen Zellen besteht, den die Beklagte von Anfang an als Sachleistung hätte gewähren müssen und den sie in der Folge zu Unrecht abgelehnt hat. Bei der Rechtsanwendung im Einzelfall müssen dann die grundrechtlichen Maßgaben insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berücksichtigt werden, namentlich, wenn erhebliche und nicht wiedergutzumachende Schäden für Leib und Leben drohen (Art. 2 Abs. 2 GG) und der Versicherte deswegen existentielle Leistungen der Krankenversicherung begehrt. Auch insoweit gilt, dass sich das Gericht (genauso wie die Krankenkasse) schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen muss (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -; auch Senatsbeschluss vom 11.09.2012, - L 5 KR 2797/12 ER-B - zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung). Das verbietet es, im Einzelfall überzogene und damit unverhältnismäßige Verfahrenserfordernisse nicht nur für den Zugang des Versicherten zu den Leistungen der Krankenkasse, sondern auch für die Selbstbeschaffung einer Leistung und die Erstattung der hierfür entstandenen Aufwendungen nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 SGB V aufzustellen. Gerade in den Fällen des § 2 Abs. 1a SGB V, also bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden bzw. wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen wird es daher vielfach genügen müssen, wenn der Versicherte sich mit seinem Leistungsbegehren unverzüglich an die Krankenkasse wendet und dieser daher jedenfalls eine zeitnahe Prüfung ermöglicht wird. Einzelheiten des Beschaffungswegs werden dann für den Erstattungsanspruch keine ausschlaggebende Rolle spielen können, vielmehr wird die Krankenkasse und im Streitfall das Gericht zu prüfen haben, ob das Erstattungsverlangen in der Sache berechtigt ist.
II.
60 
Rechtsgrundlage des dem Kostenerstattungsanspruch zugrunde liegenden Leistungsanspruchs auf Gewährung ärztlicher Behandlung ist § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V) auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung bzw. Arzneimittelversorgung unterliegt den für alle Leistungsansprüche (§ 11 SGB V) geltenden allgemeinen Maßgaben der §§ 2, 12 SGB V. Gem. § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Versicherten erhalten die ihnen danach zustehenden Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V nichts anderes vorsieht.
1.)
61 
Bei der Versorgung der Versicherten mit ärztlicher Heilbehandlung ist hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 07.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (vgl. BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R - m.w.N.). Ohne befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht (zu alledem auch Senatsurteil vom 30.8.2006, - L 5 KR 281/06 -). Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst „Methoden“, also Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden (BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -); dazu können ggf. auch über die bloße Verabreichung von Arzneimitteln hinausgehende Pharmakotherapien zählen.
62 
Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 01.01.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 01.01.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (zur Maßgeblichkeit des EBM auch BSG, Urt. v. 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 01.01.1989 oder erst nach dem 01.01.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Behandlungsmethode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V erklärt hatte (BSG; Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -). Eine Behandlungsmethode kann auch dann als „neu“ zu beurteilen und deshalb der besonderen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätskontrolle zu unterwerfen sein, wenn sie sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener - für sich jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammensetzt (BSG; Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -).
63 
Näheres zur Arzneimittelversorgung der Versicherten ist in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V geregelt. Danach besteht Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der (krankenversicherungsrechtliche) Arzneimittelbegriff in §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 SGB V knüpft an den (verwaltungsrechtlichen) Arzneimittelbegriff des AMG an. Dieser ist in der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG festgelegt; weitere Begriffsbestimmungen enthält § 4 AMG. Gem. § 2 Abs. 1. AMG sind Arzneimittel (u.a.) Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im menschlichen Körper Krankheiten zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen; Stoffe in diesem Sinne sind gem. § 3 Nr. 3 AMG auch menschliche Stoffwechselprodukte in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand, also auch Blut und Blutplasma (Rehmann, AMG § 3 Rdnr. 2). Gem. § 4 Abs. 2 AMG sind Blutzubereitungen Arzneimittel, die aus Blut gewonnene Blut-, Plasma- oder Serumkonserven, Blutbestandteile oder Zubereitungen aus Blutbestandteilen sind oder als Wirkstoffe enthalten. § 4 Abs. 9 AMG (i. d. F. des Gesetzes v. 17.07.2009, BGBl. I, S. 1990, gültig ab 23.07.2009) bestimmt, dass (u.a.) somatische Zelltherapeutika (i. S. d. in dieser Vorschrift genannten EG-Verordnungen) Arzneimittel für neuartige Therapien sind. Das aus dem Blut des Patienten durch Beladung mit Antigenen hergestellte Präparat mit dendritischen Zellen stellt ein (zelluläres) Arzneimittel (Blutzubereitung bzw. somatisches Zelltherapeutikum nach § 4 Abs. 2, 9 AMG) dar (vgl. dazu auch etwa OLG München, Urt. v. 16.11.2005, - 20 U 3950/05 - sowie DÖSGHO-Jahrestagung, veröffentlicht unter www://haematologie-onlologie.universimed.com/artikel). Damit unterliegt die Herstellung dendritischer Zellen und deren Anwendung im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V den Maßgaben des Arzneimittelrechts.
64 
Hinsichtlich der Herstellung dendritischer Zellen ist gem. § 20b Abs. 1 und 4 AMG (eingeführt durch Gesetz v. 20.07.2007, BGBl. I. S. 1574 zum 01.08.2007) im Grundsatz eine behördliche Erlaubnis notwendig. Hinsichtlich der Arzneimittel für neuartige Therapien nach § 4b AMG (eingeführt durch Gesetz v. 17.07.2009, a. a. O. zum 23.07.2009), also für Arzneimittel, die als individuelle Zubereitung für einen einzelnen Patienten ärztlich verschrieben, nach spezifischen Qualitätsnormen nicht routinemäßig hergestellt und in einer spezialisierten Einrichtung der Krankenversorgung unter der fachlichen Verantwortung eines Arztes angewendet werden (§ 4b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AMG) sind in der (ebenfalls ab 23.07.2009 geltenden) Vorschrift des § 144 AMG Übergangsregelungen getroffen worden. Danach gilt (u.a.): Wer die in § 4b Abs. 1 AMG genannten Arzneimittel für neuartige Therapien am 23.07.2009 befugt herstellt und bis zum 01.012010 eine Herstellungserlaubnis beantragt, darf diese Arzneimittel bis zur Entscheidung über den gestellten Antrag weiter herstellen.
65 
Hinsichtlich des Inverkehrbringens dendritischer Zellen ist die für Fertigarzneimittel, wozu auch außerhalb der Apotheke gewerblich hergestellte Rezepturarzneimittel gehören (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG), gem. § 21 Abs. 1 AMG an sich notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung nicht erforderlich. Gem. § 21 Abs. 2 Nr. 1a AMG bedarf es einer Zulassung nämlich nicht für Arzneimittel, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehenen Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden; dies trifft auf das in Rede stehende zelluläre Arzneimittel zu. Nach näherer Maßgabe des § 21a Abs. 1 AMG kann demgegenüber ggf. eine Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde erforderlich sein (vgl. § 21a Abs. 1 Satz 3: Blutstammzellzubereitungen zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehenen Anwendung).
2.)
66 
Bei der Anwendung von Arzneimitteln können die Maßgaben des Arzneimittelrechts, insbesondere arzneimittelrechtliche Verkehrsverbote mit ihren Folgewirkungen für das Krankenversicherungsrecht (dazu näher etwa Senatsbeschluss vom 11.09.2012, - L 5 KR 2797/12 ER-B -: Botoxinjektion zur Blasenvergrößerung), und der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer ärztlicher Behandlungsmethoden gem. § 135 Abs. 1 SGB V gleichzeitig anzuwenden sein. Für die Abgrenzung der Pharmakotherapie durch bloße Verabreichung eines Arzneimittels - auch im Wege der Injektion - von der Pharmakotherapie als ärztliche Behandlungsmethode kommt es darauf an, welches Gewicht der ärztlichen Tätigkeit für den Therapieerfolg zukommt (vgl. näher BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -, LSG Baden-Württemberg, Urt. v. Urt. v. 15.5.2012, - L 11 KR 5817/10 -). Ist diese im Rahmen eines Zusammenspiels von ärztlicher Kunst und Arzneimittelgabe ebenso wichtig wie das Wirkprinzip des in den Körper eingebrachten Stoffes, liegt in jedem Fall eine über die schlichte Verabreichung eines Arzneimittels hinausgehende ärztliche Behandlungsmethode vor. Die Anforderungen des Krankenversicherungsrechts sind dann ggf. im Erlaubnisverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu prüfen. Dessen krankenversicherungsrechtliche Prüfung kommt zur ggf. notwendigen arzneimittelrechtlichen Prüfung durch die hierfür zuständige Verwaltungsbehörde hinzu (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -). Für solche Pharmakotherapien besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse daher erst dann, wenn die aus dem Arzneimittelrecht folgenden leistungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen und die krankenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine neue Behandlungsmethode kumulativ erfüllt sind, wenn also weder ein arzneimittelrechtliches Verkehrsverbot noch der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt das verwendete Arzneimittel erfasst (BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 -; auch dazu Senatsbeschluss vom 11.09.2012, - L 5 KR 2797/12 ER-B -). Das gilt nach Auffassung des Senats für die Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen als Anwendung eines zellulären Arzneimittels für neuartige Therapien i. S. d. § 4 Abs. 9 AMG. Dabei handelt es sich (wovon ersichtlich auch die Beteiligten ausgehen) nicht um die bloße Verabreichung eines Arzneimittels, sondern um eine ärztliche Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V.
3.)
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt und des Fehlens einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde und damit ein „Systemversagen“ vorliegt. Dann ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien nämlich rechtswidrig unterblieben, weshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (näher BSGE 81, 54 sowie BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -). Auch bei Krankheiten, die wegen ihrer Seltenheit praktisch nicht systematisch erforschbar sind, muss die Behandlung aus dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht schon mangels entsprechender Empfehlung des Bundesausschusses ausscheiden (vgl. dazu BSGE 93,236).
68 
Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG können sich (ansonsten nicht bestehende) Leistungsansprüche darüber hinaus auch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben. In seinem Beschluss vom 06.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig.
69 
Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach - so etwa BSG Urt. v. 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht bei BSG, Urt. v. 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es muss eine durch nahe Lebensgefahr individuelle Notlage gegeben sein, wobei das BVerfG es in einer speziellen Situation (Apharesebehandlung in einem besonderen Fall) hat ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschl. 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -).
70 
Diese Grundsätze sind auf die Arzneimittelversorgung übertragen worden. Sie können ggf. einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln begründen, die arzneimittelrechtlich noch gar nicht oder nicht für den in Rede stehenden Anwendungsbereich zugelassen sind. Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln - aber dargelegt, dass an das Krankheits-Kriterium (im Sinne der vorstehend unter 1. genannten Voraussetzung) strengere Anforderungen zu stellen sind als an das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use (vgl. BSG, Urt. v. 08.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -; auch BSG, Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -).
71 
In der seit 01.01.2012 geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG entwickelten Rechtgrundsätze zu grundrechtsfundierten Leistungsansprüchen in das SGB V aufgenommen. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind die Maßgaben der genannten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG heranzuziehen (Senatsurteil vom 14.03.2012, - L 5 KR 5406/11 -).
III.
72 
Davon ausgehend steht der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von PD Dr. G. in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführte Behandlung mit dendritischen Zellen zu. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V sind erfüllt. Die Klägerin hat den in dieser Vorschrift vorgesehenen Beschaffungsweg eingehalten (unten 1). Die Beklagte hat die von der Klägerin selbstbeschaffte Leistung auch zu Unrecht abgelehnt (unten 2). Auch die Übrigen Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs sind erfüllt (unten 3).
1.)
73 
Die Klägerin hat sich die Behandlung ihrer Krebserkrankung mit dendritischen Zellen durch PD Dr. G. ohne Missachtung des in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V vorgesehenen Beschaffungswegs selbst beschafft. Die Frage nach der Einhaltung des Beschaffungswegs kann sich dabei nur auf die Rechnungen beziehen, die vor der grundsätzlichen Ablehnungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 06.08.2009 ergangen sind, das ist hier allein die Rechnung vom 16.07.2009. Die Klägerin hat nämlich mit ihrem Antrag vom 09.07.2009 initial für die gesamte Behandlung mit dendritischen Zellen den Antrag auf Kostenfreistellung bei der Beklagten gestellt; das genügt (BSG Urt. v. 07.05.2013 - B 1 KR 44/12 R - Juris Rn 30). Eine Beschränkung lediglich auf die im Juli 2009 angefallenen Kosten lässt sich diesem Antrag nicht entnehmen. Im Übrigen stellen sich die einzelnen Behandlungszyklen als unselbständige (Teil-)Leistungen der auf die Verhinderung der Metastasenbildung gerichteten adjuvanten Behandlung der Klägerin nach der operativen Entfernung des Tumorgewebes dar, weshalb es mit dem (rechtzeitigen) Herantragen des Leistungsbegehrens an die Beklagte hinsichtlich des ersten Behandlungszyklus sein Bewenden haben muss.
74 
Die Klägerin, die an einem im Juni 2009 diagnostizierten Schleimhautmelanom und damit - wie Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 03.02.2012 dargelegt hat - an einer seltenen Untergruppe des Melanoms mit wesentlich schlechterer Prognose als das Hautmelanom (kutane Melanom) leidet, ist am 05.06.2009 und am 13.07.2009 durch Exzision des Tumors und Nachresektion operativ behandelt worden. Die (weitere) Behandlung mit dendritischen Zellen ist danach im Juli 2009 aufgenommen und in mehreren Behandlungszyklen durchgeführt worden. Die Klägerin hat sich - hinsichtlich des ersten Behandlungszyklus - erstmals am 09.07.2009, also noch vor der operativen Tumornachresektion am 13.07.2009, wegen einer sich an die operative Therapie anschließenden (adjuvanten) Nachbehandlung mit dendritischen Zellen (zur Metastasenprophylaxe) an die Beklagte gewandt und die Gewährung dieser Behandlung als Sachleistung beantragt. Sie hat sich nicht von vornherein außerhalb des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt, um sich von dort ohne weitere Prüfung durch die Krankenkasse eine vom Leistungskatalog nicht umfasste Behandlungsleistung zu verschaffen, sondern sie hat die Beklagte nach Lage der Dinge unverzüglich mit dem Leistungsbegehren konfrontiert und eine zeitnahe Prüfung ermöglicht. Dass mit der Herstellung der dendritischen Zellen wenige Tage vor Antragstellung - am 07.07.2009 - begonnen worden ist, ist demgegenüber unschädlich, ohne dass es noch darauf ankäme, ob man den Behandlungsbeginn der dendritischen Zelltherapie auf diesen Tag oder den Tag der erstmaligen Verabreichung der dendritischen Zellen festzulegen hätte. Angesichts der Gefahr einer Metastasierung der schweren Krebserkrankung und der damit verbundenen Todesgefahr ist es im Hinblick auf das Grundrecht der Klägerin auf Leben und Gesundheit bzw. die daraus folgenden Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu vereinbaren, ihr zur Vermeidung einer etwaigen Kostenbelastung vor der Aufnahme der in Rede stehenden Behandlung zur Metastasenprophylaxe auch das Abwarten einer (Ablehnungs-)Entscheidung der Beklagten abzuvE. (ebenso BSG Urt. v. 12.09.2012 - B 3 KR 20/11 R - Juris Rn 12 für den Fall einer verzögerten Entscheidung über eine Hilfsmittelgewährung), zumal angesichts der zu erwartenden Einschaltung des MDK mit einem länger dauernden Verwaltungsverfahren zu rechnen gewesen ist. Bei dieser Sachlage kommt es nicht in Betracht, den geltend gemachten Erstattungsanspruch schon wegen der Einzelheiten des Beschaffungsvorgangs abzulehnen, vielmehr ist eine Sachprüfung erforderlich.
2.)
75 
Die Beklagte hat die Gewährung der beantragten Behandlung mit dendritischen Zellen zu Unrecht abgelehnt. Die Beklagte hätte der Klägerin die in Rede stehende Behandlung nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs als Sachleistung gewähren müssen (unten a). Vorschriften des Arzneimittelrechts stehen dem nicht entgegen (unten b).
a.)
76 
Die Klägerin hatte Anspruch auf die Behandlung ihrer Krebserkrankung mit dendritischen Zellen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
77 
Bei der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode i. S. d § 135 Abs. 1 SGB V; für diese ärztliche Leistung ist eine Leistungsposition im EBM nicht vorhanden. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses existiert nicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist mit der hier streitigen Behandlung des Schleimhautmelanoms mit dendritischen Zellen auch nicht befasst, wie er gegenüber dem Senat mit Schreiben vom 13.03.2014 dargelegt hat. Anhaltspunkte für ein so genanntes Systemversagen liegen nicht vor (Senatsbeschluss vom 16.05.2011, - L 5 KR 970/11 ER-B -). Bei dem Schleimhautmelanom, an dem die Klägerin leidet, handelt es sich zwar um eine seltene Untergruppe des Melanoms, jedoch nicht um eine wegen ihrer Seltenheit systematisch gar nicht erforschbare Krankheit. Hierüber herrscht unter den Beteiligten ersichtlich kein Streit. Danach kommt ein Leistungsanspruch nur nach Maßgabe der vom BVerfG (Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -) vorgenommenen grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (jetzt: § 2 Abs. 1a SGB V) in Betracht. Die in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind erfüllt.
78 
Die Klägerin leidet (unstreitig) an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Das Schleimhautmelanom, an dem sie erkrankt ist, hat, wie aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. hervorgeht, eine äußerst schlechte und (noch) ungünstigere Überlebensprognose als das kutane Melanom (der Haut) mit einer mittleren Überlebenszeit von 10 bis 13 Monaten. Über 90% der Patienten versterben innerhalb von 5 Jahren. Entgegen der Auffassung der Beklagten (und des MDK, etwa Gutachten des Dr. G. vom 05.10.2009) scheitert die Leistungsgewährung auch nicht am Erfordernis einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage. Das BVerfG hat hierfür ersichtlich stets auf den Einzelfall abgestellt und eine rein zeitliche Betrachtung nicht vorgenommen, etwa auch ausreichen lassen, dass in Sonderfällen der Tod voraussichtlich erst in einigen Jahren eintreten wird (Beschl. v. 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -). Auch die Unterscheidung zwischen einer adjuvanten und einer kurativen Behandlungssituation, auf die sich der MDK stützen will, ist für die hier maßgebliche grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Behandlung mit dendritischen Zellen hat nach der operativen Entfernung des Tumorgewebes zum Ziel, die Bildung von Metastasen zu verhindern. Nur dann besteht Aussicht auf eine Heilung der Krebserkrankung. Sind demgegenüber Metastasen aufgetreten, bestehen praktisch keine aussichtsreichen Behandlungsmöglichkeiten mehr und es muss mit einem (baldigen, innerhalb von Monaten eintretenden) Tod des Patienten gerechnet werden. Der Senat entnimmt dies dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. K.. Danach liegt die (sehr) schlechte Prognose des Schleimhautmelanoms (u.a.) daran, dass es rasch zu Fernmetastasen kommt. Ist es dazu gekommen, besteht allenfalls noch eine Therapieoption durch Yervoy, was aber nur bei maximal 10% der Patienten einen längeren Nutzen hat (mit schweren Nebenwirkungen bei 30% der Patienten). Bei dieser Sachlage gibt es keine Zwischenzeit zwischen der operativen Entfernung des Tumorgewebes und dem jedenfalls im Stadium der Heilungsbewährung stattfindenden Auftreten von Metastasen, während der die für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs notwendige individuelle Notlage naher Lebensgefahr nicht bestünde und während der zunächst das ohne adjuvante Therapie (erst recht) zu erwartende Auftreten von Metastasen abzuwarten wäre. Die vorliegende Fallgestaltung ist nach Ansicht des Senats mit der Fallgestaltung eines Prostatakarzinoms im Anfangsstadium ohne Hinweis auf metastatische Absiedlungen (vgl. BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -) nicht vergleichbar. Der These, eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs sei auf die Situation der Rezidivprophylaxe nicht anwendbar (vgl. etwa LSG Schleswig- Holstein, Urt. v. 08.09.2011, L 5 KR 97/10 -), kann sich der Senat jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht anschließen; sie findet in der Rechtsprechung des BVerfG keine ausreichende Stütze.
79 
Damit ist vorliegend letztendlich ausschlaggebend, ob für die - konkrete - Erkrankung der Klägerin eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht, und, wenn dies nicht festgestellt werden kann, ob für die bei ihr angewandte Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen eine durch Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Da für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs die Grundrechte des jeweiligen Versicherten und die diesem bei Verweigerung der Leistung im Einzelfall drohenden Grundrechtseingriffe bzw. Grundrechtsverletzungen maßgeblich sind, findet eine vom Einzelfall gelöste abstrakte Betrachtung, etwa im Sinne einer abstrakten wissenschaftlich-medizinischen Methodendiskussion, nicht statt.
80 
Für die adjuvante Therapie des Schleimhautmelanoms der Klägerin steht nach Auffassung des Senats eine allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende und die Anwendung der in Rede stehenden Alternativtherapie verdrängende Behandlungsmethode nicht zur Verfügung. Die Beklagte verweist (gestützt auf das MDK-Gutachten des Prof. Dr. H.) auf eine Interferonbehandlung, die man als eine Art „Analogbehandlung“ entsprechend der Behandlung des kutanen Melanoms auch beim (mit dem kutanen Melanom tumorbiologisch jedoch nicht ohne Weiteres gleichzusetzenden) Schleimhautmelanom anwenden könne. Die Wirksamkeit einer solchen Therapie wird aber - wenn auch gestützt durch eine von Prof. Dr. H. angeführte Phase-II-Studie in den USA - nur vermutet. Demgegenüber hat Prof. Dr. K. in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass es eine wirksame adjuvante Therapie zur Verhinderung einer Fernmetastasierung beim Schleimhautmelanom nicht gibt und darauf verwiesen, dass Patienten mit Schleimhautmelanomen von den Interferonstudien (gerade) ausgeschlossen werden. Die Erfahrungen mit der mangels Alternativen notgedrungen eingesetzten Interferon- und Chemotherapie hat Prof. Dr. K. als unbefriedigend eingestuft; sie würden nur „anekdotenhaft“ in Übersichtsarbeiten erwähnt. In der Literatur findet sich - so Prof. Dr. K. - keine einzige Publikation, die über eine wirksame adjuvante Therapie beim Schleimhautmelanom berichtet.
81 
Prof. Dr. H. hat im MDK-Gutachten vom 16.07.2012 der Auffassung des Prof. Dr. K. im Kern zugestimmt und ebenfalls dargelegt, dass es eine zugelassene adjuvante Therapie zur Verhinderung von Fernmetastasen beim anorektalen Melanom (dem Schleimhautmelanom der Klägerin) nicht gibt. Hierfür bestehen - so Prof. Dr. H. - nahezu keine gesicherten Erkenntnisse. Es finden sich vielmehr nur - und seien es auch deutliche - Hinweise in der wissenschaftlichen Literatur, dass Patienten mit anorektalem Melanom in Analogie zu Patienten mit kutanem Melanom behandelt werden, wie es in der Onkologie auch bei anderen Tumorentitäten gehandhabt wird. Der Erfolg der letztendlich auf die Vermutung einer (tumorbiologischen) Vergleichbarkeit des Schleimhautmelanoms mit dem kutanen Melanom gestützten Interferonbehandlung ist im Übrigen schon beim kutanen Melanom sehr gering; weniger als 10% der Patienten haben davon einen Nutzen. Insgesamt besteht daher nach der überzeugenden Auffassung des Prof. Dr. K. für die Wirksamkeit der der Klägerin im Tumorboard des Comprehensive Cancer Center U. vorgeschlagenen Interferontherapie beim Schleimhautmelanom jeglicher Anhalt und es muss auf der Grundlage der publizierten Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass ihr eine Interferontherapie keinen Nutzen gebracht hätte. Sie kann damit nicht auf diese Therapie als Standardtherapie verwiesen werden. Dem ist im MDK-Gutachten des Prof. Dr. H. nichts wirklich Überzeugendes entgegengesetzt. Prof. Dr. H. hat sich der Sache nach mit einer eher vom Erkrankungsfall der Klägerin abstrahierenden Methodendiskussion befasst, etwa indem er es als gültige Lehrmeinung bezeichnet, Patienten mit malignen Melanomen (in einem bestimmten Stadium) eine adjuvante Interferontherapie unter sorgfältiger Abwägung und Aufklärung anzubieten; damit wird nicht ausreichend klar auf den Behandlungsfall der Klägerin eingegangen. Die Schlussfolgerung des Prof. Dr. H., für diese stehe mit der Interferontherapie - und das auch nur grundsätzlich - eine Standardtherapie zur adjuvanten Behandlung des malignen Melanoms zur Verfügung, ist im Kern zu allgemein gehalten. Der Senat kann ihr angesichts der überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. K., denen sich Prof. Dr. H. in wesentlichen Teilen auch angeschlossen hat, nicht folgen. Die Klägerin ist auch nicht auf eine weitere Operation, etwa die Entfernung von Wächterlymphnoten (MDK-Gutachten des Prof. Dr. H.) zu verweisen. Prof. Dr. K. hat in seinem Gutachten insoweit schlüssig dargelegt, dass die Überlebensprognose der Klägerin weder durch eine größere lokale Operation noch durch eine diagnostische oder elektive Lymphknotenexstirpation/-dissektion zu verbessern wäre. Außerdem ist Gegenstand des vorliegenden Streits keine (weitere) operative Heilbehandlung, sondern eine adjuvante Heilbehandlung durch Anwendung eines zellulären Arzneimittels zur Metastasenprophylaxe.
82 
Hinsichtlich der bei der Klägerin durch PD Dr. G. (ärztlich) angewandten Behandlung des Schleimhautmelanoms mit dendritischen Zellen besteht eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
83 
Der Anspruch des Versicherten auf Gewährung ärztlicher Behandlung (§§ 27, 28 SGB V) als Sachleistung im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (bzw. jetzt nach Maßgabe des § 2 Abs. 1a SGB V) erfordert nach der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG nicht, dass die begehrte Behandlungsmethode bereits als Standard etabliert ist und dass ihre Wirksamkeit durch größere kontrollierte oder belastbare Studien (bereits) bewiesen ist oder dass sie Eingang in die klinische Routine gefunden hat; die entsprechenden Postulate im MDK-Gutachten des Dr. G. vom 08.10.2009 und auch im MDK-Gutachten des Dr. B. vom 12.05.2010 sowie im MDK-Gutachten des Prof. Dr. H. sind zu eng und so mit den verfassungsgerichtlichen Maßgaben der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs nicht vereinbar. Ein grundrechtsfundierter (bzw. in § 2 Abs. 1a SGB V verankerter) Leitungsanspruch ist auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil die zuständige medizinische Fachgesellschaft - hier die Deutsche Krebsgesellschaft - die in Rede stehende Behandlungsmethode nicht als Therapie empfiehlt. Empfehlungen dieser Art haben tatsächliches Gewicht, jedoch keine den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nahekommende Ausschlusswirkung. Davon abgesehen hat die Deutsche Krebsgesellschaft die Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen in ihrer Stellungnahme vom 03.11.2011 zur Therapie von Tumorpatienten mit onkologischen Viren auch nicht allgemein abgelehnt, sondern darauf verwiesen, dass hinsichtlich der onkologischen Virentherapie - die der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen entspricht - bei in der Regel sehr guter Verträglichkeit in einzelnen Fällen eine gute Wirksamkeit dokumentiert worden ist. Bedenken werden vor allem in Hinblick auf (derzeit nicht) auszuschließende negative Auswirkungen geäußert. Die Deutsche Krebsgesellschaft empfiehlt die in Rede stehende Behandlung - immerhin - im Rahmen klinischer Studien. Ungeachtet des negativen Tenors sind der genannten Empfehlung damit - worauf alleine es für die Gewährung eines grundrechtsfundierten Leistungsanspruchs ankommt - (sogar) Indizien für eine nicht ganz fern liegende positive Wirkung der dendritischen Zellbehandlung zu entnehmen. Hinzukommt als weiteres stützendes Indiz, dass - so Prof. Dr. K. in seinem Gutachten - in fast allen von ihm gesichteten Studien zur Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen von einem klinischen Ansprechen bei einem Teil der Patienten berichtet wird mit Ansprechraten bei der Tumorentität Melanom von wenigen Prozent bis (immerhin) 30 %; in 14 von 46 Studien wird sogar über komplette Remissionen, die auch andere Tumorentitäten (wie Nierenzellkarzinom oder Lymphom) betreffen, berichtet. Dass es sich bei diesen Studien in der großen Mehrheit um Phase-I/II-Studien mit in der Regel bis zu 30 Patienten handelt, ist unerheblich. Im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs kommt es nicht auf einen - möglichst weitgehenden - Wirksamkeitsnachweis, sondern nur darauf an, ob eine nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf auf (bloße) Indizien gestützt werden kann. Außerdem liegen (immerhin) 2 randomisierte Phase-III-Studien zur Behandlung des Prostatakarzinoms mit dendritischen Zellen vor. Der indiziellen Wirkung der von Prof. Dr. K. angeführten Studienergebnisse wird man nicht ohne Weiteres die Unterschiede der Tumorentitäten entgegenhalten dürfen, nachdem die Beklagte hinsichtlich der etablierten Behandlungsmethoden ebenfalls einen Analogschluss von der Wirksamkeit der Interferontherapie beim kutanen Melanom auf eine entsprechende Wirksamkeit beim Schleimhautmelanom vornimmt und „Analogbehandlungen“ - so Prof. Dr. H. in seinem MDK-Gutachten - in der Onkologie auch bei anderen seltenen Tumorarten praktiziert werden.
84 
Bei dieser Sachlage kann der an einer schweren Krebserkrankung leidenden Klägerin die Behandlung des Schleimhautmelanoms mit dendritischen Zellen ohne Grundrechtsverstoß nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung versagt werden, zumal - wie Prof. Dr. K. in Einklang mit der Deutschen Krebsgesellschaft dargelegt hat - (nur) mit eher milden Nebenwirkungen gerechnet werden muss. Die begehrte Behandlungsmethode enthält als Krebsbehandlung mit zellulären Arzneimitteln im Rahmen neuartiger Therapien (vgl. §§ 4 Abs. 9, 4b AMG) keine „unseriösen“ Heilungsversprechen, für deren Kosten die Versichertengemeinschaft nicht aufzukommen braucht, stellt vielmehr eine (seriöse) ärztliche Behandlungsmethode dar, der Prof. Dr. K. als Koordinator des Hautkrebszentrums der Universitätsklinik E. bei der Krebserkrankung der Klägerin in der Summe ein viel höheres Potenzial als den unspezifischen Immuntherapien mit Interferon oder Yervoy beimisst. Die Beklagte und ersichtlich auch der MDK werden mit ihrer (zu engen) Auffassung den besonderen Leistungsanforderungen, die den gesetzlichen Krankenkassen nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aus den Grundrechten der Versicherten erwachsen, im vorliegenden Fall nicht ausreichend gerecht (anders etwa LSG Hessen, Beschl. v. 28.03.2013, - L 8 KR 68/13 ZVW - ; LSG, Urt. v. 12.01.2012, - L 5 KR 49/10 -; zum Recht der beamtenrechtlichen Beihilfe etwa VGH Baden-Württemberg Urt. v. 14.07.2010, - 11 S 2730/09 -). Der Senat sieht sich mit dieser Rechtsprechung im Wesentlichen in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 26.2.2013, - 1 BvR 2045/12 -; zum Recht der privaten Krankenversicherung etwa BGH, Urt. v. 30.10.2013, - IV ZR 307/12 -).
b).
85 
Die auch im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachtenden Maßgaben des Arzneimittelrechts stehen der Leistungsgewährung nicht entgegen.
86 
Hinsichtlich der Herstellung der bei der Klägerin durch PD Dr. G. im mehreren Behandlungszyklen applizierten dendritischen Zellen als zelluläres Arzneimittel für neuartige Therapien (§§ 4 Abs. 9, 4b AMG) ist, wie der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. K. entnimmt, ein übliches Verfahren angewendet worden. Dass es keinen allgemein Herstellungsstandard gibt, ist nicht maßgeblich. Die Einwendungen im MDK-Gutachten des Prof. Dr. H., der offenbar die angewandte Herstellungsmethode in ihrer Eigenart nicht hat nachvollziehen können, sind daher nicht berechtigt. Dass die Firma C. die dendritischen Zellen unter Verletzung des Arzneimittelrechts hergestellt und in Verkehr gebracht hätte, ist von der Beklagten letztendlich nur behauptet worden; stichhaltige Anhaltspunkte hierfür bestehen - auch im Hinblick auf das eingangs dargestellte - Übergangsrecht für Arzneimittel für neuartige Therapien nicht. Wie die Firma C. unter dem 27.02. 2014 mitgeteilt hat, hat sie die Herstellung dendritischer Zellen im April 2012 eingestellt. Die Herstellung dendritischer Zellen wird nunmehr von dem Labor Dr. G. vorgenommen. Die abschließende Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde über die von der Firma C. seinerzeit beantragte Erteilung einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG ist offenbar nicht ergangen, so dass es für die streitige Zeit (2009, 2010) bei der Anwendung des Übergangsrechts (insbesondere § 144 Abs. 1 AMG) bleibt. Die Beklagte kann den grundrechtsfundierten Leistungsanspruch der Klägerin nicht unter Hinweis auf (verfahrensrechtliche) arzneimittelrechtliche Anforderungen an die Herstellung und Anwendung der bei der Klägerin applizierten dendritischen Zellen abwehren, nachdem insoweit sachliche Bedenken, wie aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. hervorgeht, nicht bestehen und auch weder von der Beklagten noch vom MDK (substantiiert) geltend gemacht werden.
3.)
87 
Die übrigen Voraussetzungen des von der Klägerin verfolgten Erstattungsbegehrens sind erfüllt. Die Klägerin hat die Behandlungskosten nach Maßgabe der Rechnungen des PD Dr. G. gezahlt und dessen Zahlungsanspruch erfüllt. Bedenken hinsichtlich der Höhe der Kosten sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
88 
Insgesamt erweisen sich damit der Bescheid der Beklagten vom 20.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2010 sowie der Bescheid vom 06.08.2009 als rechtswidrig. Diese Bescheide können damit ebenso wenig Bestand haben wie das Urteil des SG. Der Berufung der Klägerin war in vollem Umfang stattzugeben.
IV.
89 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
90 
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Gründe

 
55 
Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem geltend gemachten Erstattungsbetrag von über 12.000 EUR überschritten. Die Berufung ist auch sonst zulässig (§ 151 SGG). Sie ist auch begründet. Die Beklagte hat die Erstattung der Aufwendungen der Klägerin für die Behandlung ihrer Krebserkrankung mit dendritischen Zellen mit den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht abgelehnt.
56 
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Beklagte der Klägerin 12.601,79 EUR zu erstatten hat, die die Klägerin der Firma C. auf deren Rechnungen vom 16.07.2009, 22.02.2010 und 16.12.2010 gezahlt hat. Die Erstattung des Betrags der Rechnung vom 16.07.2009 war bereits Gegenstand des Bescheids vom 06.08.2010. Ob der Widerspruch gegen diesen Bescheid tatsächlich von der Klägerin am 08.10.2009 fernmündlich zurückgenommen wurde und ob ein nicht weiter bestätigter Telefonvermerk eines Mitarbeiters der Beklagten ausreicht, das Widerspruchsverfahren einzustellen, kann offenbleiben. Da die Klägerin mit dem eingereichten Schreiben vom 09.02.2010 die Übernahme der gesamten Kosten der bisherigen Behandlung mit dendritischen Zellen verlangt hat, bezieht sich der Bescheid vom 20.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2010 nicht nur auf die Rechnungen vom 22.02.2010 und 16.12.2010, sondern auch auf die Rechnung vom 16.07.2010. Jedenfalls der Widerspruchsbescheid vom 28.09.2010 enthält eine abschließende Stellungnahme der Beklagten zum gesamten Behandlungskomplex mit dendritischen Zellen als Folge des im Juni 2009 operativ entfernten Schleimhautmelanoms der Klägerin. Das SG hat deshalb zu Recht in diesen Bescheiden eine inzidente Ablehnung eines Antrags nach § 44 SGB X in Bezug auf den Bescheid vom 06.08.2009 gesehen. Die Beklagte hat die erneute Überprüfung des Bescheids nach § 44 SGB X durch den Senat im Berufungsverfahren auch nicht in Frage gestellt.
I.
57 
Rechtsgrundlage des mit Klage und Berufung verfolgten Erstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Die Vorschrift bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift sieht in Ergänzung des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst beschaffen musste, weil sie von der Krankenkasse als Sachleistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. etwa BSG, Urt. v. 02.11.2007, - B 1 KR 14/07 R -; Urt. v. 14.12.2006, - B 1 KR 8/06 R -).
58 
Der hier allein in Betracht kommende Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V setzt die rechtswidrige Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und grundsätzlich auch einen Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Leistungsbeschaffung durch den Versicherten voraus. Die rechtswidrige Ablehnung der Leistung scheidet für solche (selbst beschaffte) Leistungen von vornherein aus, die von den Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung nicht zu erbringen sind. Der Kostenerstattungsanspruch gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB V reicht nämlich nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Der Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Leistungsablehnung und Leistungsbeschaffung durch den Versicherten fehlt, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urt. v. 30.06.2009, - B 1 KR 5/09 R -; vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sowie ab 01.01.2013 die Beschleunigungsvorschrift in § 13 Abs. 3a SGB V).
59 
§ 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V darf nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 19.03.2009 - 1 BvR 316/09) nicht in der Weise ausgelegt werden, dass er für einen bestehenden Leistungsanspruch die Funktion eines anspruchsvernichtenden Tatbestands entwickelt. Dies gilt erst recht, wenn - wie nachstehend aufgezeigt - bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts des SGB V ein Anspruch auf Behandlung mit dendritischen Zellen besteht, den die Beklagte von Anfang an als Sachleistung hätte gewähren müssen und den sie in der Folge zu Unrecht abgelehnt hat. Bei der Rechtsanwendung im Einzelfall müssen dann die grundrechtlichen Maßgaben insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berücksichtigt werden, namentlich, wenn erhebliche und nicht wiedergutzumachende Schäden für Leib und Leben drohen (Art. 2 Abs. 2 GG) und der Versicherte deswegen existentielle Leistungen der Krankenversicherung begehrt. Auch insoweit gilt, dass sich das Gericht (genauso wie die Krankenkasse) schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen muss (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -; auch Senatsbeschluss vom 11.09.2012, - L 5 KR 2797/12 ER-B - zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung). Das verbietet es, im Einzelfall überzogene und damit unverhältnismäßige Verfahrenserfordernisse nicht nur für den Zugang des Versicherten zu den Leistungen der Krankenkasse, sondern auch für die Selbstbeschaffung einer Leistung und die Erstattung der hierfür entstandenen Aufwendungen nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 SGB V aufzustellen. Gerade in den Fällen des § 2 Abs. 1a SGB V, also bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden bzw. wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen wird es daher vielfach genügen müssen, wenn der Versicherte sich mit seinem Leistungsbegehren unverzüglich an die Krankenkasse wendet und dieser daher jedenfalls eine zeitnahe Prüfung ermöglicht wird. Einzelheiten des Beschaffungswegs werden dann für den Erstattungsanspruch keine ausschlaggebende Rolle spielen können, vielmehr wird die Krankenkasse und im Streitfall das Gericht zu prüfen haben, ob das Erstattungsverlangen in der Sache berechtigt ist.
II.
60 
Rechtsgrundlage des dem Kostenerstattungsanspruch zugrunde liegenden Leistungsanspruchs auf Gewährung ärztlicher Behandlung ist § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V) auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung bzw. Arzneimittelversorgung unterliegt den für alle Leistungsansprüche (§ 11 SGB V) geltenden allgemeinen Maßgaben der §§ 2, 12 SGB V. Gem. § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Versicherten erhalten die ihnen danach zustehenden Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V nichts anderes vorsieht.
1.)
61 
Bei der Versorgung der Versicherten mit ärztlicher Heilbehandlung ist hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 07.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (vgl. BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R - m.w.N.). Ohne befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht (zu alledem auch Senatsurteil vom 30.8.2006, - L 5 KR 281/06 -). Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst „Methoden“, also Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden (BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -); dazu können ggf. auch über die bloße Verabreichung von Arzneimitteln hinausgehende Pharmakotherapien zählen.
62 
Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 01.01.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 01.01.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (zur Maßgeblichkeit des EBM auch BSG, Urt. v. 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -). Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 01.01.1989 oder erst nach dem 01.01.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Behandlungsmethode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V erklärt hatte (BSG; Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -). Eine Behandlungsmethode kann auch dann als „neu“ zu beurteilen und deshalb der besonderen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätskontrolle zu unterwerfen sein, wenn sie sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener - für sich jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammensetzt (BSG; Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -).
63 
Näheres zur Arzneimittelversorgung der Versicherten ist in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V geregelt. Danach besteht Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der (krankenversicherungsrechtliche) Arzneimittelbegriff in §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 SGB V knüpft an den (verwaltungsrechtlichen) Arzneimittelbegriff des AMG an. Dieser ist in der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG festgelegt; weitere Begriffsbestimmungen enthält § 4 AMG. Gem. § 2 Abs. 1. AMG sind Arzneimittel (u.a.) Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im menschlichen Körper Krankheiten zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen; Stoffe in diesem Sinne sind gem. § 3 Nr. 3 AMG auch menschliche Stoffwechselprodukte in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand, also auch Blut und Blutplasma (Rehmann, AMG § 3 Rdnr. 2). Gem. § 4 Abs. 2 AMG sind Blutzubereitungen Arzneimittel, die aus Blut gewonnene Blut-, Plasma- oder Serumkonserven, Blutbestandteile oder Zubereitungen aus Blutbestandteilen sind oder als Wirkstoffe enthalten. § 4 Abs. 9 AMG (i. d. F. des Gesetzes v. 17.07.2009, BGBl. I, S. 1990, gültig ab 23.07.2009) bestimmt, dass (u.a.) somatische Zelltherapeutika (i. S. d. in dieser Vorschrift genannten EG-Verordnungen) Arzneimittel für neuartige Therapien sind. Das aus dem Blut des Patienten durch Beladung mit Antigenen hergestellte Präparat mit dendritischen Zellen stellt ein (zelluläres) Arzneimittel (Blutzubereitung bzw. somatisches Zelltherapeutikum nach § 4 Abs. 2, 9 AMG) dar (vgl. dazu auch etwa OLG München, Urt. v. 16.11.2005, - 20 U 3950/05 - sowie DÖSGHO-Jahrestagung, veröffentlicht unter www://haematologie-onlologie.universimed.com/artikel). Damit unterliegt die Herstellung dendritischer Zellen und deren Anwendung im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V den Maßgaben des Arzneimittelrechts.
64 
Hinsichtlich der Herstellung dendritischer Zellen ist gem. § 20b Abs. 1 und 4 AMG (eingeführt durch Gesetz v. 20.07.2007, BGBl. I. S. 1574 zum 01.08.2007) im Grundsatz eine behördliche Erlaubnis notwendig. Hinsichtlich der Arzneimittel für neuartige Therapien nach § 4b AMG (eingeführt durch Gesetz v. 17.07.2009, a. a. O. zum 23.07.2009), also für Arzneimittel, die als individuelle Zubereitung für einen einzelnen Patienten ärztlich verschrieben, nach spezifischen Qualitätsnormen nicht routinemäßig hergestellt und in einer spezialisierten Einrichtung der Krankenversorgung unter der fachlichen Verantwortung eines Arztes angewendet werden (§ 4b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AMG) sind in der (ebenfalls ab 23.07.2009 geltenden) Vorschrift des § 144 AMG Übergangsregelungen getroffen worden. Danach gilt (u.a.): Wer die in § 4b Abs. 1 AMG genannten Arzneimittel für neuartige Therapien am 23.07.2009 befugt herstellt und bis zum 01.012010 eine Herstellungserlaubnis beantragt, darf diese Arzneimittel bis zur Entscheidung über den gestellten Antrag weiter herstellen.
65 
Hinsichtlich des Inverkehrbringens dendritischer Zellen ist die für Fertigarzneimittel, wozu auch außerhalb der Apotheke gewerblich hergestellte Rezepturarzneimittel gehören (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG), gem. § 21 Abs. 1 AMG an sich notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung nicht erforderlich. Gem. § 21 Abs. 2 Nr. 1a AMG bedarf es einer Zulassung nämlich nicht für Arzneimittel, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehenen Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden; dies trifft auf das in Rede stehende zelluläre Arzneimittel zu. Nach näherer Maßgabe des § 21a Abs. 1 AMG kann demgegenüber ggf. eine Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde erforderlich sein (vgl. § 21a Abs. 1 Satz 3: Blutstammzellzubereitungen zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehenen Anwendung).
2.)
66 
Bei der Anwendung von Arzneimitteln können die Maßgaben des Arzneimittelrechts, insbesondere arzneimittelrechtliche Verkehrsverbote mit ihren Folgewirkungen für das Krankenversicherungsrecht (dazu näher etwa Senatsbeschluss vom 11.09.2012, - L 5 KR 2797/12 ER-B -: Botoxinjektion zur Blasenvergrößerung), und der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer ärztlicher Behandlungsmethoden gem. § 135 Abs. 1 SGB V gleichzeitig anzuwenden sein. Für die Abgrenzung der Pharmakotherapie durch bloße Verabreichung eines Arzneimittels - auch im Wege der Injektion - von der Pharmakotherapie als ärztliche Behandlungsmethode kommt es darauf an, welches Gewicht der ärztlichen Tätigkeit für den Therapieerfolg zukommt (vgl. näher BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -, LSG Baden-Württemberg, Urt. v. Urt. v. 15.5.2012, - L 11 KR 5817/10 -). Ist diese im Rahmen eines Zusammenspiels von ärztlicher Kunst und Arzneimittelgabe ebenso wichtig wie das Wirkprinzip des in den Körper eingebrachten Stoffes, liegt in jedem Fall eine über die schlichte Verabreichung eines Arzneimittels hinausgehende ärztliche Behandlungsmethode vor. Die Anforderungen des Krankenversicherungsrechts sind dann ggf. im Erlaubnisverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu prüfen. Dessen krankenversicherungsrechtliche Prüfung kommt zur ggf. notwendigen arzneimittelrechtlichen Prüfung durch die hierfür zuständige Verwaltungsbehörde hinzu (vgl. BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -). Für solche Pharmakotherapien besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse daher erst dann, wenn die aus dem Arzneimittelrecht folgenden leistungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen und die krankenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine neue Behandlungsmethode kumulativ erfüllt sind, wenn also weder ein arzneimittelrechtliches Verkehrsverbot noch der krankenversicherungsrechtliche Erlaubnisvorbehalt das verwendete Arzneimittel erfasst (BSG Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 -; auch dazu Senatsbeschluss vom 11.09.2012, - L 5 KR 2797/12 ER-B -). Das gilt nach Auffassung des Senats für die Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen als Anwendung eines zellulären Arzneimittels für neuartige Therapien i. S. d. § 4 Abs. 9 AMG. Dabei handelt es sich (wovon ersichtlich auch die Beteiligten ausgehen) nicht um die bloße Verabreichung eines Arzneimittels, sondern um eine ärztliche Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V.
3.)
67 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt und des Fehlens einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde und damit ein „Systemversagen“ vorliegt. Dann ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien nämlich rechtswidrig unterblieben, weshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (näher BSGE 81, 54 sowie BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -). Auch bei Krankheiten, die wegen ihrer Seltenheit praktisch nicht systematisch erforschbar sind, muss die Behandlung aus dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht schon mangels entsprechender Empfehlung des Bundesausschusses ausscheiden (vgl. dazu BSGE 93,236).
68 
Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG können sich (ansonsten nicht bestehende) Leistungsansprüche darüber hinaus auch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben. In seinem Beschluss vom 06.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig.
69 
Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach - so etwa BSG Urt. v. 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht bei BSG, Urt. v. 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es muss eine durch nahe Lebensgefahr individuelle Notlage gegeben sein, wobei das BVerfG es in einer speziellen Situation (Apharesebehandlung in einem besonderen Fall) hat ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschl. 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -).
70 
Diese Grundsätze sind auf die Arzneimittelversorgung übertragen worden. Sie können ggf. einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln begründen, die arzneimittelrechtlich noch gar nicht oder nicht für den in Rede stehenden Anwendungsbereich zugelassen sind. Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln - aber dargelegt, dass an das Krankheits-Kriterium (im Sinne der vorstehend unter 1. genannten Voraussetzung) strengere Anforderungen zu stellen sind als an das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use (vgl. BSG, Urt. v. 08.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -; auch BSG, Urt. v. 13.10.2010, - B 6 KA 48/09 R -).
71 
In der seit 01.01.2012 geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG entwickelten Rechtgrundsätze zu grundrechtsfundierten Leistungsansprüchen in das SGB V aufgenommen. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind die Maßgaben der genannten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG heranzuziehen (Senatsurteil vom 14.03.2012, - L 5 KR 5406/11 -).
III.
72 
Davon ausgehend steht der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von PD Dr. G. in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführte Behandlung mit dendritischen Zellen zu. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V sind erfüllt. Die Klägerin hat den in dieser Vorschrift vorgesehenen Beschaffungsweg eingehalten (unten 1). Die Beklagte hat die von der Klägerin selbstbeschaffte Leistung auch zu Unrecht abgelehnt (unten 2). Auch die Übrigen Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs sind erfüllt (unten 3).
1.)
73 
Die Klägerin hat sich die Behandlung ihrer Krebserkrankung mit dendritischen Zellen durch PD Dr. G. ohne Missachtung des in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V vorgesehenen Beschaffungswegs selbst beschafft. Die Frage nach der Einhaltung des Beschaffungswegs kann sich dabei nur auf die Rechnungen beziehen, die vor der grundsätzlichen Ablehnungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 06.08.2009 ergangen sind, das ist hier allein die Rechnung vom 16.07.2009. Die Klägerin hat nämlich mit ihrem Antrag vom 09.07.2009 initial für die gesamte Behandlung mit dendritischen Zellen den Antrag auf Kostenfreistellung bei der Beklagten gestellt; das genügt (BSG Urt. v. 07.05.2013 - B 1 KR 44/12 R - Juris Rn 30). Eine Beschränkung lediglich auf die im Juli 2009 angefallenen Kosten lässt sich diesem Antrag nicht entnehmen. Im Übrigen stellen sich die einzelnen Behandlungszyklen als unselbständige (Teil-)Leistungen der auf die Verhinderung der Metastasenbildung gerichteten adjuvanten Behandlung der Klägerin nach der operativen Entfernung des Tumorgewebes dar, weshalb es mit dem (rechtzeitigen) Herantragen des Leistungsbegehrens an die Beklagte hinsichtlich des ersten Behandlungszyklus sein Bewenden haben muss.
74 
Die Klägerin, die an einem im Juni 2009 diagnostizierten Schleimhautmelanom und damit - wie Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 03.02.2012 dargelegt hat - an einer seltenen Untergruppe des Melanoms mit wesentlich schlechterer Prognose als das Hautmelanom (kutane Melanom) leidet, ist am 05.06.2009 und am 13.07.2009 durch Exzision des Tumors und Nachresektion operativ behandelt worden. Die (weitere) Behandlung mit dendritischen Zellen ist danach im Juli 2009 aufgenommen und in mehreren Behandlungszyklen durchgeführt worden. Die Klägerin hat sich - hinsichtlich des ersten Behandlungszyklus - erstmals am 09.07.2009, also noch vor der operativen Tumornachresektion am 13.07.2009, wegen einer sich an die operative Therapie anschließenden (adjuvanten) Nachbehandlung mit dendritischen Zellen (zur Metastasenprophylaxe) an die Beklagte gewandt und die Gewährung dieser Behandlung als Sachleistung beantragt. Sie hat sich nicht von vornherein außerhalb des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt, um sich von dort ohne weitere Prüfung durch die Krankenkasse eine vom Leistungskatalog nicht umfasste Behandlungsleistung zu verschaffen, sondern sie hat die Beklagte nach Lage der Dinge unverzüglich mit dem Leistungsbegehren konfrontiert und eine zeitnahe Prüfung ermöglicht. Dass mit der Herstellung der dendritischen Zellen wenige Tage vor Antragstellung - am 07.07.2009 - begonnen worden ist, ist demgegenüber unschädlich, ohne dass es noch darauf ankäme, ob man den Behandlungsbeginn der dendritischen Zelltherapie auf diesen Tag oder den Tag der erstmaligen Verabreichung der dendritischen Zellen festzulegen hätte. Angesichts der Gefahr einer Metastasierung der schweren Krebserkrankung und der damit verbundenen Todesgefahr ist es im Hinblick auf das Grundrecht der Klägerin auf Leben und Gesundheit bzw. die daraus folgenden Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu vereinbaren, ihr zur Vermeidung einer etwaigen Kostenbelastung vor der Aufnahme der in Rede stehenden Behandlung zur Metastasenprophylaxe auch das Abwarten einer (Ablehnungs-)Entscheidung der Beklagten abzuvE. (ebenso BSG Urt. v. 12.09.2012 - B 3 KR 20/11 R - Juris Rn 12 für den Fall einer verzögerten Entscheidung über eine Hilfsmittelgewährung), zumal angesichts der zu erwartenden Einschaltung des MDK mit einem länger dauernden Verwaltungsverfahren zu rechnen gewesen ist. Bei dieser Sachlage kommt es nicht in Betracht, den geltend gemachten Erstattungsanspruch schon wegen der Einzelheiten des Beschaffungsvorgangs abzulehnen, vielmehr ist eine Sachprüfung erforderlich.
2.)
75 
Die Beklagte hat die Gewährung der beantragten Behandlung mit dendritischen Zellen zu Unrecht abgelehnt. Die Beklagte hätte der Klägerin die in Rede stehende Behandlung nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs als Sachleistung gewähren müssen (unten a). Vorschriften des Arzneimittelrechts stehen dem nicht entgegen (unten b).
a.)
76 
Die Klägerin hatte Anspruch auf die Behandlung ihrer Krebserkrankung mit dendritischen Zellen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
77 
Bei der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode i. S. d § 135 Abs. 1 SGB V; für diese ärztliche Leistung ist eine Leistungsposition im EBM nicht vorhanden. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses existiert nicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist mit der hier streitigen Behandlung des Schleimhautmelanoms mit dendritischen Zellen auch nicht befasst, wie er gegenüber dem Senat mit Schreiben vom 13.03.2014 dargelegt hat. Anhaltspunkte für ein so genanntes Systemversagen liegen nicht vor (Senatsbeschluss vom 16.05.2011, - L 5 KR 970/11 ER-B -). Bei dem Schleimhautmelanom, an dem die Klägerin leidet, handelt es sich zwar um eine seltene Untergruppe des Melanoms, jedoch nicht um eine wegen ihrer Seltenheit systematisch gar nicht erforschbare Krankheit. Hierüber herrscht unter den Beteiligten ersichtlich kein Streit. Danach kommt ein Leistungsanspruch nur nach Maßgabe der vom BVerfG (Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -) vorgenommenen grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (jetzt: § 2 Abs. 1a SGB V) in Betracht. Die in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind erfüllt.
78 
Die Klägerin leidet (unstreitig) an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Das Schleimhautmelanom, an dem sie erkrankt ist, hat, wie aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. hervorgeht, eine äußerst schlechte und (noch) ungünstigere Überlebensprognose als das kutane Melanom (der Haut) mit einer mittleren Überlebenszeit von 10 bis 13 Monaten. Über 90% der Patienten versterben innerhalb von 5 Jahren. Entgegen der Auffassung der Beklagten (und des MDK, etwa Gutachten des Dr. G. vom 05.10.2009) scheitert die Leistungsgewährung auch nicht am Erfordernis einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage. Das BVerfG hat hierfür ersichtlich stets auf den Einzelfall abgestellt und eine rein zeitliche Betrachtung nicht vorgenommen, etwa auch ausreichen lassen, dass in Sonderfällen der Tod voraussichtlich erst in einigen Jahren eintreten wird (Beschl. v. 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -). Auch die Unterscheidung zwischen einer adjuvanten und einer kurativen Behandlungssituation, auf die sich der MDK stützen will, ist für die hier maßgebliche grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Behandlung mit dendritischen Zellen hat nach der operativen Entfernung des Tumorgewebes zum Ziel, die Bildung von Metastasen zu verhindern. Nur dann besteht Aussicht auf eine Heilung der Krebserkrankung. Sind demgegenüber Metastasen aufgetreten, bestehen praktisch keine aussichtsreichen Behandlungsmöglichkeiten mehr und es muss mit einem (baldigen, innerhalb von Monaten eintretenden) Tod des Patienten gerechnet werden. Der Senat entnimmt dies dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. K.. Danach liegt die (sehr) schlechte Prognose des Schleimhautmelanoms (u.a.) daran, dass es rasch zu Fernmetastasen kommt. Ist es dazu gekommen, besteht allenfalls noch eine Therapieoption durch Yervoy, was aber nur bei maximal 10% der Patienten einen längeren Nutzen hat (mit schweren Nebenwirkungen bei 30% der Patienten). Bei dieser Sachlage gibt es keine Zwischenzeit zwischen der operativen Entfernung des Tumorgewebes und dem jedenfalls im Stadium der Heilungsbewährung stattfindenden Auftreten von Metastasen, während der die für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs notwendige individuelle Notlage naher Lebensgefahr nicht bestünde und während der zunächst das ohne adjuvante Therapie (erst recht) zu erwartende Auftreten von Metastasen abzuwarten wäre. Die vorliegende Fallgestaltung ist nach Ansicht des Senats mit der Fallgestaltung eines Prostatakarzinoms im Anfangsstadium ohne Hinweis auf metastatische Absiedlungen (vgl. BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -) nicht vergleichbar. Der These, eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs sei auf die Situation der Rezidivprophylaxe nicht anwendbar (vgl. etwa LSG Schleswig- Holstein, Urt. v. 08.09.2011, L 5 KR 97/10 -), kann sich der Senat jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht anschließen; sie findet in der Rechtsprechung des BVerfG keine ausreichende Stütze.
79 
Damit ist vorliegend letztendlich ausschlaggebend, ob für die - konkrete - Erkrankung der Klägerin eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht, und, wenn dies nicht festgestellt werden kann, ob für die bei ihr angewandte Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen eine durch Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Da für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs die Grundrechte des jeweiligen Versicherten und die diesem bei Verweigerung der Leistung im Einzelfall drohenden Grundrechtseingriffe bzw. Grundrechtsverletzungen maßgeblich sind, findet eine vom Einzelfall gelöste abstrakte Betrachtung, etwa im Sinne einer abstrakten wissenschaftlich-medizinischen Methodendiskussion, nicht statt.
80 
Für die adjuvante Therapie des Schleimhautmelanoms der Klägerin steht nach Auffassung des Senats eine allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende und die Anwendung der in Rede stehenden Alternativtherapie verdrängende Behandlungsmethode nicht zur Verfügung. Die Beklagte verweist (gestützt auf das MDK-Gutachten des Prof. Dr. H.) auf eine Interferonbehandlung, die man als eine Art „Analogbehandlung“ entsprechend der Behandlung des kutanen Melanoms auch beim (mit dem kutanen Melanom tumorbiologisch jedoch nicht ohne Weiteres gleichzusetzenden) Schleimhautmelanom anwenden könne. Die Wirksamkeit einer solchen Therapie wird aber - wenn auch gestützt durch eine von Prof. Dr. H. angeführte Phase-II-Studie in den USA - nur vermutet. Demgegenüber hat Prof. Dr. K. in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass es eine wirksame adjuvante Therapie zur Verhinderung einer Fernmetastasierung beim Schleimhautmelanom nicht gibt und darauf verwiesen, dass Patienten mit Schleimhautmelanomen von den Interferonstudien (gerade) ausgeschlossen werden. Die Erfahrungen mit der mangels Alternativen notgedrungen eingesetzten Interferon- und Chemotherapie hat Prof. Dr. K. als unbefriedigend eingestuft; sie würden nur „anekdotenhaft“ in Übersichtsarbeiten erwähnt. In der Literatur findet sich - so Prof. Dr. K. - keine einzige Publikation, die über eine wirksame adjuvante Therapie beim Schleimhautmelanom berichtet.
81 
Prof. Dr. H. hat im MDK-Gutachten vom 16.07.2012 der Auffassung des Prof. Dr. K. im Kern zugestimmt und ebenfalls dargelegt, dass es eine zugelassene adjuvante Therapie zur Verhinderung von Fernmetastasen beim anorektalen Melanom (dem Schleimhautmelanom der Klägerin) nicht gibt. Hierfür bestehen - so Prof. Dr. H. - nahezu keine gesicherten Erkenntnisse. Es finden sich vielmehr nur - und seien es auch deutliche - Hinweise in der wissenschaftlichen Literatur, dass Patienten mit anorektalem Melanom in Analogie zu Patienten mit kutanem Melanom behandelt werden, wie es in der Onkologie auch bei anderen Tumorentitäten gehandhabt wird. Der Erfolg der letztendlich auf die Vermutung einer (tumorbiologischen) Vergleichbarkeit des Schleimhautmelanoms mit dem kutanen Melanom gestützten Interferonbehandlung ist im Übrigen schon beim kutanen Melanom sehr gering; weniger als 10% der Patienten haben davon einen Nutzen. Insgesamt besteht daher nach der überzeugenden Auffassung des Prof. Dr. K. für die Wirksamkeit der der Klägerin im Tumorboard des Comprehensive Cancer Center U. vorgeschlagenen Interferontherapie beim Schleimhautmelanom jeglicher Anhalt und es muss auf der Grundlage der publizierten Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass ihr eine Interferontherapie keinen Nutzen gebracht hätte. Sie kann damit nicht auf diese Therapie als Standardtherapie verwiesen werden. Dem ist im MDK-Gutachten des Prof. Dr. H. nichts wirklich Überzeugendes entgegengesetzt. Prof. Dr. H. hat sich der Sache nach mit einer eher vom Erkrankungsfall der Klägerin abstrahierenden Methodendiskussion befasst, etwa indem er es als gültige Lehrmeinung bezeichnet, Patienten mit malignen Melanomen (in einem bestimmten Stadium) eine adjuvante Interferontherapie unter sorgfältiger Abwägung und Aufklärung anzubieten; damit wird nicht ausreichend klar auf den Behandlungsfall der Klägerin eingegangen. Die Schlussfolgerung des Prof. Dr. H., für diese stehe mit der Interferontherapie - und das auch nur grundsätzlich - eine Standardtherapie zur adjuvanten Behandlung des malignen Melanoms zur Verfügung, ist im Kern zu allgemein gehalten. Der Senat kann ihr angesichts der überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. K., denen sich Prof. Dr. H. in wesentlichen Teilen auch angeschlossen hat, nicht folgen. Die Klägerin ist auch nicht auf eine weitere Operation, etwa die Entfernung von Wächterlymphnoten (MDK-Gutachten des Prof. Dr. H.) zu verweisen. Prof. Dr. K. hat in seinem Gutachten insoweit schlüssig dargelegt, dass die Überlebensprognose der Klägerin weder durch eine größere lokale Operation noch durch eine diagnostische oder elektive Lymphknotenexstirpation/-dissektion zu verbessern wäre. Außerdem ist Gegenstand des vorliegenden Streits keine (weitere) operative Heilbehandlung, sondern eine adjuvante Heilbehandlung durch Anwendung eines zellulären Arzneimittels zur Metastasenprophylaxe.
82 
Hinsichtlich der bei der Klägerin durch PD Dr. G. (ärztlich) angewandten Behandlung des Schleimhautmelanoms mit dendritischen Zellen besteht eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
83 
Der Anspruch des Versicherten auf Gewährung ärztlicher Behandlung (§§ 27, 28 SGB V) als Sachleistung im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (bzw. jetzt nach Maßgabe des § 2 Abs. 1a SGB V) erfordert nach der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG nicht, dass die begehrte Behandlungsmethode bereits als Standard etabliert ist und dass ihre Wirksamkeit durch größere kontrollierte oder belastbare Studien (bereits) bewiesen ist oder dass sie Eingang in die klinische Routine gefunden hat; die entsprechenden Postulate im MDK-Gutachten des Dr. G. vom 08.10.2009 und auch im MDK-Gutachten des Dr. B. vom 12.05.2010 sowie im MDK-Gutachten des Prof. Dr. H. sind zu eng und so mit den verfassungsgerichtlichen Maßgaben der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs nicht vereinbar. Ein grundrechtsfundierter (bzw. in § 2 Abs. 1a SGB V verankerter) Leitungsanspruch ist auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil die zuständige medizinische Fachgesellschaft - hier die Deutsche Krebsgesellschaft - die in Rede stehende Behandlungsmethode nicht als Therapie empfiehlt. Empfehlungen dieser Art haben tatsächliches Gewicht, jedoch keine den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nahekommende Ausschlusswirkung. Davon abgesehen hat die Deutsche Krebsgesellschaft die Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen in ihrer Stellungnahme vom 03.11.2011 zur Therapie von Tumorpatienten mit onkologischen Viren auch nicht allgemein abgelehnt, sondern darauf verwiesen, dass hinsichtlich der onkologischen Virentherapie - die der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen entspricht - bei in der Regel sehr guter Verträglichkeit in einzelnen Fällen eine gute Wirksamkeit dokumentiert worden ist. Bedenken werden vor allem in Hinblick auf (derzeit nicht) auszuschließende negative Auswirkungen geäußert. Die Deutsche Krebsgesellschaft empfiehlt die in Rede stehende Behandlung - immerhin - im Rahmen klinischer Studien. Ungeachtet des negativen Tenors sind der genannten Empfehlung damit - worauf alleine es für die Gewährung eines grundrechtsfundierten Leistungsanspruchs ankommt - (sogar) Indizien für eine nicht ganz fern liegende positive Wirkung der dendritischen Zellbehandlung zu entnehmen. Hinzukommt als weiteres stützendes Indiz, dass - so Prof. Dr. K. in seinem Gutachten - in fast allen von ihm gesichteten Studien zur Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen von einem klinischen Ansprechen bei einem Teil der Patienten berichtet wird mit Ansprechraten bei der Tumorentität Melanom von wenigen Prozent bis (immerhin) 30 %; in 14 von 46 Studien wird sogar über komplette Remissionen, die auch andere Tumorentitäten (wie Nierenzellkarzinom oder Lymphom) betreffen, berichtet. Dass es sich bei diesen Studien in der großen Mehrheit um Phase-I/II-Studien mit in der Regel bis zu 30 Patienten handelt, ist unerheblich. Im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs kommt es nicht auf einen - möglichst weitgehenden - Wirksamkeitsnachweis, sondern nur darauf an, ob eine nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf auf (bloße) Indizien gestützt werden kann. Außerdem liegen (immerhin) 2 randomisierte Phase-III-Studien zur Behandlung des Prostatakarzinoms mit dendritischen Zellen vor. Der indiziellen Wirkung der von Prof. Dr. K. angeführten Studienergebnisse wird man nicht ohne Weiteres die Unterschiede der Tumorentitäten entgegenhalten dürfen, nachdem die Beklagte hinsichtlich der etablierten Behandlungsmethoden ebenfalls einen Analogschluss von der Wirksamkeit der Interferontherapie beim kutanen Melanom auf eine entsprechende Wirksamkeit beim Schleimhautmelanom vornimmt und „Analogbehandlungen“ - so Prof. Dr. H. in seinem MDK-Gutachten - in der Onkologie auch bei anderen seltenen Tumorarten praktiziert werden.
84 
Bei dieser Sachlage kann der an einer schweren Krebserkrankung leidenden Klägerin die Behandlung des Schleimhautmelanoms mit dendritischen Zellen ohne Grundrechtsverstoß nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung versagt werden, zumal - wie Prof. Dr. K. in Einklang mit der Deutschen Krebsgesellschaft dargelegt hat - (nur) mit eher milden Nebenwirkungen gerechnet werden muss. Die begehrte Behandlungsmethode enthält als Krebsbehandlung mit zellulären Arzneimitteln im Rahmen neuartiger Therapien (vgl. §§ 4 Abs. 9, 4b AMG) keine „unseriösen“ Heilungsversprechen, für deren Kosten die Versichertengemeinschaft nicht aufzukommen braucht, stellt vielmehr eine (seriöse) ärztliche Behandlungsmethode dar, der Prof. Dr. K. als Koordinator des Hautkrebszentrums der Universitätsklinik E. bei der Krebserkrankung der Klägerin in der Summe ein viel höheres Potenzial als den unspezifischen Immuntherapien mit Interferon oder Yervoy beimisst. Die Beklagte und ersichtlich auch der MDK werden mit ihrer (zu engen) Auffassung den besonderen Leistungsanforderungen, die den gesetzlichen Krankenkassen nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aus den Grundrechten der Versicherten erwachsen, im vorliegenden Fall nicht ausreichend gerecht (anders etwa LSG Hessen, Beschl. v. 28.03.2013, - L 8 KR 68/13 ZVW - ; LSG, Urt. v. 12.01.2012, - L 5 KR 49/10 -; zum Recht der beamtenrechtlichen Beihilfe etwa VGH Baden-Württemberg Urt. v. 14.07.2010, - 11 S 2730/09 -). Der Senat sieht sich mit dieser Rechtsprechung im Wesentlichen in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 26.2.2013, - 1 BvR 2045/12 -; zum Recht der privaten Krankenversicherung etwa BGH, Urt. v. 30.10.2013, - IV ZR 307/12 -).
b).
85 
Die auch im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachtenden Maßgaben des Arzneimittelrechts stehen der Leistungsgewährung nicht entgegen.
86 
Hinsichtlich der Herstellung der bei der Klägerin durch PD Dr. G. im mehreren Behandlungszyklen applizierten dendritischen Zellen als zelluläres Arzneimittel für neuartige Therapien (§§ 4 Abs. 9, 4b AMG) ist, wie der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. K. entnimmt, ein übliches Verfahren angewendet worden. Dass es keinen allgemein Herstellungsstandard gibt, ist nicht maßgeblich. Die Einwendungen im MDK-Gutachten des Prof. Dr. H., der offenbar die angewandte Herstellungsmethode in ihrer Eigenart nicht hat nachvollziehen können, sind daher nicht berechtigt. Dass die Firma C. die dendritischen Zellen unter Verletzung des Arzneimittelrechts hergestellt und in Verkehr gebracht hätte, ist von der Beklagten letztendlich nur behauptet worden; stichhaltige Anhaltspunkte hierfür bestehen - auch im Hinblick auf das eingangs dargestellte - Übergangsrecht für Arzneimittel für neuartige Therapien nicht. Wie die Firma C. unter dem 27.02. 2014 mitgeteilt hat, hat sie die Herstellung dendritischer Zellen im April 2012 eingestellt. Die Herstellung dendritischer Zellen wird nunmehr von dem Labor Dr. G. vorgenommen. Die abschließende Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde über die von der Firma C. seinerzeit beantragte Erteilung einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG ist offenbar nicht ergangen, so dass es für die streitige Zeit (2009, 2010) bei der Anwendung des Übergangsrechts (insbesondere § 144 Abs. 1 AMG) bleibt. Die Beklagte kann den grundrechtsfundierten Leistungsanspruch der Klägerin nicht unter Hinweis auf (verfahrensrechtliche) arzneimittelrechtliche Anforderungen an die Herstellung und Anwendung der bei der Klägerin applizierten dendritischen Zellen abwehren, nachdem insoweit sachliche Bedenken, wie aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. hervorgeht, nicht bestehen und auch weder von der Beklagten noch vom MDK (substantiiert) geltend gemacht werden.
3.)
87 
Die übrigen Voraussetzungen des von der Klägerin verfolgten Erstattungsbegehrens sind erfüllt. Die Klägerin hat die Behandlungskosten nach Maßgabe der Rechnungen des PD Dr. G. gezahlt und dessen Zahlungsanspruch erfüllt. Bedenken hinsichtlich der Höhe der Kosten sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
88 
Insgesamt erweisen sich damit der Bescheid der Beklagten vom 20.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2010 sowie der Bescheid vom 06.08.2009 als rechtswidrig. Diese Bescheide können damit ebenso wenig Bestand haben wie das Urteil des SG. Der Berufung der Klägerin war in vollem Umfang stattzugeben.
IV.
89 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
90 
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Tenor

Die Sprungrevision der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.5. bis zum 31.10.2011, insbesondere darüber, ob die Höhe des Regelbedarfs verfassungsgemäß bestimmt worden ist.

2

Der Kläger zu 1 lebt mit der Klägerin zu 2 und dem am 15.10.2009 geborenen gemeinsamen Sohn, dem Kläger zu 3, in einer Mietwohnung in D. Für diese Unterkunft fallen Kosten in Höhe von monatlich 285 Euro Grundmiete zuzüglich Nebenkosten in Höhe von monatlich 110 Euro sowie Kosten für Heizung in Höhe von monatlich 100 Euro als Vorauszahlung an. Zudem sind nach dem Mietvertrag monatlich 40 Euro für Strom an den Vermieter zu überweisen.

3

Mit begünstigendem Änderungsbescheid vom 12.5.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 1182 Euro unter Berücksichtigung eines monatlichen Regelbedarfs der Kläger zu 1 und zu 2 in Höhe von je 328 Euro sowie für den Kläger zu 3 in Höhe von 215 Euro abzüglich des gezahlten Kindergelds in Höhe von 184 Euro als Einkommen (= 31 Euro). Leistungen für Unterkunft und Heizung erbrachte er in Höhe von insgesamt 495 Euro monatlich, nach Köpfen aufgeteilt. Daneben verfügte der Beklagte die direkte Überweisung der Unterkunftsaufwendungen sowie von 40 Euro für Stromkosten - aus dem Regelbedarf - an den Vermieter. Den Widerspruch der Kläger gegen die Höhe der bewilligten Leistungen wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.6.2011 zurück.

4

Die am 5.7.2011 erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Urteil vom 10.1.2012). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass den Klägern keine höheren Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustünden. Der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erst zweijährige Kläger zu 3, der weder eine Schule noch einen Kindergarten besuche, beanspruche keine Leistungen aus dem "Bildungspaket" der Abs 2 bis 7 des § 28 SGB II. Ein Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarfe sei ebenfalls nicht gegeben. Die Kosten für Unterkunft und Heizung übernehme der Beklagte in tatsächlicher Höhe. Das vom Kläger zu 1 erzielte Einkommen in Höhe von 56,35 Euro sei vom Beklagten zutreffend nicht berücksichtigt worden. Die Kläger zu 1 und zu 2 seien gesetzlich krankenversichert, der Kläger zu 3 familienversichert. Grundrechte seien durch die Höhe der gewährten Leistungen nicht verletzt, insbesondere nicht Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG. Nach Wegfall eines Abzugs für die Warmwasserpauschale und der Berücksichtigung von Bedarfen der Kinder und Jugendlichen sei eine Verfassungswidrigkeit der Leistungshöhe nicht festzustellen. Das SG hat in seinem Urteil die Sprungrevision zugelassen.

5

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung der Regelbedarfe durch das zum 1.1.2011 in Kraft getretene Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII (vom 24.3.2011, BGBl I 453 - im Weiteren RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG). Die Regelungen genügten nicht den Anforderungen, welche sich aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG und dem hierzu ergangenen Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 ergäben. Für die Bemessung der Regelbedarfsstufe 1 nach § 8 Abs 1 Nr 1 RBEG seien teilweise unzutreffende Referenzgruppen ("verdeckt Arme") in die Berechnung der Bedarfshöhe einbezogen worden bzw relevante Referenzgruppen ("Aufstockerhaushalte", Leistungsberechtigte nach AsylbLG, BAföG) außer Betracht geblieben. Entgegen den Vorgaben des BVerfG seien die Referenzgruppen auch in quantitativer Hinsicht unzutreffend bestimmt worden. Das Verfahren zur Ableitung des Regelbedarfs aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sei nicht in transparenter Art und Weise durchgeführt worden. Die von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorgenommenen Abschläge zB für alkoholische Getränke und Tabakwaren, Gaststättenbesuche sowie weiterer Positionen führten zu einer übermäßigen Kürzung des statistisch ermittelten Bedarfs. Die Zurechnung der Stromkosten zum Regelbedarf anstatt zu den Kosten der Unterkunft sei ebenfalls zu missbilligen. Hinsichtlich der Festlegung der Regelbedarfsstufen 4 bis 6 gemäß § 8 Abs 1 Nr 4 bis 6 RBEG sei der Gesetzgeber seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen. Das lebensnotwendige physische Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen sei nicht ausreichend und nicht realitätsgerecht ermittelt worden. Zum Beispiel seien die Ausgabepositionen für bestimmte Waren, wie insbesondere Kinderschuhe, nicht altersgerecht bzw unzutreffend festgesetzt worden. Auch seien Leistungen für Kosten eines Mobiltelefons nicht im Regelbedarf enthalten. In Bezug auf die Bildungsbedarfe fehle es gänzlich an Ermittlungen. Der Betrag in Höhe von 100 Euro für Schulausstattung sei freihändig geschätzt, zudem fehle dem Gesetz eine Fortschreibungsregel. Da aufgrund der Berücksichtigung eines Schulausstattungsbedarfs der Regelbedarf für Kinder für Schreibwaren, Zeichenmaterial und Ähnliches gekürzt worden sei, sei auch der Regelbedarf inkorrekt bestimmt. Dies gelte auch für den Bereich der Teilhabeleistungen. Hier seien wichtige Teilbereiche unberücksichtigt gelassen worden, wie zB Kinobesuche. Das Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe sei auch insoweit intransparent und nicht nachvollziehbar oder sachgerecht. Da die Ermittlung des Regelbedarfs mit einer Vielzahl von Fehlern behaftet sei, die den Vorgaben des BVerfG widersprächen, sei die Höhe des Regelbedarfs zu niedrig festgesetzt.

6

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Januar 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 12. Mai 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2011 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfs für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Oktober 2011 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er ist der Auffassung, dass die bewilligten Regelbedarfe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze der Transparenz, der Systemeinhaltung, der sachlichen Rechtfertigung von Systemabweichungen sowie von Schätzungen und Vermeidung von Zirkelschlüssen seien beachtet worden. Der Rückgriff auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe werde vom BVerfG ausdrücklich gebilligt. Auch das Statistikmodell sei für verfassungsgemäß erachtet worden. Die Bestimmung der Referenzgruppen sei in verfassungskonformer Weise erfolgt. Ebenso seien die vorgenommenen Abschläge nicht zu beanstanden, da der Gesetzgeber lediglich das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern habe.

Entscheidungsgründe

9

Die Sprungrevision ist unbegründet.

10

1. Streitgegenstand sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.5. bis 31.10.2011, als durch den Bescheid des Beklagten vom 12.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2011 bewilligt. Maßgebend für die Bestimmung des Streitgegenstands ist der geltend gemachte prozessuale Anspruch, dh Klageantrag und Klagegrund im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt (BSG SozR 4-5425 § 24 Nr 11 RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 4 RdNr 26 mwN). Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid über den Anspruch der Kläger auf Alg II und Sozialgeld insgesamt entschieden. Damit stehen Regel- sowie Unterkunfts- und Heizbedarf und ggf Mehrbedarfs- sowie Bildungs- und Teilhabeleistungen im Streit. Diesen Bescheid haben die Kläger - nach dem Antrag, den sie im Revisionsverfahren gestellt haben - insgesamt mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage angegriffen.

11

Die Kläger haben danach ihr Klagebegehren nicht auf den Regelbedarf beschränkt. Soweit sie sich argumentativ ausschließlich mit den ihrer Ansicht nach verfassungswidrig zu niedrig festgesetzten Regelbedarfen auseinandersetzen, folgt hieraus ebenso wenig, wie aus der Ergänzung des Antrags um die Worte "unter Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfs", eine Beschränkung des Streitgegenstands. Die Beschränkung des Streitgegenstands auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelbedarfe nach dem SGB II wäre zudem auch eine nicht zulässige Begrenzung (BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 131/11 R - RdNr 8 mwN; vgl auch zum Teilanerkenntnis BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 12; zum Teilvergleich SozR 4-4200 § 11 Nr 43 RdNr 16).

12

Ausgehend von dem objektiven Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids und dem Klageantrag ist Streitgegenstand hingegen nicht die direkte Auszahlung der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie von 40 Euro für Stromkosten aus dem Regelbedarf an den Vermieter der Kläger. Der Beklagte hat mit der Bestimmung eines anderen Empfängers der den Klägern bewilligten Leistungen lediglich die Auszahlungsmodalitäten modifiziert, nicht jedoch die Bewilligung der Leistungen dem Grunde und der Höhe nach verändert. Das zuvor behandelte Begehren der Kläger auf höhere Leistungen umfasst mithin nicht die Auszahlung der gesamten Leistungen an sie. Der Beklagte hat die Bestimmung eines anderen Empfängers als die Kläger zudem im Bescheid vom 12.5.2011 in einem selbstständigen Verfügungssatz geregelt. Insoweit haben die Kläger den Bescheid jedoch nicht angefochten.

13

2. Die Kläger haben mit ihrem Begehren jedoch keinen Erfolg. Der Bescheid vom 12.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2011 ist rechtmäßig. Die Höhe der den Klägern bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist nicht zu beanstanden. Sie haben einfachgesetzlich keinen Anspruch auf höhere Leistungen im Zeitraum vom 1.5. bis 31.10.2011. Die Höhe ihres Regelbedarfs ist auch nicht verfassungswidrig zu niedrig bemessen.

14

Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden. Das erstinstanzliche Urteil ist noch nicht verfahrensfehlerhaft nicht mit Gründen iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG versehen(s auch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 131/11 R - RdNr 10). Es lassen sich gerade noch eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe und damit hinreichende Entscheidungsgründe iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG erkennen.

15

Aus den vom SG festgestellten Tatsachen folgt, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 SGB II gegeben sind. Die Kläger haben einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, jedoch nur in dem von dem Beklagten bewilligten Umfang. Sie haben weder Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung (3.), noch auf eine Mehrbedarfsleistung nach § 21 SGB II (6.) oder Leistungen zur Teilhabe und Bildung nach § 28 SGB II (5.). Der erkennende Senat ist darüber hinaus von der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelbedarfe nach dem SGB II in der Fassung des RBEG überzeugt (4.), soweit es den Regelbedarf für Alleinstehende (a.) und erwachsene Ehepartner, die zusammenleben (b.) sowie für Erwachsene in einem Paarhaushalt mit Kind (c.) und ein Kind bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres (d.) betrifft.

16

3. Der Bescheid vom 12.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2011 ist im Hinblick auf die Bestimmung der Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht zu beanstanden. Nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Der Beklagte hat hier der Leistungsbewilligung die sich aus dem Mietvertrag ergebenden tatsächlichen Aufwendungen zugrunde gelegt. Danach hatten die Kläger im streitigen Zeitraum einen Bedarf in Höhe von monatlich 495 Euro, der sich aus einer Grundmiete in Höhe von 285 Euro zuzüglich einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 110 Euro sowie einer Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 100 Euro monatlich ergibt.

17

4. Die Kläger haben nach den bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) keinen Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarfe, insbesondere nicht nach § 21 Abs 7 SGB II. Es fehlt insoweit an den tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen Bedarfs. Denn es liegt kein Hinweis auf eine dezentrale Warmwassererzeugung in der Wohnung der Kläger vor. Vielmehr haben die Kläger monatlich einen Betrag in Höhe von 100 Euro für Heiz- und Warmwasserkosten zu zahlen.

18

5. Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe kann der Kläger zu 3 für den hier in Betracht kommenden Zeitraum nicht beanspruchen. Er hat sie nach den Feststellungen des SG nicht beantragt. Leistungen für Bildung und Teilhabe bedürfen jedoch nach § 37 Abs 1 S 2 SGB II - mit Ausnahme der hier aufgrund des Alters des Klägers zu 3 ohnehin nicht in Betracht kommenden Leistungen für den persönlichen Schulbedarf(§ 28 Abs 3 SGB II)- des gesonderten Antrags. Für Zeiten vor der Antragstellung werden nach § 37 Abs 2 SGB II Leistungen nicht erbracht.

19

6. Es bestand für den Senat auch kein Anlass, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 S 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19 Abs 1 S 1, § 20 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG einzuholen. Der erkennende Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Gesetzgeber durch das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG die ab dem 1.1.2011 neu festgesetzte Höhe der Regelbedarfe für Alleinstehende (a.), Ehepartner, die zusammenleben (b.), Erwachsene in einem Paarhaushalt mit Kind (c.) und Kindern bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres (d.) in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen hat.

20

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Prüfung ist wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers eine zurückhaltende materielle Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung dahingehend, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Da eine Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) nur begrenzt möglich ist, muss jenseits der Evidenzkontrolle überprüft werden, ob die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu rechtfertigen sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 = BGBl I 2010, 193, RdNr 141 ff, im Weiteren BVerfG aaO).

21

a) Der Regelbedarf der Kläger zu 1 und 2 leitet sich nach § 20 Abs 4 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG iVm § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG von dem eines Alleinstehenden in einem Einpersonenhaushalt ab. Der Regelbedarf eines solchen alleinstehenden Erwachsenen ist durch das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Der erkennende Senat schließt sich insoweit dem 14. Senat des BSG an, der dies im Juli 2012 in zwei Entscheidungen im Einzelnen dargelegt hat (SozR 4-4200 § 20 Nr 17 RdNr 19 ff; vom 12.7.2012 - B 14 AS 189/11 R - RdNr 14). Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden gegen die benannten Urteile nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12 - unveröffentlicht; BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2471/12 - unveröffentlicht; zur Bedeutung dessen s Rixen, SozSich 2013, 73 ff).

22

Der Gesetzgeber hat insoweit den ihm zugewiesenen Auftrag, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt. Der 14. Senat hat hierzu ausgeführt, dass bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Neuermittlung der Regelbedarfe der Entscheidungsprozess des Gesetzgebers bei der Neuordnung der §§ 28 ff SGB XII auf die Bemessung des Regelbedarfs in § 20 Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG zu übertragen sei. Der Gesetzgeber habe den Umfang des konkreten gesetzlichen Anspruchs auch in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt, das den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (BVerfGE, aaO) nach realitätsgerechten sowie nachvollziehbaren Festsetzungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren entspreche. Dabei habe sich der Gesetzgeber des vom BVerfG gebilligten Statistikmodells bedienen können. Innerhalb dieses Ansatzes habe er, ausgehend von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008, die Referenzgruppe anhand der unteren Einkommensgruppen bestimmt, ohne seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu überschreiten.

23

Dies gilt auch, soweit in der Literatur vorgebracht wird, der Gesetzgeber sei seinem Auftrag, auch die "versteckt Armen" aus der Regelbedarfsberechnung auszunehmen, nicht hinreichend nachgekommen (s nur Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 20 ff). Es überzeugt den Senat nicht, wenn unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG deswegen die Höhe des Regelbedarfs als nicht mit Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG vereinbar bewertet wird (so Münder, SozSich Sonderheft September 2011, 70 ff). Das BVerfG hatte den Verzicht auf eine Schätzung des Anteils der "verdeckt Armen" durch den Gesetzgeber in Ermangelung hinreichend sicherer empirischer Grundlagen durch die EVS 2003 für die Vergangenheit für vertretbar gehalten (BVerfG aaO, RdNr 169). An dem Mangel der Möglichkeit, methodisch unzweifelhaft und ohne Setzungen die "verdeckt Armen" aus den Referenzhaushalten auszuschließen, hat sich auch bei der Auswertung der EVS 2008 nichts geändert. Dies gilt zumindest für den hier zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen. Durch diesen wird der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers mitbestimmt. Aufgrund der an den Gesetzgeber gerichteten Umsetzungsverpflichtung der Entscheidung des BVerfG bis zum 31.12.2010 (BVerfGE aaO, RdNr 216) stand ein Zeitraum von nicht einmal einem Jahr für die Neufestsetzung der Regelbedarfe zur Verfügung und die Ergebnisse der EVS 2008 lagen erst im Herbst 2010 vollständig vor. In der Begründung zum RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG wird daher eine Korrektur der Referenzgruppen um die "verdeckt Armen" ua mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Einkünfte von Haushalten hätte eine Einzelfallauswertung der Haushalte erfolgen müssen. Diese wäre jedoch weder durch die Wissenschaft noch durch das Statistische Bundesamt zu leisten gewesen (BT-Drucks 17/3404, S 88). Auch insoweit wird zwar in der Literatur Kritik angebracht, insbesondere an dem über "das Notwendige hinausgehende Anforderungsprofil" des Gesetzgebers. Dadurch würden die Grenzen des Datensatzes der EVS zwangsläufig erreicht. Es werden daher Vorschläge zur methodischen Identifizierung der "verdeckten Armut" gemacht (s zusammenfassend Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 24), die einen weniger großen Genauigkeitsgrad aufweisen (Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 22). Ob der Gesetzgeber sich jedoch entschließt, angesichts der Vorgaben des BVerfG derartige offene "Ungenauigkeiten" in seine Berechnung einzubeziehen, muss seiner Entscheidung im Rahmen seines Gestaltungsspielraums vorbehalten bleiben. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Vorschlägen um wissenschaftlich noch nicht abschließend diskutierte Ansätze handelt, ein sachgerechtes Verfahren zu entwickeln oder weiterzuentwickeln, um so eine statistisch zuverlässig über der Sozialhilfeschwelle liegende Referenzgruppe zu ermitteln (Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 21). Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetzgeber bei der Auswertung der EVS 2013 der ihm vom BVerfG auferlegten Pflicht zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungssystems nachkommen muss und darauf zu achten haben wird, dass Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von SGB II und SGB XII liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden (BVerfGE, aaO, RdNr 169). Dies hat der Gesetzgeber jedoch auch selbst erkannt. Er hat in § 10 Abs 1 iVm § 10 Abs 2 Nr 1 RBEG eine Verpflichtung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bestimmt, dem Bundestag ua für die Weiterentwicklung der Methoden zur Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 Abs 1 RBEG hinsichtlich der Bestimmung von Haushalten der EVS Vorschläge zu unterbreiten, die nicht als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind, weil deren eigene Mittel nicht zur Deckung des jeweils zu unterstellenden Bedarfs nach dem SGB II und SGB XII ausreichen.

24

Der erkennende Senat ist ebenso wie der 14. Senat des BSG ferner davon überzeugt, dass die im Rahmen des Statistikmodells begründete Herausnahme einzelner Positionen durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist. Er folgt dem 14. Senat, wenn dieser ausführt, die regelbedarfsrelevanten Ausgabenpositionen und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich bleibe. Auch bei der Kennzeichnung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und dem Ausschluss bzw der Kürzung anderer Verbrauchspositionen hat der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Zutreffend hat er sich schließlich bei der Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Entscheidung für das Statistikmodell orientiert. Um Wiederholungen zu vermeiden sieht der erkennende Senat von einer Darstellung der Ausführungen im Einzelnen ab.

25

b) Die Festsetzung eines - im Vergleich zu alleinstehenden Erwachsenen - niedrigeren Regelbedarfs für die Kläger zu 1 und zu 2 gemäß § 20 Abs 4 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG, § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG aufgrund des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft - hier: aufgrund einer Ehe zwischen dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 - ist ebenso wenig verfassungswidrig. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften Aufwendungen erspart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner einen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs eines Alleinwirtschaftenden liegt. Da aufgrund des Zusammenlebens anzunehmen ist, dass beide Partner "aus einem Topf" wirtschaften, ist es auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für beide Partner einen gleich hohen Bedarf in Ansatz bringt (vgl BVerfG, aaO, RdNr 154; s auch Kohte in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 20 SGB II RdNr 54).

26

c) Auch soweit es den Regelbedarf für zwei zusammenlebende Erwachsene betrifft, in deren Haushalt mindestens ein Kind lebt, kann nicht angenommen werden, dass dieser evident zu niedrig bestimmt worden ist, obwohl der Bedarf der beiden Erwachsenen nur auf einer Ableitung dessen von einem alleinstehenden Erwachsenen beruht. Eine gesonderte Bedarfserhebung ist insoweit nicht erfolgt. Die Sonderauswertung "Paarhaushalt mit einem Kind" diente nur dazu, die "Kinderausgaben" in diesem Paarhaushalt zu bestimmen (BT-Drucks 17/3404, S 64 f). Zwar mangelt es an einer näheren Begründung für die konkrete Bemessung des grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfs für Erwachsene, die mit Kindern zusammenleben. Aus dem bloßen Fehlen einer Begründung für die Ableitung des Regelbedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt ausschließlich von dem eines Alleinstehenden kann im Gegensatz zu Münder (in Soziale Sicherheit - Sonderheft September 2011, S 80) jedoch noch nicht auf eine Unvereinbarkeit mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG geschlossen werden.

27

Der gesetzliche Leistungsanspruch muss stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf decken (BVerfG, aaO, RdNr 137). Dabei darf der Gesetzgeber in Erfüllung seines Gewährleistungsauftrags jedoch auch wertende Entscheidungen treffen, um die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht zu erfassen. Der Umfang des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der enger ist, soweit er das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, aaO, RdNr 138; BVerfGE 126, 331 RdNr 103). Aus dem Erfordernis, alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen, folgt jedoch nicht, dass die Höhe des existenznotwendigen Lebensunterhalts durch den Einsatz einer allein richtigen Berechnungsmethode punktgenau ermittelt werden kann und jede Abweichung als Verfassungsverstoß anzusehen ist (vgl Spellbrink, DVBl 2011, 661). Weder sind normative Setzungen grundsätzlich ausgeschlossen, noch ist es für die verfassungsrechtliche Prüfung von Bedeutung, ob die maßgeblichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind (BVerfG, NVwZ-RR 2012, 257). Inhaltlicher Maßstab der einfachgesetzlichen Festschreibung des Leistungsanspruchs sind Sachgerechtigkeit und Vertretbarkeit (BVerfG, aaO, RdNr 171). Gemessen an diesem Maßstab führt die Ableitung des Bedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit einem Kind von dem eines Alleinstehenden derzeit nicht zu einer evident zu niedrig bemessenen existenzsichernden Leistung.

28

Genaue Datengrundlagen zur Ermittlung des Bedarfs von zwei Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind liegen nicht vor. Ebenso wie für die Bestimmung des Existenzminimums des Kindes gilt auch hier, dass bei Haushalten mit Kindern der überwiegende Teil der Verbrauchsausgaben nicht direkt und unmittelbar auf Erwachsene und Kinder aufgeteilt werden konnte (BT-Drucks 17/3404, S 64; s zu den Einzelheiten unter 6 d cc). Es ist insoweit zwar eine Sonderauswertung für Familienhaushalte durchgeführt worden. Gleichwohl konnten im Rahmen der zur Verfügung stehenden Umsetzungszeit (s hierzu unter 6 a) nur die Verbrauchsausgaben für den gesamten Haushalt erfasst werden. Die Ableitung des Bedarfs der beiden Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind von dem eines Alleinstehenden ist daher zurzeit methodisch noch sachgerecht und vertretbar. Dies gilt umso mehr, als der erkennende Senat davon ausgeht, dass höhere Bedarfe wegen des Kindes im Wesentlichen durch erhöhte Aufwendungen im Teilhabebereich entstehen, etwa dadurch, dass das Kind - zumindest das kleinere - im Rahmen seines Anspruchs nach § 28 Abs 7 SGB II noch nicht allein am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen kann, also der Begleitung bedarf(s hierzu auch Irene Becker in SozSich, Sonderheft September 2011, 17). Im Bereich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ausgehend von der Vorgabe, dass hier nur das Minimum gewährleistet werden muss (BVerfG, aaO, RdNr 166), jedoch, wie schon dargelegt, weiter. Den Rahmen für seinen Gestaltungsspielraum bei Rückgriff auf das Statistikmodell bildet die Überlegung, dass die Summe der für die Gewährleistung des Existenzminimums erforderlichen Verbrauchsausgaben ein monatliches Budget bilden, über dessen konkrete Verwendung der Leistungsberechtigte selbst entscheidet. Maßgebend ist, dass der Gesamtbetrag des Budgets ausreicht, die Existenz zu sichern (BT-Drucks 17/3404 S 51). Dem Umstand möglicher erhöhter Bedarfe der Erwachsenen durch ein Kind in einem Paarhaushalt kann daher zum einen allgemein durch Rückgriff auf den internen Ausgleich innerhalb der Pauschale Rechnung getragen werden. Zum anderen hat der Gesetzgeber im Rahmen der Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs für Erwachsene wegen der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche, für Eltern eine Mitgliedschaft in Organisationen ohne Erwerbscharakter erstmals in voller Höhe als regelbedarfsrelevant definiert (vgl BT-Drucks 17/3404, S 64). Insoweit ist mithin der erhöhte Bedarf durch die Teilhabe des Kindes in die Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs eines Alleinstehenden eingerechnet worden.

29

Die Berücksichtigung bei der Bemessung der Pauschale hat auch hier zur Folge, dass die Entscheidung, wofür der Betrag genutzt wird, dem einzelnen Bedarfsgemeinschaftsmitglied obliegt, er also auch für andere Aufwendungen durch die Teilhabe des Kindes genutzt werden kann. Gleichwohl wird der Gesetzgeber die Bedarfe von zwei Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bei der Auswertung der EVS 2013 unter Beachtung der sich aus § 10 Abs 2 Nr 3 RBEG ergebenden Verpflichtung zu berücksichtigen haben. Danach hat das BMAS dem Bundestag bis Juli 2013 für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben von Erwachsenen Vorschläge zu unterbreiten, die in einem Mehrpersonenhaushalt leben. Diese bilden sodann die Grundlage für die Ermittlung von Regelbedarfen und die danach vorzunehmende Bestimmung von Regelbedarfsstufen für Erwachsene, die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben.

30

Soweit Münder in seine Überlegungen auch die "Haushaltsgemeinkosten" einbezieht, wird zwar schon nicht hinreichend deutlich, welche Kosten er hier betrachtet (Münder, SozSich, Sonderheft September 2011, 85). Unbestritten steigen nach allgemeiner Lebenserfahrung durch ein Kind in einem Haushalt allerdings die Aufwendungen etwa in den Abteilungen 04 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung), 05 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände), 08 (Nachrichtenübermittlung) und 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Derartige Aufwendungen sind jedoch in die Bemessung der Regelbedarfe der Kinder in Abhängigkeit von den Aufwendungen des Haushalts, als deren eigene Bedarfe eingeflossen (zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Kinderregelbedarfe s unten unter 6 d, cc). Inwieweit darüber hinaus den Erwachsenen selbst durch das Zusammenleben mit dem Kind weitere Bedarfe als die durch die bereits erörterten der Teilhabe entstehen, ist nicht ersichtlich.

31

Daraus, dass der Gesetzgeber für Alleinerziehende einen zusätzlichen Bedarf bei Pflege und Erziehung von Kindern (§ 21 Abs 3 SGB II) erkannt hat, folgt keine Verengung seines Gestaltungsspielraums derart, dass von der Annahme der Verfassungswidrigkeit der Ableitung der Höhe des Regelbedarfs für zwei Erwachsene in einem Paarhaushalt mit einem Kind ausschließlich von dem Regelbedarf eines Alleinstehenden ausgegangen werden müsste. Dies folgt zwar nicht bereits daraus, dass der Gesetzgeber bei den Alleinerziehenden nicht den Regelbedarf an sich höher bemessen hat, sondern ihnen eine zusätzliche Mehrbedarfsleistung zubilligt. Er braucht die Existenz nicht allein durch die Regelleistung zu sichern. Es obliegt seinem Gestaltungsspielraum, ob er sich insoweit ergänzender Leistungen bedient oder den erkannten Bedarf in die Bemessung des Regelbedarfs einbezieht. Entscheidend insoweit ist nur, dass das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum sichergestellt wird (BVerfG, aaO, RdNr 170). Soweit mithin aus dem für Alleinerziehende ermittelten verfassungsrechtlich relevant zu deckenden Bedarf folgen sollte, dass sich dieser mit dem von zwei Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind deckt, jedoch entweder nicht in der Höhe deren Regelbedarfs niederschlägt oder nicht über eine gesonderte Leistung gedeckt wird, kann dies auch bedeuten, dass das verfassungsrechtlich zu gewährleistende Existenzminimum der Erwachsenen im Paarhaushalt mit Kindern unterschritten wird. Dies ist jedoch nicht der Fall.

32

Es mangelt den Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bereits an einem verfassungsrechtlich relevanten Bedarf durch die Erziehung und Pflege der Kinder, wie er für "Alleinerziehende" erkannt worden ist. Bei dem Personenkreis der Alleinerziehenden ist von einer besonderen Bedarfssituation auszugehen, bei der typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 14 ff; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15). Solche besonderen Lebensumstände sind ausgehend von den Gesetzesmaterialien zur Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im BSHG (vgl den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985, BT-Drucks 10/3079 S 5) exemplarisch darin gesehen worden, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen bzw externen Rat in Betreuungs-, Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigen. Auch der Zweck des § 21 Abs 3 SGB II liegt darin, den höheren Aufwand von Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege bzw Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für die Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen(BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 14; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 1). Zwar ist an diesen Gründen die Kritik geäußert worden, der Mehrbedarf für Alleinerziehende sei wegen des gesellschaftlichen Wandels überholt (Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand XI/2010, § 21 RdNr 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K, Stand V/2011, § 21 RdNr 36). Abgesehen davon, dass sich die Gruppe der Alleinerziehenden gegenüber allen anderen Haushaltsformen nach wie vor besonders oft unterhalb der relativen Einkommensschwelle befindet und auch als Erwerbstätige signifikant niedrigere Einkommen als Paarhaushalte erzielt (vgl den 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2012, S 324, 329), ändert ein Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen nichts an der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Wertung im Hinblick auf die Bemessung des Regelbedarfs eines Paares mit Kind. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam, noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfGE 113, 167 ff, 215 = SozR 4-2500 § 266 Nr 6). Zumindest können diese Wertungen nicht umgekehrt dazu führen, dass Bedarfe durch Kindererziehung in dem gleiche Maße wie bei Alleinstehenden auch bei zwei Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bedarfserhöhend berücksichtigt werden müssten, ohne dass das Existenzminimum Letzterer evident zu niedrig bemessen wäre.

33

d) Auch die Festsetzung des Regelbedarfs für den Kläger zu 3 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der für Kinder, die, wie der Kläger zu 3, unter sechs Jahre alt sind, gesetzlich in § 23 Nr 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG, § 8 Abs 1 Nr 6 RBEG vorgesehene Bedarf ist, zumindest soweit er Kinder bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres betrifft, nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Der Gesetzgeber hat den ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraum nicht evident unter- bzw überschritten.

34

aa) Soweit es die Fragen der grundsätzlichen Eignung der EVS zur Bestimmung des Umfangs des existenznotwendigen Bedarfs, die Wahl der Referenzhaushalte, die Tragfähigkeit der Auswertung und die grundsätzliche Bestimmung des regelsatzrelevanten Bedarfs angeht, gilt dasselbe, wie für die Bemessung des Regelbedarfs für die Alleinstehenden ausgeführt (6 a). Um Wiederholungen zu vermeiden, wird darauf verwiesen.

35

bb) Eine Problematisierung der Altersstufungen in den Regelbedarfsstufen des § 28 Abs 4 SGB XII iVm § 8 Abs 1 Nr 4 bis 6, Abs 2 RBEG, § 23 Nr 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG erübrigt sich im vorliegenden Fall. Selbst mit der von Margot Münnich und Thomas Krebs verwendeten Stufung in der Studie "Ausgaben für Kinder in Deutschland" (in Wirtschaft und Statistik 2002, S 1080 ff), auf die das BVerfG verwiesen hat (BVerfG aaO, RdNr 194, 198), würde sich hier kein anderes Ergebnis ergeben. Auch bei ihnen umfasst die unterste Altersstufe Kinder im Alter von 0 bis unter 6 Jahren. Da der Kläger zu 3 im hier streitigen Zeitraum erst das zweite Lebensjahr vollendet hat, sind weitere Differenzierungen nach anderen Altersgruppen nicht entscheidungserheblich.

36

Die generelle Bemessung des kindlichen Regelbedarfs nach Altersstufen ist nicht zu beanstanden. Das BVerfG hat insoweit auch lediglich darauf hingewiesen, dass nach der oben benannten Studie von Münnich/Krebs, die bis zum 1.12.2010 geltenden Altersstufen nach § 28 Abs 1 S 3 Nr 1 SGB II nicht abbildeten, dass sich die Ausgaben für den privaten Konsum eines Kindes generell mit steigendem Lebensalter erhöhten und dass sie im Vergleich zwischen Kindern unter 6 Jahren (1. Altersgruppe) und Kindern zwischen 12 und 18 Jahren (3. Altersgruppe) bei Alleinerziehenden mit einem Kind um mehr als ein Drittel und bei Paaren mit einem Kind fast um die Hälfte wachsen würden (BVerfG, aaO, RdNr 194 unter Verweis auf Münnich/Krebs, aaO, S 1089, 1091).

37

cc) Auch die Bestimmung des Regelbedarfs von Kindern mittels des Verteilungsschlüssels in Ableitung vom Bedarf des Haushalts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

38

Der Gesetzgeber hatte bis zum RBEG Ermittlungen zum Bedarf von Kindern unterlassen. Der Abschlag von 40 % gegenüber der Regelleistung für einen Alleinstehenden beruhte - so das BVerfG - auf einer freihändigen Setzung ohne empirische und methodische Fundierung (BVerfG, aaO, RdNr 191). Da der Gesetzgeber des RBEG sich zur Bedarfsermittlung der vom BVerfG gebilligten Methode der EVS bedient hat, in der EVS die Ausgaben für den privaten Verbrauch jedoch nur für den Haushalt insgesamt erfasst werden, sind ausschließlich beim Einpersonenhaushalt alle Verbrauchsausgaben eindeutig der im Haushalt lebenden Person zuzuordnen. Bei Mehrpersonenhaushalten, so die Begründung zum Entwurf des RBEG, sei dies dagegen nur bei wenigen Verbrauchsausgaben möglich. Dies bedeute aber auch, dass bei Haushalten mit Kindern der überwiegende Teil der Verbrauchsausgaben nicht direkt und unmittelbar auf Erwachsene und Kinder aufgeteilt werden könne (BT-Drucks 17/3404, S 64 ff). Die Zuordnung der Verbrauchsausgaben der Familienhaushalte auf die im Haushalt lebenden Personen - zwei erwachsene Personen und ein Kind - erfolgte deswegen nunmehr auf der Grundlage der Studie "Kosten eines Kindes", die im Auftrag des BMFSFJ erstellt wurde. Für die Ermittlung der Anteile sind gesonderte Berechnungen vorgenommen worden. Diese Festlegungen sind - so die Begründung zum Entwurf des RBEG - in einer hierzu vom BMFSFJ eingerichteten Arbeitsgruppe unter Einbeziehung von Wissenschaftlern getroffen worden. Die Verteilung erfolgt entweder auf Grundlage von Gutachten (bei den Bedarfen für Ernährung, Getränke, Verpflegungsdienstleistungen, Strom und Wohnungsinstandsetzung), nach Köpfen (bei den Bedarfen für Gesundheitspflege, Telefon und Zeitungen/Bücher, Bekleidung und Schuhe), nach der neuen OECD-Skala (bei den Bedarfen für Kühlschränke, Waschmaschinen, Haushaltsgeräte, Diensten und Gütern für Körperpflege) oder allein auf Erwachsene bzw Kinder (bei den Bedarfen für Praxisgebühren, Post- und Kurierdienste, Finanzdienstleistungen und Mitgliedsbeiträge für Organisationen ohne Erwerbszweck). Das Statistische Bundesamt hat alsdann aufgrund der in dieser Arbeitsgruppe ermittelten und festgelegten Verteilungsschlüssel modellhaft für alle Haushalte mit Kindern auf Basis der EVS 1998 und 2003 eine Verteilung der Haushaltsausgaben auf Kinder und Erwachsene ermittelt (BT-Drucks 17/3404, S 64 ff). Zwar ist damit im Ergebnis eine normative Festlegung für die Verteilung der Haushaltsausgaben auf Erwachsene und Kinder im Haushalt erfolgt. Auch wird die nunmehr gewählte Methode zur Feststellung des existenzsichernden kindlichen Bedarfs in der Literatur als zwischenzeitlich durch neue Erkenntnisse überholt bezeichnet (vgl Irene Becker SozSich, Sonderheft September 2011, S 17 ff). Die Methode des Verteilungsschlüssels ist jedoch gleichwohl eine verfassungsrechtlich zulässige Methode zur Bestimmung des existenzsichernden kindlichen Bedarfs.

39

Die Methode des Verteilungsschlüssels stellt ein transparentes und nachvollziehbares Verfahren zur Bemessung des Kinderregelbedarfs dar. Ihr liegt eine wissenschaftlich begründete Methode zugrunde. Das BVerfG selbst hat auf die Möglichkeit der Wahl dieser Methode hingewiesen (BVerfG, aaO, RdNr 198). Es hatte die Verfassungswidrigkeit des Sozialgeldes für Kinder nach § 28 Abs 1 S 3 Nr 1 1. Alt SGB II in Höhe von 207 Euro auch in erster Linie damit begründet, dass die Ableitung des Regelbedarfs für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres mit 60 % von der Regelleistung für einen alleinstehenden Erwachsenen auf keiner vertretbaren Methode zur Bestimmung des Existenzminimums beruht und festgestellt, dass schon die Alltagserfahrungen auf das Vorhandensein eines besonderen kinder- und alterspezifischen Bedarfs hindeuten, den es in dem Satz "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen" zusammengefasst hat. Ihr Bedarf, der zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums gedeckt werden müsse, habe sich an kindlichen Entwicklungsphasen auszurichten und an dem, was für die Persönlichkeitsentfaltung eines Kindes erforderlich sei (BVerfG, aaO, RdNr 195). Dies gewährleistet die Bestimmung des kindlichen Bedarfs durch Verteilung der Aufwendungen des Familienhaushalts auf die Haushaltsmitglieder. Die Wahl der "besten" Methode ist verfassungsrechtlich nicht geboten, solange die gewählte Methode vertretbar und geeignet ist. Dies gilt für die Methode des "Verteilungsschlüssels". Sie wird daher auch in der juristischen Literatur überwiegend als eine verfassungsrechtlich zulässige Möglichkeit bewertet, den kindlichen Bedarf zu messen und zuzuordnen (vgl Hörrmann, Rechtsprobleme des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, 1. Aufl 2013, S 113; Münder, SozSich - Sonderheft September 2011, 85).

40

Soweit Kritik an dem hinterlegten Zahlenmaterial geübt und hieraus abgeleitet wird, dass es deswegen an einem qualitativ validen Ergebnis mangele (Hörrmann, Rechtsprobleme des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, 1. Aufl 2013, S 116) und das Transparenzgebot missachtet worden sei (ders, aaO, S 18; Lenze, WSi-Mitteilungen 2011, 534, 537), vermag der Senat hieraus keine Verfassungswidrigkeit der Höhe des Regelbedarfs für ein Kind bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres abzuleiten. Dass zum Teil keine konkret bezifferten Aufwendungen in die Bemessung eingeflossen sind, ist dem Umstand geschuldet, dass insoweit nicht genügend Haushalte Angaben zu ihrem Verbrauchsverhalten gemacht haben (weniger als 25 Haushalte; s auch BT-Drucks 17/3404, S 65; zur Kritik hieran vgl Irene Becker in SozSich, Sonderheft September 2011, 33, die zu dem Ergebnis gelangt, dass die für Kinder unter 6 Jahren durchgeführte Regelbedarfsberechnung statistisch nicht hinreichend signifikant sei). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot kann hierin deswegen jedoch nicht erkannt werden (so auch Mogwitz, ZfSH/SGB 2011, 323, 333). Die Bedarfe sind gleichwohl zu jeweils 100 % als regelsatzrelevanter Anteil des Kindes in die Bemessung des Regelbedarfs eingeflossen (BT-Drucks 17/3404, S 52). Da die Methode des "Verteilungsschlüssels" an sich, wie schon dargelegt, nicht zu beanstanden ist, kann angesichts der engen zeitlichen Vorgaben des BVerfG zur Umsetzung der Neuregelung (s bereits unter 6 a) allein aufgrund nicht hinreichender Befragungsergebnisse noch kein evident zu niedrig bemessener Regelbedarf für den Kläger zu 3 festgestellt werden (Mogwitz, ZfSH/SGB 2011, 323, 333; vgl auch Irene Becker in SozSich, Sonderheft September 2011, 18 f). Nach § 10 Abs 2 Nr 2 RBEG hat das BMAS den Auftrag, dem Deutschen Bundestag bis zum 1.7.2013 Vorschläge für die Überprüfung und Weiterentwicklung der Verteilungsschlüssel hinsichtlich der Verteilung der Verbrauchsausgaben von Familienhaushalten nach § 2 Nr 2 RBEG auf Kinder und Jugendliche als Grundlage für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben nach § 6 RBEG vorzulegen. Auf dieser Grundlage muss der Gesetzgeber bei der Auswertung der EVS 2013, um dem verfassungsrechtlichen Maßstab der Ermittlung des Anspruchsumfangs in einem transparenten und sachgerechten Verfahren, realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu entsprechen (BVerfGE aaO, Leitsatz 3), auf aussagekräftige Daten zurückgreifen können.

41

dd) Das Vorbringen der Kläger zu der Bedarfsposition "Kinderschuhe", die ihrer Ansicht nach in verfassungswidriger Art zu niedrig bemessen worden sind, vermag nicht zu überzeugen. Dass dieser Bedarf für Kinder unter 6 Jahren (Abteilung 03, laufende Nr 8) um 2,58 Euro niedriger ist als für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren, kann zumindest bei einem bis zu zweijährigen Kind keine fehlerhafte Bemessung nach sich ziehen. Es ist nicht ersichtlich, dass für die hier zu betrachtende Altersgruppe bis zu 2 Jahren der eingestellte monatliche Bedarf von 7,02 Euro evident zu niedrig bemessen ist. Zur Begründung führen die Kläger an, Kinderfüße seien in den ersten Lebensjahren besonders leicht deformierbar, wüchsen in den ersten drei Lebensjahren 1,5 mm pro Monat und Kinder unter 6 Jahren benötigten besonders häufig neue Schuhe. Kinder laufen jedoch nicht vom ersten Tag ihres Lebens an, sondern in der Regel erst mit einem Jahr. Gleichwohl ist in dem Regelbedarf auch zwischen der Geburt und der Vollendung des ersten Lebensjahres ein Bedarf für Schuhe von monatlich 7,02 Euro berücksichtigt worden.

42

Wenig überzeugend erscheint auch die in der Literatur vorgebrachte Kritik an der Höhe des Regelbedarfs für Kinder bis zu 2 Jahren in der Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Es wird darauf hingewiesen, dass für "sonstige Verbrauchsgüter für die Körperpflege" (laufende Nr 74) nur 2,19 Euro als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgabe pro Kind eingestellt seien. Von diesem Betrag könne beispielsweise ein Vorrat an Babywindeln nur für ein paar Tage gekauft werden (Rothkegel, ZfSH/SGB 2011, 79). Insoweit wird jedoch verkannt, dass auch der Regelbedarf für Kinder in pauschalierter Form gewährt wird. Dies bedeutet, dass ein erhöhter Bedarf für eine bestimmte Position durch einen verminderten Bedarf bei einer anderen Position ausgeglichen werden kann. Dies zeigt sich bei der Abteilung 08 besonders deutlich. Dort sind "sonstige Verbrauchsgüter für die Körperpflege" für alle Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Im Normalfall sind für ein fünfjähriges Kind keine Aufwendungen für Windeln mehr erforderlich, hingegen jedoch möglicherweise aus den Positionen 69 (Uhren) oder 73 (Toilettenpapier). Umgekehrt wird ein Kind im Alter des Klägers zu 3 keinen Bedarf für Uhren, elektrische Geräte zur Körperpflege, Haarpflege, Rasiermittel (laufende Nr 72) oder Toilettenpapier (laufende Nummer 73) haben.

43

ee) Auch die Aufspaltung der Grundsicherungsleistungen für Kinder in der Altersstufe des Klägers zu 3 in Regelbedarf und Bildungs- sowie Teilhabebedarfe nach § 28 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG führt nicht zu einer Verletzung von Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG durch Unterschreitung des ihnen zu sichernden Existenzminimums.

44

(1) Alg II bzw Sozialgeld und Leistungen zur Bildung und Teilhabe dienen in ihrer Kombination der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums iS des Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG. Das BVerfG hat den grundsicherungsrelevanten Bedarf von Kindern und Jugendlichen aus einer Zusammenschau der für das Alg II/Sozialgeld bedeutsamen Bedarfe und denen zur Bildung und Teilhabe bestimmt (BVerfGE, aaO, RdNr 197). Die Bedarfe für Bildung und Teilhabe stellen also nicht lediglich über den grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarf hinausgehende Leistungen an Kinder und Jugendliche dar, sondern sind gerade Teil des grundsicherungsrelevanten Bedarfs, den der Gesetzgeber zu decken hat (BVerfG, aaO, RdNr 192). Dem hat der Gesetzgeber durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung der passiven Leistungen des SGB II durch § 19 Abs 1 und 2 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG Rechnung getragen. Nunmehr können auch die in §§ 19, 28 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG genannten Bedarfe die Leistungsberechtigung insgesamt auslösen(vgl § 7 Abs 2 S 3, § 9 Abs 2 S 3, § 13 Abs 1 Nr 4 SGB II; vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 28 Rz 23, Stand XI/12).

45

(2) Auch wenn für den Kläger zu 3 keine Leistungen für Bildung und Teilhabe beantragt worden sind, sind diese gleichwohl bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der existenzsichernden Leistungen zu berücksichtigen. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss zwar so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfGE, aaO, RdNr 137 unter Hinweis auf BVerfGE 87, 153, 172; BVerfGE 91, 93, 112; BVerfGE 99, 246, 261; BVerfGE 120, 125, 155 und 166). Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum umfasst jedoch die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs (BVerfGE, aaO, RdNr 138). Insoweit kommt es, wenn der Gesetzgeber - wie im Teilhabe- und Bildungsbereich - Sach- oder Dienstleistungen zur Existenzsicherung anbietet, nicht darauf an, ob diese Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass sie zur Verfügung stehen. Dies ist bei Kindern bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres durch die Zusammenschau von Regelbedarf und Leistungen für Bildung und Teilhabe der Fall. Soweit wie hier, die Gewährung von Grundsicherungsleistungen jedoch von der Antragstellung abhängig ist, obliegt es dem einzelnen Leistungsberechtigten, seinen Bedarf gegenüber dem Leistungsträger geltend zu machen.

46

(3) Im Gegensatz zur Auffassung des SG ist ein Kind im Alter des Klägers zu 3 auch nicht von den gesetzlich vorgesehenen Leistungen des § 28 SGB II ausgeschlossen. Sie sind Teil auch seiner Existenzsicherung. § 28 Abs 2 S 2 und § 28 Abs 6 S 1 Nr 2 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG sehen vor, dass für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen Ausflüge und Mittagsverpflegung förderfähig sind. Dabei handelt es sich nicht lediglich um Kindergärten. Vielmehr ist der Begriff im gleichen Sinn auszulegen wie § 22 Abs 1 S 1 SGB VIII und umfasst damit neben Kindergärten - unabhängig von ihrer Bezeichnung im einzelnen Fall - auch Krabbelgruppen, Kinderhorte, Kleinspielkreise, Kinderkrippen etc(vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 28 RdNr 45 [Stand: 11/12]; Leopold in Schlegel/Voelzke/Radüge, JurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 28 RdNr 49; Thommes in Gagel, SGB II/III, § 28 SGB II RdNr 13 [Stand: 4/12]; vgl auch Fach in Oestreicher, SGB II/XII, § 28 SGB II RdNr 51 [Stand: 10/12]; aA O. Loose in Hohm, GK-SGB II, § 28 RdNr 29 [Stand: 12/11], der - trotz § 26 SGB VIII methodisch fragwürdig - auf das jeweilige Landesrecht zurückgreifen möchte). Jedenfalls gemeint sind Einrichtungen zur Betreuung von Kindern im Vorschulalter. Ebenso stehen die Leistungen nach § 28 Abs 7 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG für den Kläger zu 3 zur Verfügung. Soweit diese auf Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, auf Unterricht in künstlerischen Fächern (zum Beispiel Musikunterricht) und vergleichbaren angeleiteten Tätigkeiten der kulturellen Bildung und der Teilnahme an Freizeiten beschränkt sind, folgt auch hieraus keine verfassungswidrige Unterversorgung des Klägers zu 3. Diese Leistungen dienen dem legitimen Ziel der Herstellung von Chancengleichheit zwischen leistungs- und nichtleistungsbeziehenden Kindern, insbesondere durch Integration in bestehende Vereins- und Gemeinschaftsstrukturen (BT-Drucks 17/3404 S 106). Dass der Gesetzgeber dort nicht alle denkbaren Bereiche gemeinschaftlicher Aktivität von Kindern aufgenommen hat, ist dem vom BVerfG (BVerfG, aaO, RdNr 133, 138) ausdrücklich gebilligten Gestaltungsspielraum geschuldet. Dieser Gedanke rechtfertigt es auch, zB Kinobesuche von der Förderfähigkeit zumindest bei Kindern im Alter des Klägers zu 3 auszunehmen. Im Übrigen ist die einfachgesetzliche Regelung des § 28 Abs 7 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG, die durch ihre offenen Tatbestände viele Spielräume eröffnet, erforderlichenfalls in verfassungskonformer Weise auszulegen.

47

(4) Unschädlich ist insoweit auch, dass der Gesetzgeber die Bildungs- und Teilhabeleistungen als Sach- oder Dienstleistungen und nicht in einer Pauschale als Geldleistung erbringt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG bleibt dem Gesetzgeber die Entscheidung überlassen, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber etwa im Rahmen des § 28 Abs 7 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG nicht bloß einen monatlichen Geldbetrag in Höhe von 10 Euro an leistungsberechtigte Kinder zur Verfügung stellt, sondern diesen mit bestimmten Verwendungszwecken verknüpft hat. Mit der Zurverfügungstellung des Geldbetrags allein könnte nicht sichergestellt werden, dass die Geldmittel auch dazu verwendet werden, eben den Teilhabeanteil - als kindgerechter Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums - eines Kindes zu decken. Eine alleinige nachträgliche Kontrolle der zweckentsprechenden Verwendung geleisteter Geldzahlungen (vgl § 29 Abs 4 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) als theoretisch denkbares milderes Mittel reicht nicht aus, um das soziokulturelle Existenzminimum in dem Zeitraum sicherzustellen, für welchen die Leistungen gewährt werden. Vielmehr bedarf es einer gegenwärtigen Sicherstellung im fraglichen Zeitraum (Gegenwärtigkeitsprinzip).

48

(5) Nicht entscheidungserheblich ist ferner, dass das SG keine Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen in der Wohnortgemeinde bzw dem sozialen Umfeld des Klägers zu 3 im Hinblick auf das dortige Teilhabeangebot iS des § 28 Abs 7 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG getroffen hat. Die Teilhabemöglichkeiten sind zwar abhängig von den örtlichen Verhältnissen. Sie sollen jedoch lediglich gewährleisten, dass den Betroffenen eine Teilhabe im Rahmen der bestehenden örtlichen Infrastruktur ermöglicht wird. Damit reicht es für die Existenzsicherung aus, wenn die Inanspruchnahme entsprechender Angebote durch die Teilhabeleistungen sichergestellt wird.

49

Die Träger der Leistungen für Bildung und Teilhabe (gemäß § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II die kommunalen Träger) trifft nach der nicht zu beanstandenden gesetzgeberischen Konzeption insoweit auch kein Sicherstellungsauftrag. Vielmehr haben sie lediglich die finanziellen Hürden zu beseitigen, die einer Integration von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft entgegenstehen bzw sie behindern können (vgl BT-Drucks 17/3404 S 107). Zwar wird verschiedentlich gegen eine gutscheinweise Gewährung von Teilhabeleistungen und eine dadurch eintretende Erfüllung des Leistungsanspruchs (vgl § 29 Abs 2 S 1, Abs 3 S 1 SGB II) eingewandt, insbesondere im "ländlichen Bereich" könne es so zu einer Unterdeckung des Teilhabebedarfs von Kindern und Jugendlichen kommen, falls dort keine entsprechenden Angebote bestünden (so zB Münder, SozSich, Sonderheft September 2011, 88 f). Es erscheint indes bei tatsächlicher Betrachtung kaum vorstellbar, dass es Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland gibt, in denen es überhaupt keine Angebote für Kinder, insbesondere solcher der Altersstufe 1, gibt, die in Anspruch genommen werden könnten. Dies gilt auch für den hier zu beurteilenden Fall, der zudem den städtischen Bereich betrifft.

50

Das Fehlen eines Sicherstellungsauftrages iS der Bereitstellung eines, womöglich sogar eigenen Angebots der Kommunen ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums beinhaltet zwar eine Verpflichtung des Staates zum Schutz der menschlichen Würde dahingehend, dass er es zu unterlassen hat, ua durch öffentlich-rechtliche Vorschriften diese verfassungsrechtliche Garantie zu beeinträchtigen. Dem Gesetzgeber ist hierbei indes ein erheblicher Gestaltungsspielraum zuzugestehen (BVerfG, aaO, RdNr 133, 138; Höfling in Sachs, GG, 6. Aufl 2011, Art 1 RdNr 49; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 1 RdNr 14). Der Staat ist lediglich verpflichtet, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein, erforderlichenfalls auch durch Sozialleistungen zu sichern (vgl BVerfG vom 29.5.1990 - 1 BvL 20/84 - BVerfGE 82, 60, 85 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1; Dreier in Dreier, GG, Band I, 2. Aufl 2004, Art 1 Abs 1 RdNr 158 mwN; Höfling in Sachs, GG, 6. Aufl 2011, Art 1 RdNr 31 f, 48; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 1 RdNr 22). Hieraus lässt sich, wie das BVerfG betont hat (BVerfG, aaO, RdNr 138), indes kein konkreter Leistungsanspruch zugunsten Einzelner ableiten.

51

(6) Auch rechnerisch wird die Herausnahme einzelner vormals regelbedarfsrelevanter Positionen durch das RBEG aus dem Regelbedarf durch die Bildungs- und Teilhabeleistungen in der Altersstufe des Klägers zu 3 ausgeglichen. Der Bedarf für den Bereich "Außerschulischer Unterricht, Hobbykurse" beträgt nach dem zuvor bereits näher erörterten Verteilungsschlüssel bis zu 3,58 Euro pro Kind in einem Paarhaushalt mit Kind. In dem Haushalt fallen jedoch insgesamt Bedarfe in Höhe von maximal 10,74 Euro für die Verbrauchsposition "Außerschulischer Unterricht, Hobbykurse" an. Für "Mitgliedsbeiträge an Organisationen ohne Erwerbszweck" sind es bis zu 2,60 Euro für den gesamten Haushalt, je nach Alter des Kindes (BT-Drucks 17/3404, S 106). Angesichts dessen ist es evident, dass aufgrund des Leistungsbetrags von 10 Euro nach § 28 Abs 7 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG die Herausnahme der Bedarfspositionen einen Ausgleich findet(aA wohl Lenze, WSI-Mitteilungen 2011, 534, 537, die allerdings auch die Kürzungen wohl erst für die Altersstufe 2 annimmt; Rothkegel, ZfSH/SGB 2011, 69, 80 f, der eher die zutreffende Höhe der Leistungen nach § 28 Abs 7 SGB II bezweifelt).

52

Soweit gegen die nach § 28 Abs 7 SGB II vorgesehene Berücksichtigung eines Bedarfs an Leistungen zur Teilhabe in Höhe von 10 Euro im Monat vorgebracht wird, dieser Betrag sei "ins Blaue hinein" geschätzt und nicht folgerichtig iS der Rechtsprechung des BVerfG ermittelt, geht dieser Einwand hinsichtlich des Klägers zu 3 als Anspruchsberechtigtem ins Leere. Der vom Gesetzgeber gewählte Wert ist nicht zu beanstanden. Aus der Auswertung der EVS 2008 ergibt sich hinsichtlich der Ausgaben des privaten Konsums von Ehepaaren und sonstigen Paarhaushalten mit einem Kind im Alter von unter sechs Jahren, dass die anteiligen für Kinder in diesem Alter vorgesehenen Bedarfe deutlich unterhalb der gesetzlich vorgesehenen 10 Euro monatlich liegen. Für Freizeit- und Kulturdienstleistungen weist die EVS 2008 für Kinder im Alter unter sechs Jahren insgesamt einen Wert von 5,56 Euro monatlich aus (BT-Drucks 17/3404 S 146, Code 159 094). Davon wurden 1,08 Euro für "Außerschulischen Unterricht und Hobbykurse" (BT-Drucks 17/3404 S 146 Code 160 0941 020), die für den Teilhabebedarf iS des § 28 Abs 7 SGB II relevant sind, aus dem Regelbedarf gestrichen. Letztlich wird auch von Kritikern zugestanden, dass der vom Gesetzgeber veranschlagte Betrag in Höhe von 10 Euro pro Monat nicht evident unzureichend ist, um den Bedarf zu decken (vgl Münder in SozSich, Sonderheft September 2011, 87).

53

Gegen die Berücksichtigung der Auswertung solcher Angaben im Rahmen des § 28 Abs 7 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG kann nicht eine mangelnde Datentransparenz eingewendet werden. Der für Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren ermittelte Wert ist offen ausgewiesen (BT-Drucks 17/3404 S 146). Auf die Frage nach der Behandlung von Positionen, die in der EVS 2008 aufgrund der geringen Anzahl auswertbarer Angaben (weniger als 25 Haushalte) durch " / " gekennzeichnet wurden (hierzu zB Mogwitz, ZfSH/SGB 2011, 323, 332 f), kommt es im hier zu beurteilenden Fall nicht an.

54

(7) Die vielfach kritisierten "Kürzungen" des Regelbedarfs von Kindern wegen der Leistungen für den persönlichen Schulbedarf nach § 28 Abs 3 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG trifft den Kläger zu 3 nicht. Die Position "sonstige Verbrauchsgüter" (ua Schreibwaren und Zeichenmaterial) in der Abteilung 09 ist für Kinder bis zu 5 Jahren zu 100 % regelbedarfsrelevant. Erst für Kinder ab 6 bis 17 Jahren werden diese Güter aus der Bemessung des Regelbedarfs herausgenommen, weil für diese Leistungen gesondert über das Schulbasispaket gewährt werden (BT-Drucks 17/3404, S 72). Der Einwand, der Schulausstattungsbedarf gemäß § 28 Abs 3 SGB II sei lediglich freihändig geschätzt und empirisch nicht nachgewiesen oder nachvollziehbar, geht bei Betrachtung der Person des Klägers zu 3 daher ebenfalls ins Leere, denn er ist insoweit nicht anspruchsberechtigt. Dies sind nur Schülerinnen und Schüler.

55

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Mai 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurück-verwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger die gemäß § 35 Abs 2 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährte erhöhte Pflegezulage entziehen durfte, nachdem dieser seine Pflegerin geheiratet hatte.

2

Der 1929 geborene Kläger erhält als Kriegsbeschädigter aufgrund des Bescheides des beklagten Landes vom 27.8.1991 wegen eines Verlustes des linken Auges und der Erblindung des rechten Auges Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 100 (bis 20.12.2007: Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vH).

3

Nach dem Tod seiner Ehefrau schloss der Kläger mit der 1935 geborenen E. G. (G) am 17.4.1997 mit Wirkung ab 1.5.1997 einen Pflegearbeitsvertrag. Auf seinen Antrag gewährte ihm der Beklagte - neben der Pflegezulage nach Stufe III - eine erhöhte Pflegezulage nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG, und zwar ab 1.5.1997 in Höhe von monatlich 3651 DM, ab 1.7.1997 in Höhe von monatlich 3603 DM (Bescheid vom 22.9.1997). Dabei legte er die im Arbeitsvertrag vereinbarte Pflegezeit (8 Stunden täglich zuzüglich Überstunden) zugrunde und erkannte die dafür zu zahlende Vergütung nach Vergütungsgruppe 9 der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) samt Arbeitgeberaufwendungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 4586,55 DM als aufzuwendende angemessene Kosten an.

4

In der Folgezeit wurde die Höhe der erhöhten Pflegezulage wegen Änderungen der Berechnungsfaktoren wiederholt neu festgestellt; ua wurde die Pflegezulage mit Bescheid vom 8.2.2002 ab 1.1.2002 (einschließlich der Pflegepauschale nach Stufe III) entsprechend den aufzuwendenden angemessenen Pflegekosten auf 2846 Euro festgesetzt.

5

Nachdem der Kläger im Oktober 2003 angekündigt hatte, dass er seine Pflegerin im Dezember heiraten wolle, teilte ihm der Beklagte mit Schreiben vom 19.11.2003 mit, dass der Arbeitsvertrag damit nicht mehr in der bestehenden Form gültig sein werde. Die Zahlung der erhöhten Pflegezulage nach § 35 Abs 2 BVG werde daher ab Januar 2004 eingestellt. Bis zur Neuentscheidung über die (erhöhte) Pflegezulage werde ab Januar 2004 die pauschale Pflegezulage nach Stufe III von 558 Euro gewährt.

6

Mit Schreiben vom 19.12.2003 zeigte der Kläger unter Vorlage der Heiratsurkunde an, dass er mit seiner Pflegerin, Frau G, am 17.12.2003 die Ehe geschlossen habe. Zugleich teilte er mit, dass der Pflegearbeitsvertrag auch nach der Verheiratung in dem bestehenden Umfang weiterhin gültig und dementsprechend fortzuführen sei. Er bitte deshalb, auch in seinem Fall in dieser Weise zu verfahren.

7

           

Mit Bescheid vom 23.1.2004 hob der Beklagte den Bescheid vom 8.2.2002 gemäß § 48 SGB X auf und stellte die Höhe der Pflegezulage für die Zeit von Januar 2002 bis Dezember 2003 neu fest. In Nr 6 und Nr 7 dieses Bescheides führte er aus:

        

6. … Aufgrund Ihrer Eheschließung am 17.12.2003 wird die Vergütung entsprechend des Arbeitsvertrages vom 17.4.1997 bis zum 17.12.2003 nach § 35 Abs 2 BVG erstattet. Für die Zeit vom 18. bis 31.12.2003 wird die pauschale Pflegezulage in Höhe von 14/31 gewährt.

        

7. Über die Erhöhung der Pflegezulage ab 18.12.2003 aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrages ist in einem weiteren Bescheid zu entscheiden.

8

Gegen diesen mit einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein.

9

Nachdem der Beklagte unter dem 9.3.2004 eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit ab Dezember 2003 vorgenommen hatte, lehnte er mit Bescheid vom 4.11.2004 die Weitergewährung der erhöhten Pflegezulage für die Zeit nach dem 17.12.2003 ab. Nach der Eheschließung sei auch bei einem Fortdauern des Arbeitsvertrages die gegenseitige Beziehung vor allem als ehelich und erst in zweiter Hinsicht als geschäftsmäßig zu werten. Daraus ergebe sich eine geänderte Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Pflege. Die bisher als Arbeitszeit anerkannte Pflegezeit sei - bereinigt um Zeiten der Bereitschaft und des familiären ehelichen Beistands - neu zu beurteilen. Der am 7.4.2004 durchgeführte Hausbesuch habe einen schädigungsbedingten Pflegebedarf von etwa 1,5 Stunden täglich bzw 10,5 Stunden wöchentlich ergeben. Unter Berücksichtigung einer Stundenvergütung von 8,69 Euro in Anlehnung an die AVR zuzüglich notwendiger Arbeitgeberkosten ergäben sich hieraus Kosten von monatlich ca 440 Euro, die den Betrag der pauschalen Pflegezulage von zur Zeit 558 Euro nicht überstiegen. Ab dem 18.12.2003 seien demnach die Voraussetzungen für die Erhöhung der pauschalen Pflegezulage nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG nicht mehr gegeben.

10

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Widerspruch ein. Daraufhin führte der Beklagte zunächst eine förmliche Anhörung des Klägers durch. Sodann wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006 zurück. Darin teilte er ua mit, dass die Wirkung des Bescheides vom 22.9.1997 über die Gewährung einer erhöhten Pflegezulage mit Ablauf des 17.12.2003 geendet habe.

11

Das Sozialgericht Potsdam (SG) hat die gegen den Bescheid vom 4.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.1.2006 erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 7.11.2006). Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 5.5.2009). Es hat ua ausgeführt:

Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten sei § 48 Abs 1 SGB X. Wenn der Beklagte - dem Wortlaut des Bescheids vom 4.11.2004 zufolge - einen Antrag auf Weitergewährung der erhöhten Pflegezulage abgelehnt habe, so sei dies unschädlich. Denn im Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006 habe der Beklagte ausdrücklich auf § 48 Abs 1 SGB X Bezug genommen und damit zu erkennen gegeben, dass er eine Aufhebung der Bewilligung habe verfügen wollen. Eine Doppelregelung sei damit nicht verbunden, denn der Beklagte habe weder im Schreiben vom 19.11.2003 noch im Bescheid vom 23.1.2004 eine Aufhebungsentscheidung getroffen. Die Entscheidung über die erhöhte Pflegezulage habe er sich ausdrücklich vorbehalten.

12

Die materiellen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X seien erfüllt. Der Bescheid vom 22.9.1997, mit dem dem Kläger eine erhöhte Pflegezulage bewilligt worden sei, sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Dadurch, dass der Kläger seine Pflegerin am 17.12.2003 geheiratet habe, sei eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die der Gewährung der erhöhten Pflegezulage zugrunde gelegen hätten, eingetreten. Denn die Voraussetzungen der Bewilligung nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG entfallen seien. Zwar erbringe die Ehefrau des Klägers auch nach der Eheschließung auf der Grundlage des nicht gekündigten Arbeitsvertrages Pflegeleistungen. Bei einem Beschäftigungsverhältnis zwischen einem Beschädigten und seinem Ehegatten müsse jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 28/96 V, SozR 3-3100 § 35 Nr 8)sorgfältig geprüft werden, ob tatsächlich eine arbeitsvertraglich vereinbarte und entsprechend bezahlte Pflegetätigkeit gegeben sei. Grundsätzlich bestünden gegen die Annahme eines Pflegevertrages dann keine Bedenken, wenn der Beschädigte seine Pflegekraft heirate und diese die Pflegetätigkeit unter Beibehaltung des Arbeitsvertrages fortsetze, weil hier schon die besonderen Umstände nahe legten, dass die Ehefrau die Pflegetätigkeit nicht allein wegen der sittlichen und gesetzlichen Beistandspflichten gegenüber dem Pflegebedürftigen weiter ausübe.

13

Indes überstiegen (im vorliegenden Fall) die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Pflege des Klägers nicht den Betrag der pauschalen Pflegezulage in Höhe von 558 Euro. Bei einem verheirateten Beschädigten seien grundsätzlich nur die Kosten derjenigen Tätigkeiten angemessen, die eine arbeitsvertragliche Beschäftigung einer familienfremden Pflegekraft notwendig machten, also der Pflegeaufwand, der über die vom Ehepartner sittlich und rechtlich zu erwartenden Verrichtungen hinausgehe. Abzustellen sei daher allein auf den schädigungsbedingten Pflegebedarf des Klägers, der nach den Ermittlungen des Beklagten einen Zeitaufwand von ca 1,5 Stunden täglich in Anspruch nehme und monatliche Kosten von 444 Euro verursache. Nicht berücksichtigungsfähig seien nach der Rechtsprechung des BSG hauswirtschaftliche Hilfeleistungen. Gleiches gelte für die Bereitschaftszeiten, die bei bestehender Ehe keine Beschäftigung einer familienfremden Pflegekraft notwendig machten.

14

Der Beklagte habe die erhöhte Pflegezulage nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X auch rückwirkend entziehen dürfen, da er dem Kläger bereits mit Schreiben vom 19.11.2003 mitgeteilt habe, dass diesem wegen der Heirat keine erhöhte Pflegezulage mehr zustehe. Der Kläger sei auch nach § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Er habe Gelegenheit gehabt, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Davon habe er Gebrauch gemacht.

15

Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, § 35 Abs 2 Satz 1 BVG und § 103 Satz 1 SGG:

16

Der Beklagte habe mit der Verwaltungsentscheidung vom 4.11.2004 die Weitergewährung der erhöhten Pflegezulage gemäß § 35 Abs 2 BVG über den 17.12.2003 hinaus abgelehnt, obwohl nach den Feststellungen des LSG die arbeitsvertragliche Pflege nach der am 17.12.2003 erfolgten Eheschließung unverändert fortgesetzt worden sei. Dabei habe das LSG durchaus zugestanden, dass die bis zur Eheschließung durch diesen Arbeitsvertrag entstandenen Kosten der Pflege als angemessen iS des § 35 Abs 2 Satz 1 BVG anzusehen gewesen seien. Entsprechend habe der Beklagte mit Bescheid vom 22.9.1997 entschieden. Dabei sei die individuelle Prüfung der notwendigen Pflegezeit anhand des Ergebnisses eines Hausbesuchs nur pauschal vorgenommen worden; zu den Bereitschaftszeiten fänden sich im Protokoll über den Hausbesuch keine Ausführungen. Für die nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X Streit entscheidende Frage, ob gegenüber den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die im Zeitpunkt des Bescheides vom 22.9.1997 vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei, komme es allerdings nicht darauf an, ob die damalige Bewertung - die Pflegekosten seien als angemessen zu übernehmen - richtig gewesen sei. Entscheidend sei vielmehr der Eintritt einer wesentlichen Änderung. Eine solche habe das LSG nicht festgestellt. Es sei davon ausgegangen, dass die Ehefrau ihren Ehemann unter unveränderter Beibehaltung des Arbeitsvertrages ebenso gepflegt habe wie vor der Ehe. Soweit das LSG aus dem Urteil des BSG vom 4.2.1998 abgeleitet habe, dass Bereitschaftszeiten und hauswirtschaftliche Hilfeleistungen nicht berücksichtigungsfähig seien, so sei diese Ansicht der genannten Entscheidung nicht zu entnehmen.

17

In der gesamten Rechtsordnung gäbe es keine Vorschrift, nach der eine Heirat zu rechtlichen Nachteilen führe. Der vom BSG im Urteil vom 4.2.1998 gegebene Hinweis, dass die Kosten einer arbeitsvertraglichen Ehegattenpflege regelmäßig nur in geringerer Höhe als bei einer Fremdpflege angemessen sein könnten, erscheine deswegen bedenklich. Die Wertung, dass Bereitschaftszeiten im Rahmen eines Ehegattenpflegevertrages generell oder überwiegend unentgeltlich zu erbringen seien, verstoße gegen Art 6 Abs 1 GG.

18

Auch sei eine Differenzierung dahingehend, ob der pflegerische Bedarf durch dessen sittlich "geschuldete" Deckung faktisch reduziert sein könnte, sachfremd. Ebenso habe das LSG nicht beachtet, dass bei einer Nichtberücksichtigung von Bereitschaftszeiten das bestehende Arbeitsverhältnis durch eine entsprechende Änderungskündigung angepasst werden müsste. Dies könne zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen, wenn die Pflegeperson nicht bereit sei, die Bereitschaftszeiten unentgeltlich zu erbringen. Er, der Kläger, wolle jedoch die seit langen Jahren für ihn tätige, ihm vertraute Pflegeperson, die er inzwischen geheiratet habe, beibehalten. Vor diesem Hintergrund habe das LSG den unbestimmten Rechtsbegriff der angemessenen Kosten iS des § 35 Abs 2 Satz 1 BVG unzutreffend konkretisiert.

19

Der hauswirtschaftliche Hilfebedarf sei nach ständiger Rechtsprechung generell nicht im Rahmen des § 35 Abs 1 und 2 BVG zu berücksichtigen. Sofern der Pflegevertrag vom 1.5.1997 auch Aufwand für hauswirtschaftliche Hilfeleistungen beinhalte, so hätte dieser Leistungsteil allenfalls nach § 45 Abs 1 SGB X entzogen werden können. Hilfsweise hätte nach § 48 Abs 3 SGB X vorgegangen werden können, nicht jedoch nach § 48 Abs 1 SGB X.

20

Das LSG habe außerdem den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt. Es habe sich auf die pauschalen, nicht mit konkreten Zeitwerten hinterlegten Ermittlungen des Beklagten verlassen. Es hätte jedoch den pflegerischen Bedarf durch ein medizinisches Sachverständigengutachten klären lassen müssen.

21

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Mai 2009 und des Sozialgerichts Potsdam vom 7. November 2006 sowie die Bescheide des Beklagten vom 19. November 2003, 23. Januar 2004, 9. März 2004 und vom 4. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 26. Januar 2006 aufzuheben, soweit darin über die erhöhte Pflegezulage gemäß § 35 Abs 2 Satz 1 BVG ab 18. Dezember 2003 entschieden wurde,
hilfsweise,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Mai 2009 und des Sozialgerichts Potsdam vom 7. November 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 19. November 2003, 23. Januar 2004, 9. März 2004 und 4. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 26. Januar 2006 zu verpflichten, über den 17. Dezember 2003 hinaus eine erhöhte Pflegezulage gemäß § 35 Abs 2 Satz 1 BVG zu gewähren.

22

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

23

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Dazu trägt er ua vor:

24

Auch eine Eheschließung könne im Hinblick auf die nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG angemessenen Kosten eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X sein. Nach dem Urteil des BSG vom 4.2.1998 - B 9 V 28/96 R - seien die Kosten bei arbeitsvertraglich durch einen haushaltsangehörigen Ehegatten erbrachter Pflege regelmäßig nur in geringerer Höhe angemessen als beim Einsatz einer familienfremden Pflegekraft. Dies müsse hinsichtlich der Bereitschaftszeiten jedenfalls dann gelten, wenn die pflegende Ehefrau zum Zeitpunkt der Eheschließung das Rentenalter bereits erreicht habe. Mit einer Eheschließung gingen auch Pflichten einher. Die Erbringung von Pflegeleistungen entspreche im gewissen Umfang einer ehelichen oder sittlichen Pflicht; dies sei auch im Rahmen des § 35 Abs 2 Satz 1 BVG zu berücksichtigen. Diese Vorschrift stelle auf die Angemessenheit der Kosten ab. Der Pflegebedarf reduziere sich durch freiwillige oder sittlich geschuldete Leistungen. Dies führe auch im vorliegenden Fall nicht zum Wegfall der Sozialleistung, sondern nur dazu, dass die angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage nicht überstiegen. Dies verstoße im Vergleich mit den Leistungen nach dem SGB XI nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Auch bestünden keine arbeitsrechtlichen Bedenken.

25

Im vorliegenden Fall sei durch die Eheschließung am 17.12.2003 eine wesentliche Änderung gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die beim Erlass des Bescheides vom 22.9.1997 vorgelegen hätten. Der aktuelle Pflegebedarf betrage 90 Minuten pro Tag. Dies hätten seine Ermittlungen im Rahmen des Hausbesuchs vom 7.4.2004 ergeben. Das LSG hätte sich deshalb nicht zu weiterer Sachverhaltsaufklärung gedrängt fühlen müssen. Bei dieser Ermittlung seien die Bereitschaftszeiten außer Betracht geblieben. Auch die Feststellung des konkreten Fremdpflegebedarfs im Vorfeld der Bescheiderteilung vom 22.9.1997 sei nicht zu beanstanden. Ein Hausbesuch habe damals einen Pflegebedarf von 8 Stunden ergeben. Dass bei der Feststellung dieses Pflegebedarfs maßgeblich auch Bereitschaftszeiten berücksichtigt worden seien, ergebe sich aus dem Protokoll, insbesondere aus den Ausführungen zur ständigen Aufsicht und Begleitung. Nach der Eheschließung seien Bereitschaftszeiten hingegen nicht mehr berücksichtigungsfähig. Diese würden im Rahmen einer ehelichen Gemeinschaft aufgrund einer sittlichen und gesetzlichen Beistandspflicht wahrgenommen.

26

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

27

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend darüber zu entscheiden, ob das LSG die Berufung zu Recht zurückgewiesen und damit das die Klage abweisende Urteil des SG vom 7.11.2006 bestätigt hat.

28

1. Der Kläger verfolgt mit der Revision seine (isolierte) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)weiter, mit der er - unter Aufhebung der entgegenstehenden gerichtlichen Entscheidungen - erreichen will, die ihn belastenden Verwaltungsakte des Beklagten aufzuheben, soweit sie die vom Beklagten verweigerte Fortzahlung der ihm gewährten erhöhten Pflegezulage für die Zeit nach der Eheschließung mit seiner Pflegerin betreffen. Dies sind die Bescheide vom 19.11.2003, 23.1.2004, 9.3.2004 und 4.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 26.1.2006, soweit der Beklagte darin die Bewilligung der erhöhten Pflegezulage (§ 35 Abs 2 Satz 1 BVG)im Hinblick auf die am 17.12.2003 erfolgte Eheschließung des Klägers ab 18.12.2003 wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) - zunächst vorläufig und dann endgültig - aufgehoben und hinfort nur noch die pauschale Pflegezulage nach Stufe III weitergewährt hat.

29

Dieser Regelungsinhalt ergibt sich aus der Auslegung dieser Verwaltungsakte, der der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt, also auch dem Revisionsgericht obliegt (vgl BSGE 48, 56, 58 = SozR 2200 § 368a Nr 5 S 10; BSG SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14; BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 17; BSGE 99, 284 = SozR 4-2400 § 15 Nr 6, RdNr 15; BSG SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19). Maßstab der Auslegung der Bescheide vom 19.11.2003, 23.1.2004, 9.3.2004 und 4.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.1.2006 ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB)erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl BSG SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14; BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26; BSGE 99, 284 = SozR 4-2400 § 15 Nr 6, RdNr 15; BSG SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19). Nach den gesamten Umständen des vorliegenden Falles konnte ein verständiger Beteiligter die vorgenannten Entscheidungen des Beklagten im Zusammenhang mit der Eheschließung des Klägers mit seiner Pflegerin nur so verstehen, dass der Beklagte die bestandskräftige Bewilligung der erhöhten Pflegezulage nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung(hierzu etwa BSGE 91, 211, RdNr 8 = SozR 4-3100 § 35 Nr 2, RdNr 7) ab 18.12.2003 aufheben und damit die Höhe der Pflegezulage (Herabsetzung von der erhöhten auf die pauschale Pflegezulage nach Stufe III) neu feststellen wollte, weil nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Pflegezulage durch die Eheschließung des Klägers am 17.12.2003 weggefallen waren.

30

Bereits das Schreiben vom 19.11.2003 enthält eine Regelung iS des § 31 SGB X. Ein verständiger Beteiligter konnte die Erklärung des Beklagten, er werde ab Januar 2004 die Zahlung der erhöhten Pflegezulage nach § 35 Abs 2 BVG einstellen und bis zur Neuentscheidung (nur noch) die pauschale Pflegezulage nach § 35 Abs 1 BVG gewähren, nur als verbindliche Entscheidung werten, mit der der Beklagte zugleich nach außen erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, dass er den der Zahlung der erhöhten Pflegezulage zugrunde liegenden bestandskräftigen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ab Januar 2004 aufhebe. Darüber hinaus wird eine erneute Entscheidung über die Weitergewährung in Aussicht gestellt. Damit erhält die Aufhebungsentscheidung letztlich einen vorläufigen Charakter.

31

Dementsprechend ist das Schreiben des Klägers vom 19.12.2003 als Widerspruch iS des § 84 SGG zu werten, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wurde(§ 83 SGG). Denn der Kläger hat mit seinem Einwand, der abgeschlossene Pflegearbeitsvertrag sei auch nach der Verheiratung in dem bestehenden Umfang gültig und fortzuführen, deutlich gemacht, dass er eine Fortzahlung der erhöhten Pflegezulage und damit eine Überprüfung der von der Verwaltung getroffenen Entscheidung anstrebt. Dies hat zur Folge, dass die nachfolgenden - die Entscheidung vom 19.11.2003 abändernden bzw umsetzenden - Bescheide vom 23.1.2004, 9.3.2004 und 4.11.2004 kraft Gesetzes Gegenstand des Vorverfahrens geworden sind (§ 86 SGG). Es ist deshalb unerheblich, dass der Kläger gegen den Bescheid vom 23.1.2004 entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung keinen gesonderten Widerspruch eingelegt hat.

32

Im Bescheid vom 23.1.2004 "über die Aufhebung des Bescheides vom 8.2.2002 und die Neufeststellung der Höhe der Pflegezulage" hat der Beklagte in den Gründen, wo er im einzelnen die Änderungen der Verhältnisse nach § 48 SGB X aufgeführt hat, unter Nr II.1.6 entschieden, dass "aufgrund Ihrer Eheschließung am 17.12.2003 die Vergütung entsprechend des Arbeitsvertrages vom 17.04.1997 bis zum 17.12.2003 nach § 35 Abs. 2 BVG erstattet wird" und "für die Zeit vom 18.-31.12.2003 die pauschale Pflegezulage in Höhe von 14/31 gewährt wird". Damit hat er in Abänderung der Entscheidung vom 19.11.2003 den der Zahlung der erhöhten Pflegezulage zugrunde liegenden bestandskräftigen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bereits mit Wirkung vom 18.12.2003 aufgehoben. Die endgültige Entscheidung über die Weitergewährung der erhöhten Pflegezulage ab 18.12.2003 hat er sich unter Nr II.1.7 - nach wie vor - in einem weiteren Bescheid vorbehalten.

33

In dem Bescheid vom 9.3.2004 ist ua in der Rubrik "Pflegezulage" ab Dezember 2003 nur die pauschale Pflegezulage in Höhe von 558 Euro als monatlich zustehender Versorgungsbezug ausgewiesen.

34

Die endgültige Entscheidung über die Weitergewährung der erhöhten Pflegezulage (Bestätigung der Aufhebungsentscheidung) hat der Beklagte am 4.11.2004 mit dem Verfügungssatz getroffen, "Ihr Antrag auf Weitergewährung der erhöhten Pflegezulage gem. § 35 Abs. 2 BVG nach dem 17.12.2003 wird abgelehnt" und dies damit begründet, dass "die angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage von zur Zeit 558 Euro nicht" überstiegen und deshalb "ab 18.12.2003 die Voraussetzungen für die Erhöhung der pauschalen Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 Satz 1 BVG nicht mehr gegeben" seien.

35

Dass es sich bei dieser Abfolge von Verwaltungsakten letztlich um einen einheitlichen, nach § 48 SGB X zu beurteilenden Entscheidungsvorgang handelt, hat der Beklagte im Vorverfahren berücksichtigt, indem er zunächst eine Anhörung des Klägers nach § 24 Abs 1 SGB X nachgeholt(vgl § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X) und sodann den Widerspruchsbescheid vom 26.1.2006 noch einmal ausdrücklich auf § 48 SGB X gestützt hat.

36

2. Ob das LSG zutreffend entschieden hat, dass der Beklagte ermächtigt war, nach der Eheschließung des Klägers die Gewährung der erhöhten Pflegezulage (§ 35 Abs 2 Satz 1 BVG) wegen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs 1 SGB X ab 18.12.2003 aufzuheben, diese Leistung also von diesem Zeitpunkt an zu entziehen, kann der erkennende Senat aufgrund der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.

37

           

Der insoweit als Rechtsgrundlage vorrangig zu prüfende § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X bestimmt:

        

"Soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben."

38

Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt demnach einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsakts und im Zeitpunkt der Überprüfung (also grundsätzlich bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung betreffend die Aufhebung) voraus (vgl etwa BSG SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 15 mwN; hierzu auch Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 48 RdNr 4).

39

a) Ausgangspunkt der Prüfung sind die bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsakts maßgebenden Verhältnisse. Da der Beklagte davon ausgegangen ist, dass dem Kläger jedenfalls bis zur Eheschließung am 17.12.2003 die erhöhte Pflegezulage nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG zustand, wird das LSG als erstes festzustellen haben, welcher bestandskräftige Verwaltungsakt des Beklagten die für die Gewährung der erhöhten Pflegezulage bis zur Eheschließung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse geregelt hat. Denn für die Anwendung des § 48 Abs 1 SGB X ist auf den Regelungsgehalt desjenigen bestandskräftigen Verwaltungsakts als "Vergleichsbescheid" abzustellen, mit dem über die Voraussetzungen, hinsichtlich derer eine wesentliche Änderung eingetreten sein soll, letztmalig entschieden worden ist(vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand 1. Oktober 2010, § 48 SGB X RdNr 16 mwN). Dies lässt sich nicht losgelöst von dem im konkreten Fall angewendeten materiellen Recht prüfen.

40

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung der erhöhten Pflegezulage war vor der Eheschließung § 35 Abs 2 Satz 1 BVG(idF des Art 1 Nr 25 KOV-Strukturgesetz 1990 vom 23.3.1990 , geändert durch Art 9 Nr 12 Buchst b Pflege-Versicherungsgesetz vom 26.5.1994 ). Danach wurde die in § 35 Abs 1 BVG gesetzlich festgelegte pauschale Pflegezulage um den Mehrbetrag erhöht, wenn fremde Hilfe aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistet wurde und die dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage überstiegen(zur Struktur des § 35 BVG: BSGE 92, 42 RdNr 13 = SozR 4-3100 § 35 Nr 3 RdNr 19).

41

Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "angemessenen Kosten" hat deshalb bei Anwendung des § 35 Abs 2 Satz 1 BVG eine individuelle Prüfung der tatsächlich erforderlichen Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege zu erfolgen. Die für eine bezahlte Pflegekraft angemessenen Aufwendungen konnten deshalb weder einseitig durch Vertrag zwischen dem Beschädigten und der Pflegeperson, noch in pauschaler Weise und ohne hinreichende Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse festgelegt werden (vgl BSGE 65, 119, 122 = SozR 3100 § 35 Nr 21 S 75 f; BSG SozR 4-3100 § 35 Nr 1 RdNr 15). Maßgebend war vielmehr das Ausmaß der Hilfebedürftigkeit für die täglichen Verrichtungen (ohne allgemeine Hausarbeiten) je nach den besonderen Behinderungen des Beschädigten und die objektiv nach allgemeiner Erfahrung dafür notwendige Pflegetätigkeit. Im ersten Schritt war demgemäß die Art der Pflegetätigkeit und die dafür erforderliche Qualifikation der Pflegekraft zu prüfen. Im zweiten Schritt war die vergütungsmäßige Bewertung dieser Pflegetätigkeit anhand eines geeigneten Maßstabs vorzunehmen (vgl BSG SozR 4-3100 § 35 Nr 1 RdNr 15 f).

42

Das LSG hat die insoweit maßgeblichen Umstände dieses Falles nicht hinreichend festgestellt. Dem Bescheid vom 22.9.1997 lässt sich entnehmen, dass der Beklagte vorliegend eine individuelle Prüfung der vor der Eheschließung aufgrund des Arbeitsvertrages vom 17.4.1997 tatsächlich erforderlichen Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege durchgeführt hat. Dabei war er hinsichtlich des Ausmaßes der Hilfebedürftigkeit, dh des zeitlichen Umfangs der Pflegetätigkeit, entsprechend dem Arbeitsvertrag von einer reinen Pflegezeit (tariflichen Arbeitszeit) von 40 Stunden wöchentlich sowie monatlich pauschal 69 Überstunden, die je zur Hälfte an Samstagen und Sonntagen geleistet wurden, ausgegangen. Als Maßstab für die vergütungsmäßige Bewertung hatte er ebenfalls entsprechend dem Arbeitsvertrag die Vergütungsgruppe 9 der AVR in der jeweils gültigen Fassung herangezogen. Dementsprechend hatte er die für die Pflegeleistungen aufgrund des Arbeitsvertrages entstehenden Kosten als angemessene Aufwendungen anerkannt und den die Pflegepauschale nach Stufe III übersteigenden Betrag als Erhöhungsbetrag festgesetzt. Den berufungsgerichtlichen Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, welche genauen Umstände dieser Verwaltungsentscheidung zugrunde lagen, ob diese Umstände bis zum 17.12.2003 fortbestanden haben und ob der Bescheid vom 22.9.1997 insoweit durch spätere Bescheide ersetzt worden ist.

43

b) Bezogen auf die noch nicht hinreichend geklärte Vergleichsgrundlage ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und ggf inwieweit sich die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse durch die Eheschließung des Klägers mit seiner Pflegerin geändert haben, insbesondere, ob und ggf inwieweit sich dadurch die aufgrund des Arbeitsvertrages vom 17.4.1997 gegen eine Vergütung geschuldete und (bis dahin) tatsächlich erforderliche Pflegetätigkeit und damit auch die für die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 2 Satz 1 BVG maßgebenden "aufzuwendenden angemessenen Kosten" verringert haben.

44

Zunächst ist die Anwendung des § 35 Abs 2 BVG für die Zeit ab 18.12.2003 nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger und seine Pflegerin seit dem 17.12.2003 verheiratet sind. Das BSG hat bereits entschieden, dass sich aus § 35 Abs 2 Satz 1 und 2 BVG kein Verbot von Pflegearbeitsverträgen zwischen dem pflegebedürftigen Beschädigten und seinem pflegenden Ehegatten herleiten lässt. § 35 Abs 2 Satz 1 BVG eröffnet vielmehr ganz allgemein die Möglichkeit, die in Abs 1 genannten pauschalen Beträge der Pflegezulage zu erhöhen, wenn das Entgelt für arbeitsvertraglich geleistete Pflege diese Beträge überschreitet(BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 28/96 R, SozR 3-3100 § 35 Nr 8 S 20). Voraussetzung ist jedoch immer das Vorliegen eines wirksamen Arbeitsvertrages. Gegen die Annahme eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses bestehen dann grundsätzlich keine Bedenken, wenn der Beschädigte seine Pflegekraft heiratet und diese ihre Pflegetätigkeit unter unveränderter Beibehaltung des Arbeitsvertrages fortsetzt. Denn hier legen schon die besonderen Umstände nahe, dass die Ehefrau die Pflegetätigkeit nicht allein wegen der sittlichen und gesetzlichen Beistandspflichten gegenüber dem pflegebedürftigen Ehepartner weiter ausübt (BSG aaO S 21 f). Dementsprechend haben Beklagter und LSG im vorliegenden Fall das Bestehen eines derartigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau bejaht.

45

Zwischen den Beteiligten ist allein die Höhe der vom Kläger dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten streitig. Diese Höhe hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem zeitlichen Umfang die Pflegetätigkeit der Ehefrau dabei zu berücksichtigen ist. Der Beklagte und das LSG halten insoweit eine Herabsetzung des täglichen Zeitaufwandes von 8 auf 1,5 Stunden für angebracht. Dabei gehen sie von rechtlichen Erwägungen aus, die der erkennende Senat nicht in vollem Umfang teilt. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit einer ergänzenden Sachverhaltsaufklärung.

46

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 4.12.1998 bereits darauf hingewiesen, dass die Kosten bei arbeitsvertraglich durch einen haushaltsangehörigen Ehegatten erbrachter Pflege regelmäßig nur in geringerer Höhe angemessen sein werden als beim Einsatz einer familienfremden Pflegekraft (BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 8 S 23). Der vorliegende Fall gibt Veranlassung, insoweit genauere Maßstäbe zu entwickeln. Dabei sind die gegenseitigen ehelichen Unterhalts- und Beistandspflichten von Bedeutung.

47

Bei der in § 1353 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 BGB geregelten Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft, aus der als ein Kernbereich die gegenseitige eheliche Beistandspflicht - ua bei gesundheitlichen Störungen - hergeleitet wird(vgl hierzu Brudermüller in Palandt, 69. Aufl 2010, § 1353 RdNr 9; Roth in Münchener Kommentar BGB, Familienrecht I, 5. Aufl 2010, § 1353 RdNr 31; Voppel in Staudinger, BGB, 2007, § 1353 RdNr 53; Hahn in Bamberger/Roth, BGB, 2008, § 1353 RdNr 15),handelt es sich um eine Generalklausel. Der Inhalt der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft wird entsprechend dem heutigen Eheverständnis des bürgerlichen Rechts von den Eheleuten für ihre Ehe weitgehend durch einvernehmliche Regelungen selbst bestimmt. Das Maß des nach § 1353 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 BGB (üblicherweise) geschuldeten Beistands richtet sich im Rahmen des dem anderen Ehegatten Zumutbaren nach dessen Möglichkeiten(vgl Voppel, aaO, § 1353 RdNr 53; Hahn, aaO, § 1353 RdNr 15). Entscheidend sind deshalb letztlich die Umstände des Einzelfalls.

48

Dabei ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) die Pflege eines Schwerstbehinderten über das Maß hinausgeht, das im Rahmen der gegenseitigen Beistands- und Unterhaltspflicht der Ehegatten gem §§ 1353, 1360 BGB geschuldet wird (vgl BGH NJW 1995, 1486, 1488). Entgegen der Auffassung des LSG und des Beklagten werden auch Bereitschaftszeiten, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats "zeitlich und örtlich denselben Einsatz erfordern wie körperliche Hilfe" (vgl BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 1 RdNr 14 in Fortentwicklung von BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 12),üblicherweise nicht generell in Erfüllung einer ehelichen Beistandspflicht erbracht, denn die Aufenthaltsbeschränkung, die insoweit mit der erforderlichen (zeitlich vorgegebenen) Präsenz verbunden ist, kann das dem Ehegatten zumutbare Maß der Hilfe überschreiten. Die dafür aufzuwendenden Kosten können deshalb nicht von vornherein als unangemessen angesehen werden.

49

Anders sind die Kosten für zwischen einzelnen Hilfeleistungen (einschließlich Bereitschaftszeiten) liegende Zeitabschnitte zu beurteilen. Die von einer abhängig beschäftigten Pflegekraft zu erbringende Hilfeleistung wird nicht nur durch den zeitlichen Betreuungsaufwand als solchen, sondern auch durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der notwendigen Verrichtungen (bzw Bereitschaften) mitbestimmt. Die abhängig beschäftigte Hilfsperson kann grundsätzlich nicht für einzelne Handreichungen herangezogen, sondern regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte beschäftigt werden (vgl BSGE 98, 1 = SozR 4-3100 § 35 Nr 4, RdNr 18). Insoweit erfasst dann ein mit einer fremden Pflegeperson geschlossener Pflegearbeitsvertrag notwendigerweise auch Zwischenzeiten, in denen keine Pflege stattfindet. Diese nicht durch Pflege, Wartung und pflegenahe Bereitschaft gebundene Zeit fällt bei einer arbeitsvertraglich durch einen haushaltsangehörigen Ehegatten erbrachten Hilfeleistung üblicherweise in den Kernbereich der Verpflichtung zur ehelichen Gemeinschaft, denn dazu gehört in der Regel das Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft an einem von den Eheleuten gemeinsam gewählten Wohnsitz (vgl BGH NJW 1987, 1761, 1762 = FamRZ 1987, 572, 574; BGH NJW 1990, 1847, 1849 = FamRZ 1990, 492, 495; dazu auch Hahn, aaO, § 1353 RdNr 5; Brudermüller, aaO, § 1353 RdNr 6). Würden insoweit Kosten geltend gemacht, wären diese im Rahmen des § 35 Abs 2 BVG grundsätzlich als unangemessen anzusehen.

50

Hauswirtschaftliche Hilfeleistungen gehören - anders als bei der Pflegebedürftigkeit iS des § 14 SGB XI - nicht zum Pflegebedarf eines Hilflosen iS des § 35 Abs 1 BVG(vgl etwa BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 6 S 10 ff; BSGE 90, 185, 186 = SozR 3-3100 § 35 Nr 12 S 31 f; BSG SozR 4-3100 § 35 Nr 1 RdNr 15). Soweit sie von einer fremden Pflegekraft während anfallender notwendiger Zwischenzeiten im Rahmen des Arbeitsvertrags erbracht werden, werden sie allerdings - wie alles, was in solche Zwischenzeiten fällt - von den angemessenen Kosten im Sinne des § 35 Abs 2 BVG erfasst. Dies gilt jedoch nicht bei einer pflegenden Ehefrau, soweit bei dieser die Einbeziehung von Zwischenzeiten in die "aufzuwendenden angemessenen Kosten" ausscheidet.

51

Da das LSG bei den von ihm als angemessen angesehenen Kosten nur Pflegeverrichtungen, nicht jedoch erforderliche Bereitschaftszeiten berücksichtigt hat, fehlt es auch in diesem Zusammenhang an berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen.

52

3. Die nach alledem erforderlichen weiteren Ermittlungen können im Revisionsverfahren nicht erfolgen (vgl § 163 SGG). Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Bei der weiteren Behandlung des Falles wird das LSG ua Folgendes zu berücksichtigen haben:

53

Im Hinblick darauf, dass die Pflegerin bei der Eheschließung bereits 68 Jahre alt war, könnte Veranlassung bestehen, näher zu prüfen, ob die Hilfeleistungen ab dem 18.12.2003 tatsächlich weiterhin auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 17.4.1997 im Rahmen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses erbracht worden sind. Ein Indiz dafür könnte insbesondere die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen sein. Sollte das Bestehen eines wirksamen Arbeitsvertrages für die Zeit ab 18.12.2003 bejaht werden können, wäre die Höhe der dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats festzustellen.

54

Bei der Anwendung des § 48 Abs 1 SGB X wird ggf zu beachten sein, dass jedenfalls für die Zeit vom 18. bis 31.12.2003 durch den Bescheid vom 23.1.2004 eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung erfolgt ist. Ob der Kläger im Hinblick auf die mit Schreiben des Beklagten vom 19.11.2003 erst ab Januar 2004 erfolgte Entziehung der erhöhten Pflegezulage mit dieser Entscheidung rechnen musste (vgl § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X), erscheint fraglich.

55

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Festbetrages für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin.

2

Der im Jahre 1954 geborene Kläger ist freiwillig bei einer Ersatzkasse versichert. Er leidet an erhöhten Blutfettwerten (Hyperlipoproteinämie) und beginnender geringer Arteriosklerose in den Halsschlagadern. Hinweise für eine koronare Herzerkrankung bestehen nicht. Seine vertragsärztlich verordnete Therapie zielt mittels Statinen erfolgreich auf die Absenkung seines LDL-Cholesterin-Werts (an Lipoprotein geringer Dichte gebundenes Cholesterin, das im Blutkreislauf zur Leber transportiert wird) im Serum auf weniger als 70 mg/dl. Statine dienen insbesondere dazu, als zu hoch angesehene Spiegel von LDL-Cholesterin im Menschen zu senken. Hierzu vermindern sie die körpereigene Erzeugung dieses Stoffes, indem sie die Wirkung des Schlüsselenzyms für die Cholesterinproduktion in Körperzellen (ß-Hydroxy-ß-Methylglutaryl-Coenzym A-Reduktase ) hemmen. Die Zellen reagieren auf den hierdurch hervorgerufenen Cholesterinmangel, indem sie vermehrt Rezeptoren bilden, die das LDL aus dem Blut aufnehmen. Zur Gruppe der Statine gehören ua Atorvastatin und Simvastatin. Der Kläger erhält seit 2003 vertragsärztliche Verordnungen über in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel mit Statinen, und zwar zunächst Sortis 20 mg/d mit dem Wirkstoff Atorvastatin, ab 2005 das Kombipräparat Inegy 10/20 mit den Wirkstoffen Ezetimib und Simvastatin, das der Kläger - ärztlich attestiert - bestens verträgt, und am 23.11.2009 Atorvastatin 40 mg N3 "aut idem". Der Wirkstoff Atorvastatin wird synthetisch hergestellt und genießt bis 2011 Patentschutz. Sortis wurde am 17.12.1996 mit den Wirkstärken 10, 20, 40 mg, später auch mit der Wirkstärke 80 mg arzneimittelrechtlich zugelassen. Seine Zulassung erstreckt sich nach der Fachinformation ua auf das Anwendungsgebiet der primären und kombinierten Hypercholesterinämie. Für diese Anwendungsgebiete sind auch die übrigen Arzneimittel zugelassen, die als Wirkstoffe die Statine Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin enthalten. Der Beigeladene zu 1. fasste auf der Grundlage einer Anhörung und einer gutachterlichen Stellungnahme Arzneimittel mit Statinen als Wirkstoff in der Festbetragsgruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" in der Anlage 2 der Arzneimittel-Richtlinien zusammen (Wirkstoffe und Vergleichsgrößen Atorvastatin: 16,7; Fluvastatin: 42,2; Lovastatin: 23,2; Pravastatin: 21,3 sowie Simvastatin: 20,7; Beschluss vom 20.7.2004, BAnz Nr 182 vom 25.9.2004, S 21086). Die Beigeladenen zu 2. bis 7. setzten mit Wirkung vom 1.1.2005 einen Festbetrag von 62,55 Euro für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer fest (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 29.10.2004, BAnz Nr 210 vom 5.11.2004, S 22602). Die Wirkstoffe Fluvastatin, Lovastatin und Simvastatin waren bei Beschlussfassung zu diesem Festbetrag erhältlich. Der Apothekenabgabepreis von Sortis liegt seit Inkrafttreten der Festbetragsfestsetzungen deutlich über dem Festbetrag.

3

Das SG hat die hiergegen mit der Begründung erhobene Klage, der Kläger müsse nun selbst neben der Zuzahlung zu Unrecht noch 57,08 Euro je "N3-Packung" für die Versorgung mit Sortis tragen, abgewiesen (Urteil vom 22.1.2008). Während des Klage- und Berufungsverfahrens haben die Beigeladenen zu 2. bis 7. beschlossen, den Festbetrag für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer abzusenken, und zwar mit Wirkung vom 1.4.2006 auf 59,42 Euro (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 10.2.2006, BAnz Nr 48 vom 9.3.2006, S 1524, 1534) und mit Wirkung vom 1.7.2006 auf 36,61 Euro (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 11.5.2006, BAnz Nr 105 vom 7.6.2006, S 4218, 4219). Der Beigeladene zu 1. hat die Vergleichsgrößen in der Festbetragsgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer aktualisiert (Atorvastatin: 25,9; Fluvastatin: 58,2; Lovastatin: 25,2; Pravastatin: 25,3; Simvastatin: 26,9; Beschluss vom 13.3.2008, BAnz Nr 52 vom 4.4.2008, S 1224). Die Beigeladenen zu 2. bis 7. haben daraufhin den Festbetrag für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer mit Wirkung vom 1.6.2008 wie folgt angepasst: Festbetrag 13,48 Euro (Standardpackung zu 100 Stück, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,4; Beschluss vom 7.4.2008, BAnz Nr 57 vom 15.4.2008, S 1345, 1346). Der Kläger hat erklärt, nur noch gegen den Beschluss vom 7.4.2008 vorzugehen. Das LSG hat die Klage abgewiesen: Gemessen an § 35 SGB V in der seit 1.5.2006 geltenden Fassung verletzten die Beschlüsse zur Gruppenbildung der Statine und zur Aktualisierung der Vergleichsgrößen keine Rechte des Klägers. Die festgesetzte Höhe der Festbeträge sei rechtmäßig (Urteil vom 24.2.2010).

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 35 Abs 1 SGB V, § 35 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V sowie von Verfahrensrecht. Sowohl die Bildung der Festbetragsgruppe der Statine unter Einbeziehung des Wirkstoffs Atorvastatin als auch die Vergleichsgrößen in der Festbetragsgruppe sowie die Festbetragshöhe seien rechtswidrig. Das LSG habe gegen §§ 103 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG verstoßen, da es entgegen seiner Aufklärungspflicht abgelehnt habe, antragsgemäß Prof. Dr. W. zu hören und Beweis durch Sachverständige zu erheben.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2010 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2008 aufzuheben und ab 1. Juni 2008 die Festbetragsfestsetzungen vom 29. Oktober 2004, 10. Februar 2006, 11. Mai 2006 und 7. April 2008 insoweit abzuändern, als darin ein Festbetrag für den Wirkstoff Atorvastatin festgesetzt wird.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

8

Der Beigeladene zu 1. beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an.

10

Die Beigeladenen zu 2. und 3. schließen sich dem Vorbringen des Beklagten an.

11

Die Beigeladenen zu 4. bis 7. haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

12

Der Beklagte hat den Festbetrag der Festbetragsgruppe der Statine mit Wirkung vom 1.9.2010 erneut angepasst (Beschluss vom 29.6.2010, BAnz Nr 99 vom 7.7.2010, S 2338, 2339).

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die bei ihm anhängig gewordene Klage abgewiesen, weil der Kläger teilweise mangels Klagebefugnis (dazu 1.) und zum Teil in der Sache (dazu 2.) keinen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen Festbetragsfestsetzungen hat.

14

1. Die Revision ist zum Teil bereits deshalb unbegründet, weil dem Kläger die Klagebefugnis als eine auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtende Sachurteilsvoraussetzung für die Anfechtung der Festsetzung vom 1.6.2008 bis 22.11.2009 fehlt.

15

a) Die auf die Aufhebung der Festbetragsfestsetzung gerichtete Klage ist eine ohne Vorverfahren zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG iVm § 35 Abs 7 Satz 3 SGB V). Festbetragsfestsetzungen sind grundsätzlich Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 SGB X; vgl BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8). Sie richten sich nach der Gesetzeskonzeption an Versicherte und Vertragsärzte (zur Anfechtbarkeit durch Arzneimittelhersteller vgl Senat Urteile vom selben Tage - B 1 KR 7/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen und B 1 KR 13/10 R): Versicherte erhalten die krankheitsbedingt notwendigen Arzneimittel (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V)aus dem GKV-Leistungskatalog aufgrund vertragsärztlicher Verordnung (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 14 mwN). Ist für ein Arzneimittel ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§ 31 Abs 2 Satz 1 bis 5 SGB V idF durch Art 1 Nr 1 Buchst a Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.4.2006, BGBl I 984). Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse dagegen regelmäßig die vollen Kosten abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung (§ 31 Abs 2 Satz 1 Halbs 2 SGB V). Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Festbetrag (§ 12 Abs 2 SGB V). Die behandelnden Ärzte müssen ihr Therapieverhalten an der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnung ausrichten und auf die sich aus der Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinweisen, wenn sie ein Arzneimittel verordnen, dessen Preis den Festbetrag überschreitet (§ 73 Abs 5 Satz 3 SGB V).

16

b) Zulässiger Streitgegenstand der Klage ist der Anspruch auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzungen vom 29.10.2004, 10.2.2006, 11.5.2006 und 7.4.2008 für die Zeit ab 1.6.2008, obwohl der Kläger beim LSG erklärt hat, nur noch gegen den Beschluss vom 7.4.2008 vorzugehen und das Berufungsverfahren im Übrigen für erledigt anzusehen. Diese Erklärung ist als teilweise Klagerücknahme (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 125 RdNr 10 mwN; zur klägerischen Erledigungserklärung Hauck, SGb 2004, 407) und Beschränkung des Begehrens auf die Aufhebung der Festbetragsfestsetzungen ab 1.6.2008 auszulegen. Dieser Ausgangszeitpunkt beruht darauf, dass die Festsetzung vom 7.4.2008 mit Wirkung vom 1.6.2008 erfolgt ist.

17

Die teilweise Rücknahme seiner Klage bezogen auf die zeitlich vor dem 1.6.2008 liegenden Zeiträume konnte der Kläger wirksam erklären, weil es sich um jeweils abtrennbare, tatsächlich und rechtlich selbstständige Teile des Gesamtstreitstoffs handelt. Denn die Allgemeinverfügungen in Form der Festbetragsfestsetzungen vom 29.10.2004, 10.2.2006 und 11.5.2006 sind in zeitlicher Hinsicht teilbare Verwaltungsakte. Das SGG gibt selbst nicht vor, wann und unter welchen Voraussetzungen die Regelungen eines Verwaltungsaktes teilbar und damit der teilweisen Bestandskraft zugänglich sind. Vielmehr knüpft es an die nach materiell-rechtlichen Vorschriften zu beurteilende Teilbarkeit an (vgl § 54 Abs 1 Satz 1 iVm § 131 Abs 1 Satz 1 SGG und BSGE 59, 137, 143 = SozR 2200 § 368a Nr 13 S 43; BVerwG Beschluss vom 2.1.1997 - 8 B 240/96; BVerwG Beschluss vom 30.7.2010 - 8 B 125/09; BFH Beschluss vom 24.3.2009 - III B 120/07; Hauck in: Zeihe, SGG, Stand 1.11.2010, § 131 Anm 3 mwN). Insbesondere aus § 35 Abs 5 Satz 3 SGB V folgt, dass die einzelne Festbetragsfestsetzung als Dauerverwaltungsakt in zeitliche Abschnitte teilbar ist.

18

Die Einbeziehung der vor 2008 erlassenen Festbetragsfestsetzungen ab 1.6.2008 ist auch interessengerecht. Bei einer alleinigen Aufhebung der Festbetragsfestsetzung des Jahres 2008 würden die zuvor geltenden Festbetragsregelungen - zunächst des Jahres 2006, nach Aufhebung sodann des Jahres 2004, die seinerzeit nicht befristet waren, jeweils wieder in Kraft treten (vgl entsprechend BSGE 87, 95, 98 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 1 S 4 f). Im Zweifel ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren des Klägers auszugehen (vgl etwa BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 6 mwN; BVerfGE 107, 395, 401 ff = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 5 ff; BVerfGE 110, 77, 85; BVerfG SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr 10). Hinzu kommt, dass ungeachtet des Zeitpunktes, von dem an der Kläger klagebefugt war (vgl unten II 1. d), die Festbetragsfestsetzungen in das Klage- und Berufungsverfahren nach § 96 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG zulässig einbezogen waren. Die neuere ersetzte jeweils mit Wirkung für die Zukunft die vorangegangene Allgemeinverfügung (vgl zur wirksamen Einbeziehung eines Verwaltungsaktes im Berufungsverfahren trotz unzulässiger Klage BSGE 4, 24, 26; BSGE 18, 84, 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 96 RdNr 2 und RdNr 7). Es findet sich bis zur Verfügung vom 7.4.2008 eine ununterbrochene Kette wirksamer Einbeziehungen nach § 96 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG.

19

Nicht in das Verfahren einbezogen ist die während des laufenden Revisionsverfahrens ergangene Festbetragsfestsetzung vom 29.6.2010 für die Gruppe der Statine (Beschluss vom 29.6.2010 mit Wirkung vom 1.9.2010, BAnz Nr 99 vom 7.7.2010, S 2338, 2339). Sie gilt nach Maßgabe des sinngemäß auszulegenden § 171 Abs 2 SGG als beim erstinstanzlich hierfür gemäß § 29 Abs 4 Nr 3 SGG zuständigen LSG angefochten.

20

c) Der Kläger hat seine Klage im Berufungsverfahren zulässig gegen den Beklagten umgestellt, um nach Änderung der Zuständigkeit für Festbetragsfestsetzungen in § 35 Abs 3 Satz 1 SGB V iVm § 217f Abs 1 SGB V(idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl l 378) dem mit dieser Funktionsnachfolge verbundenen gesetzlichen Beteiligtenwechsel von den Beigeladenen zu 2. bis 7. zum Beklagten Rechnung zu tragen (vgl hierzu BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 13; BSGE 102, 248 = SozR 4-5050 § 15 Nr 6).

21

d) Die Anfechtungsklage des Klägers ist erst mit der vertragsärztlichen Verordnung vom 23.11.2009 zulässig geworden. Für den Anfechtungszeitraum vom 1.6.2008 bis 22.11.2009 fehlt es dem Kläger an der erforderlichen Klagebefugnis. Eine Klage, mit der die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes begehrt wird, ist regelmäßig nur zulässig, wenn der Kläger behaupten kann, durch den angefochtenen, von ihm als rechtswidrig angesehenen Verwaltungsakt beschwert zu sein (vgl § 54 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 SGG; BSGE 98, 129 = SozR 4-2400 § 35a Nr 1, RdNr 12). Daran mangelt es Versicherten als Adressaten einer Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel, bei denen der Eintritt eines einschlägigen Leistungsfalles gänzlich ungewiss ist. Die völlig unabsehbare Tatsache, dass ihm in Zukunft evtl bei entsprechender Erkrankung ein Fertigarzneimittel verordnet werden könnte, dessen Kosten über dem festgesetzten Festbetrag für das Arzneimittel liegen, stellt noch keine hinreichende Betroffenheit eines Versicherten dar, sondern eine bloße ganz ferne Möglichkeit, eines Tages betroffen zu sein. So verhielt es sich beim Kläger bis zum Ablauf des 22.11.2009. Klagebefugt sind dagegen Versicherte, die ein zum Festbetrag nicht erhältliches Fertigarzneimittel vertragsärztlich verordnet bekommen haben. Sie haben aufgrund dessen gegen ihre Krankenkasse einen Sachleistungsanspruch auf das verordnete Arzneimittel (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V) und können geltend machen, dieser Anspruch werde durch die Festbetragsfestsetzung rechtswidrig beschränkt (vgl auch BVerfGE 106, 275, 304 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 2, S 22).

22

e) Der erkennende Senat weicht mit seiner Rechtsprechung, die die Rechtmäßigkeitskontrolle der Festbetragsfestsetzung auf das zuvor beschriebene Verfahren beschränkt, nicht von der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG in einer Weise ab, die es erfordert, den Großen Senat anzurufen, denn die Arzneimittelversorgung sieht insoweit von der Hilfsmittelversorgung abweichende Regelungen vor.

23

aa) Der 3. BSG-Senat eröffnet Versicherten bei Streit über eine konkrete Hilfsmittelversorgung die Möglichkeit, im Rahmen einer Klage auf Naturalleistung oder sachleistungsersetzende Kostenerstattung gegen die Krankenkasse auch Festbetragsfestsetzungen nicht nur auf ihre Wirksamkeit (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X),sondern - unabhängig von ihrer Bestandskraft - umfassend inzidenter auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen (vgl BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 30 f - Hörgeräteversorgung). Die Festbetragsfestsetzung hat bei Hilfsmitteln indes partiell eine andere Funktion als bei Arzneimitteln: Versicherte sind berechtigt, Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, zu wählen, haben dann aber die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V).

24

bb) In der - auch durch die arzneimittelrechtliche Zulassung beeinflussten - Arzneimittelversorgung gilt dies nicht, vielmehr kann dort ein solcher Anspruch Versicherter erst durch die Festbetragsfestsetzung im Zusammenspiel mit der vertragsärztlichen Verordnung begründet und zugleich begrenzt werden: Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog der GKV grundsätzlich ausgeschlossen (vgl zur Regelungskonzeption für Arzneimittel BSGE 95, 132 RdNr 17 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 24 mwN). Infolgedessen müssen betroffene Versicherte unmittelbar die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel selbst gerichtlich überprüfen lassen, wenn sie hiermit nicht einverstanden sind. Der Gesetzgeber hat ihnen dafür das Verfahren der Anfechtungsklage ohne Vorverfahren zur Verfügung gestellt (vgl oben, unter II 1. a). Ein auf eine konkrete Leistung eines Arzneimittels gerichtetes Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gegen die Krankenkasse ist für Versicherte weder zulässig noch erforderlich, um die Rechtmäßigkeit einer Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel zu überprüfen. In solchen Streitigkeiten über die konkrete Gewährung eines Arzneimittels kann inzidenter lediglich noch eine Überprüfung der Wirksamkeit der Festbetragsfestsetzung geboten sein (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X),nicht aber ihrer Rechtmäßigkeit.

25

cc) Die umschriebene gestufte gesetzliche Rechtsschutzkonzeption für Versicherte bei der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel sichert effizienten Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG), ohne ihn zu verkürzen. Die nicht nichtige Allgemeinverfügung der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel entfaltet zwar mit ihrer Bekanntmachung (§ 35 Abs 7 Satz 1 SGB V; § 37 Abs 3 SGB X)gegenüber allen Versicherten Rechtswirksamkeit (vgl § 39 Abs 1 Satz 1 SGB X). Sind Versicherte indes zunächst nicht klagebefugt, sondern erst später durch den Erhalt einer vertragsärztlichen Verordnung, verbleibt ihnen die Möglichkeit eines Antrags auf Überprüfung der Festbetragsfestsetzung nach § 44 SGB X.

26

Die daraus folgende, für Ansprüche Versicherter auf Arzneimittelversorgung gesetzlich vorgegebene Zweiteilung der Rechtsschutzverfahren betrifft klar abgrenzbare unterschiedliche Streitgegenstände und Beteiligte. Die nur sacheinheitlich (§ 35 Abs 7 Satz 4 SGB V), wenn auch für unterschiedliche Geltungszeiträume teilbar anfechtbare Festbetragsfestsetzung gilt jeweils für eine Gruppe von Arzneimitteln (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V) und setzt hierfür die Geldbeträge fest, mit denen einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber ein Preiswettbewerb unter den Herstellern ermöglicht werden soll (§ 35 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V). Die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung sind nicht an den individuellen Verhältnissen des einzelnen Patienten ausgerichtet, sondern orientieren sich generell an den Versicherten. So sind bei der Gruppenbildung unterschiedliche Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel zu berücksichtigen, sofern sie für die Therapie bedeutsam sind (§ 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 SGB V). Die nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 3 SGB V gebildeten Gruppen müssen gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen(§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB V). Für die Frage, ob ein Wirkstoff gegenüber den anderen Wirkstoffen einer Festbetragsgruppe eine therapeutische Verbesserung bedeutet mit der Folge, dass er in eine Festbetragsgruppe nicht einbezogen werden kann, ist maßgeblich, ob der Wirkstoff "regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen" vorzuziehen ist (§ 35 Abs 1b SGB V). Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§ 35 Abs 5 Satz 1 SGB V). Soweit wie möglich ist eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen (§ 35 Abs 5 Satz 2 Halbs 2 SGB V). Der generell an den Versicherten ausgerichtete Prüfmaßstab korrespondiert mit dem generell auf die Wirkungen für Patienten abstellenden, auch für die GKV bedeutsamen Maßstab des Arzneimittelzulassungsrechts (vgl näher zur erforderlichen Qualität der Studien zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 13 ff mwN).

27

Entsprechend dem erlassenen Verfügungssatz kann ein als Versicherter betroffener Kläger gegen eine Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel auf tatsächlicher Ebene rechtsrelevant nur geltend machen, die generellen Kriterien der Festbetragsfestsetzung seien missachtet. Zieht ein Versicherter dagegen nicht in Zweifel, dass der Festbetrag "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet (§ 35 Abs 5 Satz 1 SGB V), beruft er sich jedoch für sich selbst auf einen atypischen Einzelfall, in welchem er trotz genereller Achtung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben für Festbeträge keine hinreichende Arzneimittelversorgung zum Festbetrag erhält, kann er - gerichtlich überprüfbar - Vollversorgung individuell und systemgerecht gegenüber seiner Krankenkasse einfordern, sei es als Sachleistung für die Zukunft oder als sachleistungsersetzende Kostenerstattung (§ 13 Abs 3 Satz 1 SGB V). Soweit im vorliegenden Rechtsstreit der Kläger etwa im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, er halte die bei ihm zur Cholesterinsenkung durchgeführte Therapie mit Inegy für bedenklich, weil er sich hierdurch der möglichen Nebenwirkungen gleich zweier Wirkstoffe ausgesetzt sehe, ist ein solches rein individualbezogenes Vorbringen im Anfechtungsstreit gegen die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel aus der Gruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer unerheblich.

28

Die Zweiteilung des Rechtsschutzes entspricht den Rechten und Pflichten der Beteiligten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) und - heute - der Spitzenverband Bund der Krankenkassen sind im Rahmen des gestuften Verfahrens der Festbetragsbildung allein für die Festsetzung von Festbeträgen anhand der aufgezeigten Kriterien zuständig, die einen generellen Personenkreis betreffen. Abweichende, aus der Individualsituation des Versicherten erwachsende Ausnahmen, wie sie der erkennende Senat rechtsähnlich etwa im Bereich des arzneimittelrechtlichen Zulassungserfordernisses für Einzelimporte nach § 73 Abs 3 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln - Arzneimittelgesetz (AMG) anerkannt hat(vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 14 ff - Tomudex; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 28 mwN - Ilomedin),hat der Versicherte gegenüber seiner Krankenkasse geltend zu machen.

29

2. Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg, auch soweit die Anfechtungsklage zulässig ist, weil der Kläger in der Sache keinen Anspruch auf die begehrte Aufhebung der Festbetragsfestsetzung für die Zeit ab dem 23.11.2009 hat. Der Senat sieht von Feststellungen zu der Frage ab, inwieweit die ärztliche Verordnung vom 23.11.2009 ungültig geworden ist, weil sie ungenutzt geblieben ist, sowie ob und in welchem Umfang der Kläger Anschlussverordnungen erhalten hat. Sollte es an Folgeverordnungen fehlen, wäre die Revision ab dem 23.2.2010 schon - entsprechend dem unter 1. Ausgeführten - mangels Klagebefugnis unbegründet, andernfalls wegen der Rechtmäßigkeit der Festsetzung.

30

Anhand des dargelegten Maßstabs der Überprüfung (vgl oben II 1. e) kann der Kläger nicht beanspruchen, dass der Beschluss über die Festbetragsfestsetzung vom 7.4.2008 aufgehoben wird, weil er rechtmäßig ist. Nach der anzuwendenden gesetzlichen Regelung (dazu a) handelte der hierzu berufene Beigeladene zu 1. formell rechtmäßig (dazu b). Er bildete die Festbetragsgruppe (dazu c, d) und die Vergleichsgrößen (dazu e) materiell rechtmäßig. Die Beigeladenen zu 2. bis 7. setzten die Festbeträge rechtmäßig fest (dazu f). Die früheren Festbetragsfestsetzungen vom 11.5.2006, 10.2.2006 und 29.10.2004 sind nicht zu überprüfen.

31

a) Zu messen ist die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 7.4.2008 an der Festbetragsregelung des § 35 SGB V(idF durch Art 1 Nr 2 AVWG vom 26.4.2006, BGBl I 984; Abs 3 geändert mit Wirkung vom 1.7.2008 durch Art 1 Nr 18 GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378 sowie Abs 5 Satz 7 geändert mit Wirkung vom 1.1.2009 durch Art 1 Nr 1c Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV vom 15.12.2008, BGBl I 2426). Diese Norm gibt für die Festsetzung von Festbeträgen ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst bestimmt der Beigeladene zu 1. in den Arzneimittel-Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können und welche Vergleichsgrößen dabei zugrunde zu legen sind(§ 35 Abs 1 und 2 SGB V). Auf der Grundlage dieses Beschlusses erfolgt sodann die Festsetzung der jeweiligen Festbeträge im Wege einer Allgemeinverfügung (vgl § 35 Abs 3 bis 6 und Abs 7 Satz 1 SGB V). Die Entscheidung des Beigeladenen zu 1. ist nicht isoliert anfechtbar (§ 35 Abs 7 Satz 4 SGB V),ihre Überprüfung daher Bestandteil der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der auf ihrer Grundlage ergangenen Allgemeinverfügung (BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 11, unter Hinweis auf BT-Drucks 11/3480 S 54).

32

b) Der hierzu berufene Beigeladene zu 1. hat die Festbetragsgruppe (§ 35 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB V) und die Vergleichsgrößen (§ 35 Abs 1 Satz 5 SGB V) als Grundlage der Festbetragsfestsetzung formell rechtsfehlerfrei bestimmt. Er hat zunächst erstmals eine Festbetragsgruppe der Statine bestehend aus Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin gebildet und Vergleichsgrößen festgesetzt (Beschluss vom 20.7.2004), später lediglich die Vergleichsgrößen neu ermittelt (Beschluss vom 13.3.2008) und sodann die Gruppe um Rosuvastatin erweitert (Beschluss vom 15.10.2009, BAnz Nr 184 vom 4.12.2009, S 4112). Der Beigeladene zu 1. hat all dies in Arzneimittel-Richtlinien geregelt (§ 35 Abs 1 Satz 1 und 5 SGB V idF des AVWG; § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000). Die Richtlinien sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt (stRspr; vgl nur BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 26). Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes - GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190; § 91 Abs 6 SGB V idF des GKV-WSG; BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 33; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 22; vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 57 ff).

33

Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 mwN - LITT; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18 mwN). Kritischen Stimmen ist in jüngerer Zeit Literatur entgegengetreten (vgl Neumann, NZS 2010, 593; Hauck NZS 2010, 600 mwN). Für die Bildung von Festbetragsgruppen gilt die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit im Besonderen, weil der Gesetzgeber einen konkreten Katalog von gesetzlichen Voraussetzungen formuliert, bei deren Vorliegen er den Beigeladenen zu 1. im Bereich der Arzneimittelversorgung mit der Gruppenbildung betraut (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 30). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2002 (BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2)zwar ausdrücklich nur das System der Festsetzung von Festbeträgen (§§ 35 ff SGB V) im Ganzen als verfassungskonform bewertet, folgerichtig die Verfassungsmäßigkeit der Kompetenzen des Beigeladenen zu 1. damit aber unausgesprochen vorausgesetzt (vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 61 - Therapiehinweise).

34

Die im Interesse der verfassungsrechtlichen Anforderungen der Betroffenenpartizipation umfassend durch Gesetz und - inzwischen - Verfahrensordnung des Beigeladenen zu 1. ausgestalteten und abgesicherten Beteiligungsrechte wurden gewahrt. Sie stellen sicher, dass alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur marginale Bedeutung zukommt (vgl dazu Hauck, NZS 2010, 600, 604).

35

Auf die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass der Beigeladene zu 1. anlässlich der Gruppenbildung für Statine im Jahre 2004 Prof. Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt hat, kommt es demgegenüber nicht an. Auswahl und Entpflichtung von Sachverständigen liegen im Ermessen des Beigeladenen zu 1. (vgl auch Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 38; Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 19). Seine Entscheidung war ohne Zweifel sachgerecht, eine auf Neutralität angelegte Institution wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mit einem Gutachten zu betrauen und einem Einzelsachverständigen vorzuziehen. Die AkdÄ hat als wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer ua die Aufgabe, entsprechend den Regelungen in den ärztlichen Berufsordnungen - wie in § 62 AMG vorausgesetzt - unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die ihr aus der deutschen Ärzteschaft mitgeteilt werden müssen, zu erfassen, zu dokumentieren und zu bewerten. Der Gesetzgeber bindet vor diesem Hintergrund die AkdÄ inzwischen selbst in Verfahren des GBA zur Anforderung ergänzender versorgungsrelevanter Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit von Arzneimitteln ein (vgl § 92 Abs 2a Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst c Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz - AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011).

36

c) Die gebildete Gruppeneinteilung entspricht nach der gebotenen gerichtlichen Prüfung (dazu aa) materiellem Recht. Der Beigeladene zu 1. hat mit seinem Beschluss vom 20.7.2004 ausgehend von rechtmäßigen Kriterien (dazu bb) - hier: dem Inhalt der Arzneimittelzulassungen (dazu cc) - in der Gruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, zusammengefasst (dazu dd), ohne unterschiedliche Bioverfügbarkeiten der Arzneimittel berücksichtigen zu müssen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V; dazu ee). Die gebildete Gruppe gewährleistet, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB V; dazu ff). Der Einbeziehung von Sortis steht nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V; dazu d).

37

aa) Die im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden Richtlinien des Beigeladenen zu 1. sind gerichtlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 - LITT; Schlegel, MedR 2008, 30, 32; Hauck NZS 2010, 600, 611 f). § 35 SGB V gibt dem Beigeladenen zu 1. ein engmaschiges, rechtlich voll überprüfbares Programm vor: Die Verwendung ihrer Art nach rechtmäßiger Prüfkriterien, die Ermittlung des Inhalts der Arzneimittelzulassungen, die Qualifizierung von Arzneimitteln als solche mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, die Gewährleistung sowohl fehlender Einschränkungen von Therapiemöglichkeiten als auch der Verfügbarkeit medizinisch notwendiger Verordnungsalternativen sowie die zutreffende rechtliche Erfassung der Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen ist vom Gericht uneingeschränkt zu überprüfen. Der Gesetzgeber belässt dem Beigeladenen zu 1. bei der Umsetzung dieser Regelungselemente des § 35 SGB V keinen Gestaltungsspielraum. Das gilt auch für die Vollständigkeit der vom Beigeladenen zu 1. zu berücksichtigenden Studienlage.

38

Anders liegt es dagegen bei der Entscheidung über Zeitpunkt, Zuschnitt und Auswahl der Gruppe sowie bei der Bewertung des zutreffend ermittelten Standes der Studienlage im Hinblick auf ihre Eignung, für die Gruppenbildung relevante Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse zu erlassen. Hier entscheidet der Beigeladene zu 1. als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom Beigeladenen zu 1. getroffenen Wertungen setzen (vgl ähnlich BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 67 - Therapiehinweise). Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen.

39

bb) Grundlage und Ausgangspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Festbetragsgruppenbildung ist grundsätzlich der Inhalt der arzneimittelrechtlichen Zulassung nach dem AMG. Der Inhalt ergibt sich zusammengefasst insbesondere aus der Fachinformation gemäß § 11a AMG. Eine Berücksichtigung darüber hinausgehender Unterlagen ist für die Prüfung des Vorliegens vergleichbarer Wirkstoffe nach Maßgabe des § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 und Satz 3 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nicht vorgesehen. Hiervon abweichend ist dagegen nicht allein die arzneimittelrechtliche Zulassung, sondern eine neuere Studienlage maßgeblich, wenn eine solche für die Gruppenbildung bedeutsame Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen oder Verordnungsausschlüsse durch den GBA rechtfertigt, weil sie Indikationsbereiche eines Arzneimittels oder von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen als unwirtschaftlich erscheinen lässt und nicht lediglich insgesamt das Therapiegebiet der Gesamtgruppe einschränkt. Dies folgt aus Regelungssystem (dazu <1.>), Normsystematik und Wortlaut (dazu <2.>), Entstehungsgeschichte (dazu <3.>) sowie Sinn und Zweck des § 35 SGB V(dazu <4.>).

40

(1.) § 35 SGB V knüpft an das allgemeine Regelungssystem der Arzneimittelversorgung in der GKV an und ändert es nur in spezifischen, genau umrissenen Teilbereichen. Nach diesem System ist Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf ein zur Krankenbehandlung notwendiges Arzneimittel in der Regel seine Anwendung im Rahmen der durch die arzneimittelrechtliche Zulassung vorgegebenen Indikation. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV ist ihre Qualität als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelrechts. Dieses bezweckt, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen (§ 1 AMG). Insoweit stellen das SGB V und das AMG auf den selben Zweck ab (stRspr, vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 15 mwN - D-Ribose; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 15 - Lorenzos Öl; vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 55 f - Therapiehinweise, und SozR 4-2500 § 106 Nr 21<6. BSG-Senat>). Daher verzichtet das Krankenversicherungsrecht bei der Arzneimittelversorgung weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit vielmehr im Ausgangspunkt an das Arzneimittelrecht nach dem AMG an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments (vgl § 25 Abs 2 AMG)abhängig macht (vgl BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 29 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21). Wurde diese Prüfung erfolgreich durchlaufen und ist für das Arzneimittel die Zulassung einschließlich der darin enthaltenen Ausweisung der Anwendungsgebiete erteilt worden, so ist es in diesem Umfang grundsätzlich auch verordnungsfähig im Sinne des SGB V (vgl BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mit Bezugnahme auf BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7). Eine eigene Sachprüfungsbefugnis der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit kommt hinsichtlich der erteilten arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht in Betracht (BSGE 95, 132 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 22). Eine erforderliche, aber nicht vorhandene Zulassung schließt grundsätzlich die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels aus. Insoweit ist die arzneimittelrechtliche Zulassung für die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels in der GKV "negativ vorgreiflich" (vgl BSGE 95, 132 RdNr 16 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 23 mwN).

41

Auch soweit Versicherte ausnahmsweise außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung Versorgung mit arzneimittelrechtlich zugelassenen Arzneimitteln nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use beanspruchen können, setzt dies ua eine Studienlage voraus, die eine Zulassung des Arzneimittels nach den Anforderungen des AMG zur betroffenen Indikation rechtfertigen würde. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSGE 89, 184, 191 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 - Sandoglobulin; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 31 mwN - Ritalin) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nämlich grundsätzlich nur in Betracht, wenn es 1.) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 24 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 34 mwN - Ritalin).

42

Änderungen des Maßstabs der danach an der arzneimittelrechtlichen Zulassung ausgerichteten Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV können sich indes mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) ergeben. Dies erwächst daraus, dass eine Diskrepanz bestehen kann zwischen der Aussagekraft der für die Zulassung durchgeführten klinischen Studien und den in der Praxis auftretenden Anforderungen an ein Arzneimittel, insbesondere beim Fehlen klinischer Studien zu patientenrelevanten Endpunkten. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt ua den sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) ergebenden Einschränkungen (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27). Das Wirtschaftlichkeitsgebot kann weitergehende Einschränkungen der generellen Verordnungsfähigkeit zugelassener Arzneimittel im Rahmen der GKV fordern, etwa weil eine neuere Studienlage Therapiehinweise rechtfertigt, da Indikationsbereiche eines Arzneimittels oder von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen als unwirtschaftlich erscheinen (vgl zum bisher geltenden Recht zB BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 39 ff - Therapiehinweise). Der Beigeladene zu 1. kann nach heutiger Rechtslage die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist (§ 92 Abs 1 Satz 1 Halbs 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst a AMNOG, vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011). Er kann im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft vom pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit der AkdÄ und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder dem Paul-Ehrlich-Institut innerhalb einer angemessenen Frist ergänzende versorgungsrelevante Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels fordern. Werden die Studien nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt, kann der GBA das Arzneimittel schon allein deshalb von der Verordnungsfähigkeit ausschließen (§ 92 Abs 2a Satz 1 und 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst c AMNOG). Die in besonderen Fällen mögliche Ausrichtung an auf patientenrelevante Endpunkte bezogene Studien wird schließlich auch daran deutlich, dass der GBA neuerdings die Verordnung eines Arzneimittels nur einschränken oder ausschließen darf, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht durch einen Festbetrag nach § 35 SGB V oder durch die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags nach §130b SGB V hergestellt werden kann(s § 92 Abs 2 Satz 11 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst b AMNOG; vgl zum Ganzen Hauck, GesR 2011, 69, 70 ff).

43

(2.) Auch Wortlaut und Normsystematik des § 35 Abs 1 SGB V verdeutlichen, dass grundsätzlich für die Festbetragsgruppen auf die arzneimittelrechtliche Zulassung abzustellen ist. Das Prüfprogramm für die Bildung von Festbetragsgruppen weist breite sachliche Überschneidungen mit dem Arzneimittelrecht auf. So enthält § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB V die grundlegende Aufzählung denkbarer Festbetragsgruppen anhand von Kriterien, die sich entsprechend auch in der arzneimittelrechtlichen Überprüfung der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels wiederfinden und keinen Hinweis auf Abweichungen vom dargelegten allgemeinen Regelungssystem enthalten. Der Begriff des Wirkstoffs in Nr 1 greift den Wirkstoffbegriff nach § 4 Abs 19 AMG auf, der infolgedessen sinngemäß anwendbar ist(vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 37; zur arzneimittelrechtlichen Anbindung des Begriffs "Bioverfügbarkeit" in diesem Zusammenhang vgl Orlowski in: Orlowski/Wasem/Rau/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Stand Januar 2011, § 35 RdNr 9 f). Mit Blick darauf ist auch die Eingrenzung auf pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe in Nr 2 folgerichtig in Anlehnung an das AMG vorzunehmen. Denn pharmakologisch-therapeutische Wirkungsweisen eines Wirkstoffs sind Bestandteil der arzneimittelrechtlichen Zulassungsprüfung (§ 25 Abs 2 Nr 1 bis 5a AMG) und dementsprechend Inhalt der Fachinformation (§ 11a AMG).

44

Dagegen hat der Gesetzgeber in § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V eine Ausnahmeregelung für patentgeschützte Arzneimittel statuiert, für die er einen über die arzneimittelrechtliche Zulassung hinausgehenden Überprüfungsmaßstab angewendet wissen will: Von der Bildung eigentlich zulässiger Festbetragsgruppen sind patentgeschützte Arzneimittel ausgenommen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder(zunächst idF vor dem AVWG: "und"; s hierzu näher Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage - B 1 KR 7/10 R) die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Diese Regelung bezweckt, den Arzneimittelherstellern Anreize zur Entwicklung von innovativen Arzneimitteln zu bieten (vgl hierzu Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 11/3480, S 53; zur Klarstellung späterer Gesetzesfassungen BT-Drucks 15/1525 S 87; s zur nachträglichen Einfügung der Regelung auch Schulin, Patentschutz und Festbeträge für Arzneimittel, 1993, 92 ff). Nach Auffassung des Gesetzgebers sind echte Innovationen mit therapeutischem Zusatznutzen erwünscht und unterliegen nicht der Festbetragsregelung (Gesetzentwurf eines AVWG der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 16/194 S 7 zu Art 1 Nr 2 Buchst c). Um bloße Scheininnovationen nicht zu begünstigen, erfolgt der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung nicht allein aufgrund der Fachinformationen, sondern auch durch Bewertung von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, soweit diese Studien allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht. Vorrangig sind klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen (§ 35 Abs 1b Satz 4 und 5 SGB V; vgl näher unten, II 2. d).

45

(3.) Auch die Entstehungsgeschichte des § 35 SGB V belegt die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung als Ausgangspunkt der Gruppenbildung. Die erste Fassung einer Festbetragsregelung nach dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl I S 2477) sah in Abs 4 die Festsetzung eines Festbetrags für Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (§ 35 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V) erst drei Jahre nach der ersten Zulassung eines wirkstoffgleichen Arzneimittels vor. Damit stellte die Regelung den Zusammenhang zwischen SGB V und AMG für den Wirkstoffbegriff ausdrücklich her. Dass diese Regelung durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) beseitigt worden ist, beruht auf der Verlängerung des Patentschutzes für Arzneimittel um bis zu fünf Jahre durch die Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel (vgl BT-Drucks 12/3608 S 81). Eine Loslösung des Wirkstoffbegriffs im SGB V von demjenigen des AMG war nicht beabsichtigt.

46

(4.) Schließlich entspricht die grundsätzliche Anknüpfung der Festbetragsgruppenbildung an die arzneimittelrechtliche Zulassung dem Regelungszweck des § 35 SGB V. Die Festbetragsregelung des § 35 SGB V zielt - wie dargelegt - unter Ausgestaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots darauf ab, den Bereich zu Lasten der GKV verordnungsfähiger Arzneimittel de iure zu erweitern, die Leistungspflicht der Krankenkassen hierbei auf den einschlägigen festgesetzten Festbetrag zu begrenzen und hierdurch zugleich den Wettbewerb unter den Arzneimittelanbietern zu verstärken und das Interesse der Anbieter zu wecken, Preise unterhalb des Festbetrags festzusetzen. All dies kann nur im Rahmen des allgemeinen Systems der in den GKV-Leistungskatalog einbezogenen Arzneimittel gelingen.

47

cc) Hinsichtlich der Arzneimittelgruppe der Statine ist für den hier betroffenen Zeitraum an die Inhalte der arzneimittelrechtlichen Zulassung anzuknüpfen. Dass für einzelne Statine der Festbetragsgruppe eine Studienlage besteht, die weitergehende Einschränkungen der generellen Verordnungsfähigkeit zugelassener Arzneimittel mit diesem Wirkstoff im Rahmen der GKV rechtfertigt, hat das LSG nicht festgestellt. Der Beigeladene zu 1. hat dies ebenfalls nicht angenommen und deshalb keine der ihm rechtlich für einen solchen Fall eröffneten Maßnahmen ergriffen. Weder er noch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gehen nach eingehender Recherche hiervon aus. Keiner der Beteiligten in den beim erkennenden Senat anhängigen Verfahren behauptet Entsprechendes. Bei einem solchen Sachstand verbleibt es beim durch das Arzneimittelzulassungsrecht vorgegebenen Prüfmaßstab für die Festbetragsgruppenbildung, ohne dass weitere Ermittlungen des erkennenden Senats zu diesen generellen Tatsachen geboten wären.

48

dd) Auf der Grundlage des Inhalts der arzneimittelrechtlichen Zulassung stellen die fünf fraglichen Statine pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe, insbesondere chemisch verwandte Stoffe iS von § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 Nr 2 SGB V dar. Zutreffend ist der Beigeladene zu 1. davon ausgegangen, dass die Überprüfung der pharmakologisch-therapeutischen Vergleichbarkeit zwei verschiedene Aspekte, namentlich einen pharmakologischen wie einen therapeutischen umfasst (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 38). Für das Verständnis des Begriffs der Vergleichbarkeit ist mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass Vergleichbarkeit nicht Austauschbarkeit oder Identität bedeutet. Anders als nach Nr 1 geht es bei der Gruppenbildung nach Nr 2 vielmehr darum, einen übergreifenden gemeinsamen Bezugspunkt mehrerer Wirkstoffe herzustellen (ebenso Sodan, PharmR 2007, 485, 487). Dementsprechend steht mit der Überprüfung der pharmakologisch-therapeutischen, insbesondere chemischen Vergleichbarkeit eine Beurteilung von Art und Aufbau der einzelnen Wirkstoffe, ihrer Wirkmechanismen und ihrer Anwendungsgebiete an.

49

Der Beigeladene zu 1. hat die dargelegten Vergleichsmaßstäbe entsprechend seinen Ausführungen zu chemischer Zusammensetzung, Wirkprofil und therapeutischem Einsatzgebiet der fünf Statine rechtsfehlerfrei angewendet. Nicht zu beanstanden ist, dass er hierbei als Einstieg die in der Fachinformation enthaltene Anatomisch-Therapeutisch-Chemische (ATC) Klassifikation der WHO nach Maßgabe des § 73 Abs 8 Satz 5 SGB V gewählt hat, wie es inzwischen seiner Verfahrensordnung (VerfO) entspricht(vgl § 16 Abs 2 VerfO). Die ATC-Klassifikation teilt die Wirkstoffe nach dem Organ oder Organsystem, auf das sie einwirken, und nach ihren chemischen, pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen ein (abrufbar unter www.dimdi.de) und kann als Orientierungshilfe dienen. Sie geht von einem identischen Code für die Wirkstoffgruppe der fünf Statine Simvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Fluvastatin und Atorvastatin aus.

50

Zu Recht bejaht der Beigeladene zu 1. die chemische Verwandtschaft der betroffenen Wirkstoffe. Er beurteilt sie im Einklang mit dem Wortlaut des § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V maßgeblich vom Endprodukt und nicht von der Herstellungsform her: Die fünf Statine haben nicht nur eine gemeinsame b-, d-Dihydroxy-n-Carbonsäure-Struktur, sondern darüber hinaus auch eine gemeinsame molekulare räumliche Struktur, die erst die spezifische Interaktion Wirkstoff-Enzym ermöglicht.

51

Ebenfalls stellt der Beigeladene zu 1. rechtmäßig für die pharmakologische Vergleichbarkeit maßgeblich auf den Wirkmechanismus der erfassten Arzneimittel ab. Er geht nämlich von einem vergleichbaren Wirkprofil aller HMG-CoA-Reduktase (=CSE)-Hemmer aus, weil durch alle Hemmer der HMG-CoA-Reduktase Vorstufen von Cholesterin verringert synthetisiert werden. Die daraus resultierende Verarmung an interzellulärem Cholesterin führt zu einer Zunahme von LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche, die Aufnahme von LDL-Cholesterin in die Zelle wird hierdurch erhöht.

52

Auch die therapeutische Vergleichbarkeit hat der Beigeladene zu 1. anhand der Anwendungsgebiete der Statine, wie sie sich aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung ergeben, frei von Rechtsfehlern beurteilt. Für alle fünf Wirkstoffe bestand im hier maßgeblichen Zeitraum eine Zulassung für das Anwendungsgebiet der Hypercholesterinämie; schon daraus lässt sich die therapeutische Vergleichbarkeit ableiten. Atorvastatin besitzt zudem seit Mai 2006 eine Zulassung auch für das Anwendungsgebiet der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen; über eine Zulassung für dieses Anwendungsgebiet verfügen auch die Konkurrenzwirkstoffe Fluvastatin, Pravastatin und Simvastatin.

53

ee) Der Beigeladene zu 1. musste keine für die Therapie bedeutsamen unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel berücksichtigen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V). Denn mit den Statinen ist eine Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V betroffen, der lediglich pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe angehören.

54

ff) Dass alle fünf Statine einschließlich Atorvastatin in eine Festbetragsgruppe einbezogen wurden, schränkt iS von § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB V keine Therapiemöglichkeiten ein und schneidet keine medizinisch notwendigen Verordnungsalternativen ab. Der Wirkstoff Atorvastatin war im hier zu prüfenden Zeitraum für kein Behandlungsgebiet zugelassen, für das nicht wenigstens ein anderes Statin arzneimittelrechtlich zugelassen war. Gleichzeitig erlaubt die arzneimittelrechtliche Zulassung von Atorvastatin keinen Rückschluss darauf, dass ausschließlich mit diesem Wirkstoff besondere Patientenkollektive zu erschließen seien. Ebenso wenig kommt es unter dem Aspekt der Nebenwirkungen zu einer Einengung der Therapiemöglichkeiten. Der Fachinformation für Atorvastatin ist im Vergleich zu denjenigen der anderen vier Statine kein Vorteil im Hinblick auf Art und Häufigkeit der Nebenwirkungen zu entnehmen.

55

d) Der Einbeziehung von Sortis steht nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V). Die Wirkungsweise von dem noch bis 2011 patentgeschützten Wirkstoff Atorvastatin ist im Rechtssinne nicht neuartig. Als neuartig gilt ein Wirkstoff nämlich nur, solange derjenige Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht (§ 35 Abs 1 Satz 4 SGB V). Nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG)Feststellungen des LSG wurde der Wirkstoff Lovastatin als erster der Gruppe der Statine in Verkehr gebracht und war schon vor 2003 patentfrei.

56

Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass der Beigeladene zu 1. eine therapeutische Verbesserung durch Sortis zu Unrecht verneint hat. Die zunächst 2004 rechtmäßige Gruppenbildung wurde durch das AVWG nicht unwirksam (dazu aa). Der Beigeladene zu 1. hat die Anforderungen an eine therapeutische Verbesserung (dazu bb) und deren Nachweis (dazu cc) gerichtlich voll überprüfbar (dazu dd) gesetzeskonform zugrunde gelegt. Ihm sind bei seiner Bewertung der Studienlage hinsichtlich einer therapeutischen Verbesserung keine Beurteilungsfehler unterlaufen (dazu ee). Die Gruppenbildung ist auch nicht wegen Verletzung der Beobachtungspflicht bezüglich einer therapeutischen Verbesserung rechtswidrig geworden (dazu ff). Es bedarf keiner weiteren gerichtlichen Ermittlungen (dazu gg). Die vom Kläger hierzu erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch (dazu hh).

57

aa) Die Gruppenbildung erfolgte 2004 insgesamt rechtmäßig, ohne dass ihre Wirksamkeit durch das AVWG entfiel. Unerheblich ist, dass der Beigeladene zu 1. zunächst (Beschluss vom 20.7.2004) die Erfüllung beider Voraussetzungen eines Festbetragsausschlusses - Neuartigkeit und Bestehen einer therapeutischen Verbesserung - geprüft und verneint hat, obwohl § 35 SGB V aF(idF durch das GMG) eine Ausnahme von der Gruppenbildung schon bei Nichterfüllung einer der beiden Voraussetzungen ausschloss (vgl dazu näher Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage - B 1 KR 7/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die zusätzliche Prüfung wirkte sich im Ergebnis nicht aus, auch wenn erst aufgrund der Änderung des § 35 SGB V durch das AVWG ab 1.5.2006 die Kriterien der Neuartigkeit und therapeutischen Verbesserung kumulativ zu prüfen sind.

58

Die Gesetzesänderung durch das AVWG ließ die bisher beschlossene Richtlinie nicht unwirksam werden. Die Änderung oder der Wegfall der Ermächtigungsgrundlage einer untergesetzlichen Norm berührt nämlich nicht per se deren Rechtswirksamkeit (vgl entsprechend zu Rechtsverordnungen zB BVerwG Buchholz 451.20 § 139i GewO Nr 1 = GewArch 1997, 245; vgl auch BVerfGE 14, 245, 249; BVerfGE 78, 179, 198). Ab Inkrafttreten des AVWG war die Rechtmäßigkeit des fortwirkenden Beschlusses des Beigeladenen zu 1. indes an der neuen Gesetzesfassung zu messen, da § 35 SGB V idF des AVWG wegen seines unmittelbaren Geltungsanspruchs ohne Übergangsregelung ein solcher Normanwendungsbefehl zu entnehmen ist. Der Gruppenbildungsbeschluss genügt aber auch diesen gesetzlichen Anforderungen (vgl das Folgende).

59

bb) Schon im Jahre 2004 waren für die Anforderungen an eine therapeutische Verbesserung die sachlichen Kriterien zugrunde zu legen, die der Gesetzgeber durch Art 1 Nr 2 Buchst c AVWG ausdrücklich erst 2006 in § 35 Abs 1b SGB V normiert hat. Bereits auf der Grundlage des GMG stand ein solches Vorgehen mit der Gesetzeslage in Einklang. Demgemäß geht die Begründung des Gesetzentwurfs eines AVWG davon aus, dass sich eine Änderung des geltenden Verfahrens für die Bildung von Festbetragsgruppen durch Einführung des § 35 Abs 1b SGB V zum 1.5.2006 nicht ergebe, da der GBA bereits jetzt entsprechend verfahre (vgl BT-Drucks 16/194 S 7). Auch in der Folgezeit hat sich das danach maßgebliche gesetzliche Prüfprogramm für das Bestehen einer therapeutischen Verbesserung nicht geändert.

60

Danach besteht eine therapeutische Verbesserung, wenn ein patentgeschützter Wirkstoff für die betroffenen Patienten einen therapierelevanten höheren Nutzen als andere Arzneimittel dieser Wirkstoffgruppe hat und deshalb als zweckmäßige Therapie regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen oder Indikationsbereiche den anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe vorzuziehen ist (§ 35 Abs 1b Satz 1 SGB V). Der geforderte "höhere Nutzen" entspricht dem "Zusatznutzen" gegenüber anderen Wirkstoffen, wie er vom Gesetzgeber auch in § 35b Abs 1 Satz 3 SGB V(idF durch Art 1 Nr 20 Buchst b GKV-WSG mit Wirkung ab 1.4.2007; vgl ab 1.1.2011 § 35b Abs 1 Satz 3 idF durch Art 1 Nr 6 Buchst b DBuchst bb AMNOG)zur zentralen Vorgabe einer Nutzenbewertung durch das IQWiG gemacht worden ist. Gleiches gilt für den "medizinischen Zusatznutzen" bei dem durch das AMNOG eingeführten Verfahren der frühen Nutzenbewertung (§ 35a Abs 1 Satz 4 SGB V, vgl BT-Drucks 17/2413, S 21).

61

Inhaltlich gibt der Gesetzgeber als Maßstab einer therapeutischen Verbesserung eine Verbesserung hinsichtlich der Lebensqualität, zB durch Verringerung von Nebenwirkungen bezüglich Häufigkeit und Schweregrad, sowie Morbidität und Mortalität vor (§ 35 Abs 1 Satz 3 und 5 SGB V, sog patientenrelevante Endpunkte). Nur im Zusammenhang mit einer an der positiven Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte ausgerichteten Therapie kann sich ein höherer Nutzen auch daraus ergeben, dass das Arzneimittel eine überlegene Wirksamkeit gegenüber anderen Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe zeigt oder über besondere therapierelevante Leistungsmerkmale verfügt, zB Wechsel des Applikationsortes oder -weges, oder eine andere für die Therapie relevante Galenik aufweist (vgl BT-Drucks 16/194 S 8). Anders als bei der Gruppenbildung anhand von Wirkstoffen (§ 35 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V) kommen im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmals daher auch die ganz spezifischen Besonderheiten eines Wirkstoffs in Betracht, soweit diese therapeutisch relevant sind.

62

cc) Methodisch erfolgt der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung aufgrund der Fachinformationen und durch Bewertung von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, soweit diese Studien allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht. Vorrangig sind klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen (§ 35 Abs 1b Satz 4 und 5 SGB V). Maßgeblich ist hierbei der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V, vgl BT-Drucks 16/194 S 8). Erforderlich ist dabei der Nachweis der erfolgreichen therapeutischen Verbesserung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf der Grundlage wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Therapierelevanz (stRspr, BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7 mwN - Immucothel; BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E). Die höchste Beweiskraft haben danach direkte Vergleichsstudien mit anderen Wirkstoffen. Nur soweit derartige Studien nicht existieren, kann im Einzelfall auf andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden (vgl auch Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 64). Sie müssen in jedem Fall das Kriterium erfüllen, mit dem Primärziel des Erreichens patientenrelevanter Endpunkte durchgeführt worden zu sein. Studien, die als Primärziel bloße Surrogatparameter formuliert haben, kommen dagegen zum Nachweis einer therapeutischen Verbesserung nicht in Betracht (vgl zur neueren Rechtslage Schickert, PharmR 2010, 452, 456).

63

dd) Der Beigeladene zu 1. ist nicht ermächtigt, von diesem gesetzlichen Prüfprogramm abzuweichen. Soweit der Regelungsgehalt reicht, verbleibt ihm kein eigener Gestaltungsspielraum. Wie bereits ausgeführt (vgl II 2. c aa) erfolgt insoweit eine volle gerichtliche Überprüfung. Den dargelegten gesetzlichen Anforderungen ist der Beigeladene zu 1. durch seinen Beschluss vom 20.7.2004 gerecht geworden. Er hat nach diesen Maßstäben geprüft, dass für Atorvastatin eine therapeutische Verbesserung im aufgezeigten Sinne nicht nachgewiesen ist. Die Standards, die der Beigeladene zu 1. ausweislich seiner Beschlussbegründung vom 15.9.2004 zur Prüfung des Vorliegens einer therapeutischen Verbesserung verlangt, korrespondieren inhaltlich (sogar zT fast wortgleich formuliert) mit dem gesetzlich festgeschriebenen Prüfmaßstab. Bei dem Nachweis einer therapeutischen Verbesserung hat der Beigeladene zu 1. rechtsfehlerfrei auf den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne der Rechtsprechung des BSG abgestellt und als Unterlagen in erster Linie direkte Vergleichsstudien, für den Fall ihres Fehlens placebokontrollierte Studien in Form von randomisierten, doppelblinden und kontrollierten Studien mit dem Ziel der Beeinflussung klinisch bedeutsamer Endpunkte gefordert.

64

ee) Der Beigeladene zu 1. hat das ermächtigungskonforme Prüfprogramm über den Nachweis einer therapeutischen Verbesserung mit seinem Beschluss vom 20.7.2004 ausweislich der Beschlussbegründung auch rechtmäßig angewendet. Der Beschluss beruht auf einer umfassenden Sichtung der aktuellen relevanten Studienlage zur Wirkstoffgruppe der Statine. Auf die Einbeziehung irgendwelcher Meinungsäußerungen von Einzelnen oder Gruppen von Fachleuten kommt es jenseits der bereits geprüften Anhörungsrechte (vgl § 35 Abs 2 SGB V)insoweit entgegen der Ansicht des Klägers nicht an.

65

Der Beigeladene zu 1. ist insgesamt nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass für Atorvastatin gegenüber den anderen Statinen keine Alleinstellungsmerkmale bewiesen sind, die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Er hat anhand des gesetzlich gebotenen Maßstabs die Aussage- und Beweiskraft der einzelnen Studien nachvollziehbar bewertet, nachdem er ihr Design, ihre Ziele und ihre Vergleichbarkeit überprüft und qualifiziert hat. Seine Folgerungen sind schlüssig und lassen keine Widersprüche erkennen. Zu allen von dem Kläger als Alleinstellungsmerkmal hervorgehobenen Aspekten, namentlich den besonderen pleiotropen (außerhalb der Hauptwirkung heilend wirkenden) Eigenschaften (dazu <1.>), der größten Wirkstärke (dazu <2.>), dem schnelleren Wirkeintritt (dazu <3.>) und einem überlegenen Sicherheitsprofil von Atorvastatin gegenüber den anderen Statinen (dazu <4.>) begründet der Beschluss nachvollziehbar, dass eine therapeutische Verbesserung nach den gesetzlichen Kriterien nicht festzustellen ist.

66

(1.) So fehlen hinsichtlich der behaupteten pleiotropen Eigenschaften von Atorvastatin genauere Kenntnisse darüber, in welchem Ausmaß pleiotrope Effekte zur Risikoverbesserung beitragen und ob Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen bestehen. Studien zum Nachweis von Art und Umfang angeblich pleiotroper Effekte liegen nicht vor.

67

(2.) Gegen die vom Kläger ins Feld geführte höhere Wirkstärke Atorvastatins wendet der Beigeladene zu 1. schlüssig ein, dass sich daraus nicht per se eine klinische Überlegenheit ableiten lässt. Es mangelt nämlich hierzu an den erforderlichen qualitativ hochwertigen Vergleichsstudien mit klinisch relevanten Endpunkten, die hinreichende Schlüsse auf nennenswerte Patientenkollektive erlauben: Die vorliegenden indirekten Vergleichsstudien eignen sich nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Beigeladenen zu 1. nicht zum Nachweis relevanter Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen. Die Ausgangsrisiken der untersuchten Populationen weichen so erheblich voneinander ab, dass sie kaum miteinander vergleichbar sind. Ebenso variiert - wohl vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Zuschnitts der Vergleichsgruppen - das Ausmaß der LDL-Senkung in den einzelnen Studien in einem Ausmaß, das Vergleichsschlüsse problematisch macht.

68

(3.) Auch hinsichtlich der Frage, ob ein schnellerer Wirkeintritt von Atorvastatin gegenüber anderen Statinen mit Blick auf patientenrelevante Endpunkte nachweisbare Vorteile bietet, gibt es bisher keine direkten Vergleichsstudien. Die vorliegenden indirekten Vergleichsstudien können therapierelevante Vorteile nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Beigeladenen zu 1. nicht hinreichend belegen, da sie sich wesentlich in der jeweiligen Größe des Ausgangsrisikos der untersuchten Populationen und Stärke der Interventionen unterscheiden. Diese Parameter sind indes die stärksten Determinanten für die Geschwindigkeit des Eintretens einer statistisch signifikanten Wirkung einer Statintherapie.

69

(4.) Das geltend gemachte besondere Sicherheitsprofil von Atorvastatin ist entsprechend der Beschlussbegründung schließlich ebenfalls nicht evidenzbasiert nachgewiesen. Direkte Vergleichsstudien zwischen den Statinen zu unerwünschten Nebenwirkungen liegen nicht vor. Eine signifikante Unterscheidung nach der Häufigkeit schwerer unerwünschter Ereignisse wird bei den placebokontrollierten Studien als "overall health impact" in den seltensten Fällen angegeben. Diese Argumentation deckt sich wiederum nachvollziehbar mit der bestehenden Studienlage.

70

ff) Der Beigeladene zu 1. hat im Ergebnis die ihm als Normgeber obliegende Beobachtungspflicht nicht verletzt. Von einer Verletzung der Beobachtungspflicht wäre nur auszugehen, wenn der Beigeladene zu 1. eine neue Studienlage übergangen hätte, die nach den aufgezeigten gesetzlichen Maßstäben Anlass zur erneuten Überprüfung eines einmal gefassten Gruppenbildungsbeschlusses gegeben hätte. Daran fehlt es.

71

Der Beigeladene zu 1. muss nach Erlass einer Richtlinie über die Bildung einer Festbetragsgruppe im Blick behalten, ob neuere wissenschaftliche Erkenntnisse eine Änderung seiner Entscheidung gebieten. Dies folgt auch ohne besondere, ausdrückliche Regelung in § 35 SGB V aus der generellen, dem GBA als Normgeber obliegenden Beobachtungspflicht. Wesentlicher innerer Grund des gesetzlichen Regelungskonzepts, den GBA als Normgeber vorzusehen, ist es gerade, ihn die sich ständig ändernde Entwicklung des allgemein anerkannten Standes der Medizin und der Pharmakologie beobachten zu lassen, damit er wesentliche Änderungen umgehend in den Richtlinien berücksichtigt (vgl dazu Hauck, NZS 2010, 600, 611 mwN). Im Falle der hier in Frage stehenden Richtlinien ist der GBA zur Beobachtung dessen verpflichtet, ob die bisher festgelegte Zusammenfassung mehrerer Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht mehr entspricht (vgl ähnlich BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2).

72

Eine solche Beobachtungspflicht setzt der Beigeladene zu 1. auch selbst in § 7 Abs 4 seiner VerfO voraus. Danach muss er Hinweisen dazu nachgehen, dass getroffene Entscheidungen nicht mehr mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse übereinstimmen. Hinweise darauf, dass für den Wirkstoff Atorvastatin zwischenzeitlich Studien erstellt worden sind, die unter Berücksichtigung der aufgezeigten gesetzlichen Wertungen für eine abweichende Bewertung der therapeutischen Verbesserung sprechen, liegen indes nicht vor. Das belegen die Untersuchungen des IQWiG vom 15.8.2005 und des Beigeladenen zu 1. von Februar 2010 unter Einbeziehung aller neueren Studien für die Folgejahre. Keiner der Beteiligten hat denn auch dargelegt, dass abweichend von der Beurteilung des IQWiG und der Recherche des Beigeladenen zu 1. neue endpunktrelevante Studien mit bisher nicht berücksichtigten Ergebnissen zu den Statinen veröffentlicht worden sind.

73

gg) Der erkennende Senat kann sich auf die vorliegenden Ermittlungsergebnisse stützen, ohne dass es weiterer Beweiserhebung bedarf. Zwar geht es beim Nachweis einer therapeutischen Verbesserung durch Arzneimittel um die Feststellung genereller Tatsachen, die auch der Ermittlung des Senats im Revisionsverfahren unterliegen. Weitere Beweiserhebung drängt sich aber nicht auf. Auch hier (vgl bereits oben, II 2. b und c cc) ist von Bedeutung, dass sich der Beigeladene zu 1. nicht beliebiger Einzelgutachter bedient, sondern die vom Gesetzgeber hervorgehobene AkdÄ mit der Überprüfung der Voraussetzungen betraut hat. Hinzu kommt, dass er in der Folgezeit im Rahmen eines Generalauftrags das IQWiG mit einer Überprüfung beauftragt und schließlich unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung bei dem LSG nochmals selbst recherchiert hat. Nur die Darlegung, eine therapeutische Verbesserung sei anhand aussagekräftiger Studien in der gesetzlich gebotenen Qualität nachgewiesen, würde vorliegend zu weiteren Ermittlungen zwingen. Daran fehlt es indes.

74

Das IQWiG hat nämlich die Einschätzung des Beigeladenen zu 1. bestätigt, ohne Anhaltspunkte für neuere abweichende Studienergebnisse in hinreichend qualifizierten Studien zu finden. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Absicherung von Neutralität und Qualität der in Auftrag gegebenen Untersuchung des IQWiG streitet bei Beachtung aller gesetzlicher Vorgaben eine Rechtsvermutung für die Richtigkeit seiner Beurteilung, die in derartigen Fällen wie dem vorliegenden eine weitere Beweiserhebung erübrigt. Das folgt aus Ausstattung (dazu <1.>), Aufgabe (dazu <2.>) und Gesetzeszweck der Einrichtung des IQWiG (dazu <3.>). Mit Blick darauf kommt gesetzeskonformen Bewertungen des IQWiG eine Richtigkeitsgewähr zu.

75

(1.) Das IQWiG stellt ein Expertengremium dar, das in seiner persönlichen und fachlichen Integrität und Qualität durch Transparenz und Unabhängigkeit gesetzlich und institutionell besonders abgesichert ist (vgl Hauck, NZS 2010, 600, 609; Rixen, MedR 2008, 24, 26). Der Beigeladene zu 1. hat gesetzeskonform das IQWiG als fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut errichtet (§ 139a Abs 1 Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 112 GMG). Der Gesetzgeber hat bereits die zulässige Rechtsform des IQWiG eingegrenzt, um dessen Kompetenz und Unabhängigkeit sicherzustellen. Zur Sicherung der fachlichen Unabhängigkeit des IQWiG haben die Beschäftigten vor ihrer Einstellung alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen (vgl § 139a Abs 6 SGB V). Entsprechendes gilt, soweit das IQWiG wissenschaftliche Forschungsaufträge an externe Sachverständige vergibt (s § 139b Abs 3 SGB V). Die Vergabe von Forschungsaufträgen gewährleistet, dass die Arbeiten des IQWiG höchsten wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Hierzu hat es ausgewiesene Experten mit wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen einzubeziehen (vgl BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4).

76

Das IQWiG arbeitet in einer transparenten Form unter Unterrichtung Betroffener und Interessierter über alle Arbeitsschritte und Arbeitsergebnisse (vgl § 139a Abs 4 SGB V und hierzu BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4), insbesondere auch über die Grundlagen für die Entscheidungsfindung. Indem das IQWiG zu gewährleisten hat, dass die Bewertung des medizinischen Nutzens nach den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt (§ 139a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 117 Buchst b GKV-WSG),hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es seine Arbeitsmethode nach den international üblichen und akzeptierten Standards der evidenzbasierten Medizin auszurichten hat. Das IQWiG geht nach der Gesetzeskonzeption bei seinen Bewertungen in vergleichbarer hoch qualitativer Weise vor wie andere mit entsprechenden Aufgaben betraute Stellen im internationalen Bereich, zB das National Institute for Health and Clinical Excellence (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 151 Zu Nummer 117 <§ 139a > Zu Buchst b; Engelmann in: jurisPK-SGB V § 139a RdNr 30). Zusätzlich bestehen Rechte Sachverständiger, Interessierter und Betroffener, Stellung zu nehmen (vgl § 139a Abs 5 SGB V).

77

(2.) Das IQWiG wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der GKV erbrachten Leistungen in gesetzlich vorgegebenem Umfang tätig (vgl § 139a Abs 3 SGB V). Die Arbeit des IQWiG hat zum Ziel, die grundsätzlichen Anforderungen des SGB V bei der Leistungserbringung zu sichern. Hierzu soll es Erkenntnisse über den Wert der Leistungen auch im Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten sowie zu den Auswirkungen auf die Verbesserung der medizinischen Behandlung erarbeiten. Dies soll gewährleisten, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen dem besten verfügbaren wissenschaftlichen Stand entsprechen und auch weiterhin finanzierbar bleiben (vgl BT-Drucks 15/1525 S 127 Zu Nummer 112 Zu § 139a Zu Abs 3).

78

Zu den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben gehört auch die Bewertung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln (vgl § 139a Abs 3 Nr 5 SGB V). Der Beigeladene zu 1. beauftragt das IQWiG mit den gesetzlich umrissenen Arbeiten (vgl § 139b Abs 1 Satz 1 SGB V). Hierzu hat er dem IQWiG ua am 21.12.2004 den Generalauftrag erteilt, durch die Erfassung und Auswertung des relevanten Schrifttums eine kontinuierliche Beobachtung und Bewertung medizinischer Entwicklungen von grundlegender Bedeutung und ihrer Auswirkungen auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung in Deutschland vorzunehmen und den GBA hierüber regelmäßig zu informieren. Das IQWiG soll aus der eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeit heraus dem GBA für dessen gesetzliche Aufgaben notwendige Informationen zur Verfügung stellen und konkrete Vorschläge für Einzelaufträge erarbeiten.

79

(3.) Ziel des Gesetzgebers ist es, durch Einbindung des IQWiG in die Zuarbeit für den GBA den dynamischen Prozess der Fortentwicklung der medizinischen und pflegerischen Leistungen zu sichern und die kontinuierliche Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine qualitativ gesicherte Leistungserbringung zu gewährleisten (BT-Drucks 15/1525, S 127). Das IQWiG leitet deshalb seine Arbeitsergebnisse dem GBA als Empfehlungen zu (vgl § 139b Abs 4 Satz 1 SGB V). Dieser hat die Empfehlungen im Rahmen seiner Aufgabenstellung "zu berücksichtigen", wird also nur mit besonderer Begründung davon abweichen (vgl Hauck, NZS 2007, 461, 464). Insbesondere hat er zu prüfen, ob das IQWiG seine Bewertungen ausgehend von einem zutreffenden Rechtsverständnis der zugrunde gelegten Begriffe auf der Basis einer umfassenden Einbeziehung der relevanten Studien nachvollziehbar und widerspruchsfrei getroffen hat. Für die Umsetzung von Handlungsempfehlungen des IQWiG verbleibt ihm indes sein gesetzgeberisches Ermessen.

80

Dass von AkdÄ und IQWiG nicht berücksichtigte Studien hinreichender Qualität im gesetzlich gebotenen Sinne vorliegen, ist schließlich weder vom Kläger oder von sonstigen Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits noch von den Arzneimittelherstellern in den beim erkennenden Senat anhängigen Parallelverfahren in Kenntnis der Beurteilungen von AkdÄ und IQWiG behauptet worden. Es ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

81

hh) Die Verfahrensrüge des Klägers, das LSG habe unter Verstoß gegen §§ 103, 128 SGG keinen Beweis darüber erhoben, dass in medizinischen Fachkreisen ein Konsens bestehe, dass ein bestimmtes Patientenkollektiv nur mit Atorvastatin wirksam behandelt werde, greift nach alledem nicht durch. Es bestehen nämlich, wie dargelegt, derzeit keine weiteren Ermittlungspflichten.

82

e) Der Beigeladene zu 1. hat die Vergleichsgrößen materiell rechtmäßig festgesetzt (den Beschluss vom 20.7.2004 ersetzender Beschluss vom 13.3.2008). Gemäß § 35 Abs 1 Satz 5 SGB V ermittelt der Beigeladene zu 1. die nach § 35 Abs 3 SGB V "notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen". Die von ihm festgeschriebenen Werte sind in diesem Sinne geeignete Vergleichsgrößen.

83

Die gerichtliche Kontrolle der Ermittlung von Vergleichsgrößen ist beschränkt. Dem Beigeladenen zu 1. steht nämlich bei der Entscheidung über die Vergleichsgrößenbildung ein Gestaltungsspielraum zu. Er kann selbst darüber entscheiden, anhand welcher Kriterien er die Vergleichsgrößen bestimmt. Das Gesetz gibt keine Wahl dahin vor, ob der Tagesdosis, der Einzeldosis oder aber einer gänzlich anderen geeigneten Vergleichsgröße der Vorrang gebührt (Hauck in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, aaO, § 35 SGB V RdNr 45). Die Gerichte haben lediglich zu kontrollieren, ob der GBA hierbei auf der Grundlage eines vollständig ermittelten Sachverhalts den Zweck der Vergleichsgrößenbildung nachvollziehbar beachtet hat, die Arzneimittel mit verschiedenen Wirkstoffen innerhalb einer Gruppe vergleichbar zu machen (vgl zum Grundsatz oben, II 2. c aa mwN; siehe auch Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 20a). Diesen Anforderungen genügt die hier gewählte Vergleichsgrößenbildung. Der Beigeladene zu 1. hat sämtliche Daten anhand der zum Zeitpunkt des Gruppenbeschlusses zuletzt verfügbaren Jahresdaten des GKV-Arzneimittelindexes ermittelt und diese rechnerisch korrekt für alle fünf Statine umgesetzt. Das ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel.

84

Der Beigeladene zu 1. hat den Gesetzeszweck der Vergleichsgrößen beachtet, sicherzustellen, dass die aufzuwendenden Arzneimittelkosten unabhängig vom jeweiligen Wirkstoff für die von jedem Versicherten individuell benötigte Arzneimitteldosis annähernd gleich sind (vgl dazu Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 20a). Er hat jedem Wirkstoff einen bestimmten Zahlenwert zugewiesen, der ihn innerhalb der Gruppe vergleichbar macht. Seine hierbei gewählte Methode der verordnungsgewichteten durchschnittlichen Wirkstärke ist geeignet, eine sachgerechte mengenbezogene Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Wirkstoffen herzustellen. Sie errechnet für jeden der fünf Wirkstoffe einen Einzelwert als Vergleichsgröße, der sich am Verordnungsverhalten der Ärzte orientiert, also daran, welcher Wirkstoff wie häufig in welcher Wirkstärke verordnet wurde. Um zwischen Wirkstoffen mit vergleichbarer und mit unterschiedlicher Applikationsfrequenz, Wirkstoffen mit unterschiedlichen Applikationsfrequenzen und Behandlungszeiten, Wirkstoffen mit unterschiedlichen Applikationsfrequenzen und Intervallen, unterschiedlichen Behandlungszeiten und unterschiedlicher Anzahl therapiefreier Tage sowie Wirkstoffkombinationen mit vergleichbarer Applikationsfrequenz zu unterscheiden, bezieht die Berechnung zusätzlich einen sogenannten Applikationsfaktor ein.

85

Die dagegen vorgetragenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Die vom Beigeladenen zu 1. angewendete Methode geht systemgerecht davon aus, dass nur therapeutisch sinnvolle Wirkstärken gemäß § 25 Abs 1 Satz 1 AMG zugelassen werden, und die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte diese Wirkstärken zutreffend verordnen(vgl Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 9). Die vom Kläger bevorzugte Methode, die Vergleichsgröße anhand einer tatsächlichen Wirkstärke zu bestimmen, leidet dagegen daran, dass sich seine Prämisse, bei jedem Patienten wirke etwa Atorvastatin "doppelt so gut" wie Pravastatin oder "viermal so gut" wie Simvastatin, schwerlich objektivieren lässt. Bei Anwendung eines Wirkstoffs bringt die doppelte Wirkmenge nicht automatisch auch den doppelten Behandlungserfolg mit sich. Ua vor diesem Hintergrund ist eine arzneimittelrechtliche Zulassung stets wirkstärkenbezogen (vgl § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AMG). Dem trägt die hier gewählte Methode Rechnung, sich nicht an einer fiktiven "tatsächlichen Wirkstärke", sondern an der tatsächlichen Situation der Verordnungen in der Praxis im Hinblick auf die Wirkstärke zu orientieren (vgl ähnlich für den Vergleich der Wirksamkeit mehrerer Wirkstoffe BSGE 93, 296 RdNr 14 = SozR 4-2500 § 35 Nr 2 RdNr 16).

86

f) Die (hier noch zuständigen) Beigeladenen zu 2. bis 7. haben die Festbeträge rechtmäßig festgesetzt. Sie haben die notwendige Form gewahrt, da die Festsetzung im Bundesanzeiger öffentlich bekanntgemacht wurde (§ 35 Abs 7 Satz 1 SGB V), und die Festbeträge auch materiell rechtmäßig festgesetzt. Sie haben die in § 35 Abs 5 SGB V formulierten Vorgaben befolgt, Festbeträge so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten(Satz 1), Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen, einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen, sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten ausrichten und soweit wie möglich eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherstellen (Satz 2).

87

Die gerichtliche Kontrolle der festgesetzten Festbetragshöhe erfolgt grundsätzlich in vollem Umfang. Sie beschränkt sich jedoch auf die zutreffende Konkretisierung der bestehenden Zielvorgaben nebst wissenschaftlich haltbarer Schätzungen, wo in Unkenntnis der Reaktion jedes einzelnen Arzneimittelanbieters prognostische Elemente und Schätzungen mit in die Festbetragsfestsetzung einfließen müssen (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 46). Es besteht allerdings kein Beurteilungsspielraum der Beigeladenen zu 2. bis 7. mit Blick darauf, dass im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche, in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet ist (vgl dagegen zum Rechtsschutz im Hinblick auf atypische Einzelfälle oben II 1. e; aA - einen Beurteilungsspielraum bejahend - Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 31; Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 93). Anderes wäre auch verfassungsrechtlich bedenklich. Das BVerfG hat die Regelungen über die Festsetzung von Festbeträgen in § 35 Abs 5 SGB V mit Rücksicht darauf nicht beanstandet, dass sie klar überprüfbare Festsetzungsmaßstäbe enthalten. Eine wesentliche Änderung des Inhalts des Wirtschaftlichkeitsgebots oder wirtschaftslenkende Handlungsspielräume sind dem Beklagten und waren den beigeladenen Krankenkassenverbänden nicht eröffnet (vgl näher BVerfGE 106, 275, 302 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2, S 20).

88

Die Beigeladenen zu 2. bis 7. haben das gesetzliche Berechnungsverfahren beachtet (s § 35 Abs 5 Satz 3 bis 7 SGB V). Danach sind die Festbeträge mindestens einmal im Jahr zu überprüfen; sie sind in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen. Der Festbetrag für die Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V soll den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis einer Standardpackung nicht übersteigen. Dabei müssen mindestens ein Fünftel aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel aller Packungen zum Festbetrag verfügbar sein; zugleich darf die Summe der jeweiligen Vomhundertsätze der Verordnungen und Packungen, die nicht zum Festbetrag erhältlich sind, den Wert von 160 nicht überschreiten. Bei der Berechnung nach § 35 Abs 5 Satz 4 SGB V sind hochpreisige Packungen mit einem Anteil von weniger als 1 vH an den verordneten Packungen in der Festbetragsgruppe nicht zu berücksichtigen. Für die Zahl der Verordnungen sind die zum Zeitpunkt des Berechnungsstichtages zuletzt verfügbaren Jahresdaten des Arzneimittelindexes der gesetzlichen Krankenversicherung zu Grunde zu legen. Demgemäß hat sich die Festsetzung der optimalen Festbetragshöhe iterativ unter Anwendung einer Maßzahl anzunähern (sogenannte Maßzahl M). Sie ist als Summe des prozentualen Anteils zuzahlungspflichtiger Verordnungen und des prozentualen Anteils zuzahlungspflichtiger Packungen definiert und muss durch die Festbetragsfestsetzung eingehalten werden.

89

Der Festbetrag von 13,48 Euro (Wirkstärkenvergleichsgröße 0,4 und Packungsgröße 100 Stück) genügt - soweit hier von Interesse - diesen Anforderungen. Die festgesetzte Festbetragshöhe muss nur im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten, nicht aber im atypischen Einzelfall (vgl oben, II 1. e). Die Maßzahl M hat am Berechnungsstichtag bei 96,4 gelegen. Damit standen den Versicherten 35,1 Prozent der Packungen und 68,5 Prozent der Verordnungen - und folglich weit mehr als gesetzlich erforderlich - zum angepassten Festbetrag zur Verfügung. Außerdem waren Arzneimittel mit zwei der fünf Wirkstoffe der Festbetragsgruppe zum Festbetrag erhältlich. Danach greift auch das Vorbringen des Klägers nicht durch, die festgesetzte Festbetragshöhe stelle keine hinreichende Arzneimittelauswahl sicher. Die Sicherstellung einer für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl hat nur "soweit wie möglich" zu erfolgen, kann also auch dazu führen, dass lediglich ein einziges therapiegerechtes Arzneimittel zum Festbetrag zur Verfügung steht. Darüber ging das Angebot zum Festbetrag erhältlicher therapiegerechter Statine deutlich hinaus.

90

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG. Der Kläger muss als nach § 183 SGG Kostenprivilegierter nicht die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen. Allerdings sind nach § 193 Abs 4 SGG nur die Aufwendungen der in § 184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen nicht erstattungsfähig. Das sind lediglich Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 SGG genannten privilegierten Personen gehören, nicht aber Beigeladene. Kosten eines Beigeladenen sind grundsätzlich durch eine im Verfahren unterlegene Behörde zu erstatten (vgl BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 5; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 17). Es entspricht aber in der Regel der Billigkeit, nach § 183 Abs 1 SGG kostenprivilegierte Beteiligte von der Erstattungspflicht gegenüber beigeladenen Trägern öffentlicher Verwaltung freizustellen. Sie sollen nicht durch eine drohende Kostenlast von der Anstrengung eines gerichtlichen Verfahrens abgehalten werden. So liegt es hier.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Psychotherapie.

2

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger beantragte befundgestützt eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als Langzeittherapie (16.12.2013). Die Beklagte beauftragte Dr. D mit der Begutachtung, ohne den Kläger hierüber zu informieren (17.12.2013). Dr. D hielt die aktuell wirksame Psychodynamik der Erkrankung für nicht erkennbar und erwartete keinen hinreichenden Behandlungserfolg. Die Beklagte lehnte es ab, die Therapie zu bewilligen (Bescheid vom 27.1.2014, Widerspruchsbescheid vom 5.5.2014). Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Gerichtsbescheid vom 11.8.2014). Der Kläger hat sich 24 Sitzungen tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie selbst beschafft und danach sein Klagebegehren auf Erstattung der von ihm hierfür aufgewandten Kosten in Höhe von 2200 Euro gerichtet. Das LSG hat unter Anpassung des Tenors die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Ihr Schweigen auf den Leistungsantrag habe dessen Bewilligung fingiert (Urteil vom 17.6.2015).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs 3a S 6 und 7 SGB V. Die Regelung begründe allein einen Kostenerstattungsanspruch für "erforderliche" Leistungen. Hieran habe es gefehlt.

4

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juni 2015 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 11. August 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

                 
        

hilfsweise,

                 
        

das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juni 2015 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

6

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Kläger 2200 Euro zu zahlen. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs gemäß § 13 Abs 3a S 7 SGB V(in der seit 26.2.2013 geltenden Fassung des Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten sind erfüllt. Der Anwendungsbereich der Regelung ist eröffnet (dazu 1.). Die vom Kläger beantragten - hier nur noch streitigen - 24 Sitzungen tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie gelten als von der Beklagten genehmigt (dazu 2.). Der Kläger beschaffte sich daraufhin die erforderliche Leistung selbst. Hierdurch entstanden ihm 2200 Euro Kosten (dazu 3.).

8

1. Der Kläger kann sich für die Erstattung der Kosten auf den Anspruch aus § 13 Abs 3a S 7 SGB V nach dessen zeitlichem und sachlichem Anwendungsbereich berufen.

9

a) Die Regelung ist nach ihrem Geltungszeitraum anzuwenden. Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht (vgl hierzu zB BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f mwN)greift die Regelung lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.2.2013 stellen. Der Kläger stellte nach dem 25.2.2013, am 16.12.2013, bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung einer künftig zu leistenden Psychotherapie.

10

b) Die Regelung ist auch sachlich anwendbar. Denn der Kläger verlangt weder unmittelbar eine Geldleistung noch Erstattung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha), sondern Erstattung für selbstbeschaffte Krankenbehandlung.

11

Die Regelung findet keine Anwendung auf Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind. Das sind andere Ansprüche der Versicherten wegen sachleistungsersetzender Kostenerstattung etwa nach § 13 Abs 2 und 3 SGB V und wegen Geldleistungen mit Unterhaltsersatzfunktion. Der gesetzliche Erstattungsanspruch für die selbstbeschaffte erforderliche Leistung passt hierauf nicht (vgl zu Wortlaut und Regelungssystem aa). Versicherte können sich jederzeit Kredite zur Überbrückung von Zeiten verschaffen, in denen bei ihnen ein Bedarf entsteht, weil KKn den Versicherten zustehende Geldleistungsansprüche nicht auszahlen. Es bedarf hierfür keines besonderen Rechtsmechanismus, die gesetzliche Verzinsungsregelung greift (vgl § 44 SGB I). Der Gesetzgeber ging für die Regelung dementsprechend von einer "Ausnahme vom Sachleistungsprinzip" aus (vgl hierzu Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1). Die späteren Änderungen des Gesetzentwurfs (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 11) geben keinen Anlass zu einer hiervon abweichenden Auslegung.

12

Der Erstattungsanspruch bei Genehmigungsfiktion ist auch für Leistungen zur medizinischen Reha nicht gegeben. Das folgt aus Wortlaut und Binnensystem der Norm (dazu aa), Entstehungsgeschichte (dazu bb) und Regelungszweck im Gesamtsystem (dazu cc). Die vom Kläger begehrte und selbstbeschaffte Psychotherapie ist nicht Gegenstand der medizinischen Reha, sondern der Krankenbehandlung (dazu dd).

13

aa) Nach § 13 Abs 3a S 1 SGB V hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die KK eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs 3a S 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs 3a S 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs 3a S 4 SGB V). Kann die KK die Fristen nach S 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die KK zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Reha gelten die §§ 14, 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbstbeschaffter Leistungen(§ 13 Abs 3a S 9 SGB V).

14

bb) Nach den Gesetzesmaterialien gelten für Leistungen zur medizinischen Reha die §§ 14, 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbstbeschaffter Leistungen. Das Gesetz stellt dies ausdrücklich klar (vgl hierzu Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1).

15

cc) Auch der Regelungszweck im Gesamtsystem verdeutlicht, dass das Gesetz Kostenerstattung wegen Genehmigungsfiktion für Leistungen zur medizinischen Reha nicht vorsieht. Der Gesetzgeber hat bewusst Leistungen zur medizinischen Reha aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ausgeklammert. Schon die Vorgaben für die Zuständigkeitsklärung bei Leistungen zur medizinischen Reha (§ 14 SGB IX)würden zur gesetzlichen Regelung der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V)nicht passen. Sie wären mit dem aufgezeigten Fristenregime des § 13 Abs 3a SGB V nicht kompatibel. Leitete der erstangegangene Träger einen Antrag innerhalb von zwei Wochen nach seinem Eingang weiter (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IX),könnte dennoch innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang beim erstangegangenen Träger bereits die Genehmigungsfiktion eintreten (§ 13 Abs 3a S 1 und S 6 SGB V). Vergleichbares gilt für die unterschiedlichen Erstattungsregelungen (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V und § 15 SGB IX).

16

dd) Der Begriff der Leistungen zur medizinischen Reha ist funktionsadäquat auszulegen: Einerseits umfasst er in einem weiten Sinne Leistungen, die eine KK als erstangegangener Reha-Träger nach dem Recht des eigentlich zuständigen Trägers zu erbringen hat, wenn sie den Antrag nicht weiterleitet und deshalb im Außenverhältnis zum zuständigen Träger wird. Die in § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich in diesem Falle im Außenver-hältnis (behinderter Mensch/Reha-Träger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind(vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4 RdNr 14 mwN). Einbezogen sind zB Adaptionsmaßnahmen, die eine KK allein nach dem Recht des SGB V nicht leisten müsste (vgl zB BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 16 ff). Dieser Schutzmechanismus darf nicht durch ein zu enges Begriffsverständnis der "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" ausgehebelt werden. Der Entscheidungszeitpunkt der KK spielt hierbei keine Rolle.

17

Andererseits erstreckt sich dieser Leistungsbegriff in der Regelung des § 13 Abs 3a S 9 SGB V - bei einem Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem engeren Sinne - nur auf die Leistungen zur medizinischen Reha im Sinne des SGB V. Das sind insbesondere die dort als solche bezeichneten Leistungen (§ 40 SGB V), aber auch zB teilweise Arbeitstherapie (vgl zB BSGE 109, 122 = SozR 4-2500 § 42 Nr 1, RdNr 21 ff, 26 mwN). Versicherte der GKV - wie der Kläger - haben gemäß § 11 Abs 2 S 1 SGB V ua Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Reha, die "notwendig sind, um eine Behinderung (…) abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern". Diese Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs 2 S 3 SGB V). Die KKn - gemäß § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX mögliche Träger von Leistungen zur medizinischen Reha - sind nach den Vorschriften des SGB V zur Erbringung medizinischer Reha-Leistungen indes nur unter den dort genannten Voraussetzungen verpflichtet(vgl § 11 Abs 2, § 40 SGB V; BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 18).

18

Speziell für Psychotherapie unterscheidet das SGB V zwischen ärztlicher Behandlung einschließlich Psychotherapie (vgl § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V)als einem Teilbereich ambulanter Krankenbehandlung einerseits (vgl zu diesem Begriff in Abgrenzung zur ambulanten Reha § 40 Abs 1 S 1 SGB V) und Leistungen zur medizinischen Reha, zu deren Bestandteilen auch Psychotherapie gehören kann, und ergänzenden Leistungen andererseits (vgl § 27 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V). Im Regelungsbereich ambulanter ärztlicher Behandlung im Rechtssinne wird die psychotherapeutische Behandlung einer Krankheit durch Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeuten), soweit sie zur psychotherapeutischen Behandlung zugelassen sind, sowie durch Vertragsärzte entsprechend den Richtlinien (RL) nach § 92 SGB V durchgeführt(vgl § 28 Abs 3 S 1 SGB V idF durch Art 2 Nr 2 Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.6.1998, BGBl I 1311; vgl BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 20 RdNr 10). Um eine solche Leistung psychotherapeutischer Krankenbehandlung ging es dem Kläger.

19

2. Grundvoraussetzung des Erstattungsanspruchs aufgrund Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V)ist, dass die beantragte Leistung im Sinne des Gesetzes nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V; dazu a). Das folgt aus dem oben aufgezeigten Wortlaut und dem Binnensystem der Norm (vgl oben, II. 1. b aa), Entstehungsgeschichte und Regelungszweck. Die vom Kläger beantragte Leistung galt in diesem Sinne als genehmigt (dazu b).

20

a) Der Eintritt der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V)ist in der Erstattungsregelung (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V) verkürzend mit den Worten "nach Ablauf der Frist" vorausgesetzt. Gemeint ist nicht jeder Fall des Ablaufs der Fristen nach § 13 Abs 3a S 1 oder S 4 SGB V. Der Erstattungsanspruch setzt nach seinem inneren Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V)und dem Eintritt der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V)vielmehr voraus, dass die KK keinen oder keinen hinreichenden Grund mitteilte. Nur im Fall grundlos nicht fristgerechter Leistungserbringung kann sich der Versicherte aufgrund der Regelung die erforderliche Leistung selbst beschaffen und Kostenerstattung von der KK verlangen (vgl hierzu auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 29 f). Der Regelungszweck, Bewilligungsverfahren der KKn zu beschleunigen (vgl hierzu auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, aaO S 29), zielt nicht darauf ab, hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren. Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der KK prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die KK zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion dem Antragsteller die hinreichenden Gründe mit der geänderten taggenauen Prognose erneut - ggf wiederholt - mitteilen. Erst wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der letzten, hinreichend begründeten Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen, ist die KK zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.

21

b) Die vom Kläger beantragte Psychotherapie galt wegen Fristablaufs als genehmigt. Denn der leistungsberechtigte Kläger (dazu aa) stellte bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag (dazu bb) auf Leistung von 25 Sitzungen tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als Langzeitpsychotherapie, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt (dazu cc). Diesen Antrag beschied die Beklagte nicht innerhalb der Frist des § 13 Abs 3a S 1 SGB V, ohne dem Kläger hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen(dazu dd).

22

aa) Der Kläger ist als bei der Beklagten Versicherter leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen KK.

23

bb) Der Kläger beantragte hinreichend bestimmt die Gewährung einer Psychotherapie als Langzeittherapie im Umfang von 25 Sitzungen. Damit die Leistung im Rechtssinne nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Entsprechend den allgemeinen, in § 42a VwVfG(Verwaltungsverfahrensgesetz idF durch Art 1 Nr 5 des Vierten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften - 4. VwVfÄndG - vom 11.12.2008, BGBl I 2418 mWv 18.12.2008) normierten Grundsätzen (vgl Begründung zu § 42a VwVfG im Gesetzentwurf der Bundesregierung eines 4. VwVfÄndG, BT-Drucks 16/10493 S 15) gilt "eine beantragte Genehmigung (…) nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (…), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist". Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen (vgl Begründung zu § 42a VwVfG im Gesetzentwurf der Bundesregierung eines 4. VwVfÄndG, BT-Drucks 16/10493 S 16). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist(zu § 13 SGB V: Helbig in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 13 RdNr 73; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Dezember 2015, § 13 RdNr 58l; s auch Gemeinsames Rundschreiben des Spitzenverbandes Bund der KKn und der Verbände der KKn auf Bundesebene zur leistungsrechtlichen Vorschrift des § 13 Abs 3a SGB V vom 15.5.2013, S 20; zu § 42a VwVfG: U Stelkens in P Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 42a RdNr 35 mwN).

24

So lag es hier. Der Klägerantrag auf Gewährung von Psychotherapie als Langzeittherapie im Umfang von 25 Sitzungen war im Rechtssinne hinreichend bestimmt und fiktionsfähig.

25

cc) Der Antrag des Klägers betraf eine Leistung, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspricht (vgl § 13 Abs 3a S 7 SGB V). Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl LSG NRW Beschluss vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 7 mwN). Für diese Auslegung spricht schließlich der Sanktionscharakter der Norm (vgl hierzu Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1). Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (vgl zur Kostenfreistellung zB BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 16 mwN und Leitsatz 2). Auch der Kostenerstattungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion setzt voraus, dass sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine "erforderliche" Leistung (entsprechend der fingierten Genehmigung; dazu II. 3. a) selbst beschaffen.

26

Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Die Gesetzesmaterialien sprechen beispielhaft den Fall an, dass die KK auch im Fall der selbstbeschafften Leistung, zum Beispiel bei einer notwendigen Versorgung mit Zahnersatz, nicht den vom Versicherten zu tragenden Eigenanteil zu übernehmen hat (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 30; im Ergebnis ähnlich etwa LSG NRW Beschluss vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 9; Schleswig-Holsteinisches LSG Beschluss vom 20.1.2016 - L 5 KR 238/15 B ER - Juris RdNr 23 ff; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Dezember 2015, § 13 RdNr 58l; Vogl, NZS 2014, 210, 211; Werner, SGb 2015, 323, 325; aA etwa LSG NRW Beschluss vom 26.5.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KRL 16 KR 155/14 B - Juris RdNr 26 ff; Helbig in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 13 RdNr 74; Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl 2014, § 13 RdNr 29; Knispel, SGb 2014, 374, 376; Rieker, NZS 2015, 294, 297; Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 288; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand Dezember 2015, § 13 RdNr 43).

27

Die beantragte Psychotherapie unterfällt ihrer Art nach dem Leistungskatalog der GKV, wie oben dargelegt. Der Kläger konnte auch aufgrund der fachlichen Befürwortung seines Antrags durch die Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin T die Behandlung für geeignet und erforderlich halten. Der Gedanke an einen Rechtsmissbrauch liegt fern.

28

dd) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen (§ 13 Abs 3a S 1 SGB V), ohne dem Kläger hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen: Sie teilte ihm keinerlei Gründe mit. Die Frist von drei Wochen ist maßgeblich, weil die Beklagte den Kläger nicht über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme unterrichtete (vgl zur Pflicht § 13 Abs 3a S 2 SGB V). Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen annehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt (aA Rieker, NZS 2015, 294, 296). Die Frist begann am Dienstag, dem 17.12.2013 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB). Nach den bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG)ging der Antrag des Klägers am 16.12.2013 der Beklagten zu. Die Frist endete am Montag, dem 6.1.2014 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB). Die Beklagte entschied erst später, am 27.1.2014, über den Antrag des Klägers.

29

3. Der Kläger beschaffte sich die erforderliche Leistung von 24 Sitzungen Psychotherapie selbst, nachdem sie als genehmigt galt (dazu a). Hierdurch entstanden ihm 2200 Euro Kosten (dazu b).

30

a) Die genehmigte Leistung, die sich der Kläger beschaffte, war auch noch im Zeitpunkt der Beschaffung erforderlich. Der Kläger beachtete nämlich Art und Umfang der fingierten Genehmigung von 25 Sitzungen Psychotherapie. Er beschaffte sich die Leistung zeitnah nach Eingreifen der Genehmigungsfiktion. Die fingierte Genehmigung hatte sich bei der Beschaffung auch nicht erledigt. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die Leistung nicht mehr (subjektiv) erforderlich gewesen wäre.

31

Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene des Klägers - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl § 39 Abs 2 SGB X; vgl hierzu bei nicht fingierter Genehmigung zB BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 24; rechtsähnlich BVerwGE 48, 87, 90, 92 ff zu § 19 Abs 4 S 3 BBauG vom 23.6.1960, BGBl I 341). So kann etwa - für den Versicherten erkennbar - eine "Erledigung auf andere Weise" einer fingierten Genehmigung einer beantragten Krankenbehandlung eintreten, wenn die ursprünglich behandlungsbedürftige Krankheit nach ärztlicher, dem Betroffenen bekannter Einschätzung vollständig geheilt ist: Es verbleibt durch diese Änderung der Sachlage für die getroffene Regelung kein Anwendungsbereich mehr. Sie kann nach ihrem Inhalt und Zweck keine Geltung für den Fall derart veränderter Umstände beanspruchen. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht (BSG SozR 3-1300 § 39 Nr 7 S 14 mwN; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 5 RdNr 24). In diesem Sinne ist die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Geänderte Umstände, die die Genehmigung im Zeitpunkt der Beschaffung entfallen ließen, hat indes weder das LSG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich.

32

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, der Kläger sei deshalb nicht "schutzbedürftig", weil ihm vor Selbstverschaffung der genehmigten Therapiemaßnahmen die ablehnende Entscheidung der Beklagten zugegangen und seine Therapeutin Kenntnis vom Begutachtungsergebnis erlangt habe. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§ 13 Abs 3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die spätere Mitteilung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und die Information der Therapeutin über das Gutachten lassen die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion unberührt; die Ablehnung der Leistung regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl hierzu §§ 45, 47 SGB X).

33

b) Dem Kläger entstanden nach den unangegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) dadurch Kosten in Höhe von 2200 Euro, dass er sich die erforderliche genehmigte Leistung selbst beschaffte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger ohne Selbstbeschaffung der Leistung einen Eigenanteil der Therapiekosten zu tragen gehabt hätte (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 30).

34

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 17. Februar 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, die Klägerin mit einer Brust- und Abdominalplastik sowie einer Liposuktion der Oberschenkel zu versorgen und dass der Bescheid vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2014 aufgehoben wird, soweit er die beantragten Leistungen abgelehnt hat.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit Hautstraffungsoperationen an Brust und Bauch (Brust- und Abdominalplastik) sowie einer Liposuktion der Oberschenkel.

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin beantragte nach massiver Gewichtsabnahme befundgestützt die Versorgung mit Hautstraffungsoperationen im Bauch- und Brustbereich sowie an den Oberschenkeln nebst vorheriger Liposuktion der Oberschenkel (25.10.2013). Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass vor einer Entscheidung eine medizinische Untersuchung erforderlich sei und lud sie ein, sich am 2.12.2013 beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vorzustellen (5.11.2013). Der MDK verneinte eine eindeutige Indikation für die beantragten Operationen; am ausgeprägtesten sei der Befund an den Oberschenkeln (9.12.2013). Gestützt hierauf bewilligte die Beklagte der Klägerin eine gewebereduzierende Operation der Oberschenkel ohne Liposuktion und lehnte die beantragte Versorgung im Übrigen ab (Bescheid vom 17.12.2013; Widerspruchsbescheid vom 14.3.2014). Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der Verwaltungsentscheidung verpflichtet, der Klägerin hautstraffende Operationen im Bereich der Brüste, der Bauchdecke und der Oberschenkel einschließlich Liposuktion zu gewähren (Urteil vom 17.2.2015). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Eine Operation zur Oberschenkelstraffung stehe nicht in Streit. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Liposuktion der Oberschenkel und einer Brust- und Bauchstraffung. Es fehle an einer behandlungsbedürftigen Krankheit. Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a SGB V) seien nicht erfüllt. Die Regelung erfasse nur Leistungen, die grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehörten (Urteil vom 28.3.2017).

3

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs 3a SGB V sowie § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 iVm § 39 Abs 1 SGB V.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 17. Februar 2015 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, die Klägerin mit einer Brust- und Abdominalplastik sowie einer Liposuktion der Oberschenkel zu versorgen und dass der Bescheid vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2014 aufgehoben wird, soweit er die beantragten Leistungen abgelehnt hat.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Revision sei zudem schon wegen Verstoßes gegen § 73 Abs 6 SGG unzulässig.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist zulässig (dazu 1.) und begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Klage gegen die Leistungsablehnung (Bescheid vom 17.12.2013; Widerspruchsbescheid vom 14.3.2014) abgewiesen. Das LSG-Urteil verletzt materielles revisibles Recht. Die zulässige Klage (dazu 2.) ist begründet. Die Klägerin hat aufgrund fingierter Genehmigung ihres Antrags einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit der beantragten Brust- und Abdominalplastik sowie der beantragten Liposuktion der Oberschenkel (dazu 3.). Die Ablehnungsentscheidung der beklagten KK ist rechtswidrig (dazu 4.).

8

1. Die Klägerin hat die Bevollmächtigung ihres Prozessbevollmächtigten für das Revisionsverfahren nachgewiesen (§ 73 Abs 6 S 1 und S 4 SGG). Sie hat ihren Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß bevollmächtigt (7.2.2014). Die schriftlich zu den Gerichtsakten eingereichte Vollmacht (§ 73 Abs 6 S 1 SGG) lässt keinen Zweifel daran, wer bevollmächtigt ist, wer bevollmächtigt hat und wozu bevollmächtigt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 17.3.2016 - B 4 AS 684/15 B - Juris RdNr 5 unter Hinweis auf BFH Urteil vom 17.7.1984 - VIII R 20/82 - BFHE 141, 463, 465): Der Prozessbevollmächtigte ist von der Klägerin ausdrücklich ua zur Einlegung von Rechtsmitteln in Rechtsstreitigkeiten betreffend den an die Klägerin gerichteten Bescheid der Beklagten vom 17.12.2013 bevollmächtigt. Der Zusatz - "Diese Vollmacht gilt nur für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht (nicht für das außergerichtliche Verfahren) gemäß telefonischer Absprache vom 7.2.14, also entstehen mir keine Kosten." - sollte ersichtlich lediglich eine (Kosten auslösende) vorgerichtliche Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten bereits für das Widerspruchsverfahren ausschließen, nicht dagegen die Prozessvollmacht auf das erstinstanzliche Verfahren beschränken.

9

2. Gegenstand des Rechtsstreits sind zwei in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgte zulässige Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage auf Versorgung mit einer Brust- und Abdominalplastik sowie Liposuktion der Oberschenkel (dazu a) und die (isolierte) Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung (dazu b).

10

a) Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage ist zulässig. Nach § 54 Abs 5 SGG kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt (§ 77 SGG) vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 22 f; s ferner Zeihe in Zeihe/Hauck, SGG, Stand April 2018, § 54 RdNr 43b). Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich. Die Genehmigungsfiktion bewirkt ohne Bekanntgabe (§§ 37, 39 Abs 1 SGB X) einen in jeder Hinsicht voll wirksamen Verwaltungsakt iS von § 31 S 1 SGB X. Durch den Eintritt der Fiktion verwandelt sich der hinreichend inhaltlich bestimmte Antrag in den Verfügungssatz des fingierten Verwaltungsakts. Er hat zur Rechtsfolge, dass das in seinem Gegenstand durch den Antrag bestimmte Verwaltungsverfahren beendet ist und dem Versicherten unmittelbar ein Anspruch auf Versorgung mit der Leistung zusteht (vgl zum Ganzen BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 8 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 9, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

11

Die allgemeine Leistungsklage tritt nicht hinter die Feststellungsklage zurück (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein Kläger effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 S 1 GG) erlangen, wenn sich eine KK - wie hier - weigert, eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Leistung zu erbringen. Ihm bleibt nur die Leistungsklage, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten (§ 199 Abs 1 Nr 1 SGG). Eine Vollstreckung aus Verwaltungsakten gegen die öffentliche Hand ist nicht vorgesehen (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 23; BSGE 75, 262, 265 = SozR 3-8560 § 26 Nr 2 S 15). Die allgemeine Leistungsklage und nicht eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist statthaft. Denn die Klägerin stützt ihr Begehren gerade auf den Eintritt der fingierten Genehmigung ihres Antrags (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V), auf einen fingierten Leistungsbescheid, der in Bestandskraft erwachsen ist. § 86 SGG findet keine Anwendung.

12

b) Die gegen die Ablehnungsentscheidung neben der allgemeinen Leistungsklage erhobene isolierte Anfechtungsklage ist zulässig (vgl BSG 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 11, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Die Beklagte setzte mit ihrer Leistungsablehnung nicht das mit Eintritt der Genehmigungsfiktion beendete, ursprüngliche Verwaltungsverfahren fort, sondern eröffnete ein neues eigenständiges Verfahren.

13

3. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit einer Brust- und Abdominalplastik sowie einer Liposuktion der Oberschenkel als Naturalleistung. Er entstand kraft fingierter Genehmigung des Antrags (dazu a). Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung sind erfüllt. § 13 Abs 3a SGB V (idF durch Art 2 Nr 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl I 277) erfasst die von der Klägerin beantragten Leistungen nicht nur zeitlich (vgl dazu BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 15 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9), sondern auch als ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsarten (dazu b). Die Klägerin war leistungsberechtigt (dazu c). Sie erfüllte mit ihrem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen, den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit Hautstraffungsoperationen sowie einer Liposuktion (dazu d). Die Klägerin durfte die beantragte Leistung für erforderlich halten (dazu e). Die Beklagte hielt die gebotene Frist für eine Verbescheidung nicht ein (dazu f). Die Genehmigung ist schließlich auch nicht später erloschen (dazu g).

14

a) Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Ein solcher Anspruch auf Leistung, den ein Versicherter aufgrund fingierter Genehmigung erlangt, gehört zum Leistungskatalog der GKV (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 LS 1, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; aA, aber ohne neue Argumente Schneider, NZS 2018, 753, 756 ff; Felix, KrV 2018, 177, 182). Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 16, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25). Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Der Wortlaut des § 13 Abs 3a S 6 SGB V steht dem Naturalleistungsanspruch nicht bloß nicht entgegen, sondern gebietet diesen sogar. Ohne den nachfolgenden S 7 bliebe es allein bei diesem Anspruch. Denn eine KK darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (vgl § 2 Abs 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX vorsehen (vgl § 13 Abs 1 SGB V). Nach dem Regelungssystem entspricht dem Naturalleistungsanspruch der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz. § 13 Abs 3a S 7 SGB V begrenzt den sich aus der Genehmigungsfiktion ergebenden Anspruch schon nach seinem Wortlaut nicht, sondern erweitert die Handlungsoptionen neben der Inanspruchnahme der Leistung in Natur um die Selbstbeschaffung mit Kostenerstattung. Dies vermeidet eine sachwidrige Ungleichbehandlung iS von Art 3 Abs 1 GG. Denn nur der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Berechtigten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 7 mwN). Für diese Auslegung spricht auch der Sanktionscharakter der Norm (vgl ausführlich BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 16 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 f mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25; Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1).

15

b) Die Regelung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V ist auf den Antrag der Klägerin sachlich anwendbar. Die Regelung erfasst ua Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet sind (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 18, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 14 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 11 ff); auf letztere finden die §§ 14 f SGB IX Anwendung(§ 13 Abs 3a S 9 SGB V). Die Klägerin begehrt demgegenüber die Gewährung von Krankenbehandlung in Form von Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 5 iVm § 39 SGB V).

16

c) Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen KK (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 19, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 16 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 22).

17

d) Die Klägerin beantragte als Leistung hinreichend bestimmt eine Brust- und Abdominalplastik sowie eine Liposuktion der Oberschenkel. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung (vgl dazu oben, unter II. 2. a) und als materiell-rechtliche Voraussetzung (vgl zur Doppelfunktion zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist(vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 20, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 23). Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr, vgl nur BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN). Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) zu gewähren, verschafft dem Adressaten - wie dargelegt - ua eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel auf das Zuerkannte zu erhalten (vgl näher BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 18 mwN).

18

Der Antrag der Klägerin vom 25.10.2013 genügte diesen Anforderungen. Er war auf die Versorgung mit einer Bauchdeckenstraffung, Straffung der Brüste sowie Fettabsaugung und Straffung der Oberschenkel in einem hierfür geeigneten Krankenhaus gerichtet, ohne dass sich die Klägerin auf ein bestimmtes behandelndes Krankenhaus festgelegt hätte (vgl entsprechend BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 19 mwN).

19

e) Der Antrag der Klägerin betraf auch eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich an, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck.

20

Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 21 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 26).

21

Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) entgegen. Die in der Durchbrechung dieser Grundsätze liegende Ungleichbehandlung Versicherter ist als gezielte, durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen noch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz (vgl Art 3 Abs 1 GG) gerechtfertigt (vgl BSG SozR 4-2500 § 137e Nr 1 RdNr 22, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). § 13 Abs 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von den genannten Anforderungen ab, indem er in seinem S 6 selbst in den Fällen, in denen eine KK einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs 3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V obsolet(vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 22 mwN; dies verkennend zB LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.5.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KRL 16 KR 155/14 B - Juris RdNr 26 ff = NZS 2014, 663; Schneider, NZS 2018, 753, 756 f, zudem unzutreffend auf die ursprüngliche geplante Regelung in Art 2 Nr 1 PatRVerbG-Entwurf der Bundesregierung abstellend; ebenso v. Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601, 603 f und Knispel, SGb 2014, 374 ff sowie GesR 2017, 749, 752 f; zur Unmaßgeblichkeit des Ursprungsentwurfs in Art 2 Nr 1 PatRVerbG vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 17, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; die erst vom Ausschuss für Gesundheit eingefügte Genehmigungsfiktion sollte es dem Versicherten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, vgl BT-Drucks 17/11710 S 30). Entgegen der Auffassung des LSG erfasst die Genehmigungsfiktion deshalb auch beantragte Leistungen, auf die ohne Eintritt der Genehmigungsfiktion kein Anspruch besteht.

22

Die von der Klägerin begehrten Hautstraffungsoperationen an Brust und Bauch sowie die Liposuktion der Oberschenkel liegen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl zur Hautstraffungsoperation BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 25, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; zur Liposuktion BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R - Juris RdNr 22 = USK 2017-38). Gründe, warum die Klägerin die beantragte Brust- und Abdominalplastik und Liposuktion nicht aufgrund der fachlichen Befürwortung durch ihre behandelnden Ärzte für erforderlich halten durfte, hat das LSG nicht festgestellt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Beklagte ermittelte zudem selbst in medizinischer Hinsicht und bejahte einen Anspruch auf eine Hautstraffungsoperation im Bereich der Oberschenkel.

23

f) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der ab dem 25.10.2013 (dazu aa) beginnenden Fünf-Wochen-Frist (dazu bb), sondern erst nach Fristablauf (dazu cc).

24

aa) Maßgeblich für den Fristbeginn war der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene KK meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären. Das folgt aus Wortlaut, Regelungssystem, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck. Nach § 13 Abs 3a S 1 SGB V hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die KK eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs 3a S 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs 3a S 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs 3a S 4 SGB V: ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen). Kann die KK die Fristen nach S 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V; vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 25 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 29, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Ein hinreichender Grund für die Nichteinhaltung der Frist kann insbesondere die im Rahmen der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) gebotene Einholung von weiteren Informationen beim Antragsteller oder Dritten oder eine medizinische Begutachtung des Antragstellers sein, um abschließend über den Antrag entscheiden zu können (vgl zum Ganzen BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 26 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 30 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

25

Nach diesen Grundsätzen begann die Frist am 26.10.2013 zu laufen. Denn der maßgebliche Antrag der Klägerin ging der Beklagten am Freitag, dem 25.10.2013 zu (vgl § 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB).

26

bb) Die gesetzliche Fünf-Wochen-Frist (vgl § 13 Abs 3a S 1 Fall 2 SGB V), die aufgrund der Unterrichtung der Klägerin von der Einschaltung des MDK lief (vgl § 13 Abs 3a S 2 SGB V; vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 21), endete am Freitag, dem 29.11.2013 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB).

27

cc) Die Beklagte beschied den Antrag nicht bis zum Fristablauf am 29.11.2013, sondern erst später mit Erlass des Bescheides vom 17.12.2013. Die gesetzliche Frist verlängerte sich nicht bis zu diesem Zeitpunkt dadurch, dass die Beklagte einen Begutachtungstermin für den 2.12.2013 anberaumte. Denn die Beklagte informierte die Klägerin weder über die voraussichtliche, taggenau bestimmte Dauer der Fristüberschreitung jenseits der Fünf-Wochen-Frist noch teilte sie ihr einen Grund für die verzögerte Bearbeitung mit (Begutachtungstermin erst nach Ablauf der Fünf-Wochen-Frist). Ohne eine taggenaue Verlängerung der Frist kann ein Antragsteller nicht erkennen, wann die Fiktion der Genehmigung eingetreten ist (vgl zum Ganzen BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 31 f mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 20).

28

g) Die entstandene Genehmigung erlosch auch nicht später. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene der Klägerin - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht. In diesem Sinne ist eine KK nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§ 13 Abs 3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs (BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 35; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 31; anders die Regelung des § 42a Abs 1 S 2 VwVfG). Diese vom erkennenden Senat zu § 13 Abs 3a SGB V entwickelten Grundsätze gelten in gleicher Weise für Naturalleistungsbegehren wie für Kostenerstattungsbegehren. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Fallgruppen widerspräche der Gesetzeskonzeption, dem Sanktionscharakter der Regelung, die das Interesse aller Versicherten an einem beschleunigten Verwaltungsverfahren schützt. Sie würde mittellose Versicherte sachwidrig ungleich gegenüber jenen behandeln, die sich die Leistung nach fingierter Genehmigung selbst beschaffen können (vgl BSG Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 7/17 R - Juris RdNr 31 mwN = KHE 2017/69).

29

Die Voraussetzungen eines Erlöschenstatbestands sind nicht erfüllt. Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistungen weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf (vgl hierzu §§ 45, 47, 48 SGB X) der fingierten Genehmigung (vgl auch BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 36 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 32). Geänderte Umstände, die die Genehmigung durch Eintritt eines erledigenden Ereignisses entfallen lassen könnten, hat weder das LSG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich.

30

4. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten (Bescheid vom 17.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.3.2014) ist rechtswidrig. Sie verletzt die Klägerin in ihrem aus der fiktiven Genehmigung ihres Antrags ergebenden Leistungsanspruch (vgl dazu oben II 3.).

31

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer kombinierten Positronenemissionstomographie/Computertomographie (PET/CT).

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert gewesene, 2012 verstorbene Ehefrau des Klägers (im Folgenden: Versicherte) litt an einem Karzinom des Dickdarms. Nach Resektion (25.10.2011) und adjuvanter Chemotherapie zeigte ein Computertomogramm (CT) ua eine im linken anterioren Oberlappen an die Aorta angrenzende pulmonale Raumforderung (1 bis 2 cm). Die Versicherte wies einen starken Nikotinabusus auf. Der behandelnde Onkologe überwies die Versicherte an die "Gemeinschaftspraxis für PET-CT" (H.) zur differentialdiagnostischen Abklärung. Die Gemeinschaftspraxis führte eine PET/CT durch (23.2.2012) und berechnete der Versicherten hierfür nach der Gebührenordnung für Ärzte 1198,71 Euro, die die Versicherte beglich. Die Beklagte lehnte, beraten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), die Kostenerstattung ab (Antrag vom 19.3.2012, Bescheid vom 29.3.2012, Widerspruchsbescheid vom 4.10.2012). Das SG hat die Klage abgewiesen: Es fehle jedenfalls an der Kausalität zwischen der Ablehnungsentscheidung der Beklagten und der Selbstbeschaffung. Diese sei auch nicht unaufschiebbar gewesen (Gerichtsbescheid vom 7.4.2014). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Es hat auf die Gründe des Gerichtsbescheids verwiesen und weiter ausgeführt, die selbstbeschaffte Leistung gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Eine für die PET/CT als GKV-Leistung erforderliche richtlinienkonforme Indikation habe nicht vorgelegen. Es ergebe sich auch kein Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V. Jedenfalls hätten andere Standarddiagnostiken zur Verfügung gestanden (Urteil vom 28.3.2017).

3

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung der Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 1 und 4 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und des § 2 Abs 1a SGB V, Art 2 Abs 2 S 1 GG und des § 103 SGG. Die Versicherte habe danach Anspruch auf eine differentialdiagnostisch gebotene Untersuchung mittels PET/CT gehabt. Entgegenstehende Feststellungen des LSG stellten unter Nichtbeachtung der Beweisanträge eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar.

4

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 1198,71 Euro zu verurteilen,

hilfsweise,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Der Senat kann über die Revision des Klägers als Sonderrechtsnachfolger (§ 56 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I) seiner verstorbenen Ehefrau, der Versicherten, ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

8

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

9

Ob dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung von 1198,71 Euro Kosten für die von der Versicherten selbst beschaffte PET/CT zusteht, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das LSG hat einen Anspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V verneint. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ist es nach den den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) davon ausgegangen, dass ein Anspruch sich nicht aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V wegen Selbstbeschaffung nach vorausgegangener rechtswidriger Leistungsablehnung durch die beklagte KK ergibt(dazu 1.). Der erkennende Senat kann aber auf der Grundlage der LSG-Feststellungen nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Kostenerstattung aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen Unaufschiebbarkeit besteht. Soweit das LSG den Anspruch verneint hat, weil im Falle der Versicherten keine der vom GBA anerkannten Indikationen für die PET/CT als GKV-Leistung vorgelegen habe (vgl Anlage I Nr 14 § 1 Richtlinie des GBA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung - Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - idF vom 20.10.2011, BAnz 2012 Nr 22 S 535, mWv 9.2.2012), hat der Kläger die dafür maßgeblichen Feststellungen des LSG mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen (dazu 2.). Die Verneinung dieses Anspruchs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Auch insoweit fehlt es an ausreichenden Feststellungen des LSG (dazu 3.). Für den Fall, dass die PET/CT-Leistung, die sich die Versicherte verschafft hat, eine Leistung ist, die nach Anlage II Nr 39 MVVRL ausgeschlossen ist, kommt zudem ein Anspruch des Klägers aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung nach § 2 Abs 1a SGB V in Betracht. Der Anspruch umfasst nicht nur Behandlungs-, sondern auch Untersuchungsleistungen (dazu 4.). Das LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben (dazu 5.).

10

1. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs gemäß § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21.12.1992, BGBl I 2266) sind nicht erfüllt. Die Rechtsnorm bestimmt: "… hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN). Daran fehlt es bereits, wenn die KK vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr des Senats; vgl BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10 mwN). Ist eine vorherige Befassung der KK nicht möglich gewesen, kommt ein Anspruch wegen Selbstbeschaffung einer unaufschiebbaren Leistung (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V) in Betracht (dazu 2.). Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers wegen rechtswidriger Leistungsablehnung (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V)scheidet danach aus: Die Versicherte beschaffte sich die PET/CT, ohne zuvor einen Antrag bei der Beklagten gestellt zu haben.

11

2. Ob die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b GSG) wegen Unaufschiebbarkeit einer Leistung des GKV-Leistungskatalogs unter Achtung des Qualitätsgebots erfüllt sind (dazu a), bedarf hingegen weiterer Ermittlungen. Soweit das LSG einen Kostenerstattungsanspruch schon wegen eines fehlenden Sachleistungsanspruchs der Versicherten auf Versorgung mit einer PET/CT verneint hat, hat der Kläger die zugrunde liegende Feststellung wirksam angegriffen (dazu b).

12

a) Die Rechtsnorm bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen … und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Die medizinische Dringlichkeit ist indes nicht allein ausschlaggebend. Der Anspruch aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 und 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine KK. Durch die Kostenerstattungsregelung in § 13 Abs 3 SGB V soll lediglich in Fällen eines Systemversagens eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der GKV garantierten Versicherungsschutz geschlossen werden. Trotz Unaufschiebbarkeit hat die KK nicht einzustehen, wenn der Versicherte sich eine Maßnahme beschafft hat, die unter jedem Gesichtspunkt (selbst unter demjenigen des Systemversagens) vom Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen ist. Infolgedessen besteht der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der Eilbedürftigkeit nur für medizinische Maßnahmen, die ihrer Art nach oder allgemein von den KKn als Sachleistungen zu erbringen sind (BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 21; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 14) oder nur deswegen nicht erbracht werden können, weil ein Systemversagen die Erfüllung der Leistungsansprüche Versicherter im Wege der Sachleistung gerade ausschließt (vgl zB BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36; BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 4 RdNr 11; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32; zum Ganzen Hauck, NZS 2007, 461, 464) und auch kein Fall des § 2 Abs 1a SGB V vorliegt(vgl auch BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 14 = USK 2015-59).

13

Ein Naturalleistungsanspruch der Versicherten auf eine PET/CT kann sich nur aus den hier allein in Betracht kommenden Ziff 1, 3 und 4 der Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL ergeben. Hiernach gilt Folgendes:

"Die PET darf für die folgenden Indikationen bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 2, 3 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung als vertragsärztliche Leistung erbracht werden:

        

1.    

Bestimmung des Tumorstadiums von primären nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen einschließlich der Detektion von Fernmetastasen.

        

2.    

…       

        

3.    

Charakterisierung von Lungenrundherden, insbesondere Beurteilung der Dignität peripherer Lungenrundherde bei Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko und wenn eine Diagnosestellung mittels einer invasiven Methodik nicht möglich ist.

        

4.    

Bestimmung des Tumorstadiums von kleinzelligen Lungenkarzinomen einschließlich der Detektion von Fernmetastasen, es sei denn, dass vor der PET-Diagnostik ein kurativer Therapieansatz nicht mehr möglich erscheint".

Im Übrigen gilt nach Anlage II MVVRL: "Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen … 39. Positronen-Emissions-Tomographie mit Ausnahme der in Anlage I Nummer 14 anerkannten Indikationen". Unerheblich ist insoweit, dass die Anlagen I und II der MVVRL nicht ausdrücklich die PET/CT benennen, sondern nur die PET. Durch die Benennung der CT als apparative Mindestvoraussetzung in Anlage I Nr 14 § 2 Abs 3 Nr 2 MVVRL hat der GBA hinreichend klargestellt, dass die Anlagen I und II trotz der isolierten Benennung der PET von einer kombinierten Anwendung ausgehen(vgl auch Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL: PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, vom 19.6.2008, S 3).

14

Dabei setzen Ziff 1 und 4 jeweils voraus, dass die Existenz eines primären nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (Ziff 1) bzw die eines primären kleinzelligen Lungenkarzinoms (Ziff 4) durch andere diagnostische Maßnahmen gesichert ist und es im Rahmen einer ergänzenden Diagnostik nur darum geht, das jeweilige Tumorstadium näher zu bestimmen (vgl zu Ziff 1: Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL in Anlage I "Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden": Positronenemissionstomographie ; Abschlussbericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA vom 13.12.2007, S 9, 25 ff; vgl zu Ziff 4: Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL: PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, vom 19.6.2008, S 3, 5 f; Zusammenfassende Dokumentation zum Bewertungsverfahren des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA, Stand 19.6.2008, PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, S A-2, A-4 f, B-7 ff, B-27 f). Auch wenn der Wortlaut von Ziff 4 nicht verlangt, dass es sich bei dem kleinzelligen Lungenkarzinom um ein primäres handeln muss, ergibt sich dies aus den Tragenden Gründen (vgl dort S 4 ff) zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL: PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, vom 19.6.2008 (BAnz Nr 124 vom 19.8.2008, S 3018). Ziff 3 erfasst hingegen den Fall der Charakterisierung von Lungenrundherden bei einer nicht durch andere diagnostische Maßnahmen bereits gesicherten Diagnose. Hierbei kann die Möglichkeit bestehen, dass es sich bei dem suspekten Befund um ein primäres Lungenkarzinom, eine Metastase oder einen nicht behandlungsbedürftigen Befund handelt. Letzteres ist sogar die vom GBA als Hauptanwendungsfall in den Blick genommene Situation für diese Indikation. Da Lungenrundherde als Zufallsbefunde relativ häufig sind, sollen mit der PET/CT insbesondere nicht erforderliche operative Eingriffe dann vermieden werden, wenn andere zuverlässige Diagnostik, insbesondere die Biopsie, nicht zur Verfügung steht oder aus anderen Gründen kontraindiziert ist (vgl Abschlussbericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA vom 13.12.2007, Anhang 10.8, S 4, 29). Auch den Indikationen nach den Ziff 1 und 4 liegt die Vorstellung zugrunde, dass die PET/CT als ergänzende Diagnostik nur dann einzusetzen ist, wenn nach der Standarddiagnostik eine sichere Entscheidung für oder gegen einen operativen Eingriff noch nicht möglich ist.

15

b) Der erkennende Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit PET/CT nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 1, 3 oder 4 MVVRL vorliegen. Weder hat das LSG - den Senat bindend (§ 163 SGG) - festgestellt, dass schon vor dem 23.2.2012 eine PET/CT zur Abklärung einer Operationsindikation erkennbar nicht erforderlich war (dazu aa), noch dass eine andere geeignete Standarddiagnostik zur Verfügung gestanden hat (dazu bb), noch dass eine PET/CT überhaupt geeignet ist, in der Lunge einen Primärtumor von einer Metastase des Dickdarms zu unterscheiden (dazu cc).

16

aa) Das LSG hat - ohne sich mit der Möglichkeit eines Anspruchs nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 3 MVVRL zu befassen - einen möglichen Anspruch nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 1 und 4 MVVRL verneint, weil die dort genannten Indikationen nicht vorgelegen hätten. Es hat dazu festgestellt, schon vor der Durchführung der PET/CT habe festgestanden, dass die im CT vom 14.2.2012 sichtbar gewordene Raumforderung eine Lungenmetastase des bei der Versicherten operierten kolorektalen Karzinoms sei. Ist dies zutreffend, schließt dies auch die Indikation nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 3 MVVRL im konkreten Fall aus.

17

Der erkennende Senat ist an diese getroffene Feststellung aber nicht gebunden, denn der Kläger hat diesbezüglich eine zulässige und begründete Verfahrensrüge vorgebracht (vgl § 163 SGG). Soweit er mit der Revision geltend macht, das LSG habe unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem es unterlassen habe, durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu ermitteln, dass zur Abklärung der Operationsindikation noch eine differentialdiagnostische Abklärung der im CT sichtbar gewordenen Raumforderung in der Lunge der Versicherten erforderlich gewesen sei, hat er iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG hinreichend Tatsachen bezeichnet, die den Mangel ergeben sollen und konkrete Beweismittel genannt, deren Erhebung sich dem LSG hätte aufdrängen müssen(vgl § 164 Abs 2 S 3 SGG; näher zu dessen Voraussetzungen BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - Juris RdNr 69, insoweit in BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1 nicht abgedruckt; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 28 mwN). Das LSG hat sich nur auf die MDK-Stellungnahme gestützt, nach der ein primäres Bronchialkarzinom unwahrscheinlich, aber doch immerhin möglich war. Der weiter vom LSG angeführte behandelnde Onkologe hat im Arztbrief vom 22.2.2012 gerade die diagnostische Indikation darin gesehen, dass die pulmonale Raumforderung durch eine PET/CT als "solitäre" Raumforderung, also als primäres Karzinom, mit der Folge gesichert werden könne, dass eine Resektion dann zielführend sei. Das LSG hat hingegen auf den Arztbrief des Onkologen vom 24.4.2012 abgestellt, den er erst nach erfolgter PET/CT verfasst hat. Dies ist jedoch für hier maßgebliche Ex-ante-Beurteilung der Notwendigkeit einer PET/CT irrelevant. Hiernach war ein Primärtumor vor der PET/CT nicht sicher auszuschließen. Das LSG hätte sich daher gedrängt fühlen müssen, Feststellungen dazu zu treffen, dass die PET/CT geeignet und erforderlich (näher dazu sogleich) war, die pulmonale Raumforderung noch genauer und zuverlässiger zu diagnostizieren.

18

bb) Soweit das LSG - im Zusammenhang mit der Prüfung des Anspruchs nach § 2 Abs 1a SGB V - auch darauf abgestellt hat, dass als weiteres diagnostisches Standardverfahren die Biopsie noch zur Verfügung gestanden hat, hat der Kläger diese Feststellung ebenfalls mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge angegriffen(§§ 163, 164 Abs 2 S 3 SGG). Insoweit hat das LSG in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung vorweggenommen. Der MDK, auf dessen Stellungnahmen sich das LSG stützt, hat zur ihm bekannten pulmonalen Raumforderung mit Kontakt zum Aortenbogen lediglich ausgeführt, dass "den Unterlagen … nicht plausibel zu entnehmen (sei), dass per Bronchoskopie und Feinnadelpunktion der Herd nicht hätte punktiert werden können". Bei den vom MDK bezeichneten Unterlagen handelt es sich um das Schreiben des Onkologen vom 24.4.2012, in dem nur kursorisch über die Lage der pulmonalen Raumforderung berichtet wird ("Lokalisation der Raumforderung sehr zentral in der Lunge"). Dem LSG hätte es sich insoweit aufdrängen müssen, dass erst die Beiziehung der Behandlungsunterlagen, einschließlich des CT vom 14.2.2012 und des PET/CT vom 23.2.2012 zur genauen Lage der Raumforderung, und deren sachverständige Bewertung eine tragfähige Feststellung über die Eignung der Biopsie als Standarddiagnostik im Falle der Versicherten ermöglicht hätte. War danach eine Biopsie objektiv kontraindiziert oder eine Kontraindikation vor der PET/CT nicht sicher auszuschließen, stand die Biopsie nicht vorrangig zur Verfügung.

19

Die weiteren Feststellungen des LSG zu sonstigen diagnostischen Verfahren sind - wie auch der Kläger zutreffend darlegt - widersprüchlich. Dies gilt für den Hinweis auf eine CT, die hier jedoch bereits vor der PET/CT erfolgt war und erst den Onkologen veranlasste, die PET/CT als weiterführende Diagnostik für geboten zu erachten. Es erschließt sich dem erkennenden Senat auch nicht, dass eine Knochenszintigraphie in der Lage sein soll, diagnostische Erkenntnisse über eine pulmonale Raumforderung zu ermöglichen.

20

cc) Nach den sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergebenden, in ihrer medizinischen Bedeutung von ihm nicht in Zweifel gezogenen therapeutischen Prämissen des die PET/CT veranlassenden Onkologen ist nur bei einer fortbestehenden Möglichkeit eines Primärtumors eine PET/CT zur weiteren diagnostischen Abklärung erforderlich. Die Beklagte hat, gestützt auf Äußerungen des MDK in diesem Zusammenhang, eingewendet, eine PET/CT sei schon im Ansatz nicht geeignet, zwischen einem primären Lungenkarzinom und der Lungenmetastase eines Kolonkarzinoms zu unterscheiden. Es kann offenbleiben, ob es sich dabei um eine zulässige und begründete Gegenrüge handelt. Die Beklagte ist jedenfalls in der wieder eröffneten Verhandlung vor dem LSG mit diesem Vorbringen schon deswegen nicht ausgeschlossen, weil das LSG zur objektiven Eignung der PET/CT, in der Lunge zwischen einem Primärtumor und einer Metastase differenzieren zu können, keine Feststellungen getroffen hat.

21

3. Die Feststellungen des LSG (dazu b) tragen auch nicht die Verneinung des Anspruchs nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen mangelnder Unaufschiebbarkeit(dazu a).

22

a) Die Anwendung des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V ist nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil kein Notfall vorgelegen hat(stRspr, vgl zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23; BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 15 = USK 2015-59 mwN). Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten. Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist. Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird (stRspr, vgl zB BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18; BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 15 mwN = USK 2015-59).

23

b) Das LSG hat keine Feststellungen zur Unaufschiebbarkeit der Behandlung nach Maßgabe der vorgenannten Voraussetzungen getroffen. Das LSG hat lediglich durch die Bezugnahme auf die Gründe des Gerichtsbescheids eine Unaufschiebbarkeit iS von § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V verneint, weil die pulmonale Raumforderung mittels CT bereits am 14.2.2012 festgestellt wurde, aber die PET/CT erst am 23.2.2012 erfolgte. Das LSG hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der Onkologe nach dem CT am 14.2.2012 sich erst mit Arztbrief vom 22.2.2012 an die Gemeinschaftspraxis für PET-CT mit dem Vorschlag einer PET/CT gewandt hat. Es ist deshalb auch nicht darauf eingegangen, wann die Versicherte erfahren hat, dass eine PET/CT indiziert sei. Es fehlt an jeglicher Feststellung über die Dringlichkeit der Operation eines möglichen primären Lungenkarzinoms und dessen dadurch bedingte dringliche Diagnostizierung. Das LSG hat insbesondere keine Feststellungen getroffen zum lege artis zu beachtenden Zeitfenster für die Durchführung der PET/CT-Diagnostik mit Blick auf die erwogene Operation eines primären Lungenkarzinoms bei voroperiertem kolorektalem Karzinom, nachdem der Onkologe eine PET/CT befürwortete.

24

4. Sofern das LSG nach Zurückverweisung zum Ergebnis kommen wird, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen Unaufschiebbarkeit einer Leistung des GKV-Leistungskatalogs unter Achtung des Qualitätsgebots nicht erfüllt sind, wird es zu beachten haben, dass ein Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen Unaufschiebbarkeit einer Leistung aufgrund grundrechtsorientierter Leistungsauslegung(§ 2 Abs 1a SGB V) nicht schon deswegen ausgeschlossen ist, weil der Kläger Kostenerstattung für eine Untersuchungsleistung begehrt (vgl zum Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 S 1 SGB V bei grundrechtsorientierter Leistungsauslegung iS von § 2 Abs 1a SGB V zB BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 20 = USK 2015-59; BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 8 mit 58; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 29, RdNr 8 und 19, auch für BSGE vorgesehen, stRspr).

25

Die gesetzliche Regelung grundrechtsorientierter Leistungsauslegung in § 2 Abs 1a SGB V(vgl ausführlich dazu BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - RdNr 20 ff mwN, für SozR vorgesehen), der auf Sachverhalte ab 1.1.2012 anzuwenden ist, erfasst nicht nur Ansprüche, die auf therapeutische Maßnahmen gerichtet sind, sondern auch Ansprüche, die diagnostische Maßnahmen zum Gegenstand haben. Dies folgt schon aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck der Regelung des § 2 Abs 1a S 1 SGB V. Sie bezieht sich als allgemeine, "vor die Klammer gezogene" Vorschrift des SGB V auf jede "Leistung", die nicht entsprechend allgemein anerkanntem medizinischen Standard zur Verfügung steht. Das entspricht bereits der Rspr des erkennenden Senats zur zuvor geltenden verfassungsunmittelbaren grundrechtsorientierten Leistungsauslegung (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 28 RdNr 20, auch für BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - RdNr 20 mwN, für SozR vorgesehen). Der Gesetzgeber wollte diese in Gesetzesrecht überführen (vgl BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - RdNr 22 mwN, für SozR vorgesehen). Auch Untersuchungen sind Leistungen der GKV und zählen zur Krankenbehandlung iS des § 27 SGB V als notwendige Voraussetzung zur Ermittlung der erforderlichen therapeutischen Maßnahmen(vgl nur § 92 Abs 1 S 2 Nr 3 und Nr 5, § 116 S 2, § 116b Abs 1 S 3, § 117 Abs 1 S 1 Nr 2 und Abs 2 S 1, § 135, § 137c, § 137e SGB V). Dies steht auch im Einklang mit dem Zweck der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V. Die Vorschrift verlangt nur, dass durch die Leistung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Hierzu können auch noch nicht dem Qualitätsgebot entsprechende Untersuchungsleistungen beitragen. Gibt es keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Diagnostik oder sind die diesem Standard entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft, ohne hinreichende Erkenntnisse für das weitere therapeutische Vorgehen zu liefern, kommen auch noch nicht anerkannte diagnostische Methoden in Betracht, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung dadurch erst der Weg für therapeutische Maßnahmen eröffnet werden kann, mit denen eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden ist. Dies gilt insbesondere, wenn die therapeutische Maßnahme ihrerseits nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, sich aber auf eine eigenständige, auch dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Untersuchungsleistung stützt.

26

Darüber hinaus entsprechen auch solche diagnostischen Leistungen nicht dem Qualitätsgebot, die der GBA in Richtlinien aus dem GKV-Leistungskatalog wegen eines fehlenden additiven oder substitutiven Nutzens für bestimmte Indikationen ausgeschlossen hat, auch wenn das zugrunde liegende methodische Konzept keinen grundsätzlichen Bedenken begegnet. Dies trifft im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung auf alle PET/CT-Anwendungen zu (Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 26.2.2002, BAnz Nr 86 vom 11.5.2002, S 10206; Positronen-Emissions-Tomographie - Zusammenfassender Bericht des Arbeitsausschusses "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beratungen gemäß § 135 Abs 1 SGB V vom 23.5.2002, S 8, 114 f), soweit der GBA nicht mittlerweile in Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL für die dort genannten Indikationen das Gegenteil festgestellt hat. § 2 Abs 1a SGB V kann in diesem Zusammenhang einen Anspruch auf PET/CT begründen, wenn einerseits bei unterstelltem operablem Primärkarzinom ein Zuwarten einen (schnelleren) tödlichen Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit bedeuten würde, andererseits bei unterstelltem nicht operablem Karzinom der Eingriff selbst unmittelbar lebensgefährlich ist oder seine Folgen einen (schnelleren) tödlichen Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit bedeuten würden, und es kein anderes geeignetes diagnostisches Verfahren (mehr) gibt.

27

5. Das LSG wird nunmehr festzustellen haben, dass die Voraussetzungen für eine Indikation nach Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL vorgelegen haben, insbesondere eine Biopsie nicht als andere geeignete Standarddiagnostik zur Verfügung gestanden hat und dass die Versicherte die Voraussetzungen der Unaufschiebbarkeit erfüllt hat. Verneint das LSG nach den insoweit zu treffenden Feststellungen die Voraussetzungen der Indikationen nach Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL, wird es auch zu prüfen haben, dass die PET/CT eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf unter den im vorhergehenden Absatz genannten Maßgaben geboten hat.

28

6. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für Klimaheiltherapien in Jordanien in den Jahren 2006 und 2007.

2

Die bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin leidet an der Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) mit einer generalisierten und progredienten Depigmentierung der Haut. 1995 und 2005 erhielt die Klägerin auf Kosten der Beklagten Klimaheiltherapien am Toten Meer. Im Februar 2006 beantragte die Klägerin, ihr eine Klimaheiltherapie nach Prof Dr Schallreuter vom 24.5. bis 14.6.2006 als stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation (Reha) zu gewähren. Die ua in Greifswald praktizierende Dermatologin Prof Dr Schallreuter fährt hierzu regelmäßig mit einer größeren Gruppe von Patienten nach Jordanien in das "Dead Sea M.C./Dead Sea S1 Hotel". Die Therapie besteht im Wesentlichen aus einer Kombination von topischer Substitutionstherapie mit einer von ihr selbst entwickelten und nur über sie direkt beziehbaren Pseudokatalase-Creme (PC-KUS) sowie regelmäßigen Bädern im Toten Meer mit anschließenden Sonnenlichtexpositionen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) vertrat die Auffassung, ausreichend sei eine ambulante fachärztliche Therapie am Wohnort der Klägerin. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 19.5.2006). Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, dass die zwischenzeitlich auf eigene Kosten in Höhe von 2569,50 Euro durchgeführte Kurbehandlung erfolgreich gewesen sei, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.8.2006).

3

Während des sich anschließenden Klageverfahrens beantragte die Klägerin im März 2007, ihr vom 28.5. bis 18.6.2007 eine weitere Klimaheiltherapie nach Prof Dr Schallreuter zu gewähren, und nahm auf eigene Kosten in Höhe von 2767,51 Euro hieran teil. Die Beklagte holte zwei weitere MDK-Gutachten ein und lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 9.11.2007; Widerspruchsbescheid vom 10.1.2008).

4

Das SG hat die Klageverfahren verbunden, Sachverständigenbeweis erhoben und die Klage mit der Begründung abgewiesen, es liege keine Maßnahme der medizinischen Reha in einer Reha-Einrichtung vor (Urteil vom 21.11.2008). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage § 18 Abs 1 SGB V seien nicht erfüllt. Es gebe keinen Konsens über die Zweckmäßigkeit der durchgeführten Vitiligo-Therapie, der sich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Studien in Form von Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ableiten ließe. Den Beweisanträgen der Klägerin habe nicht stattgegeben werden müssen (Urteil vom 14.10.2010).

5

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 103 iVm § 106 SGG und des § 18 SGB V. Das LSG habe fachmedizinische Literatur bewertet, ohne sich hierbei sachverständiger Hilfe zu bedienen. Vor Therapiebeginn 2007 habe ein Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin zugesichert, dass ihr durch den vorzeitigen Antritt der Maßnahme keine Nachteile entstünden. Die Beklagte habe mit der zweimaligen Finanzierung einer Klimaheiltherapie in der Vergangenheit einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der ihr Ermessen auf Null reduziere.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2010 und des Sozialgerichts Hamburg vom 21. November 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 9. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 5337,01 Euro Kosten der vom 24. Mai bis 14. Juni 2006 und vom 28. Mai bis 18. Juni 2007 am Toten Meer in Jordanien durchgeführten Klimaheiltherapien zu erstatten,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet ( § 170 Abs 2 S 2 SGG ). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben. Das LSG hat materielles Recht verletzt und es unter Verstoß gegen § 103 SGG abgelehnt, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Der erkennende Senat ist an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Die Feststellungen des LSG, die unangegriffen und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG),reichen nicht für eine abschließende Entscheidung aus. Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend.

10

Im Ergebnis zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs gegen die beklagte Ersatzkasse nicht § 13 Abs 3 S 2, § 40 SGB V iVm §§ 15, 18 SGB IX(dazu 1.), sondern lediglich § 18 Abs 1 und 2 SGB V in Betracht kommt(dazu 2.).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind allein die Bescheide, mit denen die Beklagte die Kostenübernahme bzw Kostenerstattung für die beantragten Leistungen in den Jahren 2006 und 2007 abgelehnt hat. Nicht streitgegenständlich sind die weiteren Bescheide, mit denen die Beklagte die Kostenerstattung für die beantragte Leistung im Jahr 2008 versagt hat. Wegen ihres unterschiedlichen Regelungsgegenstands ersetzen oder ändern sie die früher ergangenen Bescheide nicht (vgl § 96 Abs 1 SGG idF des Gesetzes vom 26.3.2008, BGBl I 444; zum weiteren Anwendungsbereich der früheren Fassung vgl ebenso bereits BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 14 - Kozijavkin III). Sie sind Gegenstand des ebenfalls am 6.3.2012 entschiedenen Parallelverfahrens B 1 KR 18/11 R.

12

1. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG einen Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 S 2, § 40 SGB V iVm § 15 Abs 1 S 4, § 18 S 1 SGB IX verneint. Diese Anspruchsgrundlage kommt tatbestandlich allerdings in Betracht, weil die Anträge der Klägerin auch auf einen Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation (Reha) in Form von Klimaheiltherapien am Toten Meer gerichtet sind. Zwar kann § 13 Abs 3 SGB V bei im Ausland zu erbringenden Leistungen nach Maßgabe weiterer Voraussetzungen Anwendung finden, wenn die Voraussetzungen des § 18 SGB V nicht erfüllt sind(dazu a). Versicherte können jedoch Klimaheiltherapien in Jordanien als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur medizinischen Reha nur unter den Voraussetzungen des § 18 SGB V beanspruchen. § 40 SGB V beschränkt den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht oder zumindest geschlossen werden könnte(dazu b). Hierzu zählen die für die Klägerin relevanten Auslandseinrichtungen außerhalb von EU und EWR nicht.

13

a) § 13 Abs 3 SGB V kann auf Auslandsleistungen Anwendung finden, ohne dass § 18 SGB V eine Sperrwirkung entfaltet. Nach § 13 Abs 3 S 2 SGB V werden die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Reha nach dem SGB IX gemäß § 15 SGB IX erstattet. § 18 SGB V verdrängt lediglich in seinem Anwendungsbereich als Spezialnorm, die weiterreichende Ansprüche vermittelt, § 13 Abs 3 SGB V(vgl E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, Stand: 1.9.2011, § 13 SGB V RdNr 69 iVm 105). Im Übrigen greift die Regelung des § 13 Abs 3 SGB V über Kostenerstattung bei Systemversagen stets ein, wenn anderweitig nicht schließbare Lücken im Versorgungssystem der GKV bestehen (vgl BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23),auch wenn es um Leistungen im Ausland geht, jedenfalls wenn deutsches Recht berufen ist und dieses die Anwendung des § 13 Abs 3 SGB V zulässt(vgl zB BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4; BSGE 98, 257 = SozR 4-6928 Allg Nr 1, RdNr 25, 28; BSGE 104, 1 = SozR 4-2500 § 13 Nr 23; vgl zum Ganzen auch E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, Stand: 1.9.2011, § 13 SGB V RdNr 175; aA Sächsisches LSG Urteil vom 16.5.2007 - L 1 KR 1/03 - juris RdNr 30; Schneider in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand April 2011, § 18 RdNr 7).

14

b) Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 2 SGB V sind nicht erfüllt, weil - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 18 SGB V - Klimaheiltherapien in Jordanien nicht als GKV-Leistungen zur medizinischen Reha nach dem SGB IX in Betracht kommen. § 40 SGB V regelt GKV-Leistungen zur medizinischen Reha. Die Norm begrenzt den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht(so die bis 31.3.2007 geltende Fassung des § 40 SGB V idF durch Art 1 Nr 31 GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190) oder zumindest geschlossen werden könnte (so im Ergebnis auch § 40 idF durch Art 1 Nr 26 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007, BGBl I 378, der lediglich von einem Vertragsschluss nach § 111 SGB V entpflichtet, nicht aber von den Qualitätserfordernissen für einen solchen Vertrag; vgl zum fehlenden Auslandsbezug des Regelungszwecks der Gesetzesänderung auch Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 106 Zu Nr 26 Zu Buchst b). § 111 SGB V sieht nach seiner gesamten Konzeption als Instrument der Sicherung hochqualitativer Versorgungsstrukturen durch regional erreichbare Reha-Einrichtungen für die stationäre Versorgung keine Versorgungsverträge mit Einrichtungen vor, die sich außerhalb der EU, dem EWR und der Schweiz befinden. So ist etwa mit der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde Einvernehmen über Abschluss und Kündigung des Versorgungsvertrags anzustreben (§ 111 Abs 4 S 3 SGB V).

15

Wortlaut, Zweck und Regelungssystem der §§ 40, 111 SGB V lassen es nicht zu, entsprechende Versorgungsverträge unter Berücksichtigung von § 18 SGB IX mit Einrichtungen außerhalb der EU, des EWR und der Schweiz zu schließen(im Ergebnis zutreffend die überwiegende Literatur, zB Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2012, § 40 RdNr 50; Schneider in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand April 2011, § 18 RdNr 11 aE; aA wohl O'Sullivan in jurisPK-SGB IX, Stand 1.2.2010, § 18 RdNr 10 aE; zu Leistungen innerhalb der EU Fuhrmann/Heine NZS 2006, 341, 342, 344). Zwar werden Leistungen zur medizinischen Reha iS von § 11 Abs 2 S 1 SGB V grundsätzlich unter Beachtung des SGB IX erbracht, doch gilt dies nur, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist(§ 11 Abs 2 S 3 SGB V). § 40 SGB V bestimmt mit der Anbindung an § 111 SGB V für die Anwendbarkeit des § 18 SGB IX in diesem Sinne etwas anderes, nämlich den Ausschluss von den hier betroffenen Auslandseinrichtungen.

16

2. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht abschließend über den einzig in Betracht kommenden Anspruch auf Kostenerstattung aus § 18 Abs 1 und 2 SGB V entscheiden. Die Regelung begründet Ansprüche auf Kostenerstattung (dazu a). Ihre Anwendbarkeit ist nicht durch § 40 SGB V ausgeschlossen(dazu b). Der Anspruch scheitert nicht an den bisher vom LSG getroffenen Feststellungen zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, da sie verfahrensfehlerhaft und nicht an den materiellen gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen ausgerichtet sind (dazu c). Das LSG wird auch abzuklären haben, dass die Vitiligo der Klägerin überhaupt einen Behandlungsanspruch ausgelöst hat (dazu d).

17

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ermöglicht § 18 SGB V es einer Krankenkasse nicht nur, Kosten einer "notwendigen"(§ 27 Abs 1 S 1 SGB V) "Behandlung einer Krankheit" (Abs 1 S 1) sowie "weitere Kosten für den Versicherten" und Kosten "für eine erforderliche Begleitperson" (Abs 2) ganz oder teilweise zu übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich ist. Weitergehend lässt die Regelung auch - nach entsprechender vorheriger Antragstellung und (rechtswidriger) Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse - Kostenerstattung zu (vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 8 - Auslandsbehandlung nach Petö; BSGE 92, 164 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2, RdNr 7; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 17 mwN - Kozijavkin III). Die Ausweitung der Rechtsfolge auf Kostenerstattung beruht darauf, dass § 18 SGB V mit dem Anspruch auf Kostenübernahme zunächst den Primärleistungsanspruch auf Krankenbehandlung in den Blick nimmt, wenn qualitätsgerecht lediglich eine Auslandsbehandlung möglich ist. Die Art und Weise, in welcher die Krankenkasse den Primärleistungsanspruch auf Krankenbehandlung erfüllt, bleibt dabei offen. Erfüllung kann sowohl als Leistung in Natur - auf der Basis öffentlich-rechtlicher Verträge nach § 53 SGB X - als auch im Wege der bloßen Kostentragung (Kostenfreistellung oder Kostenerstattung) für eine vom Versicherten selbst organisierte Krankenbehandlung erfolgen. Denn im Ausland kann die GKV nicht umfassend Naturalleistungen anbieten, sondern nur dann, wenn die Krankenkassen die erforderlichen Verträge mit Leistungserbringern geschlossen haben. Nach diesen Grundsätzen ist ein Erstattungsanspruch der Klägerin für die Behandlung im Jahr 2006 möglich, wäre indes für die Therapie in 2007 ausgeschlossen, weil letztere vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten erfolgte.

18

Im Ausnahmefall kann ein Versicherter - wie die Klägerin für die Behandlung in 2007 - auch nach Antragstellung bei seiner Krankenkasse Kostenerstattung beanspruchen, obwohl die Krankenkasse den Antrag noch nicht (rechtswidrig) abgelehnt hat. Das Gesetz geht zwar für den Regelfall davon aus, dass Versicherte sich vor Inanspruchnahme der Behandlung im Ausland an ihre Krankenkasse wenden, die Leistung beantragen (§ 19 SGB IV)und die Entscheidung der Krankenkasse hierüber abwarten. Das unterstreicht auch die Wertung des § 18 Abs 3 S 1 SGB V, der eine Vorab-Befassung der Krankenkasse sicherstellt. Das SGB V verpflichtet die Krankenkasse zudem ausdrücklich vor Durchführung der Maßnahme, durch den MDK prüfen zu lassen, ob die begehrte Krankenbehandlung nur im Ausland möglich ist (§ 275 Abs 2 Nr 3 SGB V). Auch für Behandlungen im Ausland gilt daher der Grundsatz, dass der Krankenkasse eine Möglichkeit zur Überprüfung des Leistungsbegehrens einzuräumen ist, bevor dem Versicherten erlaubt wird, sich die benötigte Leistung außerhalb des Sachleistungssystems selbst zu beschaffen (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 8 - Auslandsbehandlung nach Petö). Kommt die Krankenkasse ihrer Pflicht aus § 275 Abs 2 Nr 3 SGB V nicht zeitgerecht nach, haben Versicherte dem Rechtsgedanken des § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB V entsprechend Anspruch auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Krankenbehandlung, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland erbringbar ist, wenn die Krankenkasse diese Leistung nicht rechtzeitig erbringt, sie aber nach vollständigem Antrag und umgehender MDK-Überprüfung hätte erbringen können und die Behandlung unaufschiebbar ist. Unaufschiebbarkeit liegt vor, wenn ein Zuwarten dem Versicherten aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder aus anderen medizinischen Gründen - zB wegen der Intensität der Schmerzen - ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar ist (zum Begriff der Unaufschiebbarkeit vgl auch BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23 mwN). § 18 Abs 1 SGB V ist zwar darauf ausgerichtet, Versicherten nach Antrag und Überprüfung zeitgerecht die Krankenbehandlung zu gewähren, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland erbringbar ist. Die sich aus § 18 SGB V ergebenden Anforderungen an die Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherten sind aber nicht geringer als nach § 13 Abs 3 SGB V.

19

Selbst wenn die Behandlung aufschiebbar war, ist die Krankenkasse nach Treu und Glauben gehindert, sich darauf zu berufen, dass Versicherte nicht ihre Entscheidung abgewartet haben, wenn sie Versicherte durch Irreführung von ihren Obliegenheiten abgehalten hat (vgl BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15, RdNr 27 f; vgl auch E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, Stand 1.9.2011, § 13 SGB V RdNr 254). In derartigen Fällen kommt es nicht auf die Unaufschiebbarkeit der Behandlung an. Das LSG hat zu beiden Aspekten - von seiner Rechtsauffassung her folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Sowohl der Verfahrensablauf - Antrag im März, MDK-Gutachten im Mai, danach Reiseantritt, Ablehnung des Antrags am 9.11.2007 - als auch das Vorbringen der Klägerin, ein zuständiger Mitarbeiter der Beklagten habe ihr ausdrücklich bestätigt, sie könne die Behandlung ohne Rechtsverlust beginnen, geben indes dem LSG bei seiner erneuten Entscheidung Anlass zu weiterer Aufklärung.

20

b) § 18 SGB V ist auch dann anwendbar, wenn die Klimaheiltherapie eine Leistung zur medizinischen Reha iS von § 40 SGB V und nicht eine sonstige Maßnahme der Krankenbehandlung ist. Zwar begrenzt § 40 SGB V grundsätzlich den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht oder zumindest geschlossen werden könnte(vgl oben II. 1. b). Die Regelung ist aber nur an dem Regelfall ausreichender Binnenversorgung ausgerichtet. Besteht dagegen eine qualitative oder quantitative Versorgungslücke, will § 18 SGB V diese auch dann schließen, wenn eine medizinische Reha-Leistung betroffen ist.

21

c) Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nach § 18 SGB V ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil das LSG festgestellt hat, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht nur außerhalb Deutschlands und außerhalb des EWR möglich ist. Diese Feststellung ist für den erkennenden Senat nicht bindend (§ 163 SGG),weil die Klägerin sie mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge angegriffen hat: Das LSG hat seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt. Das Tatsachengericht bestimmt im Rahmen seines Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner materiell-rechtlichen Auffassung zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind. Sein Ermessen ist dabei durch die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt. Ein Verstoß gegen § 103 SGG liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht sich zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen(stRspr, vgl zB BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 34; BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR; Hauck in Hennig, SGG, Stand Dezember 2011, § 103 RdNr 86 ff mwN). So liegt es hier.

22

Das LSG hat nämlich medizinische Kenntnisse für sich in Anspruch genommen, ohne hierüber belegbar zu verfügen. Das LSG hat es als entscheidungserheblich angesehen und trotz des auf den Beweis des Gegenteils gerichteten Antrags der Klägerin verneint, dass die Vitiligo-Behandlung nach Prof Dr Schallreuter dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Hierzu hat es eine aktuelle Veröffentlichung von Prof Dr Schallreuter inhaltlich mit dem Hinweis bewertet, schon aufgrund der geringen Fallzahl, der methodischen Schwächen und des Umstandes, dass die einzige Untersuchung der Behandlungsmethode auf ihre Wirksamkeit von Prof Dr Schallreuter selbst stamme, könne von einem wissenschaftlichen Konsens in Fachkreisen nicht ausgegangen werden. Die Ausführungen des LSG, vorliegend gehe es nicht um die inhaltliche Auswertung und qualitative Bewertung von vorhandenen Studien, sondern um die Frage, ob es entsprechende Untersuchungen überhaupt gebe, belegen weder die für diese Aussage nötigen medizinischen Fachkenntnisse noch deren Entbehrlichkeit.

23

Neben dem Verstoß gegen die Aufklärungspflicht verletzt das LSG-Urteil auch § 18 Abs 1 S 1 SGB V, weil Feststellungen dazu, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur außerhalb Deutschlands und außerhalb des EWR möglich ist, auf breiter Grundlage zu treffen sind. Denn es geht um die Feststellung allgemeiner Tatsachen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es bei deren Ermittlung in besonderer Weise darauf an, Erkenntnisse auf einer möglichst breiten Grundlage zu gewinnen (vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 30 - Kozijavkin III). Nur ein solches Vorgehen sichert die von Art 3 Abs 1 GG geforderte Rechtsanwendungsgleichheit, für welche die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses im Inland sorgen. Das LSG wird bei den gebotenen weiteren Ermittlungen hierzu dementsprechend Erkenntnisse mit sachverständiger Hilfe auf einer möglichst breiten Grundlage zu gewinnen haben (vgl beispielhaft zu Möglichkeiten BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 31 ff - Kozijavkin III).

24

d) Die Aktenlage, auf die das LSG Bezug genommen hat, legt im Übrigen nahe, dass das LSG Feststellungen dazu trifft, dass die Vitiligo der Klägerin überhaupt einen Behandlungsanspruch ausgelöst hat. Die Klägerin kann nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Krankenbehandlung nur verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl zB BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4 mwN; zum Verhältnis zu den Ansprüchen aus dem SGB IX vgl BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 18 f, - Adaptionsmaßnahme). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt.

25

Um insbesondere eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst, und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein (vgl näher BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN).

26

Sollten die Ermittlungen des LSG ergeben, dass die Klägerin zu den Behandlungszeitpunkten an einer - im dargelegten Sinne - behandlungsbedürftigen Erkrankung litt und die in Jordanien vorgesehene Behandlungsmethode zum Behandlungszeitpunkt im aufgezeigten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach, muss es weiter genauer feststellen, dass eine Behandlung mit demselben Behandlungsziel wie dem bei der Klägerin angestrebten zum vorgesehenen Behandlungszeitpunkt in Deutschland oder der EU oder dem EWR allgemein und konkret für die Klägerin unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten nicht verfügbar bzw zumutbar war (Versorgungsdefizit). Auch insoweit reichen die Feststellungen des LSG für eine Entscheidung nicht aus.

27

Der Anspruch aus § 18 SGB V ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im EU/EWR-Inland überhaupt nicht zu erlangen ist, sondern besteht auch, wenn eine Behandlung zwar dort erfolgen kann, der im EU/EWR-Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den im EU/EWR-Inland angewandten Methoden gebührt. Letzteres ist der Fall, wenn die begehrte Behandlung der EU/EWR-Inlandsbehandlung aus medizinischen Gründen "eindeutig überlegen" ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 37 f mwN - Kozijavkin III). Die Überlegenheit kann sich auch im Rahmen eines Vergleichs lediglich symptomatisch behandelnder Therapien ergeben.

28

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer kombinierten Positronenemissionstomographie/Computertomographie (PET/CT).

2

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert gewesene, 2012 verstorbene Ehefrau des Klägers (im Folgenden: Versicherte) litt an einem Karzinom des Dickdarms. Nach Resektion (25.10.2011) und adjuvanter Chemotherapie zeigte ein Computertomogramm (CT) ua eine im linken anterioren Oberlappen an die Aorta angrenzende pulmonale Raumforderung (1 bis 2 cm). Die Versicherte wies einen starken Nikotinabusus auf. Der behandelnde Onkologe überwies die Versicherte an die "Gemeinschaftspraxis für PET-CT" (H.) zur differentialdiagnostischen Abklärung. Die Gemeinschaftspraxis führte eine PET/CT durch (23.2.2012) und berechnete der Versicherten hierfür nach der Gebührenordnung für Ärzte 1198,71 Euro, die die Versicherte beglich. Die Beklagte lehnte, beraten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), die Kostenerstattung ab (Antrag vom 19.3.2012, Bescheid vom 29.3.2012, Widerspruchsbescheid vom 4.10.2012). Das SG hat die Klage abgewiesen: Es fehle jedenfalls an der Kausalität zwischen der Ablehnungsentscheidung der Beklagten und der Selbstbeschaffung. Diese sei auch nicht unaufschiebbar gewesen (Gerichtsbescheid vom 7.4.2014). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Es hat auf die Gründe des Gerichtsbescheids verwiesen und weiter ausgeführt, die selbstbeschaffte Leistung gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Eine für die PET/CT als GKV-Leistung erforderliche richtlinienkonforme Indikation habe nicht vorgelegen. Es ergebe sich auch kein Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V. Jedenfalls hätten andere Standarddiagnostiken zur Verfügung gestanden (Urteil vom 28.3.2017).

3

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung der Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 1 und 4 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und des § 2 Abs 1a SGB V, Art 2 Abs 2 S 1 GG und des § 103 SGG. Die Versicherte habe danach Anspruch auf eine differentialdiagnostisch gebotene Untersuchung mittels PET/CT gehabt. Entgegenstehende Feststellungen des LSG stellten unter Nichtbeachtung der Beweisanträge eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar.

4

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 1198,71 Euro zu verurteilen,

hilfsweise,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Der Senat kann über die Revision des Klägers als Sonderrechtsnachfolger (§ 56 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I) seiner verstorbenen Ehefrau, der Versicherten, ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

8

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

9

Ob dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung von 1198,71 Euro Kosten für die von der Versicherten selbst beschaffte PET/CT zusteht, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das LSG hat einen Anspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V verneint. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ist es nach den den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) davon ausgegangen, dass ein Anspruch sich nicht aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V wegen Selbstbeschaffung nach vorausgegangener rechtswidriger Leistungsablehnung durch die beklagte KK ergibt(dazu 1.). Der erkennende Senat kann aber auf der Grundlage der LSG-Feststellungen nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Kostenerstattung aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen Unaufschiebbarkeit besteht. Soweit das LSG den Anspruch verneint hat, weil im Falle der Versicherten keine der vom GBA anerkannten Indikationen für die PET/CT als GKV-Leistung vorgelegen habe (vgl Anlage I Nr 14 § 1 Richtlinie des GBA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung - Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - idF vom 20.10.2011, BAnz 2012 Nr 22 S 535, mWv 9.2.2012), hat der Kläger die dafür maßgeblichen Feststellungen des LSG mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen (dazu 2.). Die Verneinung dieses Anspruchs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Auch insoweit fehlt es an ausreichenden Feststellungen des LSG (dazu 3.). Für den Fall, dass die PET/CT-Leistung, die sich die Versicherte verschafft hat, eine Leistung ist, die nach Anlage II Nr 39 MVVRL ausgeschlossen ist, kommt zudem ein Anspruch des Klägers aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung nach § 2 Abs 1a SGB V in Betracht. Der Anspruch umfasst nicht nur Behandlungs-, sondern auch Untersuchungsleistungen (dazu 4.). Das LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben (dazu 5.).

10

1. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs gemäß § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21.12.1992, BGBl I 2266) sind nicht erfüllt. Die Rechtsnorm bestimmt: "… hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN). Daran fehlt es bereits, wenn die KK vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr des Senats; vgl BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10 mwN). Ist eine vorherige Befassung der KK nicht möglich gewesen, kommt ein Anspruch wegen Selbstbeschaffung einer unaufschiebbaren Leistung (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V) in Betracht (dazu 2.). Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers wegen rechtswidriger Leistungsablehnung (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V)scheidet danach aus: Die Versicherte beschaffte sich die PET/CT, ohne zuvor einen Antrag bei der Beklagten gestellt zu haben.

11

2. Ob die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b GSG) wegen Unaufschiebbarkeit einer Leistung des GKV-Leistungskatalogs unter Achtung des Qualitätsgebots erfüllt sind (dazu a), bedarf hingegen weiterer Ermittlungen. Soweit das LSG einen Kostenerstattungsanspruch schon wegen eines fehlenden Sachleistungsanspruchs der Versicherten auf Versorgung mit einer PET/CT verneint hat, hat der Kläger die zugrunde liegende Feststellung wirksam angegriffen (dazu b).

12

a) Die Rechtsnorm bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen … und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Die medizinische Dringlichkeit ist indes nicht allein ausschlaggebend. Der Anspruch aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 und 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine KK. Durch die Kostenerstattungsregelung in § 13 Abs 3 SGB V soll lediglich in Fällen eines Systemversagens eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der GKV garantierten Versicherungsschutz geschlossen werden. Trotz Unaufschiebbarkeit hat die KK nicht einzustehen, wenn der Versicherte sich eine Maßnahme beschafft hat, die unter jedem Gesichtspunkt (selbst unter demjenigen des Systemversagens) vom Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen ist. Infolgedessen besteht der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der Eilbedürftigkeit nur für medizinische Maßnahmen, die ihrer Art nach oder allgemein von den KKn als Sachleistungen zu erbringen sind (BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 21; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 14) oder nur deswegen nicht erbracht werden können, weil ein Systemversagen die Erfüllung der Leistungsansprüche Versicherter im Wege der Sachleistung gerade ausschließt (vgl zB BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36; BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 4 RdNr 11; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32; zum Ganzen Hauck, NZS 2007, 461, 464) und auch kein Fall des § 2 Abs 1a SGB V vorliegt(vgl auch BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 14 = USK 2015-59).

13

Ein Naturalleistungsanspruch der Versicherten auf eine PET/CT kann sich nur aus den hier allein in Betracht kommenden Ziff 1, 3 und 4 der Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL ergeben. Hiernach gilt Folgendes:

"Die PET darf für die folgenden Indikationen bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 2, 3 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung als vertragsärztliche Leistung erbracht werden:

        

1.    

Bestimmung des Tumorstadiums von primären nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen einschließlich der Detektion von Fernmetastasen.

        

2.    

…       

        

3.    

Charakterisierung von Lungenrundherden, insbesondere Beurteilung der Dignität peripherer Lungenrundherde bei Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko und wenn eine Diagnosestellung mittels einer invasiven Methodik nicht möglich ist.

        

4.    

Bestimmung des Tumorstadiums von kleinzelligen Lungenkarzinomen einschließlich der Detektion von Fernmetastasen, es sei denn, dass vor der PET-Diagnostik ein kurativer Therapieansatz nicht mehr möglich erscheint".

Im Übrigen gilt nach Anlage II MVVRL: "Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen … 39. Positronen-Emissions-Tomographie mit Ausnahme der in Anlage I Nummer 14 anerkannten Indikationen". Unerheblich ist insoweit, dass die Anlagen I und II der MVVRL nicht ausdrücklich die PET/CT benennen, sondern nur die PET. Durch die Benennung der CT als apparative Mindestvoraussetzung in Anlage I Nr 14 § 2 Abs 3 Nr 2 MVVRL hat der GBA hinreichend klargestellt, dass die Anlagen I und II trotz der isolierten Benennung der PET von einer kombinierten Anwendung ausgehen(vgl auch Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL: PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, vom 19.6.2008, S 3).

14

Dabei setzen Ziff 1 und 4 jeweils voraus, dass die Existenz eines primären nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (Ziff 1) bzw die eines primären kleinzelligen Lungenkarzinoms (Ziff 4) durch andere diagnostische Maßnahmen gesichert ist und es im Rahmen einer ergänzenden Diagnostik nur darum geht, das jeweilige Tumorstadium näher zu bestimmen (vgl zu Ziff 1: Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL in Anlage I "Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden": Positronenemissionstomographie ; Abschlussbericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA vom 13.12.2007, S 9, 25 ff; vgl zu Ziff 4: Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL: PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, vom 19.6.2008, S 3, 5 f; Zusammenfassende Dokumentation zum Bewertungsverfahren des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA, Stand 19.6.2008, PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, S A-2, A-4 f, B-7 ff, B-27 f). Auch wenn der Wortlaut von Ziff 4 nicht verlangt, dass es sich bei dem kleinzelligen Lungenkarzinom um ein primäres handeln muss, ergibt sich dies aus den Tragenden Gründen (vgl dort S 4 ff) zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVVRL: PET beim kleinzelligen Lungenkarzinom, vom 19.6.2008 (BAnz Nr 124 vom 19.8.2008, S 3018). Ziff 3 erfasst hingegen den Fall der Charakterisierung von Lungenrundherden bei einer nicht durch andere diagnostische Maßnahmen bereits gesicherten Diagnose. Hierbei kann die Möglichkeit bestehen, dass es sich bei dem suspekten Befund um ein primäres Lungenkarzinom, eine Metastase oder einen nicht behandlungsbedürftigen Befund handelt. Letzteres ist sogar die vom GBA als Hauptanwendungsfall in den Blick genommene Situation für diese Indikation. Da Lungenrundherde als Zufallsbefunde relativ häufig sind, sollen mit der PET/CT insbesondere nicht erforderliche operative Eingriffe dann vermieden werden, wenn andere zuverlässige Diagnostik, insbesondere die Biopsie, nicht zur Verfügung steht oder aus anderen Gründen kontraindiziert ist (vgl Abschlussbericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA vom 13.12.2007, Anhang 10.8, S 4, 29). Auch den Indikationen nach den Ziff 1 und 4 liegt die Vorstellung zugrunde, dass die PET/CT als ergänzende Diagnostik nur dann einzusetzen ist, wenn nach der Standarddiagnostik eine sichere Entscheidung für oder gegen einen operativen Eingriff noch nicht möglich ist.

15

b) Der erkennende Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit PET/CT nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 1, 3 oder 4 MVVRL vorliegen. Weder hat das LSG - den Senat bindend (§ 163 SGG) - festgestellt, dass schon vor dem 23.2.2012 eine PET/CT zur Abklärung einer Operationsindikation erkennbar nicht erforderlich war (dazu aa), noch dass eine andere geeignete Standarddiagnostik zur Verfügung gestanden hat (dazu bb), noch dass eine PET/CT überhaupt geeignet ist, in der Lunge einen Primärtumor von einer Metastase des Dickdarms zu unterscheiden (dazu cc).

16

aa) Das LSG hat - ohne sich mit der Möglichkeit eines Anspruchs nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 3 MVVRL zu befassen - einen möglichen Anspruch nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 1 und 4 MVVRL verneint, weil die dort genannten Indikationen nicht vorgelegen hätten. Es hat dazu festgestellt, schon vor der Durchführung der PET/CT habe festgestanden, dass die im CT vom 14.2.2012 sichtbar gewordene Raumforderung eine Lungenmetastase des bei der Versicherten operierten kolorektalen Karzinoms sei. Ist dies zutreffend, schließt dies auch die Indikation nach Anlage I Nr 14 § 1 Ziff 3 MVVRL im konkreten Fall aus.

17

Der erkennende Senat ist an diese getroffene Feststellung aber nicht gebunden, denn der Kläger hat diesbezüglich eine zulässige und begründete Verfahrensrüge vorgebracht (vgl § 163 SGG). Soweit er mit der Revision geltend macht, das LSG habe unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem es unterlassen habe, durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu ermitteln, dass zur Abklärung der Operationsindikation noch eine differentialdiagnostische Abklärung der im CT sichtbar gewordenen Raumforderung in der Lunge der Versicherten erforderlich gewesen sei, hat er iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG hinreichend Tatsachen bezeichnet, die den Mangel ergeben sollen und konkrete Beweismittel genannt, deren Erhebung sich dem LSG hätte aufdrängen müssen(vgl § 164 Abs 2 S 3 SGG; näher zu dessen Voraussetzungen BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - Juris RdNr 69, insoweit in BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1 nicht abgedruckt; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 28 mwN). Das LSG hat sich nur auf die MDK-Stellungnahme gestützt, nach der ein primäres Bronchialkarzinom unwahrscheinlich, aber doch immerhin möglich war. Der weiter vom LSG angeführte behandelnde Onkologe hat im Arztbrief vom 22.2.2012 gerade die diagnostische Indikation darin gesehen, dass die pulmonale Raumforderung durch eine PET/CT als "solitäre" Raumforderung, also als primäres Karzinom, mit der Folge gesichert werden könne, dass eine Resektion dann zielführend sei. Das LSG hat hingegen auf den Arztbrief des Onkologen vom 24.4.2012 abgestellt, den er erst nach erfolgter PET/CT verfasst hat. Dies ist jedoch für hier maßgebliche Ex-ante-Beurteilung der Notwendigkeit einer PET/CT irrelevant. Hiernach war ein Primärtumor vor der PET/CT nicht sicher auszuschließen. Das LSG hätte sich daher gedrängt fühlen müssen, Feststellungen dazu zu treffen, dass die PET/CT geeignet und erforderlich (näher dazu sogleich) war, die pulmonale Raumforderung noch genauer und zuverlässiger zu diagnostizieren.

18

bb) Soweit das LSG - im Zusammenhang mit der Prüfung des Anspruchs nach § 2 Abs 1a SGB V - auch darauf abgestellt hat, dass als weiteres diagnostisches Standardverfahren die Biopsie noch zur Verfügung gestanden hat, hat der Kläger diese Feststellung ebenfalls mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge angegriffen(§§ 163, 164 Abs 2 S 3 SGG). Insoweit hat das LSG in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung vorweggenommen. Der MDK, auf dessen Stellungnahmen sich das LSG stützt, hat zur ihm bekannten pulmonalen Raumforderung mit Kontakt zum Aortenbogen lediglich ausgeführt, dass "den Unterlagen … nicht plausibel zu entnehmen (sei), dass per Bronchoskopie und Feinnadelpunktion der Herd nicht hätte punktiert werden können". Bei den vom MDK bezeichneten Unterlagen handelt es sich um das Schreiben des Onkologen vom 24.4.2012, in dem nur kursorisch über die Lage der pulmonalen Raumforderung berichtet wird ("Lokalisation der Raumforderung sehr zentral in der Lunge"). Dem LSG hätte es sich insoweit aufdrängen müssen, dass erst die Beiziehung der Behandlungsunterlagen, einschließlich des CT vom 14.2.2012 und des PET/CT vom 23.2.2012 zur genauen Lage der Raumforderung, und deren sachverständige Bewertung eine tragfähige Feststellung über die Eignung der Biopsie als Standarddiagnostik im Falle der Versicherten ermöglicht hätte. War danach eine Biopsie objektiv kontraindiziert oder eine Kontraindikation vor der PET/CT nicht sicher auszuschließen, stand die Biopsie nicht vorrangig zur Verfügung.

19

Die weiteren Feststellungen des LSG zu sonstigen diagnostischen Verfahren sind - wie auch der Kläger zutreffend darlegt - widersprüchlich. Dies gilt für den Hinweis auf eine CT, die hier jedoch bereits vor der PET/CT erfolgt war und erst den Onkologen veranlasste, die PET/CT als weiterführende Diagnostik für geboten zu erachten. Es erschließt sich dem erkennenden Senat auch nicht, dass eine Knochenszintigraphie in der Lage sein soll, diagnostische Erkenntnisse über eine pulmonale Raumforderung zu ermöglichen.

20

cc) Nach den sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergebenden, in ihrer medizinischen Bedeutung von ihm nicht in Zweifel gezogenen therapeutischen Prämissen des die PET/CT veranlassenden Onkologen ist nur bei einer fortbestehenden Möglichkeit eines Primärtumors eine PET/CT zur weiteren diagnostischen Abklärung erforderlich. Die Beklagte hat, gestützt auf Äußerungen des MDK in diesem Zusammenhang, eingewendet, eine PET/CT sei schon im Ansatz nicht geeignet, zwischen einem primären Lungenkarzinom und der Lungenmetastase eines Kolonkarzinoms zu unterscheiden. Es kann offenbleiben, ob es sich dabei um eine zulässige und begründete Gegenrüge handelt. Die Beklagte ist jedenfalls in der wieder eröffneten Verhandlung vor dem LSG mit diesem Vorbringen schon deswegen nicht ausgeschlossen, weil das LSG zur objektiven Eignung der PET/CT, in der Lunge zwischen einem Primärtumor und einer Metastase differenzieren zu können, keine Feststellungen getroffen hat.

21

3. Die Feststellungen des LSG (dazu b) tragen auch nicht die Verneinung des Anspruchs nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen mangelnder Unaufschiebbarkeit(dazu a).

22

a) Die Anwendung des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V ist nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil kein Notfall vorgelegen hat(stRspr, vgl zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23; BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 15 = USK 2015-59 mwN). Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten. Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist. Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird (stRspr, vgl zB BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18; BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 15 mwN = USK 2015-59).

23

b) Das LSG hat keine Feststellungen zur Unaufschiebbarkeit der Behandlung nach Maßgabe der vorgenannten Voraussetzungen getroffen. Das LSG hat lediglich durch die Bezugnahme auf die Gründe des Gerichtsbescheids eine Unaufschiebbarkeit iS von § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V verneint, weil die pulmonale Raumforderung mittels CT bereits am 14.2.2012 festgestellt wurde, aber die PET/CT erst am 23.2.2012 erfolgte. Das LSG hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der Onkologe nach dem CT am 14.2.2012 sich erst mit Arztbrief vom 22.2.2012 an die Gemeinschaftspraxis für PET-CT mit dem Vorschlag einer PET/CT gewandt hat. Es ist deshalb auch nicht darauf eingegangen, wann die Versicherte erfahren hat, dass eine PET/CT indiziert sei. Es fehlt an jeglicher Feststellung über die Dringlichkeit der Operation eines möglichen primären Lungenkarzinoms und dessen dadurch bedingte dringliche Diagnostizierung. Das LSG hat insbesondere keine Feststellungen getroffen zum lege artis zu beachtenden Zeitfenster für die Durchführung der PET/CT-Diagnostik mit Blick auf die erwogene Operation eines primären Lungenkarzinoms bei voroperiertem kolorektalem Karzinom, nachdem der Onkologe eine PET/CT befürwortete.

24

4. Sofern das LSG nach Zurückverweisung zum Ergebnis kommen wird, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen Unaufschiebbarkeit einer Leistung des GKV-Leistungskatalogs unter Achtung des Qualitätsgebots nicht erfüllt sind, wird es zu beachten haben, dass ein Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V wegen Unaufschiebbarkeit einer Leistung aufgrund grundrechtsorientierter Leistungsauslegung(§ 2 Abs 1a SGB V) nicht schon deswegen ausgeschlossen ist, weil der Kläger Kostenerstattung für eine Untersuchungsleistung begehrt (vgl zum Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 S 1 SGB V bei grundrechtsorientierter Leistungsauslegung iS von § 2 Abs 1a SGB V zB BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 20 = USK 2015-59; BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 8 mit 58; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 29, RdNr 8 und 19, auch für BSGE vorgesehen, stRspr).

25

Die gesetzliche Regelung grundrechtsorientierter Leistungsauslegung in § 2 Abs 1a SGB V(vgl ausführlich dazu BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - RdNr 20 ff mwN, für SozR vorgesehen), der auf Sachverhalte ab 1.1.2012 anzuwenden ist, erfasst nicht nur Ansprüche, die auf therapeutische Maßnahmen gerichtet sind, sondern auch Ansprüche, die diagnostische Maßnahmen zum Gegenstand haben. Dies folgt schon aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck der Regelung des § 2 Abs 1a S 1 SGB V. Sie bezieht sich als allgemeine, "vor die Klammer gezogene" Vorschrift des SGB V auf jede "Leistung", die nicht entsprechend allgemein anerkanntem medizinischen Standard zur Verfügung steht. Das entspricht bereits der Rspr des erkennenden Senats zur zuvor geltenden verfassungsunmittelbaren grundrechtsorientierten Leistungsauslegung (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 28 RdNr 20, auch für BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - RdNr 20 mwN, für SozR vorgesehen). Der Gesetzgeber wollte diese in Gesetzesrecht überführen (vgl BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - RdNr 22 mwN, für SozR vorgesehen). Auch Untersuchungen sind Leistungen der GKV und zählen zur Krankenbehandlung iS des § 27 SGB V als notwendige Voraussetzung zur Ermittlung der erforderlichen therapeutischen Maßnahmen(vgl nur § 92 Abs 1 S 2 Nr 3 und Nr 5, § 116 S 2, § 116b Abs 1 S 3, § 117 Abs 1 S 1 Nr 2 und Abs 2 S 1, § 135, § 137c, § 137e SGB V). Dies steht auch im Einklang mit dem Zweck der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V. Die Vorschrift verlangt nur, dass durch die Leistung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Hierzu können auch noch nicht dem Qualitätsgebot entsprechende Untersuchungsleistungen beitragen. Gibt es keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Diagnostik oder sind die diesem Standard entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft, ohne hinreichende Erkenntnisse für das weitere therapeutische Vorgehen zu liefern, kommen auch noch nicht anerkannte diagnostische Methoden in Betracht, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung dadurch erst der Weg für therapeutische Maßnahmen eröffnet werden kann, mit denen eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden ist. Dies gilt insbesondere, wenn die therapeutische Maßnahme ihrerseits nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, sich aber auf eine eigenständige, auch dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Untersuchungsleistung stützt.

26

Darüber hinaus entsprechen auch solche diagnostischen Leistungen nicht dem Qualitätsgebot, die der GBA in Richtlinien aus dem GKV-Leistungskatalog wegen eines fehlenden additiven oder substitutiven Nutzens für bestimmte Indikationen ausgeschlossen hat, auch wenn das zugrunde liegende methodische Konzept keinen grundsätzlichen Bedenken begegnet. Dies trifft im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung auf alle PET/CT-Anwendungen zu (Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 26.2.2002, BAnz Nr 86 vom 11.5.2002, S 10206; Positronen-Emissions-Tomographie - Zusammenfassender Bericht des Arbeitsausschusses "Ärztliche Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beratungen gemäß § 135 Abs 1 SGB V vom 23.5.2002, S 8, 114 f), soweit der GBA nicht mittlerweile in Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL für die dort genannten Indikationen das Gegenteil festgestellt hat. § 2 Abs 1a SGB V kann in diesem Zusammenhang einen Anspruch auf PET/CT begründen, wenn einerseits bei unterstelltem operablem Primärkarzinom ein Zuwarten einen (schnelleren) tödlichen Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit bedeuten würde, andererseits bei unterstelltem nicht operablem Karzinom der Eingriff selbst unmittelbar lebensgefährlich ist oder seine Folgen einen (schnelleren) tödlichen Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit bedeuten würden, und es kein anderes geeignetes diagnostisches Verfahren (mehr) gibt.

27

5. Das LSG wird nunmehr festzustellen haben, dass die Voraussetzungen für eine Indikation nach Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL vorgelegen haben, insbesondere eine Biopsie nicht als andere geeignete Standarddiagnostik zur Verfügung gestanden hat und dass die Versicherte die Voraussetzungen der Unaufschiebbarkeit erfüllt hat. Verneint das LSG nach den insoweit zu treffenden Feststellungen die Voraussetzungen der Indikationen nach Anlage I Nr 14 § 1 MVVRL, wird es auch zu prüfen haben, dass die PET/CT eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf unter den im vorhergehenden Absatz genannten Maßgaben geboten hat.

28

6. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Die Versicherten können unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2, den nach § 72a Abs. 3 vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Die Inanspruchnahme der Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 1 und 2 Satz 1 richtet sich nach den hierüber abgeschlossenen Verträgen. Die Zahl der Eigeneinrichtungen darf auf Grund vertraglicher Vereinbarung vermehrt werden, wenn die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 Satz 1 erfüllt sind.

(1a) In den Fällen des § 75 Absatz 1a Satz 7 können Versicherte auch zugelassene Krankenhäuser in Anspruch nehmen, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen; dies gilt auch, wenn die Terminservicestelle Versicherte in den Fällen des § 75 Absatz 1a Satz 3 Nummer 3 in eine Notfallambulanz vermittelt. Die Inanspruchnahme umfasst auch weitere auf den Termin folgende notwendige Behandlungen, die dazu dienen, den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen.

(2) Wird ohne zwingenden Grund ein anderer als einer der nächsterreichbaren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen oder medizinische Versorgungszentren in Anspruch genommen, hat der Versicherte die Mehrkosten zu tragen.

(3) Die Versicherten sollen den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt innerhalb eines Kalendervierteljahres nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln. Der Versicherte wählt einen Hausarzt. Der Arzt hat den Versicherten vorab über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung (§ 73) zu unterrichten; eine Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung hat er auf seinem Praxisschild anzugeben.

(3a) Die Partner der Verträge nach § 82 Abs. 1 haben geeignete Maßnahmen zu vereinbaren, die einer unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten entgegenwirken und den Informationsaustausch zwischen vor- und nachbehandelnden Ärzten gewährleisten.

(4) Die Übernahme der Behandlung verpflichtet die in Absatz 1 genannten Personen oder Einrichtungen dem Versicherten gegenüber zur Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts.

(5) Die Versicherten der knappschaftlichen Krankenversicherung können unter den Knappschaftsärzten und den in Absatz 1 genannten Personen und Einrichtungen frei wählen. Die Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Die Krankenkasse entrichtet nach Maßgabe der Gesamtverträge an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen.

(2) Die Höhe der Gesamtvergütung wird im Gesamtvertrag vereinbart; die Landesverbände der Krankenkassen treffen die Vereinbarung mit Wirkung für die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart. Die Gesamtvergütung ist das Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen; sie kann als Festbetrag oder auf der Grundlage des Bewertungsmaßstabes nach Einzelleistungen, nach einer Kopfpauschale, nach einer Fallpauschale oder nach einem System berechnet werden, das sich aus der Verbindung dieser oder weiterer Berechnungsarten ergibt. Die Vereinbarung unterschiedlicher Vergütungen für die Versorgung verschiedener Gruppen von Versicherten ist nicht zulässig. Die Vertragsparteien haben auch eine angemessene Vergütung für nichtärztliche Leistungen im Rahmen sozialpädiatrischer und psychiatrischer Tätigkeit und für eine besonders qualifizierte onkologische Versorgung zu vereinbaren; das Nähere ist jeweils im Bundesmantelvertrag zu vereinbaren. Die Vergütungen der Untersuchungen nach den §§ 22, 25 Abs. 1 und 2, § 26 werden als Pauschalen vereinbart. Beim Zahnersatz sind Vergütungen für die Aufstellung eines Heil- und Kostenplans nicht zulässig. Soweit die Gesamtvergütung auf der Grundlage von Einzelleistungen vereinbart wird, ist der Betrag des Ausgabenvolumens nach Satz 2 zu bestimmen. Ausgaben für Kostenerstattungsleistungen nach § 13 Abs. 2 und nach § 53 Abs. 4 mit Ausnahme der Kostenerstattungsleistungen nach § 13 Abs. 2 Satz 6 und Ausgaben auf Grund der Mehrkostenregelung nach § 28 Abs. 2 Satz 3 sind auf das Ausgabenvolumen nach Satz 2 anzurechnen.

(2a) (weggefallen)

(2b) (weggefallen)

(2c) Die Vertragspartner nach § 82 Abs. 1 können vereinbaren, daß für die Gesamtvergütungen getrennte Vergütungsanteile für die an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Arztgruppen zugrunde gelegt werden; sie können auch die Grundlagen für die Bemessung der Vergütungsanteile regeln. § 89 Abs. 1 gilt nicht.

(2d) Die Punktwerte für zahnärztliche Leistungen ohne Zahnersatz dürfen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr höchstens um die um 0,75 Prozentpunkte verminderte durchschnittliche Veränderungsrate nach § 71 Absatz 3 angehoben werden. Die Punktwerte für zahnärztliche Leistungen ohne Zahnersatz dürfen im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr höchstens um die um 1,5 Prozentpunkte verminderte durchschnittliche Veränderungsrate nach § 71 Absatz 3 angehoben werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Leistungen nach den §§ 22, 22a, 26 Absatz 1 Satz 5, § 87 Absatz 2i und 2j sowie Leistungen zur Behandlung von Parodontitis für Versicherte, die einem Pflegegrad nach § 15 des Elften Buches zugeordnet sind oder in der Eingliederungshilfe nach § 99 des Neunten Buches leistungsberechtigt sind. Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert bis zum 30. September 2023 die Auswirkungen der Begrenzung der Anhebungen der Punktwerte nach Satz 1 auf den Umfang der Versorgung der Versicherten mit Leistungen zur Behandlung von Parodontitis.

(3) In der vertragszahnärztlichen Versorgung vereinbaren die Vertragsparteien des Gesamtvertrages die Veränderungen der Gesamtvergütungen unter Berücksichtigung der Zahl und Struktur der Versicherten, der Morbiditätsentwicklung, der Kosten- und Versorgungsstruktur, der für die vertragszahnärztliche Tätigkeit aufzuwendenden Arbeitszeit sowie der Art und des Umfangs der zahnärztlichen Leistungen, soweit sie auf einer Veränderung des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Leistungsumfangs beruhen. Bei der Vereinbarung der Veränderungen der Gesamtvergütungen ist der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71) in Bezug auf das Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragszahnärztlichen Leistungen ohne Zahnersatz neben den Kriterien nach Satz 1 zu berücksichtigen. Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. Die Krankenkassen haben den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen die Zahl ihrer Versicherten vom 1. Juli eines Jahres, die ihren Wohnsitz im Bezirk der jeweiligen Kassenzahnärztlichen Vereinigung haben, gegliedert nach den Altersgruppen des Vordrucks KM 6 der Statistik über die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung bis zum 1. Oktober des Jahres mitzuteilen.

(3a) Die Gesamtvergütungen nach Absatz 3 dürfen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr höchstens um die um 0,75 Prozentpunkte verminderte durchschnittliche Veränderungsrate nach § 71 Absatz 3 angehoben werden. Im Jahr 2024 dürfen die Gesamtvergütungen für zahnärztliche Leistungen ohne Zahnersatz gegenüber dem Vorjahr höchstens um die um 1,5 Prozentpunkte verminderte durchschnittliche Veränderungsrate nach § 71 Absatz 3 angehoben werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Leistungen nach den §§ 22, 22a, 26 Absatz 1 Satz 5, § 87 Absatz 2i und 2j sowie Leistungen zur Behandlung von Parodontitis für Versicherte, die einem Pflegegrad nach § 15 des Elften Buches zugeordnet sind oder in der Eingliederungshilfe nach § 99 des Neunten Buches leistungsberechtigt sind. Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert bis zum 30. September 2023 die Auswirkungen der Begrenzung der Anhebungen der Gesamtvergütungen nach Satz 1 auf den Umfang der Versorgung der Versicherten mit Leistungen zur Behandlung von Parodontitis.

(4) Die Kassenzahnärztliche Vereinigung verteilt die Gesamtvergütungen an die Vertragszahnärzte. Sie wendet dabei in der vertragszahnärztlichen Versorgung den im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen festgesetzten Verteilungsmaßstab an. Bei der Verteilung der Gesamtvergütungen sind Art und Umfang der Leistungen der Vertragszahnärzte zugrunde zu legen; dabei ist jeweils für die von den Krankenkassen einer Kassenart gezahlten Vergütungsbeträge ein Punktwert in gleicher Höhe zugrunde zu legen. Der Verteilungsmaßstab hat sicherzustellen, dass die Gesamtvergütungen gleichmäßig auf das gesamte Jahr verteilt werden. Der Verteilungsmaßstab hat Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragszahnarztes entsprechend seinem Versorgungsauftrag nach § 95 Absatz 3 Satz 1 vorzusehen. Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung haben keine aufschiebende Wirkung.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Juni 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine Kopforthese einschließlich deren Anpassung.

2

Eine Kopforthese ist ein leichter Helm, der nach einem Schädelabdruck oder einem 3D-Schädelscan individuell angefertigt und in der Regel mehrere Monate lang für 23 Stunden täglich vom Säugling getragen wird. In dieser Zeit wird sie dem Kopfwachstum entsprechend mehrfach angepasst.

3

Bei dem am 30.1.2013 geborenen, bei der beklagten Krankenkasse versicherten Kläger bestand seit der Geburt an einer rechtsseitig abgeflachten Asymmetrie des Schädels (Plagiocephalus rechts) ohne frühzeitige Verknöcherung der Schädelnähte (dh nicht synostotisch verursacht), die mittels Lagerungstherapie, Krankengymnastik und osteopathischen Behandlungen nicht ausgeglichen werden konnte. Auf der Grundlage der ärztlichen Verordnung einer dynamischen Kopforthese vom 24.4.2013 und eines hierzu von einer Firma für Orthopädietechnik gefertigten Kostenvoranschlags über 1965,34 Euro ging für ihn am 30.4.2013 ein entsprechender Antrag auf Versorgung bei der Beklagten ein. Diese lehnte den Antrag ab, da die Versorgung mit einer Kopforthese eine nicht anerkannte Behandlungsmethode sei, deren medizinischer Nutzen nicht hinlänglich durch Studien nachgewiesen sei (Bescheid vom 28.5.2013).

4

Bei der ärztlich verordneten Vermessung des Schädels per Scan am 21.5.2013 zeigte sich bei dem Kläger eine Differenz der Schädeldiagonalen von 10,3 mm. Die Firma für Orthopädietechnik stellte den Eltern des Klägers die dynamische Kopforthese nach Scan am 28.8.2013 in Rechnung. Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nach Aktenlage ein und wies den Widerspruch des Klägers mangels positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Kopforthesentherapie zurück (Widerspruchsbescheid vom 3.9.2013). Die Helmtherapie endete mit Erhebung der Abschlussdaten am 5.11.2013.

5

Das SG hat die auf Erstattung der gezahlten oa Kosten gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 3.3.2014). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V seien nicht gegeben. Trotz des kurzen Zeitfensters von wenigen Monaten zur Regulierung der Schädelasymmetrie sei die Leistung nicht so eilbedürftig gewesen, als dass vor Behandlungsbeginn eine Entscheidung der Krankenkasse nicht habe abgewartet werden können. Auf den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und der Selbstbeschaffung der Leistung durch den Kläger komme es jedoch nicht entscheidend an, weil die Beklagte jedenfalls den Antrag nicht rechtswidrig abgelehnt habe. Es handele sich um eine neue Therapiemethode, die der GBA nicht empfohlen habe und die zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) abrechnungsfähig gewesen sei; insbesondere nicht nach der Krankheitsbilder des Stütz- und Bewegungsapparates betreffenden EBM-Ä-Ziffer 18310, die als Zusatzpauschale in Höhe von 21,60 Euro die Kopforthesentherapie nicht ausreichend abbilde. Es habe auch kein Ausnahmetatbestand vorgelegen, aufgrund dessen ein Anspruch auch ohne positive Empfehlung des GBA in Betracht kommen könne. Unerheblich sei deshalb, ob der Plagiocephalus Krankheitswert gehabt habe (Urteil vom 11.6.2015).

6

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Es habe sich um eine unaufschiebbare Leistung iS des § 13 Abs 3 Alt 1 SGB V gehandelt, da die Behandlung einer Schädelasymmetrie während der erheblichen Wachstumsphase innerhalb eines nur sehr kurzen Zeitfensters begonnen werden müsse. Nach einer Entscheidung des SG Leipzig (Urteil vom 16.12.2014 - S 27 KR 488/13) sei davon auszugehen, dass die Behandlung mittels einer Kopforthese durch die EBM-Ä-Ziffer 18310 ausreichend abgebildet werde, sodass eine positive Empfehlung des GBA nicht erforderlich sei. Zudem werde in der Medizin diskutiert, dass die Lagerungsasymmetrie zu Hirnveränderungen mit motorischen und kognitiven Defiziten führen könne. Da die Standardtherapien mittels Lagerung und Physiotherapie nicht ausreichten, müsse die Kopforthesentherapie nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Vermeidung einer grundgesetzwidrigen notstandsähnlichen Situation erbracht werden. Schließlich habe der GBA ein Verfahren zur Überprüfung der Methodik der Kopforthesenbehandlung nicht zeitgerecht durchgeführt, obwohl die Gemeinsame Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin bereits in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2012 eine weitere wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der Thematik angeregt habe.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Juni 2015 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 3. März 2014 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2013 zu verurteilen, ihm 1965,34 Euro zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichts und führt ergänzend aus, von einer notstandsähnlichen Situation könne nicht schon dann ausgegangen werden, wenn eine mögliche, aber unwahrscheinliche Folge schwerwiegend sein könne. Da die Auswertung der zahlreichen Studien zur Kopforthesenbehandlung längere Zeit in Anspruch nehme, sei auch nicht von einem Systemversagen auszugehen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

11

Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht abschließend über den vom Kläger gegen die beklagte Krankenkasse geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Herstellung und Anpassung einer Kopforthese in Höhe von 1965,34 Euro entscheiden.

12

Versicherte erhalten die Leistungen der Krankenkassen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs 1 S 1, Abs 2 SGB V), und die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX vorsieht (§ 13 Abs 1 SGB V). Wie das LSG zutreffend entschieden hat, ergibt sich der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch zwar nicht aus § 13 Abs 3 S 1 SGB V(hierzu 1.). Zum darüber hinaus aber noch in Betracht kommenden Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs 3a SGB V fehlt es an Feststellungen des LSG, ohne die der Senat nicht beurteilen kann, ob sich der Erstattungsanspruch aus dieser Vorschrift ergibt(hierzu 2.). Die Sache war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

13

1. Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach beiden Alternativen des § 13 Abs 3 S 1 SGB V(idF in der bis heute unveränderten Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21.12.1992, BGBl I 2266) lagen nicht vor.

14

Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1, hierzu a>) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2, hierzu b>) und Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift ersetzt den primär auf die Sach- oder Dienstleistung gerichteten Anspruch, wenn das Sachleistungs- bzw Naturalleistungssystem versagt und sich die Versicherten die Leistungen selbst beschaffen (vgl zB BSGE 73, 271, 276 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 9, 15; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 106). Das Unvermögen der Krankenkasse, die Leistung rechtzeitig zu erbringen, sowie die rechtswidrige Verweigerung der Sachleistung berechtigen den Versicherten, sich die Leistung in Durchbrechung des Sachleistungsprinzips selbst zu beschaffen. Deshalb besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich nach beiden Alternativen des § 13 Abs 3 S 1 SGB V nur dann, wenn die Voraussetzungen des primären Sachleistungsanspruchs vorliegen(stRspr, vgl zB BSGE 70, 24, 26 = SozR 3-2500 § 12 Nr 2 S 1, 3; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 12 mwN; BSG SozR 4-2500 § 116b Nr 1 RdNr 10 mwN).

15

a) Die Beklagte hat es nicht versäumt, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen.

16

Unaufschiebbar ist eine Leistung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs mehr besteht und daher die Entscheidung der Krankenkasse nicht abgewartet werden kann. Leistungen, auf die kein Anspruch besteht, können schon mangels Notwendigkeit nicht dringlich sein. So verhält es sich hier. Eine Behandlung mittels Kopforthese gehört bis heute nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV; vgl hierzu näher die Parallelentscheidungen des Senats zum Komplex vom 11.5.2017 zu den Aktenzeichen B 3 KR 1/16 R, B 3 KR 6/16 R und B 3 KR 17/16 R). Die Schädelasymmetrie des Klägers erreichte darüber hinaus keinen Krankheitswert und bot aufgrund ihrer geringen Ausprägung auch im Rahmen von Vorsorgeleistungen keinen Anlass zur Behandlung mittels Kopforthese (hierzu b>).

17

Zudem hätte selbst bei einer Behandlungsnotwendigkeit kein Eilbedürfnis für eine Leistung im Sinne einer Unaufschiebbarkeit bestanden. Denn dies setzt voraus, dass der angestrebte Behandlungserfolg bei einem Abwarten der Entscheidung der Krankenkasse nicht mehr eintreten kann oder dass ein weiteres Zuwarten - zB wegen der Intensität der Schmerzen - nicht mehr zumutbar ist; das Ausmaß der Dringlichkeit einer Notfallbehandlung iS des § 76 Abs 1 S 2 SGB V, die regelmäßig als Sachleistung zu gewähren ist, muss nicht erreicht sein(vgl zB BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23; vgl BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr 14 mwN; Helbig in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 13 RdNr 42 mwN).

18

Wie das Berufungsgericht revisionsrechtlich beanstandungsfrei ausgeführt hat, lag ein solches Eilbedürfnis nicht vor. Es bestand danach kein hinreichender Grund dafür, nicht zunächst die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Zwar wird die Kopforthesentherapie in der Regel zwischen dem vierten und dem sechsten bzw spätestens bis zum 12. Lebensmonat begonnen, weil in den ersten sechs Lebensmonaten wegen des schnellen Kopfwachstums die besten Erfolge zu erwarten sind (vgl Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012, S 6, 9, abrufbar unter: www.neuropaediatrie.com/info_fuer_aerzte/stellungnahmen.html - recherchiert im April/Mai 2017 ; ähnlich Frey, Analyse der subjektiven Beurteilung der Kopforthesentherapie bei Lagerungsplagiocephalus durch Eltern behandelter Kinder in der craniofacialen Sprechstunde des Universitätsklinikums Würzburg, Dissertation, 2014, S 15; Funke ua, Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 438, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de, recherchiert im April/Mai 2017). Da der Kläger aber bei Antragstellung erst ca drei Monate alt war, gab es jedenfalls ein Zeitfenster von bis zu mehreren Monaten. Eine Entscheidung der Krankenkasse war aber innerhalb weniger Wochen zu erwarten (vgl § 13 Abs 3a SGB V). Medizinische Gesichtspunkte dafür, dass die Behandlung selbst in diesem zeitlichen Rahmen keinen Aufschub mehr duldete, sind nicht ersichtlich. Versicherte dürfen sich eine Behandlung indessen regelmäßig erst dann selbst beschaffen, wenn die Krankenkasse die Möglichkeit zur Prüfung und Erbringung im Wege der Sachleistung hatte. Denn mit der Selbstbeschaffung einer Leistung können Gesundheitsgefahren verbunden sein, Behandlungsalternativen können übersehen werden, und die Einhaltung des Sachleistungsprinzips liegt zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nicht nur im Interesse des betroffenen Antragstellers, sondern auch grundsätzlich im Interesse der Versichertengemeinschaft (vgl §§ 2, 12 SGB V; vgl auch zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12).

19

b) Die Beklagte hat die Versorgung des Klägers mittels Kopforthese auch nicht iS von § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V zu Unrecht abgelehnt, sondern zu Recht.

20

Der Kläger hatte zu dem Zeitpunkt, als er sich die Kopforthese selbst beschaffte (zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einem Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V allgemein näher vgl zB BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 29 RdNr 14 und Nr 32 RdNr 10; BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 13) keinen Anspruch auf die Kopforthese als Sachleistung. Schon deshalb kommt es hier darauf, ob dem Kläger die Kosten für die Kopforthese durch die ablehnende Entscheidung entstanden sind, - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht an.

21

Ein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einer Kopforthese schied aus, weil die Schädelasymmetrie bei ihm von solch geringer Ausprägung war, dass es sich nicht um eine (behandlungsbedürftige) Krankheit iS des § 27 Abs 1 S 1 SGB V(in der insoweit unverändert gebliebenen Fassung durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988, BGBl I 2477) handelte (dazu aa>). Es bestand auch kein Anlass zur Versorgung mit einer Kopforthese im Rahmen von medizinischen Vorsorgeleistungen iS des § 23 Abs 1 SGB V(in der in der insoweit unverändert gebliebenen Fassung durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626). Bei einer Schädelasymmetrie von so geringem Ausmaß, wie sie beim Kläger vor der Versorgung gegeben war, kommt es auf einen ggf vom GBA zu bewertenden Nutzen einer Kopforthese nicht an (vgl hierzu aber Parallelentscheidungen des BSG vom 11.5.2017 zu den Aktenzeichen B 3 KR 1/16 R, B 3 KR 6/16 R und B 3 KR 17/16 R). Denn die Frage, ob einer körperlichen Unregelmäßigkeit im Einzelfall Krankheitswert zukommt und ob daher überhaupt Behandlungsmaßnahmen nach § 27 Abs 1 SGB V indiziert sind, ist nicht vom GBA, sondern allein von den Gerichten zu entscheiden. Gleiches gilt für das Ausmaß an Regelwidrigkeit des kindlichen Kopfes, das als Anlass für die Gewährung medizinischer Vorsorgemaßnahmen iS des § 23 Abs 1 SGB V erreicht sein muss(dazu bb>).

22

aa) Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Voraussetzung des Behandlungsanspruchs auch mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) ist daher das Vorliegen einer Krankheit im Rechtssinne. Unter einer Krankheit versteht die Rechtsprechung einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand, der behandlungsbedürftig ist oder Arbeitsunfähigkeit bedingt. Regelwidrig ist ein Körperzustand, der vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht, wobei nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zukommt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 10; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f).

23

Die Schädelasymmetrie des Klägers bestand unmittelbar vor der Versorgung mit der Kopforthese ausweislich des am 21.5.2013 erfolgten Schädelscans bei einer Differenz der Schädeldiagonalen von 10,3 mm. Darin liegt kein regelwidriges krankheitswertiges Ausmaß im dargelegten Sinne.

24

In der zu dieser Zeit vorliegenden Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin zu dynamischen Kopforthesen ("Helmtherapie", Studie der Autoren: Rosenbaum, Borusiak, Schweitzer, Berweck, Sprinz, Straßburg, Klepper, 2012, S 2 f, veröffentlicht im Internet unter: www.neuropaediatrie.com/info_fuer_aerzte/stellungnahmen.html - recherchiert im April/Mai 2017) werden insoweit Studien aufgeführt, nach denen zur Vermessung der Schädelasymmetrie zwei Diagonalen auf den knöchernen Schädel projiziert werden, die durch den Kreuzungspunkt von Längs- und Querdurchmesser des Schädels gehen und jeweils um 30 Grad vom Längsdurchmesser des Schädels abweichen. Wird die Längendifferenz dieser beiden Diagonalen durch die größere Diagonalenlänge dividiert, ergibt sich ein Wert, der bis zu 3 mm bzw 3,5 mm als Normwert angesehen wird; bei einem Wert bis einschließlich 12 mm liegt danach eine milde/moderate Form der Asymmetrie vor und erst wenn der Wert 12 mm übersteigt, muss von einer moderaten bis schweren Form der Asymmetrie ausgegangen werden. Das korrespondiert mit der Bewertung von Funke ua (Funke ua in Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 440 f, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de, recherchiert im April/Mai 2017), nach der Werte bis 10 mm dem Normbereich zugerechnet werden (so auch Frey, Analyse der subjektiven Beurteilung der Kopforthesentherapie bei Lagerungsplagiocephalus durch Eltern behandelter Kinder in der craniofacialen Sprechstunde des Universitätsklinikums Würzburg, Dissertation, 2014, S 12); erst ab Werten von 15 mm und mehr wird danach eine Asymmetrie erreicht, bei der eine Helmtherapie indiziert sein kann. Die Plausibilität des Normbereichs bis 10 mm erklären die Autoren ua mit einem Kontrollkollektiv von 20 Säuglingen, bei denen nie die Diagnose einer Schädelasymmetrie gestellt wurde, und die durchschnittlich eine Differenz von 6 mm und eine Streuung bis 11 mm aufwiesen. Zu berücksichtigen ist bei alledem, dass die Asymmetrie als solche das Wohlbefinden des Kindes nicht beeinträchtigt (vgl hierzu ua Biedermann, Kinder- und Jugendarzt, 2010, 723, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de , recherchiert im April/Mai 2017 ) und ein medizinischer Nutzen der Helmtherapie über eine rein kosmetische Verbesserung der Schädelasymmetrie hinaus nicht belegt ist (Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin zu dynamischen Kopforthesen - "Helmtherapie", aaO, S 9). Milde Deformitäten können zudem mit rechtzeitiger Lagerungstherapie und ggf Physiotherapie gut behandelt werden (Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission, ebenda).

25

Beim Kläger lag ausgehend davon bei einer bei ihm bestehenden Differenz von 10,3 mm eine (nur) milde Form der Schädelasymmetrie vor, die nach der Einteilung von Funke ua (Funke ua in: Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 440 f, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de, recherchiert im April/Mai 2017) beinahe noch im Normbereich lag. Für das Vorliegen funktioneller Einschränkungen gab es keine Anhaltspunkte. Es existierten zu der Zeit, als die Eltern des Klägers die Kopforthese selbst beschafften, keine wissenschaftlich haltbaren Daten, die einen Zusammenhang zwischen einer Schädelasymmetrie im Säuglingsalter und späteren Erkrankungen oder Beeinträchtigungen, weder somatisch noch psychisch, belegen (vgl Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission, aaO, S 4). Die körperliche Unregelmäßigkeit beeinträchtigte den Kläger in seinen Körperfunktionen nicht und wirkte in diesem Ausmaß auch keinesfalls entstellend. Solche Folgen waren auch bei weiterem Zuwarten ohne therapeutische Einwirkungen nicht zu erwarten, sodass ausgehend von den dargestellten Erkenntnissen keine Krankheit im Rechtssinne vorlag.

26

Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass zwar durchaus schon Frühstadien einer Erkrankung oder Krankheitsanlagen und sogar Krankheitsrisiken in bestimmtem Maße oder der hinreichende Verdacht einer Krankheit einen Behandlungsanspruch auslösen können (vgl hierzu ausführlich zB E. Hauck, NJW 2016, 2695; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 27 SGB V RdNr 30 ff, insbesondere RdNr 83 ff, Stand Mai 2005). Es lagen aber insbesondere ausgehend von den durch die gemeinsame Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin zu dynamischen Kopforthesen ausgewerteten Studien (vgl Stellungnahme der Kommission aus 2012, aaO) keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine milde/moderate Form der Schädelasymmetrie ohne weitere Behandlung in einem fortgeschrittenen Alter Krankheitswert im Rechtssinne erreichen könnte.

27

bb) Das Klagebegehren führt gleichermaßen nicht unter dem Blickwinkel des § 23 Abs 1 SGB V zum Erfolg.

28

Nach dieser Regelung haben Versicherte (schon) Anspruch auf ärztliche Behandlung einschließlich Versorgung mit Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind,

1.    

eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen,

2.    

einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken,

3.    

Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden oder

4.    

Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.

29

Diese Vorschrift gewährt Ansprüche zur Abwendung eines Krankheitsrisikos mithin bereits vor der Manifestation einer Krankheit iS des § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Allerdings setzt ein Leistungsanspruch im Vorfeld einer Krankheit wenigstens eine Schwächung der Gesundheit oder das Drohen von Krankheit oder deren Verschlimmerung voraus oder Pflegebedürftigkeit, die es zu vermeiden gilt (vgl zB Schütze in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 23 RdNr 19 ff mwN). Beim Kläger lagen indessen - wie bereits ausgeführt - weder hinreichende Anhaltspunkte für eine bevorstehende Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit vor, noch handelte es sich um eine Schwächung der Gesundheit iS von § 23 Abs 1 Nr 1 SGB V. Geschwächt ist die Gesundheit, wenn sie - ohne krankheitswertig iS des § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu sein - im Hinblick auf eine drohende Erkrankung so angegriffen ist, dass die körperliche Leistungsfähigkeit abweichend vom Normalzustand des altersgerecht gesunden Menschen alltäglichen gesundheitlichen Belastungen nicht mehr standzuhalten vermag, oder wenn der Allgemeinzustand so labil ist, dass bei gleichbleibender Belastung - außerberuflich und beruflich - mit dem Ausbruch einer Erkrankung zu rechnen ist(vgl zB Schütze in jurisPK-SGB V, aaO, § 23 RdNr 34 mwN). Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben.

30

Ein Versorgungsanspruch kann ebenso nicht auf § 23 Abs 1 Nr 2 SGB V gestützt werden, nach dem speziell bei Kindern bereits eine Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung einen Behandlungsanspruch auslöst. Die gesundheitliche Entwicklung eines Kindes ist gefährdet, wenn der Entwicklungsprozess der altersgerechten Ausbildung der körperlichen, geistigen und seelischen Anlagen entweder bereits zurückgeblieben oder auf andere Weise beeinträchtigt oder mit Wahrscheinlichkeit mit einer Beeinträchtigung zu rechnen ist (vgl zB Schütze, aaO, § 23 RdNr 42 mwN). Es lagen - wie bereits beschrieben - keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei einer Schädelasymmetrie von solch moderater Form, wie sie beim Kläger bestand, mit Entwicklungsbeeinträchtigungen im Hinblick auf körperliche, geistige oder seelische Funktionen zu rechnen war. Zwar setzt eine Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung iS des § 23 Abs 1 Nr 2 SGB V nicht unbedingt eine zu erwartende Funktionseinbuße voraus; vielmehr können danach auch anderweitige Beeinträchtigungen, wie etwa Wachstumsschwächen oder vergleichbare Entwicklungsverzögerungen von rechtlich relevantem Ausmaß schon Leistungsansprüche auslösen. Individuelle Unterschiede, die sich im Leitbild des Zustandes eines gesunden Menschen halten, sind für das Leistungsrecht der GKV jedoch grundsätzlich unbeachtlich. Krankenversicherungsrechtlich relevant können Beeinträchtigungen daher auch in Bezug auf die gesundheitliche Entwicklung von Kindern nur dann sein, wenn sie über die Bandbreite individueller Verschiedenheiten hinaus als wesentliche Störung der normalen kindlichen Entwicklung erscheinen. Ist eine Funktionsbeeinträchtigung dagegen nicht zu erwarten, muss die drohende Beeinträchtigung für das betroffene Kind das erträgliche Maß überschreiten, und es müssen zweckmäßige und wirtschaftliche Reaktionsmöglichkeiten bestehen.

31

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 23 SGB V sind bei einer Schädelasymmetrie, die - wie bei dem Kläger - nahe beim Normbereich liegt, jedenfalls für eine Versorgung mit einer Kopforthese nicht erfüllt, da eine solch geringfügige Normabweichung wirtschaftlicher mit einer Lagerungstherapie und ggf Physiotherapie behandelt werden kann und selbst unbehandelt mit einem Rückgang der Asymmetrie im Laufe der Entwicklung zu rechnen ist(so Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, aaO, S 5 f, 9). Zudem leben sowohl zahlreiche Kinder und vor allem Säuglinge als auch viele Menschen im erwachsenen Alter mit Schädelasymmetrien in diesem Ausmaß ohne Einschränkungen (vgl Funke ua in Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 440 f, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de sowie Biedermann, Kinder- und Jugendarzt, 2010, 723, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de , recherchiert im April/Mai 2017 ).

32

2. Zu den Voraussetzungen eines auf § 13 Abs 3a SGB V gestützten Kostenerstattungsanspruchs fehlt es an notwendigen Feststellungen des Berufungsgerichts, weshalb die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muss(§ 170 Abs 2 SGG).

33

a) Abs 3a des § 13 SGB V war in Bezug auf den am 30.4.2013 bei der Beklagten eingegangenen Antrag des Klägers auf Versorgung mit einer Kopforthese bereits anwendbar. Die Regelung wurde nämlich mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Art 2 Nr 1 Patientenrechtegesetz vom 20.2.2013, BGBl I 277) mit Wirkung zum 26.2.2013 geschaffen.

34

b) Nach § 13 Abs 3a S 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Kann die Krankenkasse die Fristen nach S 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen(§ 13 Abs 3a S 9 SGB V).

35

c) Der Anwendung von § 13 Abs 3a SGB V im Falle des Klägers steht S 9 dieser Vorschrift nicht entgegen, denn die Versorgung eines Säuglings mit einer Kopforthese zur Behandlung einer Schädelasymmetrie gehört nicht zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

36

Die Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX dienen nach ihrer im Gesetz angelegten Zielrichtung primär der Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie der Vermeidung und dem Entgegenwirken von Benachteiligungen (§ 1 S 1 SGB IX).Eine trennscharfe Abgrenzung zu sonstigen Leistungen der GKV ist allerdings mangels hinreichend konkreter normativer Vorgaben und Überschneidungen der Ziele (vgl § 11 Abs 2 SGB V sowie § 4 Abs 1 Nr 1, § 26 Abs 1 Nr 1 SGB IX) schwierig. Die Abgrenzung zwischen stationärer Rehabilitation und Krankenhausbehandlung hat die Rechtsprechung bisher im Wesentlichen nach der Art der Einrichtung, den Behandlungsmethoden, der Intensität der ärztlichen Tätigkeit und dem Hauptziel der Behandlung getroffen (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 14 Leitsatz und RdNr 13 ff unter Fortführung von BSGE 94, 139 = SozR 4-2500 § 112 Nr 4). Die sog "erweiterte ambulante Physiotherapie" - eine medizinische Trainingstherapie unter Kombination von Leistungen, die der "Funktionswiederherstellung oder Funktionsverbesserung nach Unfallverletzungen mit Störungen ganzer Funktionsketten oder nach Berufskrankheiten" dient und nur in speziellen Rehabilitations-Zentren mit entsprechender personeller, apparativer und räumlicher Ausstattung erbracht werden kann - wird der ambulanten Rehabilitation zugeordnet (BSGE 105, 271 = SozR 4-2500 § 40 Nr 5 Leitsatz 3 und RdNr 24 ff), weil es sich um eine nachakute, intensivierte Therapieform mit auf die Rehabilitation bezogener Zielrichtung handelt. Bei der Versorgung mit Hilfsmitteln ist insoweit insbesondere die gesetzlich unterschiedlich definierte Zweckdienlichkeit nach § 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V(= "um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern") und nach § 31 Abs 1 Nr 2 SGB IX(= "um den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern") zu berücksichtigen.

37

Danach handelt es sich bei einem Hilfsmittel, das - wie hier die Kopforthese - nicht im Rahmen einer stationären oder ambulanten Rehabilitationsmaßnahme eingesetzt wird, jedenfalls dann nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, wenn es nach der Zielrichtung seines Einsatzes primär einer (akuten) Krankenbehandlung dienen soll. Soweit der Schädelasymmetrie Krankheitswert zukommt, zielt der Einsatz einer Kopforthese hauptsächlich auf die Heilung der Krankheit (vgl § 27 Abs 1 S 1 SGB V) und nicht darauf, eine Behinderung oder deren Folgen günstig zu beeinflussen oder abzuwenden (vgl § 11 Abs 2 SGB V; § 4 Abs 1 Nr 1, § 26 SGB IX). Die Schädelasymmetrie soll nämlich mittels der Kopforthese als technisches Hilfsmittel und zwar in Form einer - wie dargestellt - eng zeitgebundenen Akutbehandlung therapiert werden; demgegenüber liegt eine Behinderung weder bereits vor noch ist mit ihrem Eintritt typischerweise unmittelbar zu rechnen.

38

d) Einem mithin grundsätzlich in Betracht kommenden Anspruch des Klägers auf Erstattung der für die Kopforthesenversorgung aufgewandten Kosten aus § 13 Abs 3a S 7 SGB V steht - anders als einem Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V - auch nicht entgegen, dass eine Sachleistung betroffen ist, die allgemein nicht zum Leistungskatalog der GKV gehört.

39

Weder der Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V noch der Erstattungsanspruch nach § 13 Abs 3a S 7 SGB V setzen voraus, dass die Leistung objektiv medizinisch notwendig und vom Leistungsumfang der GKV umfasst ist. Voraussetzung dafür ist vielmehr lediglich, dass der Versicherte subjektiv von der Erforderlichkeit der Leistung ausgehen durfte (BSG Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25). Auch insoweit folgt der 3. Senat der Auffassung des 1. Senats uneingeschränkt.

40

Obwohl die Schädelasymmetrie beim Kläger von ihrem Ausmaß her weder eine Krankheit im Rechtssinne darstellte noch eine rechtlich relevante Gefährdung seiner gesundheitlichen Entwicklung befürchten ließ, durfte der Kläger jedenfalls die beantragte Kopforthesentherapie für eine medizinisch erforderliche Leistung halten, die nicht "offensichtlich" außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Denn der behandelnde Arzt brachte spätestens mit der Verordnung der Kopforthese dem Kläger gegenüber zum Ausdruck, dass er der konkret vorliegenden körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert beimaß und dass er annahm, die Kopforthesentherapie stelle insoweit eine geeignete und erforderliche Behandlung im System der GKV dar. Der Kläger war nicht gehalten, diesen medizinischen Standpunkt des behandelnden Arztes anzuzweifeln, ihn näher zu überprüfen oder von Dritten (im Sinne der Einholung einer Zweitmeinung) bestätigen zu lassen. Hinzu kommt, dass es aus fachmedizinischer Einschätzung heraus für den Krankheitswert von Schädelasymmetrien keine klar definierten Grenz- oder wenigstens Orientierungswerte gab, dass eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung dazu fehlte und dass einige Krankenkassen die Kopforthesentherapie in Einzelfällen durchaus bewilligten.

41

e) Der Senat kann allerdings auf der Basis der Feststellungen des LSG, an die er gebunden ist (§ 163 SGG), nicht beurteilen, ob der Kläger den Ablauf der Frist abwartete, bevor er sich die Kopforthese selbst beschaffte.

42

aa) Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3a S 7 SGB V setzt nämlich auch voraus, dass die Frist, innerhalb derer die Krankenkasse über den Leistungsantrag zu entscheiden hat, abgelaufen ist, bevor sich der Leistungsberechtigte die Leistung selbst beschafft. Ein solcher Erstattungsanspruch kommt danach nur in Betracht, wenn die Leistung "nach Ablauf der Frist" beschafft wurde. Neben dem Wortlaut spricht für das Erfordernis des Fristablaufs auch die Gesetzesbegründung, nach der die Vorschrift der Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens dient (vgl Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drucks 17/10488, S 32 zu Art 2 zu Nr 1) und dass die Selbstbeschaffung (nur) für den Fall einer nicht rechtzeitigen Leistungserbringung durch die Krankenkasse vorgesehen ist (vgl Begründung, ebenda, BT-Drucks 17/10488, S 32 zu Art 2 zu Nr 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 17/10488 - Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drucks 17/11710, S 29 f zu Art 2 zu Nr 1). Denn die Krankenkasse muss wegen der mit der Selbstbeschaffung von Leistungen verbundenen Gesundheitsgefahren und wirtschaftlichen Risiken weiterhin die rein faktische Möglichkeit haben, sich mit dem Leistungsbegehren in der ihr zustehenden Zeit zu befassen, es zu prüfen und ggf Behandlungsalternativen aufzuzeigen (vgl bereits ua BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12§ 13 abs 3 sgb v>).

43

bb) Zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Kopforthese durch die Eltern des Klägers fehlen jedoch hinreichende Feststellungen des LSG.

44

Da seitens der beklagten Krankenkasse ein MDK-Gutachten erst im Widerspruchsverfahren eingeholt wurde, hatte sie gemäß § 13 Abs 3a S 1 SGB V grundsätzlich innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Diese Drei-Wochen-Frist endete nach § 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1, 2, § 188 Abs 2 BGB mit Ablauf des 21.5.2013, da der Antrag in Form des Kostenvoranschlags am 30.4.2013 bei der Beklagten eingegangen war. Bis zum Ablauf der Frist am 21.5.2013 erging indessen weder ein Bescheid der Beklagten noch eine Mitteilung an den Kläger über einen Grund für die Nichteinhaltung der Frist.

45

Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich der Kläger die Kopforthese bereits vor Ablauf des 21.5.2013 selbst beschaffte. Denn auffällig ist, dass die ersten Messungen für die Anfertigung der Kopforthese schon am 21.5.2013 erfolgten. Der Kläger selbst hat dieses Datum im Klageverfahren als Therapiebeginn bezeichnet (Schreiben an das SG vom 20.9.2013). Das Berufungsgericht hat die Feststellung, ob sich der Kläger an diesem Tag die Leistung bereits selbst beschaffte, ausdrücklich offengelassen; aus seiner Sicht war dies konsequent, da es im Rahmen eines Anspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V darauf nicht ankam. Ermittlungen hierzu müssen aber im zurückverwiesenen Verfahren nachgeholt werden.

46

Eine Leistung ist nach der Rechtsprechung des Senats selbst beschafft, wenn im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer bezogen auf die Leistung ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft zustande gekommen ist und sich der Versicherte damit einer endgültigen rechtlichen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt hat (vgl zu Hilfsmittel-Leistungen: BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 12; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 10 RdNr 20 ff). Zwar werden Verpflichtungsgeschäfte regelmäßig verbindlich abgeschlossen, bevor der Leistungserbringer mit den ersten Ausführungshandlungen beginnt; das ist aber rechtlich nicht zwingend, und die Vereinbarung eines Vorbehalts zur verpflichtenden Abnahme der Kopforthese - beispielsweise in Abhängigkeit vom Messergebnis - ist zumindest nicht ausgeschlossen. Das LSG wird deshalb zu ermitteln haben, ob die Eltern des Klägers eine verbindliche Vereinbarung mit entsprechender Zahlungsverpflichtung bezüglich der Kopforthese erst nach Ablauf des 21.5.2013 eingegangen waren. Hatten sie sich bereits am 21.5.2013 oder früher gegenüber dem Leistungserbringer verbindlich verpflichtet, die Kopforthese abzunehmen und entsprechende Zahlung zu leisten, scheidet ein Kostenerstattungsanspruch auch nach § 13 Abs 3a S 7 SGB V aus.

47

f) Sollte das LSG aufgrund der von ihm nachzuholenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass eine verbindliche Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der Kosten für die Kopforthese erst nach Ablauf des 21.5.2013 erfolgte, wäre die gesetzliche Genehmigungsfiktion für die Kopforthesentherapie nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V eingetreten.

48

Gleichwohl steht auch in diesem Fall noch nicht abschließend fest, ob der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch dann gegeben wäre. Denn es fehlen Feststellungen des LSG dazu, ob die Beklagte die in diesem Fall kraft Gesetzes fiktiv eingetretene Genehmigung möglicherweise wirksam zurückgenommen hat. Diese Feststellungen sind im Falle des Eintritts der gesetzlichen Genehmigungsfiktion ebenfalls vom LSG nachzuholen.

49

Zwar liegt in der einfachen Leistungsablehnung - wie vorliegend in dem Bescheid der Beklagten vom 28.5.2013 - weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Rücknahme der fingierten Genehmigung (allgemein ebenso 1. Senat BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 32), sodass es nicht darauf ankommt, ob sich der Kläger die Kopforthese vor oder nach dem Erlass dieses Bescheides beschaffte.

50

Allerdings neigt der erkennende 3. Senat - im Unterschied zum Urteil des 1. Senats des BSG vom 8.3.2016 (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Leitsatz 4 und RdNr 32) -zu der Auffassung, dass die durch § 13 Abs 3a S 7 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X aufgehoben werden kann, wobei deren Voraussetzungen an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen sind. Der Auffassung des 1. Senats, eine Krankenkasse könne eine fingierte Leistungsgenehmigung nur zurücknehmen, widerrufen oder aufheben, wenn die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion von Anfang an nicht vorlagen oder später entfallen sind (BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Leitsatz 4), steht das Verständnis des erkennenden Senats gegenüber, dass die allgemeinen Regelungen zur Bestandskraft von Verwaltungsakten und deren Modifikation (§§ 39 ff, 44 ff SGB X) auch auf die fingierte Genehmigung (entsprechende) Anwendung finden; denn einer (nur) fingierten Genehmigung kann keine stärkere Bestandskraft zukommen, als einer ausdrücklich mittels eines formellen Verwaltungsakts erteilten Genehmigung (für die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 44 ff SGB X insoweit auch Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, K § 13 RdNr 58l, Bearbeitungsstand November 2016; Schifferdecker in Kasseler Komm, § 13 SGB V RdNr 140 ff, Stand Einzelkommentierung Mai 2017; Padé, jurisPR-SozR Nr 23/2016 Anm 1; Rieker, NZS 2015, 294, 297; Krüger, NZS 2016, 521, 522, der - bedenkenswert - § 42a VwVfG als Generalnorm bzw lex generalis für Fiktionsregelungen ansieht und Parallelwertungen anregt; aA Hackstein, SGb 2016, 596, 597; Ulrich in Festschrift für Kohte, 2016, S 617, 622 ff). "Fingiert" wird nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V nur der Erlass der Genehmigung selbst, nicht aber deren Rechtmäßigkeit. Die Verwaltung müsste daher die Möglichkeit haben, eine der objektiven Rechtslage widersprechende, lediglich aufgrund der gesetzlichen Fiktion eingetretene Genehmigung ebenso aufzuheben, als wäre sie im Wege eines formellen begünstigenden Verwaltungsakts erlassen worden, nämlich grundsätzlich unter Abwägung mit Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes des Betroffenen entsprechend den Regelungen der §§ 44 ff SGB X. Für diese Sichtweise spricht - unbeschadet weiterer mit zu erwägender Gesichtspunkte - auch, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a S 6 SGB V gar nicht erst eintreten würde, wenn ihre Voraussetzungen von Anfang an nicht vorlagen oder später entfallen sind, dh wenn insbesondere der Fristablauf noch nicht eingetreten war.

51

Ist die - abhängig von den Feststellungen des LSG vorliegend möglicherweise eingreifende - fingierte Genehmigung auf eine Leistung gerichtet, auf die der Versicherte keinen Sachleistungsanspruch nach dem Recht der GKV hat, könnte sie daher nach dem Verständnis des Senats unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X jedenfalls zurückgenommen werden, solange der Versicherte noch keinen Gebrauch von ihr gemacht, dh solange er sich die Leistung noch nicht selbst beschafft und noch keine Kosten veranlasst hat.

52

Es erscheint dem 3. Senat indessen untunlich, dass er sich insoweit bereits im jetzigen Verfahrensstadium eine abschließende Überzeugung bildet und ein Anfrage- und Vorlageverfahren nach § 41 Abs 3 SGG einleitet; ohne entsprechende Feststellungen des LSG kann von der Entscheidungserheblichkeit der im Raum stehenden Rechtsfrage für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.

53

3. In seiner abschließenden Entscheidung muss das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens befinden.

(1) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt.

(2) Der Vorsitzende kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufgehoben und der Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Fertigarzneimitteln, die intravenös zu applizierendes Immunglobulin (IVIG) enthalten.

2

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte, 1937 geborene Kläger leidet seit 1992 unter zum Teil jährlich mehrfach rezidivierenden, seit 1998 nur noch stationär behandelten Pneumonien (insgesamt mehr als 30 Krankenhausaufenthalte). Prof. Dr. S. ( Hochschule H.) behandelt ihn seit 1998 fortlaufend - abgesehen von einer Unterbrechung von August 2009 bis Anfang März 2010 - auch in den infektfreien Intervallen ambulant mit Immunglobulinen (Octagam, Intratect, Privigen) unter der Diagnose Antikörpermangelsyndrom (Immunglobulinmangel) bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS), um die Häufigkeit und Schwere der Infekte zu reduzieren. Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) verneinte eine akut lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die Beklagte teilte Prof. Dr. S. mit, die IVIG-Behandlung dürfe nicht zu ihren Lasten fortgeführt werden (9.2.2009). Den Antrag des Klägers auf Fortführung der IVIG-Behandlung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.2.2009, Widerspruchsbescheid vom 6.8.2009). Nach Klageerhebung hat der Kläger im einstweiligen Rechtsschutz obsiegt (LSG Beschluss vom 3.3.2010 - L 4 KR 44/10 B ER) und erhält seither weiterhin die IVIG-Behandlung zu Lasten der Beklagten. Das SG hat die Klage abgewiesen: Die IVIG-Fertigarzneimittel seien für die Erkrankung des Klägers nicht zugelassen, seine Pneumonien noch mit einer Standardtherapie (Antibiotikagabe) beherrschbar (Urteil vom 23.9.2014). Das LSG hat die Beklagte verurteilt, den Kläger mit IVIG-Fertigarzneimitteln nach ärztlicher Verordnung zu versorgen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Octagam, Intratect und seit 2012 mit Privigen sowie auf zukünftige etwaige andere intravenös zu verabreichende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Immunglobulin nach § 2 Abs 1a SGB V zu. Abzustellen sei auf die schwer eingeschränkte gesundheitliche Konstitution des Klägers, nicht auf die einzelne mit Antibiotika behandelbare Pneumonie. Der Kläger leide unter einer signifikanten Erniedrigung der polyklonalen Immunglobuline (sekundärer Immunglobulinmangel), die zu einer erhöhten Infektanfälligkeit mit nicht alterstypischer Häufung von schwersten rezidivierenden Pneumonien mit Todesgefahr führe. Dafür gebe es keine Standardtherapie. Die IVIG-Behandlung bewirke beim Kläger eine Reduktion der krankenhausbedürftigen Infektionen (Urteil vom 24.1.2017).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte zuletzt noch eine Verletzung von § 2 Abs 1a SGB V. Es fehle an der notstandsähnlichen Situation einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Ferner rügt sie die Verletzung von § 136 Abs 1 Nr 6 iVm § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 103 SGG. Das LSG habe die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung überschritten und sich ihm aufdrängende Ermittlungen unterlassen. Dem Urteil fehle es an Gründen.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. September 2014 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

5

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen unter Klarstellung des Tenors,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

6

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

8

Klageziel ist ein im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage für die Vergangenheit und der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage für die Zukunft zulässig geltend gemachter Anspruch des Klägers auf Versorgung mit ärztlich verordneten IVIG-Fertigarzneimitteln (dazu 1.). Ob dem Kläger ein solcher Anspruch zusteht, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Es beruht auf der Verletzung materiellen Rechts. Im Ergebnis kommt nur ein Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V in Betracht. Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Anspruch auf IVIG-Therapie nach allgemeinen Grundsätzen der Krankenbehandlung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), nach Off-Label-Use-Grundsätzen und wegen Seltenheit verneint, ohne Anlass zu Ausführungen zu anderen Rechtsgrundlagen zu haben (dazu 2.). Der erkennende Senat kann aber auf der Grundlage der LSG-Feststellungen nicht entscheiden, ob ein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts, vom Gesetzgeber positiviert in § 2 Abs 1a SGB V(in Kraft seit 1.1.2012; Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983), besteht (dazu 3.). Das angefochtene Urteil kann sich in einem solchen Fall nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen. Das LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben (dazu 4.).

9

1. Die erhobene Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist für den Zeitraum vom 24.9.2014 bis zum 24.1.2017 die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Kläger begehrt die Feststellung erst ab diesem Zeitpunkt, da die Beklagte eine Rückforderung der zuvor dem Kläger vorläufig erbrachten IVIG-Therapie ausgeschlossen hat. Ziel ist, den Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der aufgrund einstweiliger Anordnung nur vorläufig erbrachten Sachleistungen feststellen zu lassen. Bei einem Unterliegen im Hauptsacheverfahren kommt eine Erstattung der erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50 Abs 2 iVm § 50 Abs 1 S 2 SGB X und/oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO in Betracht. Hieran ändert die im einstweiligen Rechtsschutz ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten nichts, IVIG als Sachleistung zu erbringen (LSG Beschluss vom 3.3.2010). Die Maßnahme ist für die Vergangenheit korrigierbar. Dies ergibt sich schon aus § 50 Abs 1 S 2 SGB X, der bei Sachleistungen, die nicht herausgegeben werden können, eine Erstattung in Geld vorsieht(vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 8 mwN, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen). Der LSG-Beschluss weist ausdrücklich auf eine mögliche Rückforderung der der Beklagen entstehenden Kosten hin. Dies begründet auch das Feststellungsinteresse des Klägers. Für die Zukunft (ab 25.1.2017) ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) richtige Klageart, da die IVIG-Behandlung des Klägers noch andauert.

10

2. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung ärztlich verordneter IVIG-Fertigarzneimittel weder nach allgemeinen Grundsätzen der Krankenbehandlung (dazu a) noch nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu b) oder des Seltenheitsfalls (dazu c). Andere Rechtsgrundlagen als § 2 Abs 1a SGB V kommen nicht in Betracht(dazu d).

11

a) Der Kläger kann von der Beklagten die Behandlung seines sekundären Immunglobulinmangels, assoziiert mit MGUS und rezidivierenden Pneumonien, mit einem IVIG-Fertigarzneimittel als Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V) mangels indikationsbezogener Zulassung nicht beanspruchen. Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV grds nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche(§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz)arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 - Ilomedin; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 - Avastin; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 11, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect). Die begehrten IVIG-Fertigarzneimittel sind zulassungspflichtig. Sie haben weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Arzneimittelzulassung für eine Therapie des sekundären Immunglobulinmangels als solchen noch unter Berücksichtigung von MGUS und rezidivierenden Pneumonien. Das steht nach den unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG fest (§ 163 SGG).

12

b) Der Kläger kann eine Versorgung mit IVIG-Fertigarzneimittel auch im Rahmen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) und im Falle von klinischen Studien regelt(dazu aa), noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rspr beanspruchen (dazu bb).

13

aa) Der GBA hat eine IVIG-Therapie zur Behandlung des sekundären Immunglobulinmangels mit MGUS und rezidivierenden Pneumonien nicht empfohlen. Nach § 92 Abs 1 S 1, S 2 Nr 6 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Gemäß § 91 Abs 6 SGB V sind die Beschlüsse des GBA mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 136d SGB V(vor dem 1.1.2016: § 137b SGB V) für die Träger iS des § 91 Abs 1 S 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Gestützt auf § 35c Abs 1 SGB V enthalten Abschnitt K und Anlage VI der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung(Arzneimittel-Richtlinie vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz 2009, Nr 49a , zuletzt geändert am 21.12.2017, BAnz AT 06.02.2018 B2, mWv 7.2.2018) Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" und führen Wirkstoffe als verordnungsfähig (Anlage VI Teil A) bzw als nicht verordnungsfähig (Anlage VI Teil B) auf. Die AM-RL sieht bislang in Anlage VI Teil A eine IVIG-Therapie nur bei den Diagnosen Polymyositis, Dermatomyositis und Myasthenia gravis vor. Auf die Frage einer verzögerten Bearbeitung kommt es insoweit nicht an (vgl § 35c Abs 1 SGB V gegenüber § 135 Abs 1 S 4 SGB V). Eine Verzögerung in der Bearbeitung könnte nur zur Anwendung der allgemeinen Regeln des Off-Label-Use führen (vgl dazu unten, bb), nicht aber zu einer Zulassungsfiktion (vgl BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 13, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 14 - BTX/A; vgl ähnlich bereits BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 44).

14

Auch die Voraussetzungen des § 35c Abs 2 SGB V sind nicht erfüllt. Danach haben Versicherte außerhalb des Anwendungsbereichs des Abs 1 unter weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien. Der Kläger beansprucht die Versorgung indes nicht im Rahmen einer klinischen Studie.

15

bb) Die Voraussetzungen der allgemeinen, vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV sind ebenfalls nicht erfüllt. Sie bleiben unberührt, wenn - wie hier - ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist (zutreffend Anmerkung zu Abschnitt K AM-RL). Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - neuropsychologische Therapie).

16

An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein (allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin) und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein (vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN - BTX/A). Solche Erkenntnisse mit Relevanz für die Erkrankung des Klägers bestehen nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bislang nicht.

17

c) Auch ein Seltenheitsfall besteht nicht. Hierzu darf das festgestellte Krankheitsbild (Immunglobulinmangel, assoziiert mit MGUS und rezidivierenden Pneumonien) aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (vgl auch BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14 - Leucinose; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann(vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Das festgestellte Krankheitsbild des Klägers ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG systematisch erforschbar, was auch geschieht.

18

d) Zu Recht ist das LSG nicht darauf eingegangen, ob der Kläger die IVIG-Therapie als neue Behandlungsmethode oder wegen Behandlung durch Ärzte einer Hochschulambulanz beanspruchen kann. Die Zulässigkeit einer Behandlungsmethode nach dem SGB V kann keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel begründen, sondern nur zusätzliche Hürden für ihren Einsatz beseitigen (vgl dazu ausführlich BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 23 f, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect). Sie überspielt nicht die besonderen Voraussetzungen für den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Die Behandlung durch Ärzte der Hochschulambulanz erweitert nicht den Anspruch Versicherter auf vertragsärztliche Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der GKV (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A; vgl dazu und zur - hier vom LSG nicht festgestellten - teilstationären Behandlung ausführlich BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 25 ff mwN, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect; nichts geändert hieran hat das Inkrafttreten des § 117 Abs 4 SGB V mWv 11.4.2017 aufgrund Art 1 Nr 6a, Art 3 Abs 1 Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vom 4.4.2017, BGBl I 778).

19

3. Der erkennende Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit IVIG-Fertigarzneimitteln seit 24.9.2014 aus § 2 Abs 1a SGB V erfüllt sind(dazu a). Es fehlen hinreichende Feststellungen dazu, dass der Kläger an einer lebensbedrohlichen Krankheit im Rechtssinne leidet (dazu b), dass keine dem allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht und dass weitere Voraussetzungen erfüllt sind (dazu c).

20

a) Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 geben die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Gemäß der Rspr des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 6.12.2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Dies würde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (vgl BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Der Gesetzgeber hat demgegenüber im Anschluss an die Rspr des erkennenden Senats (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31 - Kuba-Therapie) die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl § 2 Abs 1a SGB V; dazu Begründung des GKV-VStG-Entwurfs, BT-Drucks 17/6906 S 53). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 S 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

21

Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Es genügt hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 34 - neuropsychologische Therapie; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 29 - SAA). Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der GKV regulär umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 26). Die notstandsähnliche Situation muss sich nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgefährlichen Verlaufs genügt hierfür nicht. So reicht es zB nicht aus, dass allgemein Pneumonien unter den Infektionskrankheiten in den industrialisierten Ländern die häufigste Todesursache darstellen (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl 2014, Stichwort Pneumonie). Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20 - Mnesis; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris RdNr 23 = USK 2007-25 - Polyglobin; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 34 - Venimmun; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R - Juris RdNr 32 = USK 2008-73; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 29 - SAA; BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 59 - Iscador). Diese Rspr mit seinen Formulierungen hat das BVerfG aufgegriffen und am Maßstab des Verfassungsrechts nicht in Zweifel gezogen (BVerfG Beschluss vom 26.3.2014 - 1 BvR 2415/13 - Juris = NJW 2014, 2176, RdNr 14; BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096, RdNr 25 = NZS 2017, 582, RdNr 25; BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 17, dort nur referierend). Danach muss es sich um eine durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage handeln (BVerfG BVerfGK 14, 46, 48 = SozR 4-2500 § 31 Nr 17 RdNr 10, Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde, nachgehend zu BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris = USK 2007-25 - Polyglobin; BVerfG Beschluss vom 26.3.2014 - 1 BvR 2415/13 - Juris = NJW 2014, 2176, RdNr 14; BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18; BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 22). Erforderlich ist die Gefahr, dass die betroffene Krankheit in überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben beenden kann, sodass die Versicherten nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (vgl BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 25).

22

Für die Anwendung von § 2 Abs 1a SGB V auf Sachverhalte ab 1.1.2012 gilt insoweit nichts anderes. § 2 Abs 1a SGB V enthält nach der Begründung des GKV-VStG-Entwurfs eine Klarstellung zum Geltungsumfang des sog Nikolaus-Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) für das Leistungsrecht der GKV (BT-Drucks 17/6906 S 52; vgl auch BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 59 - Iscador).

23

Das BSG hat dementsprechend das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig hiermit vergleichbaren Erkrankung ua verneint bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 - Interstitielle Brachytherapie), bei einem in schwerwiegender Form bestehenden Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen sowie Suizidandrohung (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 11, 18 - Cabaseril), bei Friedreich'scher Ataxie - Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels, allgemeiner Leistungsminderung und langfristig eingeschränkter Lebenserwartung (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 17 ff - Mnesis) und bei Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden, die medikamentös mit Hilfe eines stets mitgeführten Notfallsets zu beherrschen waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 28, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen, RdNr 21; zustimmend BVerfG Beschluss vom 11.4. 2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582). Dagegen hat es bei einem zunächst operativ und dann chemotherapeutisch behandelten Dickdarm-Karzinom, das sich bereits mindestens im Stadium III befand, das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht (BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 30 - Tomudex; zu unabdingbaren Tatsachenfeststellungen für die Beurteilung von Art und Schwere einer Krebserkrankung vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 29 - LITT; s ferner BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, dort zur pulmonalen Hypertonie Stadium NYHA IV, vom LSG nach § 163 SGG bindend bejaht; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 29, Zurückverweisung an das LSG zur weiteren Aufklärung im Falle der schweren aplastischen Anämie).

24

b) Für den Kläger kommt nur ein Anspruch wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung in Betracht. Weder ergeben sich nach den Feststellungen des LSG noch aus den Akten Hinweise auf eine regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit oder eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung iS eines nicht kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl Begründung des GKV-VStG-Entwurfs, BT-Drucks 17/6906 S 53). Der erkennende Senat kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, dass der Kläger tatsächlich an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Rechtssinne leidet. Denn die getroffenen Feststellungen sind unklar und widersprüchlich. Das Revisionsgericht ist in einem solchen Fall auch ohne Rüge eines Beteiligten an die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gebunden (vgl § 163 SGG; BSG SozR 4-2500 § 192 Nr 4 RdNr 16). Es muss dementsprechend eine Sache, die sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, in die Tatsacheninstanz zurückverweisen (vgl Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand August 2017, § 163 Anm 4a mwN).

25

Das LSG hat den oben aufgezeigten, vom erkennenden Senat in stRspr angewandten Maßstab für die Lebensbedrohlichkeit einer Erkrankung iS der grundrechtorientierten Auslegung und des § 2 Abs 1a SGB V ausdrücklich zitiert, aber hierzu widersprüchliche, unklare Feststellungen getroffen. Es hat ausgeführt, es stelle nicht allein auf die einzelnen, unzweifelhaft noch mit Antibiotika zu behandelnden Infektionen ab, sondern "auf die aus der Grunderkrankung resultierende Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems mit der daraus resultierenden Gefahr" des Exitus "(etwa nach Sepsis)". Diese beinhalte - auch noch unter Gabe des Immunglobulins - in Zusammenschau mit der Summe der bislang schon seit Erstdiagnose der Erkrankung im Jahr 1996 durchgemachten Infektionen die "eigentliche lebensbedrohliche Gefährdung des Klägers, bei der definitiv nicht absehbar ist, ob sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen" werde. Das "Risiko mit etwaiger Todesfolge eines dauerhaften Entzugs des Immunglobulins und der Umstellung auf eine ausschließliche Antibiotikatherapie" sei "nicht abschätzbar". Diese Feststellungen genügen nicht für die Annahme, dass dem Kläger nach den konkreten Umständen des Falles bereits droht, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf ohne IVIG-Therapie innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird.

26

Entgegen der Auffassung des LSG ist es hierbei ohne Belang, dass die Beklagte von 1998 bis 2008 die begehrte Therapie gewährt hat. Rechtlich begründet eine ggf rechtswidrige Leistung keinen Vertrauensschutz auf deren Fortsetzung. Eine Gewöhnung im Sinne einer medizinisch begründeten Abhängigkeit hat das LSG ebenfalls nicht festgestellt.

27

Soweit das LSG dem Sachverständigen Prof. Dr. G. darin gefolgt ist, dass die Erkrankung lebensbedrohlich sei, wirft dies Zweifel an der Reichweite dieser Feststellung des LSG auf. Sie steht nicht in Einklang mit den zitierten vorangegangenen Feststellungen zum rechtsbedeutsamen Maßstab der Lebensbedrohlichkeit. Zudem hat der Sachverständige seine Auffassung allein damit begründet, dass "jede Lungenentzündung zum Tode führen kann" (Gutachten vom 19.11.2013). Vergleichbares gilt, soweit sich das LSG für seine Auffassung auch auf die Aussagen des den Kläger behandelnden Arztes Prof. Dr. S. gestützt hat. Allein der Umstand, dass dieser den Zustand des Klägers als lebensbedrohlich und "extrem" beschreibt, genügt nicht, ohne dass diese Bewertung durch nachvollziehbare, - vom LSG hier nicht festgestellte - medizinische Befunde untermauert ist. Soweit das LSG Ausführungen von Prof. Dr. S. referiert, dass sich im Zusammenhang mit den Pneumonien auch immer wieder Septitiden entwickelt hätten, macht das LSG nicht deutlich, dass es diese als festgestellt ansieht, und erst recht nicht, von welchem Begriff oder Schweregrad der Sepsis es im Anschluss an Prof. Dr. S. aufgrund welcher Befunde dabei ausgeht (ältere Klassifizierungen: Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom , Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock; zur darauf aufbauenden DRG-Kodierung vgl Hanser in Zaiß, DRG: Verschlüsseln leicht gemacht, 14. Aufl 2016, S 101 ff; neuere Klassifizierungen: Sepsis-related organ failure assessment score , insbesondere für Intensivstationen, und quickSOFA außerhalb von Intensivstationen). Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als sich in den dem LSG vorliegenden Arztbriefen und sonstigen Befundbeschreibungen schon keine Sepsis-Diagnose und erst recht keine Beschreibung ihres Schweregrades findet.

28

Der erkennende Senat ist revisionsrechtlich nicht gehalten, die sich widersprechenden Feststellungen des LSG durch eine eigene Beweiswürdigung zu ersetzen. Ausgehend von dem oben dargelegten rechtlich gebotenen Maßstab drängen sich zudem weitere Ermittlungen auf. So hat das LSG genaue Feststellungen weder zu konkreten Umständen getroffen, die Aufschluss über die konkrete Lebensbedrohlichkeit früherer stationär behandelter Pneumonien geben, noch etwa zu konkreten Umständen, die Aussagen zum Ausmaß der Überlebenswahrscheinlichkeit des Klägers bezogen auf die Grunderkrankung mit und ohne IVIG-Behandlung erlauben. Hierzu liegt nahe, die vollständigen Behandlungsunterlagen über den Kläger zumindest der letzten 15 Jahre beizuziehen und auf dieser Grundlage ergänzend Beweis durch Sachverständige zu erheben.

29

c) Es fehlen auch Feststellungen des LSG dazu, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung - wie die verabreichte prophylaktische Antibiotikatherapie - nicht als Standardtherapie zur Verfügung steht. Zudem fehlt es an ausdrücklichen Feststellungen dazu, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegt. Auch fehlen Feststellungen dazu, dass die - in erster Linie fachärztliche - Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert wird und worden ist (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 23 ff - Tomudex).

30

4. Das LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben.

31

5. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für so genannte neue Behandlungsmethoden.

I.

2

1. Die 1972 geborene, in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Beschwerdeführerin leidet an Diabetes mellitus Typ I mit starken Stoffwechselschwankungen und einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung. Zur Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation nahm sie in der Vergangenheit bereits an Hypoglykämiewahrnehmungsschulungen teil und führte häufige Blutzuckermessungen durch. Ferner nahm sie Anfang 2012 an einer vierwöchigen Studie teil, bei welcher die Insulinpumpe der Marke A… mit integrierter kontinuierlicher Glukosemessung getestet wurde. Diese Insulinpumpe verfügt über eine zusätzliche Funktion zur Anzeige der Glukosewerte und ihrer Entwicklung. Um diese Funktion nutzen zu können, bedarf es eines Sensors sowie eines Transmitters der Firma D… . Beim Sensor handelt es sich um ein auszuwechselndes Element für den Einmalgebrauch, das in die Bauchdecke eingeführt wird und dort bis zu sieben Tage zur kontinuierlichen Überwachung der Blutzuckerwerte verbleibt, während der Transmitter wiederverwendbar ist.

3

Im Mai 2012 beantragte der die Beschwerdeführerin behandelnde Diabetologe bei der Krankenkasse die Kostenübernahme für die neben der Insulinpumpe erforderlichen Sensoren und für einen Transmitter. In seinem Kostenübernahmeantrag gab er an, unter der kontinuierlichen Glukosemessung würden nicht nur die Glukosewerte durchgehend überwacht und angezeigt, sondern darüber hinaus stünden sie auch zum Download und somit zur Analyse der Therapieeinstellung und -führung zur Verfügung. Ziel der Messung sei neben einer besseren Prognose über die Entwicklung des Blutzuckerspiegels eine effizientere Arzneimittelversorgung sowie die Vermeidung von Krankenhausbehandlungen und Arbeitsunfähigkeit durch Entgleisungen des Stoffwechsels. Er erwarte, durch die kontinuierliche Glukosemessung die genauen Ursachen unter anderem von Hypoglykämien und Hyperglykämien aufzudecken, um daraufhin die Therapie gegebenenfalls anzupassen.

4

Die Krankenkasse lehnte die beantragte Kostenübernahme nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung mit der Begründung ab, der Gemeinsame Bundesausschuss habe die beantragte Diagnostikmethode nicht als vertragsärztliche Leistung anerkannt.

5

2. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Sozialgerichten ist die Beschwerdeführerin mit ihrem Antrag, ihre Krankenkasse vorläufig zu verpflichten, sie mit einem Transmitter nebst Sensoren für das kontinuierliche Glukosemesssystem der Firma D… zu versorgen, erfolglos geblieben.

6

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 2 sowie von Art. 19 Abs. 4 GG.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

8

1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht den in § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG enthaltenen Mindestanforderungen an eine schlüssige und substantiierte Begründung genügt (vgl. zum Maßstab BVerfGE 99, 84 <87> m.w.N.).

9

2. Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

10

a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist hinreichend geklärt, welche Folgen sich gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip aus dem in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Versicherungszwang ergeben, wenn es um die Versorgung mit einer neuen Behandlungsmethode im Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Krankheit geht und für die Behandlung dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, schulmedizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht (vgl. BVerfGE 115, 25 <49>). Der Gesetzgeber hat die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 in § 2 Abs. 1a SGB V einfachgesetzlich niedergelegt. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem schulmedizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

11

b) Geklärt ist darüber hinaus, dass Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung im Einzelfall auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sind. Zwar folgt aus diesen Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen. Die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich jedoch an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Insofern können diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Dies gilt insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. Denn das Leben stellt einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar. Behördliche und gerichtliche Verfahren müssen dieser Bedeutung und der im Grundrecht auf Leben enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht werden und sie bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts berücksichtigen (vgl. BVerfGE 115, 25 <44 f.> m.w.N.).

12

c) Die Ablehnung der begehrten Versorgung mit einem Transmitter nebst Sensoren für ein kontinuierliches Glukosemesssystem verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

13

Die Annahme des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts in den angegriffenen Entscheidungen, es handele sich bei der Erkrankung der Beschwerdeführerin an Diabetes mellitus auch unter Berücksichtigung der wiederholt auftretenden Hypoglykämien nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung und sei einer solchen auch wertungsmäßig nicht gleichzustellen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

14

Der Gesetzgeber hat zur Begründung der in Reaktion auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) eingeführten Regelung des § 2 Abs. 1a SGB V angegeben, es werde sowohl für die lebensbedrohliche als auch für die regelmäßig tödliche Erkrankung eine notstandsähnliche Situation gefordert, die nur dann vorliege, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls drohe, dass sich der tödliche Krankheitsverlauf beziehungsweise der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen werde (vgl. BTDrucks 17/6906, S. 53). Diese Begründung liegt auf der Linie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welches die Auffassung vertreten hat, eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen sei nur dann gerechtfertigt, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch sei; dies bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde (vgl. etwa BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr. 8; Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 16). Auch das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, dass Anknüpfungspunkt im Rahmen der Prüfung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage ist (vgl. BVerfGK 14, 46 <48>). Soweit die Fachgerichte vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass bei der Beschwerdeführerin eine in diesem Sinne lebensbedrohliche Erkrankung nicht vorliege, begegnet dies keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

15

Der Einwand der Beschwerdeführerin, es sei nicht mit ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit vereinbar, wenn gefordert werde, dass sie einen lebensbedrohlichen Zustand in naher Zukunft abzuwarten habe, zumal das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 - ausgeführt habe, dass es genüge, wenn sich die Gefahr erst in einigen Jahren realisiere, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn diese Entscheidung nimmt ausdrücklich Bezug auf den Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25), dem ein Sachverhalt zugrunde lag, in welchem der Beschwerdeführer an einer Erkrankung litt (Duchenne'schen Muskeldystrophie), die als solche regelmäßig tödlich ist, weil sie generell mit einer erheblich verkürzten Lebenserwartung einhergeht.

16

3.Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einereinstweiligen Anordnunggegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

17

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

A.

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versorgung der Beschwerdeführerin mit einem Medizinprodukt auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die beantragte Versorgung war mit der Begründung abgelehnt worden, das Medizinprodukt sei nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss in die Liste der verordnungsfähigen Medizinprodukte aufgenommen worden, und es gebe keinen Anspruch darauf, dass die Kosten der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung nach den Grundsätzen des Beschlusses des Ersten Senats vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) übernommen würden.

II.

2

1. Die Beschwerdeführerin leidet an einer chronischen Erkrankung der Harnblasenwand. Die Krankheit hat eine erhebliche Verringerung der Blasenkapazität sowie Entleerungsstörungen mit ausgeprägten Schmerzen und imperativem Harndrang zur Folge. Bei chronischem Verlauf kann eine Schrumpfblase entstehen, die bei unglücklicher Entwicklung der Krankheit eventuell operativ entfernt werden muss. Die Beschwerdeführerin beantragte bei ihrer Krankenkasse die Versorgung mit einem Medizinprodukt zur Therapie dieser Krankheit. Sämtliche Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Versorgung blieben ohne Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der Revision durch das Bundessozialgericht und mittelbar gegen § 31 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB V.

3

2. Die Verfassungsbeschwerde stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumente:

4

a) Zum einen beansprucht die Beschwerdeführerin nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) eine Versorgung mit dem Medizinprodukt unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. In dieser Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Versorgung anerkannt, wenn ein Versicherter an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht existieren, und wenn die gewünschte Behandlung eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (vgl. BVerfGE 115, 25 <49>). Die Beschwerdeführerin trägt vor, sie erfülle alle Voraussetzungen dieses Anspruchs; die Krankheit sei lebensbedrohlich, weil sie nach bisherigen Erfahrungen auch Anlass für einen Suizid sein könne.

5

Zumindest müsse der Anspruch in Fortführung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 auch in Fällen schwerwiegender Erkrankungen eröffnet sein, die zum Verlust eines Körperorgans führen und die sozialen Kontakte der Erkrankten erheblich beeinträchtigen könnten. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 formuliere, dass der Anspruch "insbesondere" in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung bestehe (vgl. BVerfGE 115, 25 <45>); dass das Tatbestandsmerkmal nur als Beispiel aufgeführt werde, belege, dass es Krankheiten gleichen Gewichts gebe, die ebenfalls zu einem solchen Anspruch führen könnten.

6

b) Zum anderen rügt die Beschwerdeführerin, der nach § 91 SGB V tätige Gemeinsame Bundesausschuss verweigere die Aufnahme des von ihr gewünschten Medizinprodukts in seine Arzneimittel-Richtlinie, ohne dafür hinreichend demokratisch legitimiert zu sein. Diese Weigerung wirke ihr gegenüber rechtlich wie eine Ablehnung, denn nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V sei die Aufnahme des Medizinprodukts in eine Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V Voraussetzung einer Versorgung.

7

Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses erfassten alle an der Krankenversorgung Beteiligten ohne eine hinreichende Steuerung durch parlamentarisches Gesetz oder durch Weisung und Aufsicht der Gesundheitsbehörden. Die Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses seien völlig weisungsunabhängig. Zehn Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses würden von den Leistungserbringern und -finanzierern der gesetzlichen Krankenversicherung bestellt, die drei unparteiischen Mitglieder im Einvernehmen dieser beiden Gruppen ernannt. Die vom Demokratieprinzip erforderte personelle Legitimationskette vom Volk über das Parlament zum Gemeinsamen Bundesausschuss fehle gänzlich.

B.

8

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie zeigt nicht entsprechend den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG substantiiert und schlüssig die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin auf. Teilweise genügt sie auch nicht den Anforderungen an die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

I.

9

1. a) Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe dargelegt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt werden (vgl. BVerfGE 99, 84 <87> m.w.N.).

10

b) Der aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleitete Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde fordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 68, 384 <388 f.>). Dem Bundesverfassungsgericht soll vor seiner Entscheidung unter anderem ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung der Gerichte, insbesondere der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden (vgl. BVerfGE 72, 39 <43>). Deswegen ist dem Subsidiaritätsgrundsatz auch nicht genügt, wenn im Instanzenzug ein Mangel nicht nachgeprüft werden konnte, weil er nicht oder nicht in ordnungsgemäßer Form gerügt worden war (vgl. BVerfGE 16, 124 <127>; 54, 53 <65>; 74, 102 <114>). Zwar resultiert daraus keine allgemeine Pflicht, verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken schon in das fachgerichtliche Verfahren einzuführen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff.>). Dies lässt aber die Obliegenheit der Parteien unberührt, die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen bereits im Ausgangsverfahren vollständig vorzutragen; ein grundsätzlich neuer Tatsachenvortrag ist im Verfahren der Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>). Hat der Beschwerdeführer die Tatsachen dort nicht vollständig vorgebracht, hat er nicht alles ihm Zumutbare getan, um eine fachgerichtliche Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen.

11

2. An diesen Substantiierungsanforderungen und am Grundsatz der Subsidiarität scheitert die Verfassungsbeschwerde mit ihren Angriffen gegen das Urteil des Bundessozialgerichts und mittelbar gegen § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V.

12

a) Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 geben die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung insbesondere in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht. Dann könnten diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten (vgl. BVerfGE 115, 25 <45 und 49>).

13

b) Nach ihren eigenen Darlegungen ist die Beschwerdeführerin von keiner lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung betroffen. Sie leidet zwar zweifellos an einer schwerwiegenden Erkrankung mit gewichtigen Folgen; diese begründet aber keine zeitlich naheliegende Todesgefahr. Ihr Hinweis auf statistisch erfasste Suizide bei einer Erkrankung dieser Art kann in seiner Allgemeinheit das individuelle Vorliegen dieses Anspruchsmerkmals nicht begründen.

14

c) Auch sind die medizinischen Angaben der Beschwerdeführerin unzureichend, um im Hinblick auf das von ihr begehrte Medizinprodukt eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf prüfen zu können. Zwar gibt die Verfassungsbeschwerde die Indizien für einen individuellen Wirkungszusammenhang aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (vgl. BVerfGE 115, 25 <50>) abstrakt wieder, konkretisiert sie aber nicht für den Einzelfall. Die Beschwerdeführerin hat weder vergleichende Angaben zu ihrem und dem Gesundheitszustand anderer behandelter Versicherter gemacht noch eine fachliche Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte zu der beabsichtigten Therapie vorgelegt. Warum beides im Hinblick auf ihre nicht näher dargelegte finanzielle Situation von vornherein unzumutbar sein sollte, erschließt sich nicht. Zudem fehlt es an wesentlichen Informationen zu medizinischen Erkenntnissen über die Wirksamkeit des von ihr begehrten Medizinprodukts. Dessen positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ist zunächst lediglich behauptet und mit pauschalen Verweisen auf Anwendungsuntersuchungen begründet worden. Erst nach Ablauf der maßgeblichen Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für die Begründung der Verfassungsbeschwerde hat die Beschwerde detaillierter vorgetragen, aber auch dann nur vorgebracht, dass ihrer Ansicht nach eine in das Verfahren neu eingebrachte Studie trotz deren höherer Evidenzstufe nicht geeignet sei, einen Wirksamkeitsnachweis auszuschließen.

15

d) Dem Vortrag der Beschwerdeführerin lässt sich auch nicht entnehmen, dass sie im Verfahren vor den Sozialgerichten ausreichende Darlegungen für einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf das begehrte Medizinprodukt nach den Maßstäben des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 vorgebracht und so dem Grundsatz der Subsidiarität genügt hätte.

16

3. Die Beschwerdeführerin trägt vor, es sei verfassungsrechtlich geboten, den grundgesetzlichen Leistungsanspruch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 auf schwerwiegende Krankheiten zu erweitern, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen vergleichbar sind. Sie verweist dazu auf die Formulierung im genannten Beschluss, der Anspruch entstehe "insbesondere" in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (vgl. BVerfGE 115, 25 <45>). Er müsse also auch für andere Krankheiten gleichen Gewichts gelten.

17

a) Eine solche Erweiterung ist fachgerichtlich schon anerkannt und mittlerweile auch gesetzlich normiert worden. Schon das Bundessozialgericht hat den verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungsfälle in notstandsähnlichen Situationen erweitert (vgl. BSGE 96, 153 <160 f. Rn. 31-32>; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R -, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 Rn. 16 ff.). Dies sei bei einem drohenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gegeben. Der Verlust müsse jedoch in absehbarer Zeit, das heißt in einem kürzeren, überschaubaren Zeitraum, mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. BSGE 100, 103 <112 Rn. 32>). Der Gesetzgeber ist dem gefolgt und hat mit Wirkung zum 1. Januar 2012 in § 2 Abs. 1a SGB V einen Anspruch bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung gegeben. Es blieb dem Gesetzgeber zwar unbenommen, die vom Bundessozialgericht vorgenommene Anspruchserweiterung in § 2 Abs. 1a SGB V nachzuzeichnen. Diese Änderung des einfachen Gesetzesrechts vermag jedoch den hier im Verfahren der Verfassungsbeschwerde allein maßgeblichen verfassungsunmittelbaren Anspruch für sich genommen nicht zu erweitern. Im Übrigen ist die einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage erst im Jahr 2012 geschaffen worden, erfasst also zeitlich das vorliegende fachgerichtliche Verfahren nicht.

18

b) Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt mit krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüchen in Fällen schwerwiegender Erkrankungen befasst, aber in keinem Fall festgestellt, dass es verfassungsrechtlich geboten sei, die Grundsätze des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Es würde auch dem Ausnahmecharakter eines aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten Leistungsanspruchs nicht gerecht, in großzügiger Auslegung der Verfassung einen solchen zu erweitern und so die sozialstaatliche Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers außer Acht zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb festgestellt, dass die notwendige Gefährdungslage erst in einer notstandsähnlichen Situation vorliege, in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Anknüpfungspunkt eines derartigen Anspruchs ist deswegen unverändert "das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage" (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2014 - 1 BvR 2415/13 -, juris, Rn. 14). Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch ist so auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt. Entscheidend ist es, dass eine Krankheit lebensbedrohlich ist, das heißt in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen. Dies bedeutet nicht, dass in anderen Krankheitsfällen Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung keinen grundrechtlichen Schutz genießen; insoweit kommt nach den Maßstäben des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 jedoch kein verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch auf Versorgung in Betracht.

19

4. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels hinreichender Substantiierung auch insoweit unzulässig, als die Beschwerdeführerin eine fehlende demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses bei der Ausgestaltung der Leistungsansprüche der Versicherten geltend macht.

20

a) Die Schutzwirkungen des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gehen über den im Beschluss vom 6. Dezember 2005 anerkannten, besonderen Extremfall der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Krankheit hinaus und vermitteln einen weitergehenden subjektivrechtlichen Grundrechtsschutz. Die Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich an der grundrechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen (vgl. BVerfGE 115, 25 <44 f.> m.w.N.). Zugleich schützt das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip in einem auf Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht beruhenden Versicherungssystem, bei dem der Einzelne typischerweise keinen unmittelbaren Einfluss auf die Höhe seines Beitrags und auf Art und Ausmaß der aus seinem Versicherungsverhältnis geschuldeten Leistung hat, den beitragspflichtigen Versicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Zwar ergibt sich daraus grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen zur Krankenbehandlung. Gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen sind aber daraufhin zu prüfen, ob sie im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind (vgl. BVerfGE 115, 25 <43>). Den Versicherten steht insoweit ein Anspruch auf eine verfassungsmäßige Ausgestaltung und auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu (vgl. BVerfGE 115, 25 <45>). Gesetzlicher Ausgestaltung bedürfen insbesondere auch die grundsätzlich zulässigen (vgl. BVerfGE 115, 25 <45>) Verfahren zur Bewertung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens sowie der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Würde eine zur Behandlung einer Krankheit benötigte Leistung in einem Entscheidungsprozess verweigert, der verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt, wären Versicherte in ihren Grundrechten verletzt. Auf einen derartigen Anspruch auf Gewährleistung verfassungsmäßiger Ausgestaltung des Verfahrens der Leistungsgewährung könnte sich ein Beschwerdeführer prozessrechtlich nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG jedoch nur dann berufen, wenn er darlegte, die begehrte Behandlungsmethode biete eine zumindest auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

21

Hieran fehlt es jedoch vorliegend. Die Beschwerdeführerin hat - wie bereits festgestellt - im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nicht innerhalb der Begründungsfrist substantiiert dazu vorgetragen, dass die von ihr begehrte Behandlungsmethode eine derartige Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung verspricht.

22

b) Zudem bedürfte eine Verfassungsbeschwerde, die im Ergebnis auf Aufnahme eines Medizinprodukts in eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zielt und das dem zugrunde liegende Verfahren aufgreift, einer Befassung mit der konkreten Befugnisnorm, auf der die streitige Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses fußt. Vorliegend fehlt jedoch die Darlegung, aus welchen Gründen gerade § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V, der es dem Gemeinsamen Bundesausschuss gestattet, ausnahmsweise Medizinprodukte in die Reihe der verordnungsfähigen Versorgung aufzunehmen, mit verfassungsrechtlichen Vorgaben, etwa zur demokratischen Legitimation (vgl. BVerfGE 115, 25 <47>), unvereinbar sein könnte. Mit dem Vorbringen - durchaus gewichtiger - genereller und allgemeiner Zweifel an der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses als Institution kann das nicht gelingen. Vielmehr bedarf es konkreter Ausführungen nicht nur zum Einzelfall, sondern auch zur Ausgestaltung der in Rede stehenden Befugnis, zum Gehalt der Richtlinie und zur Reichweite der Regelung auf an ihrer Entstehung Beteiligte oder auch unbeteiligte Dritte. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für eine Richtlinie hinreichende Legitimation besitzt, wenn sie zum Beispiel nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität trifft, während sie für eine andere seiner Normen fehlen kann, wenn sie zum Beispiel mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, inwieweit der Ausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet ist.

23

Dem wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Auf die allein in Frage stehende Befugnisnorm des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V und auf die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses gerade für die darauf gründende Richtliniensetzung geht sie gar nicht ein, sondern begnügt sich mit der Wiedergabe allgemeiner Zweifel an der generellen Legitimation dieser Institution. Auch wäre es erforderlich gewesen, auf die tatsächliche Bedeutung der dem Ausschuss gerade für die Medizinprodukteversorgung übertragenen Befugnisse näher einzugehen und den Gehalt der gesetzlichen Vorgaben und deren Auslegung in der Praxis in Abgrenzung etwa zu denen der Arzneimittelversorgung zu würdigen, um so dem Bundesverfassungsgericht eine Beurteilungsgrundlage dafür zu schaffen, wieweit die Entscheidungen des Ausschusses gesetzlich angeleitet sind und welche Bedeutung ihnen praktisch zukommt.

II.

24

1. Die Verfassungswidrigkeit des Inhalts der die Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten regelnden §§ 27 bis 29 Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) rügt die Beschwerdeführerin nicht. Die Verfassungsbeschwerde kritisiert zwar die vom Gemeinsamen Bundesausschuss im 4. Kapitel seiner Verfahrensordnung für alle Richtlinienentscheidungen festgelegten Evidenzanforderungen und Bewertungskriterien sowie die aus ihrer Sicht unzureichenden Ermittlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses im Herstellerzulassungsverfahren und will hieraus ein Systemversagen ableiten. Weder die Verfahrensordnung noch das Genehmigungsverfahren selbst sind aber von der Beschwerdeführerin zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht worden.

25

2. Die zusätzlich und ausdrücklich als verfassungswidrig gerügte Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V war für das angegriffene Urteil des Bundessozialgerichts ohne rechtliche Relevanz. Sie erklärt den in § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB V geregelten gesetzlichen Versorgungsausschluss für bestimmte Arzneimittel - wie Erkältungs-, Schmerz- oder Abführmittel und Reisemedizin - für entsprechend anwendbar. Von dieser Vorschrift ist die Beschwerdeführerin, soweit erkennbar, in keiner Weise selbst betroffen. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, weshalb diese Regelung, die überhaupt keine Normsetzungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses begründet, unvereinbar mit dem Grundgesetz sein sollte. Die Beschwerdebegründung geht darauf nicht ein.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für in der Ukraine erfolgte Behandlungsmaßnahmen.

2

Der im Juli 1978 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an Zerebralparese mit Bewegungsstörungen seit Geburt im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ließ sich seit 1993 regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)" nennt (im Folgenden Methode Kozijavkin), besteht in einer sogenannten multimodalen Behandlung. Es hat zum Ziel, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten bei Personen mit infantilen Zentralparesen herbeizuführen. Dazu werden ua Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie und Krankengymnastik eingesetzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie, mit deren Hilfe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Behandlungsphase schließt sich eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisierungsphase an, der wiederum eine zweiwöchige intensive Behandlung in der Ukraine folgt. Die Beklagte lehnte Anträge für die Erteilung von Kostenzusagen für Behandlungen vom 19.9. bis 3.10.2000, 10. bis 24.4.2001, 28.9. bis 12.10.2001, 20.3. bis 3.4.2002 und vom 25.3. bis 8.4.2003 jeweils ab (Bescheid vom 17.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 5.3.2001; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 21.8.2001; Widerspruchsbescheid vom 5.12.2001; Bescheide vom 6.3.2002 und 26.2.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2003). Der Kläger ließ sich dennoch in den jeweils beantragten Zeiten in der Ukraine in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin behandeln und zahlte hierfür insgesamt 20 348,58 Euro.

3

Das SG hat die deshalb erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage dazu verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 3.2.2005). Das BSG hat auf die Sprungrevision der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - nv), weil über den vom Kläger erhobenen Anspruch ohne weitere Sachaufklärung zu bestimmten generellen und individuellen Tatsachen nicht entschieden werden kann. Das LSG hat die Klage abgewiesen, ohne weiteren Beweis zu erheben (LSG-Beschluss vom 3.3.2010). Das BSG hat den LSG-Beschluss wegen Missachtung der Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG zurückverwiesen (BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 1 KR 46/10 B -). Das LSG hat nunmehr nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen: Die Methode Kozijavkin sei zur Zeit der betroffenen Behandlungen nicht allgemein anerkannt gewesen. Eine grundrechtsorientierte Auslegung komme nicht in Betracht, da die Krankheit des Klägers mit einer regelmäßig tödlichen Erkrankung nicht wertungsmäßig vergleichbar sei (Urteil vom 22.3.2012).

4

Der Kläger rügt sinngemäß die Verletzung der Bindungswirkung des ersten Revisionsurteils (vgl § 170 Abs 5 SGG)und des Rechtsgedankens des § 2 Abs 1a SGB V entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das LSG hätte sich aufgrund seines Vorbringens gedrängt sehen müssen, durch Sachverständige festzustellen, dass er durch die Spastik am ganzen Körper infolge der infantilen Zentralparese schmerzintensiv betroffen sei. Dies sei weit unerträglicher als eine Erblindung. Belege für den Nutzen der Methode Kozijavkin bestünden aus jüngerer Zeit und seien zu berücksichtigen.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das zur Neubescheidung verurteilende SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger kann keine Neubescheidung verlangen, denn er hat keinen Anspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V auf Erstattung der Kosten in Höhe von 20 348,58 Euro, die ihm durch die mehrfachen Behandlungen in der Ukraine nach der Methode Kozijavkin innerhalb der Gesamtzeit vom 19.9.2000 bis 8.4.2003 entstanden sind. Die Methode Kozijavkin entsprach in diesem Zeitraum nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (dazu 1.). Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V sind nicht erfüllt(dazu 2.).

9

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG)des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 12, nv) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Der Anspruch setzt voraus, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit des Klägers nur im Ausland, im Institut Prof. Dr. Kozijavkins in der Ukraine, in den genannten Zeiträumen möglich war. Daran fehlt es.

10

Gemäß den bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 20 ff, nv) ist entscheidend, dass die Leistung im Ausland zur Zeit der Behandlung den Kriterien des in § 2 Abs 1 S 3 SGB V geregelten Qualitätsgebots entsprach. Das wiederum ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (vgl bereits BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f - Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff - Kozijavkin II).

11

Nach dem überzeugenden Ergebnis der Beweisaufnahme des LSG war die Methode Kozijavkin noch im Jahr 2005 - und darüber hinaus - nicht allgemein anerkannt. Es fehlten bis zum damaligen Zeitpunkt unabhängige Studien nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zur Wirksamkeit der Methode. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG sich nicht allein auf deutsche Quellen beschränkt, sondern etwa über die Datenbank DIMDI internationale Publikationen einbezogen (zB Mijna Hadders-Algra, Tineke Dirks, Cornill Blauw-Hospers, Victorine de Graaf-Peters, The Kozijavkin method: giving parents false hope? The Lancet, Bd 365, Lieferung 9462, S 842, 5.3.2005). Die Methode Kozijavkin wird weder in Deutschland noch in anderen Ländern der EU eingesetzt.

12

2. Der Kläger kann sich im Ergebnis auch nicht auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V zu seinen Gunsten berufen.

13

a) Der erkennende Senat muss trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)seines ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - Juris) darüber entscheiden, ob der Kläger aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V den zu prüfenden Anspruch hat. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG). Das erste Revisionsurteil enthält keine ausdrücklichen Ausführungen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung. Die diese Rechtsfigur entwickelnde Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5),die den Beteiligten des dortigen Verfahrens nach dem 6.12.2005 zugestellt wurde, war dem 1. Senat des BSG bei seiner Entscheidung vom 13.12.2005 noch nicht bekannt. Der erkennende Senat hat seine Rechtsprechung zu § 18 Abs 1 S 1 SGB V später dahingehend fortentwickelt, dass ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach dieser Rechtsgrundlage auch dann besteht, wenn für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich ist(vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21, 29 mwN - Tomudex), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht (vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose).

14

b) Der Kläger kann aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V nichts für sich herleiten, da sie erst zum 1.1.2012 in Kraft getreten ist (vgl Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983). In der Sache führt die Regelung allerdings die Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats zur grundrechtsorientierten Auslegung fort. Auf diese Rechtsprechung (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 30 - D-Ribose)sucht sich der Kläger zu stützen. Sie ist ihrer Art nach anzuwenden, greift aber vorliegend nicht ein.

15

c) Die grundrechtsorientierte Auslegung einer Regelung des SGB V über einen Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zu Lasten der GKV setzt voraus, dass folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1.) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung vor. (2.) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 21 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht alle erfüllt.

16

aa) Es ist beim Kläger allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass die Auswirkungen seiner infantilen Zerebralparese mit Bewegungsstörungen, einer spastischen Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung eine Ausprägung erreichen, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist. Der erkennende Senat hat zwar entschieden, dass ein Versicherter, der an einer infantilen Zerebralparese mit spastischer Paraparese der Beine, Sekundärschäden am knöchernen Apparat (Coxarthrose, Pseudoradikulärsyndrom) und sich dadurch verstärkender Spastik bei in Ruhe einschießenden schmerzhaften Spasmen leidet, nicht die Schwelle erreicht, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 23). Bei einer spastischen Tetraplegie sind indes nicht lediglich die Beine, sondern alle vier Extremitäten betroffen. Die Körperhaltung ist meist asymmetrisch. Kopf- und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik sind regelmäßig erschwert. Der Kläger beruft sich sinngemäß darauf, ein von ihm beantragtes Sachverständigengutachten hätte eine Spastik des ganzen Körpers ergeben. Ohne genaue Feststellung und Analyse der Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht klar, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die wertungsmäßig einen Schweregrad etwa wie bei einer völligen Erblindung erreicht. Der erkennende Senat unterstellt dies. Denn der Kläger hat die Feststellungen des LSG zur geringfügigeren Erkrankung des Klägers mit durchgreifenden Rügen angegriffen (vgl zu den Anforderungen § 164 Abs 2 S 3 SGG und hierzu BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 27 f mwN). Der Senat kann dennoch abschließend über die Sache entscheiden, da die weiteren Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung nicht erfüllt sind.

17

bb) Bezüglich seiner Krankheit stand dem Kläger im betroffenen Zeitraum eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung in Deutschland zur Verfügung. Die infantile Zerebralparese wird nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse als Symptomenkomplex angesehen, für den es keine pauschale, auf alle Patienten in gleicher Weise ausgerichtete Standardtherapie gibt. Vielmehr erfordert die Erkrankung ein individuelles Behandlungskonzept, das den festgestellten Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen Rechnung trägt. Therapieelemente sind regelmäßig funktionelle Übungsbehandlungen der motorischen Störungen einschließlich verordneter Heilmittel (Maßnahmen der physikalischen Therapie, der Ergo-, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie), Pharmakotherapien zur Verringerung von Muskelspasmen oder Verhinderung von Krampfanfällen, verordnete Hilfsmittel, operative Behandlungen bei Kontrakturen und Sehnenverkürzungen, Therapien zusätzlicher Störungen sowie medizinische ambulante, erforderlichenfalls stationäre Rehabilitationsleistungen (vgl Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkasse eV vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff). Es gibt aufgrund des umfassenden ambulanten und stationären Angebots in Deutschland für die keinesfalls seltenen Fälle infantiler Zerebralparesen insoweit keinerlei Hinweis auf quantitative Versorgungslücken. Die bei der Methode Kozijavkin eingesetzten, sich teilweise mit dem Behandlungsangebot in Deutschland überschneidenden Therapieelemente belegen die Verträglichkeit einer individuellen Therapie nach Standard in Deutschland für den Kläger.

18

Das Ziel der Methode Kozijavkin besteht entsprechend den Feststellungen des LSG darin, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von Personen mit infantiler Zerebralparese zu erreichen. Es geht lediglich darum, Symptome der infantilen Zerebralparese zu lindern und ihre Verschlimmerung zu verhüten. Eine Heilung der Krankheit kommt nicht in Betracht. Auch die in Deutschland angewandten anerkannten Behandlungsstrategien zielen auf eine Linderung und Verhütung der Verschlimmerung der Symptome der infantilen Zerebralparese (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff).

19

cc) Bezüglich der Methode Kozijavkin besteht auch lediglich eine ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht dazu führen, dass unabhängig von wissenschaftlichen Maßstäben allein die entfernte Hoffnung auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu einer Kostenerstattung zwingt. Abmilderungen des Qualitätsgebots kommen zwar infolge grundrechtsorientierter Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die dazu inzwischen ergangene umfangreiche Folgerechtsprechung des Senats (vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 f mwN - Tomudex; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 20 ff mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 mwN - ICL; vgl zu weiteren Anwendungsfällen zB: Kretschmer, MEDSACH 2009, 54 ff) auch im Anwendungsbereich des § 18 Abs 1 S 1 SGB V in Betracht(vgl Hauck in Festschrift 50 Jahre saarländische Sozialgerichtsbarkeit, 2009, S 49, 67). Ist für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

20

Die Folge der verfassungskonformen Auslegung ist es indes, dass zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bei neuen Behandlungsmethoden die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich bleiben. Dies gilt auch, wenn es beim Versicherten zu einer notstandsähnlichen behandlungsbedürftigen Situation kommt. Gleichermaßen ist das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (vgl näher BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22 ff mwN - LITT). Dies ändert mithin nichts an der Heranziehung und Maßgeblichkeit allein wissenschaftlicher Maßstäbe zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs im Recht der GKV, wie sie sich zB in § 2 Abs 1 S 3 SGB V und auch in § 18 Abs 1 S 1 SGB V niederschlagen und in Sondersituationen evidenzbezogen abgestuft zur Anwendung gelangen können(vgl auch BVerfG Beschluss vom 28.8.2007 - 1 BvR 1617/05 - zur "Kuba-Therapie" bei Retinitis pigmentosa, Verfassungsbeschwerde ua gerichtet gegen den Beschluss des Senats vom 15.6.2005 - B 1 KR 111/04 B - und das Urteil des Bayerischen LSG vom 11.11.2004 - L 4 KR 296/03 -; vgl zum Ganzen BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29 ff). Ziel der grundrechtsorientierten Auslegung ist es, die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art 2 Abs 2 S 1 GG zu stellen.

21

Die aufgezeigte Zielsetzung begrenzt zugleich die Reichweite einer grundrechtsorientierten Auslegung. So reichen rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, hierfür nicht aus (vgl zB BVerfG Beschluss vom 26.2.2013 - 1 BvR 2045/12 - NZS 2013, 500, 501 = NJW 2013, 1664, 1665 = Juris RdNr 15). Es ist auch nicht zulässig, den Rechtsgütern des Art 2 Abs 2 S 1 GG die Schutzmechanismen zu entziehen, die die Rechtsordnung hierfür vorsieht. Das hat der erkennende Senat für Arzneimittel - vom BVerfG bestätigt - entschieden und der Gesetzgeber ist dem ebenfalls gefolgt (vgl zu § 2 Abs 1a SGB V GKV-VStG, BR-Drucks 456/11 S 74; BVerfG Beschluss vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - SozR 4-2500 § 31 Nr 17 im Anschluss an BSG USK 2007-25 - mnesis). In diesem Sinne bleiben für nicht oder nicht in der betreffenden Indikation zugelassene Arzneimittel neben der mit dem neuen § 2 Abs 1a SGB V vorgenommenen leistungsrechtlichen Klarstellung die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Leistungspflicht der GKV unberührt, die vom BVerfG nicht beanstandet wurden(vgl ebenda).

22

Eine weitere Begrenzung der sich aus der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V ergebenden Ansprüche auf Methoden, die noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, folgt aus der Mitwirkungsobliegenheit der Behandler. Die aus der grundrechtsorientierten Auslegung und aus § 2 Abs 1a SGB V resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, verlangt unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrundeliegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.

23

Nichts anderes kann gelten für Fälle der Auslandsbehandlung nach einer neuen Methode gemäß § 18 Abs 1 S 1 SGB V, deren grundsätzlicher Anwendbarkeit durch Ärzte im Inland bei hinreichend wissenschaftlicher Fundierung nichts im Wege stünde. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden. Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWiR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWiR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(vgl zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN; zu seiner Geltung für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung vgl BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52; BSG Urteil vom 18.12.2012 - B 1 KR 34/12 R - RdNr 34 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137 Nr 2 vorgesehen; zur Geltung des Qualitätsgebots für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen iS von § 107 Abs 2 Nr 2 SGB V vgl BSGE 81, 189, 195 = SozR 3-2500 § 111 Nr 1; BSGE 89, 294, 305 = SozR 3-2500 § 111 Nr 3; Wahl in jurisPK-SGB V, § 111, 2. Aufl, Stand 1.4.2012, RdNr 37 mwN).

24

So liegt es hier. Die Zahl nach der Methode Kozijavkin in der Ukraine behandelter Patienten mit einer Zerebralparese von 10 521 allein im Zeitraum 1991 - 1999, davon 68 % mit Tetraparese (vgl Nachweis im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 43: Kozijavkin/Del Bello, Praktische Paediatrie 2000, Nr 6-8; vgl auch die Zahlen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 12 f) belegt, dass das dortige Patientenvolumen ohne Weiteres geeignet ist, aussagekräftige statistische Daten zu generieren, um den Nutzen der Therapie zu beurteilen. Es ist ebenfalls wissenschaftlich gesichert, dass kontrollierte prospektive klinische Studien mit einem aussagekräftigen Design über die Methode Kozijavkin möglich sind (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 46 bei Fn 6). Zu einer in Aussicht genommenen Wirksamkeitsstudie zur Methode Kozijavkin (vgl Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 14) ist es bisher nicht gekommen. Die Behandlungseinrichtungen in Deutschland wären bei wissenschaftlich hinreichend belegter Wirksamkeit und nachgewiesenem Nutzen der Methode nach dem Sinngehalt des Grundsatzgutachtens des MDS ohne Weiteres in der Lage, hiernach zu verfahren. In diesem Falle würde damit aber auch ein wesentlicher Grund für Patienten aus Deutschland entfallen, zwecks Behandlung nach der Methode Kozijavkin in die Ukraine zu reisen.

25

Die Defizite in der wissenschaftlichen Beweisführung für einen Nutzen der Methode Kozijavkin sind seit langem bekannt. Der erkennende Senat stützte schon seine erste Entscheidung zur Methode Kozijavkin darauf, dass diese Methode bisher nicht ausreichend erforscht und eine abschließende Bewertung ihrer Wirksamkeit und ihrer Risiken deshalb nicht möglich ist. Bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts war die Erfolgsrate der umstrittenen Therapie mangels vergleichender Effektivitätsstudien nicht objektivierbar (Prof. Dr. Hanefeld, Zentrum für Kinderheilkunde der Universität Göttingen, Stellungnahme vom 13.7.1993; Dr. Rosenkötter, Sozialpädiatrisches Zentrum Ludwigsburg). Die Schwierigkeiten bei der Überprüfung und Bewertung wurden damals auch darauf zurückgeführt, dass die Behandlungsmethode eng an die Person von Dr. Kozijavkin gebunden und eine Einweisung ausländischer Ärzte bisher nicht erfolgt sei. Damit fehlte eine unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der wissenschaftlichen Anerkennung, nämlich die Möglichkeit, die Behandlung an anderer Stelle und durch andere Ärzte zu wiederholen und ihre Ergebnisse überprüfbar zu machen (vgl insgesamt BSGE 84, 90, 97 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4).

26

Der kritische wissenschaftliche Umgang ärztlicher Behandler in Deutschland mit der Methode Kozijavkin drückt sich ua auch darin aus, dass sie nicht pauschal alle hierbei aufgeführten Therapieelemente verwenden, sondern lediglich jene Teile, die nach wissenschaftlichen Kriterien für den Patienten einen Nutzen versprechen (vgl die Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff). Dementsprechend bejaht etwa die Gesellschaft für Neuropädiatrie in ihrer Stellungnahme zur Methode Kozijavkin den Einsatz therapeutischer Techniken der Manuellen Medizin bei spastischen infantilen Zerebralparesen, allerdings lediglich in nach wissenschaftlichem Standard gesichertem Umfang, welches sie bei der Methode Kozijavkin schon als nicht gewährleistet ansieht. Sie lehnt aber Einzelelemente wie die Apitherapie wegen ihres Risikopotentials ohne gesicherten Nutzen ab (vgl die Wiedergabe im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 58 ff und Stellungnahme des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011). In Einklang hiermit hat die Methode Kozijavkin in den vergangenen zehn Jahren im Rahmen der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Zerebralparesen in den deutschen Sozialpädiatrischen Zentren keine wesentliche Rolle mehr gespielt (vgl Stellungnahme Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011).

27

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten in Höhe von 11 564 Euro für eine auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung.

2

Der 1984 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an Retinitis pigmentosa, einer Netzhauterkrankung, die zu Tunnelblick und in ihrem Endstadium zur Erblindung führt. Im Jahr 2002 beantragte er - ua auf seine nur noch 3 % bis 5 % betragende Sehfähigkeit hinweisend - die Kostenübernahme für eine sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P in H ; dieser Arzt habe eine Therapie entwickelt, die das weitere Absterben der Netzhaut verhindere und das Sehvermögen verbessern könne. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Behandlungsmethode schulmedizinisch nicht allgemein anerkannt sei (Bescheid vom 19.11.2002; Widerspruchsbescheid vom 5.2.2003). Vom 10.1. bis 31.1.2003 ließ sich der Kläger auf Kuba auf eigene Kosten (nach eigenen Angaben 11 564 Euro) entsprechend behandeln.

3

Die Klage auf Kostenerstattung ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 24.3.2006; Urteil des LSG vom 1.8.2007). Auf die Revision des Klägers hat der erkennende Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, soweit die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung für die auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung betroffen gewesen ist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3), weil das LSG dem nach § 109 SGG gestellten Antrag des Klägers, Beweis zur Eignung der durchgeführten Heilbehandlung durch den Sachverständigen Prof. M (Universität Bologna) zu erheben, nicht nachgekommen war. Das LSG hat ein Gutachten nach Aktenlage bei Prof. M
dazu eingeholt, ob die Kuba-Therapie dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche, und anschließend die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, es fehle an einem hinreichend objektiven Wirksamkeitsnachweis der sog Kuba-Therapie (Urteil vom 16.11.2011).

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art 2 Abs 2 S 1 sowie von Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip. Das LSG verkenne mit seiner Forderung nach validen Studien oder aussagekräftige Statistiken die Anforderungen, die an Hinweise für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine zumindest spürbare positive Einwirkung der Behandlung auf den Krankheitsverlauf zu stellen seien.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 24. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2003 zu verurteilen, ihm 11 564 Euro zu zahlen,

6

hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das an-gefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung materiellen Rechts beruht und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von 11 564 Euro Kosten für die Auslandsbehandlung hat, vermag der Senat wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht abschließend zu beurteilen. Es steht nicht fest, dass die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V erfüllt sind.

10

Das LSG hat zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Erstattungsanspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V bei Beachtung des Qualitätsgebots(§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) abgelehnt (dazu 1.), aber unzureichende Feststellungen zur grundrechtsorientierten Auslegung getroffen (dazu 2.). Eine grundrechtsorientierte Auslegung scheidet allerdings aus, wenn die Überprüfbarkeit der Methode an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten scheitert (dazu 3.).

11

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Danach kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Der Anspruch setzt ua nach den bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29) grundsätzlich voraus, dass die Leistung im Ausland den Anforderungen an das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) entspricht. Das hat das LSG im Ergebnis - unangegriffen und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden - verneint, weil nicht die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie kein Konsens besteht.

12

2. Nach den bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30) kommen Abmilderungen der Anforderungen des Qualitätsgebots infolge grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts der GKV auch im Anwendungsbereich des § 18 SGB V in Betracht. Ist für Versicherte eine nach Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

13

Nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30), bedarf es hierfür zunächst der Feststellung, dass der Kläger im Zeitpunkt der Behandlung an einer Krankheit litt, die zumindest wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar ist. Diesbezüglich hat das erste Revisionsurteil vorgegeben, dass hierfür eine drohende Erblindung in Betracht kommt, hochgradige Sehstörungen demgegenüber nicht ausreichen (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31). Sodann ist nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 32), die Feststellung erforderlich, ob, und wenn ja mit welcher Zielrichtung, bezüglich dieser Krankheit zumindest eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht und für den Kläger anwendbar ist. Des Weiteren ist nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 32), festzustellen, mit welcher Zielsetzung die sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P durchgeführt wird und ob bezüglich dieser Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers bestand. Hierzu bedarf es der Feststellungen, die für eine abstrakte Nutzen-Risiko-Analyse und für eine Abwägung der Chancen und Risiken dieser Behandlungsmethode gerade im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse bei dem Kläger erforderlich sind. Maßgeblich sind für diese Feststellungen nach den bindenden Vorgaben (§ 170 Abs 5 SGG) die Regeln der ärztlichen Kunst.

14

Das LSG hat zur konkreten Krankheitssituation des Klägers, zu den regelmäßigen, schulmäßigen Behandlungsmethoden bei seiner Augenkrankheit, zu einer Unverträglichkeit dieser Methoden bei dem Kläger und zu den Chancen und Risiken der Kuba-Therapie im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse des Klägers im Behandlungszeitpunkt keine Feststellungen getroffen. Soweit es eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verneint hat, weil es an einem objektiven Wirksamkeitsnachweis fehle, verkennt es die bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (§ 170 Abs 5 SGG).

15

Das LSG hat ausgeführt, die Methode sei nicht ausreichend an Menschen evaluiert und werde von der überwiegenden Mehrheit der einschlägigen Fachleute jedenfalls nicht befürwortet, vom wissenschaftlichen Beirat von Pro Retina Deutschland e.V. nicht empfohlen, vom "Health Council of the Netherlands" in den Niederlanden nicht anerkannt und auch in den USA und überwiegend in Europa nicht akzeptiert. Prof. M gehöre zur Minderheit der Befürworter und zu den wenigen Anwendern, gleichwohl vermöge er nur auf seine eigenen klinischen Erfahrungen an Menschen (und Tieren) hinzuweisen, ohne dass valide Studien oder aussagekräftige Statistiken zur Wirksamkeit der Therapie existierten. Die bisherigen Erkenntnisse würden zwar einen positiven Einfluss nicht ausschließen, genügten aber nicht, um von einer "ausreichend gesicherten" positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf auszugehen, weil sich der Sachverständige nur auf die Feststellungen der von ihm operierten 126 Menschen stütze und eine graduelle Verzögerung des Sehschärfeverlustes um 18 bis 24 Monaten nicht ausreichend erscheine.

16

Damit überspannt das LSG die Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts. Nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30), ist es bei der abstrakten und konkreten Prüfung von Risiken und Nutzen geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu berücksichtigen. Der bei beiden Analysen von Nutzen und Risiken zu beachtende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der den Zurechnungszusammenhang zwischen Therapie, Erfolg und Risiken betrifft, unterliegt - ähnlich wie bei der Anwendung von Pharmakotherapien mit Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV - aufgrund von Verfassungsrecht Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen. Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen (vgl zum Ganzen zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 25 f mwN - LITT, bezogen in BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30).

17

Die Folge dieser Rechtsprechung ist, dass, wenn eine nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethode für eine wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbare Krankheit (generell) überhaupt nicht zur Verfügung steht oder im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte diese nachgewiesenermaßen nicht verträgt, der Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einem der notstandsähnlichen Situation angemessenen geringeren Wahrscheinlichkeitsmaßstab unterfällt. Dabei sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen "je schwerwiegender die Erkrankung und 'hoffnungsloser' die Situation, desto geringere Anforderungen an die 'ernsthaften Hinweise' auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg" (BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 40; mit ähnlicher Tendenz schon: Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, 179; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl 2002, § 130 RdNr 23).

18

Wissenschaftliche Verlaufsbeobachtungen anhand von operierten 126 Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle sind ihrer Art nach ohne Weiteres geeignet, nach den Regeln der ärztlichen Kunst als Grundlage für "Indizien" im dargelegten Sinne für eine positive Einwirkung zu dienen. Nach den Feststellungen des LSG hat Prof. M 126 Patienten mit der Pelaez-Technik jeweils an einem Auge operiert - das nicht operierte Auge diente der Kontrolle - und stellte dabei fest, dass es zu Verbesserungen kam, die sich schrittweise verringerten, bis sie 18 bis 24 Monate nach Einsetzen des Implantats verschwanden.

19

Es entspricht auch nicht den dargelegten bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (§ 170 Abs 5 SGB V), einen Erhalt der Sehfähigkeit durch Verbesserung des Sehvermögens für 18 bis 24 Monate als unerheblich anzusehen. Vielmehr handelt es sich ohne Zweifel um eine offenkundig positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Zu den Behandlungszielen des § 27 Abs 1 S 1 SGB V gehören die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung sowie die Linderung von Krankheitsbeschwerden. Eine "Verhütung der Verschlimmerung" setzt nicht voraus, dass diese dauerhaft ist, also die Erkrankung zum Stillstand kommt. Bei schicksalhaftem Verlauf der Erkrankung genügt es vielmehr, dass ihr Eintritt - hier die Erblindung - hinausgezögert wird (Steege in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2014, K § 27 RdNr 59).

20

Ob die Kuba-Therapie im Zeitpunkt der Behandlung nach den aufgezeigten Maßstäben geeignet war, beim Kläger eine Verschlimmerung im oben genannten Sinne zu vermeiden, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Nach Angaben von Prof. M soll die Behandlung nur auf Fälle mit hoher Progredienz des Krankheitsverlaufs angewendet werden, bei denen andere Methoden fehlschlugen. Das LSG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die Frage offen gelassen, ob bei dem Kläger eine derartig schnelle Degeneration vorliegt. Entsprechende und ggf die übrigen, oben umschriebenen Feststellungen wird es nachzuholen haben. Mit Blick auf die gebotene abstrakte Nutzen-Risiko-Bewertung genügt es nicht - wie durch das LSG geschehen - nur allgemein mögliche Risiken zu nennen, ohne deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die zu beurteilenden Risiken (nicht unerhebliches Operationsrisiko, Doppelsehen, welliges Sehen, schnellerer Verfall der Sehschärfe und des Gesichtsfelds als vor der Operation) wird das LSG deshalb abstrakt sowie bezogen auf den Einzelfall fest umreißen und mit dem möglichen Erfolg der Therapie in Anlehnung an Art 2 Abs 2 GG abzuwägen haben.

21

3. Die Notwendigkeit für das LSG, weitere ergänzende Feststellungen zu treffen, kann sich aus den in neuerer Rechtsprechung des erkennenden Senats entwickelten Anforderungen ergeben. Der erkennende Senat darf diese neueren Anforderungen trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG) seines ersten Revisionsurteils auch in diesem Verfahren zugrunde legen. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 13 mwN).

22

Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 22 f) verlangt die aus der grundrechtsorientierten Auslegung (heute: § 2 Abs 1a SGB V) resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrunde liegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden(BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 22 f). Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(BSG aaO mwN zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V). Das LSG hat zur Ursache bestehender Erkenntnismängel im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers keine Feststellungen getroffen. Auch dies wird es nachzuholen haben.

23

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21.03.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für eine Krebsbehandlung (Protonentherapie).
Der Kläger ist der Witwer der 1958 geborenen U. J. (im Folgenden: Versicherte); die Versicherte war bei der Beklagten (bzw. ihrer Rechtsvorgängerin - G. E. - im Folgenden nur: Beklagte) gesetzlich krankenversichert. Der Kläger hatte zur Zeit des Todes der Versicherten mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.
Im Juli 2009 wurde bei der Versicherten ein Klatskin-Tumor mit Lebermetastasen diagnostiziert. Die operative Entfernung des Tumors bzw. der Metastasen war nicht möglich. Die Versicherte wurde zunächst im St. Sch.-G. konservativ und von September bis November 2009 mit 3 Zyklen Chemotherapie palliativ behandelt.
Anfang November 2009 beantragte die Versicherte die Gewährung bzw. Übernahme der Kosten einer Protonentherapie im R. P. Th. C., M. (im Folgenden: R.).
Das R. ist - ohne rechtliche Verselbständigung - der Ch. Klinik Dr. R., M., angegliedert; die Behandlungsräume des R. befinden sich in dieser Klinik. Die Ch. Klinik Dr. R. ist mit den Fachrichtungen Chirurgie, Herzchirurgie und Strahlentherapie in den Krankenhausplan des Freistaats B. aufgenommen. Krankenhausträger (und damit auch Träger des dem Krankenhaus angegliederten R.) ist die Ch. Klinik Dr. R. GmbH und Co. KG (R.-Träger). Dem R. ist ein Gästehaus angeschlossen, in dem die Patienten des R. übernachten können. Die Ärzte, die im R. Leistungen der Protonentherapie erbringen, nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung nicht teil.
Die Versicherte legte Arztberichte und die Bescheinigung des R. vom 03.11.2009 vor. Darin ist ausgeführt, der Tumor sei nicht operabel und bedürfe umgehend einer Protonentherapie. Mit dieser Behandlungsmethode könne der Tumor hochdosiert bestrahlt werden, während in der (gesunden) Umgebung des Tumors nur wenig Strahlung (ein Sechstel der hoch anzusetzenden Tumordosis) deponiert werde. Das betreffe insbesondere die Leber, den Pankreas, den Dünndarm und den Magen. Die Protonentherapie sei daher sehr schonend, aber hoch effektiv, um den Tumor zu behandeln und die Funktionsstörung im Bereich der Leberpforte zu beheben. Es werde um Kostenübernahme und nächstmögliche Bearbeitung gebeten. Der Bescheinigung war ein Kostenvoranschlag des R.-Trägers vom 20.10.2009 über Gesamtkosten i.H.v. 18.978,45 EUR beigefügt. Der Kostenvoranschlag hat „ärztliche Leistungen im Rahmen der strahlentherapeutischen Behandlung inklusive Diagnostik“ zum Gegenstand; es handele sich um eine Pauschale (inklusive Mehrwertsteuer).
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Im MDK-Gutachten (nach Aktenlage) vom 09.12.2009 führte Dr. F. aus, bei der Versicherten (Diagnosen: Klatskin-Tumor mit histologisch gesicherter Lebermetastasierung Typ 3-B nach Bismuth ED 07/09, Z.n. nach Stenteinlage linker Ductus hepaticus, arterielle Hypertonie) liege eine akut lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation vor. Die Versicherte befinde sich in einer Palliativsituation. Die verfügbaren schulmedizinischen (vertraglichen) palliativen Therapiemethoden bestünden in der systemischen Chemotherapie und der konventionellen fraktionierten Bestrahlung mittels Linearbeschleuniger. Für die Protonentherapie liege ein Wirksamkeitsnachweis an Hand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken nicht vor. Überlegenheit, medizinischer Nutzen und Wirtschaftlichkeit der Protonentherapie gegenüber den vertraglichen Behandlungsmethoden seien bisher nicht belegt. Die Leistungsvoraussetzungen seien daher nicht erfüllt.
Am 10.12.2009 überwies die Versicherte den im Kostenvoranschlag vom 20.10.2009 genannten Betrag an den R.-Träger.
Mit Bescheid vom 10.12.2009 lehnte die Beklagte den Leistungsantrag unter Hinweis auf das MDK-Gutachten des Dr. F. ab. Die Protonentherapie gehöre nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe diese Behandlungsmethode nicht (positiv) bewertet. Außerdem stünden mit der systemischen Chemotherapie und der konventionellen Bestrahlung vertragliche Behandlungsmethoden zur Verfügung.
10 
Am 15.12.2009 wurde die Versicherte im R. untersucht. Am 16.12.2009 stimmte sie im Zuge der Patientenaufklärung durch Unterzeichnung des entsprechenden (Aufklärungs-)Formulars dem Beginn der Protonentherapie am 11.01.2010 zu; außerdem schloss sie den Behandlungsvertrag vom 16.12.2009 mit dem R.-Träger ab.
11 
Am 19.12.2009 erhob die Versicherte Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 10.12.2009. Die seit September 2009 durchgeführte systemische Chemotherapie sei wirkungslos. Der Tumor habe sich nicht verkleinert. Nach Auskunft ihrer behandelnden Ärzte sei die konventionelle Bestrahlung (Photonenbestrahlung) wegen der Lage des Tumors und der Gefährdung anderer Organe nicht möglich und es komme nur eine sehr genaue Protonenbestrahlung in Betracht. Die Protonenbestrahlung werde von vielen Krankenkassen, auch von der Beklagten, in Einzelfallentscheidungen gewährt und seit 01.11.2009 an der Universitätsklinik H. im Rahmen von Studien bei Hirntumoren angewendet.
12 
Die Versicherte legte das Schreiben des R. vom 15.12.2009 vor. Darin führt Fachoberarzt W. aus, bei der Versicherten könne die herkömmliche Photonenbestrahlung wegen mangelnder Verträglichkeit auf Grund der ungünstigen Mitbestrahlung gesunder Organe, wie Magen und Dünndarm, nicht durchgeführt werden. Die palliative Protonenbestrahlung des Klatskin-Tumors und der solitären Lebermetastase gewährleiste demgegenüber ein deutlich günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis und ermögliche so neben der Systemtherapie auch eine lokal unterstützende Behandlung.
13 
Die Beklagte befragte erneut den MDK. Im MDK-Gutachten (nach Aktenlage) vom 22.12.2009 führte Dr. F. aus, aus den vorgelegten Unterlagen ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Es sei nicht ersichtlich, welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bislang durchgeführt worden seien, insbesondere, ob sich die Versicherte im Rahmen eines interdisziplinären Tumorboards vorgestellt habe; hier wäre die Überweisung zum Tumorboard z.B. der Universitätsklinik H. anzuraten. Es sei auch nicht erkennbar, ob ein multimodaler Therapieansatz erwogen worden sei. Man möge auch prüfen, ob die Versicherte in eine Studie aufgenommen werden könne.
14 
Am 30.12.2009 teilte der MDK der Beklagten im Zuge einer Direktberatung mit, durch die Protonentherapie sei eine Verkürzung der stationären Aufenthaltszeiten aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich.
15 
Nachdem der MDK der Beklagten am 04.01.2010 mitgeteilt hatte, auf der Grundlage der vorliegenden Informationen/Unterlagen sei eine Begutachtung nicht möglich, richtete die Beklagte die vom MDK vorgeschlagenen Fragen mit Schreiben vom 05.01.2010 an das R..
16 
Mit Schreiben vom 05.02.2010 teilte der Arzt W. (R.) der Beklagten mit, geplant sei eine (computergestützte dreidimensionale) Protonenbestrahlung der extra- und intrahepatischen Tumoranteile mit dem so genannten Spotscanning-Verfahren. Es seien 21 Bestrahlungsfraktionen erforderlich; dabei würden 5 Fraktionen in einer Woche appliziert. Therapieziel sei die Tumorremission. Die Behandlung solle der Versicherten Lebensqualität und Lebenszeit sichern. Studien mit größeren Patientenkollektiven existierten nicht. Retrospektive Daten zeigten möglicherweise eine Verbesserung des Überlebens. Wegen der Seltenheit des Tumors hätten, basierend auf spärlicher Datenlage, keine Leitlinien entwickelt werden können. Die Chemotherapie habe bei der Krebserkrankung der Versicherten eine Ansprechrate von ca. 20%. Die Ansprechrate einer Bestrahlungsbehandlung sei deutlich höher einzuschätzen. Bei der Protonentherapie sei die Nebenwirkungsrate deutlich geringer als bei der Photonentherapie. Eine Photonentherapie sei auf Grund des Bestrahlungsvolumens in der Leber wegen der zu erwartenden Hepatotoxizität nicht zu empfehlen. Angesichts des geringen Aufkommens des vorliegenden Krankheitsbilds erscheine die Einrichtung einer Studie nicht sinnvoll. Auf Grund der seltenen Verfügbarkeit der Protonen- bzw. Ionentherapie handele es sich um eine sporadische Anwendung. Man habe die Bestrahlung eines malignen Gallengangtumors bisher in einem Fall durchgeführt.
17 
Während der Zeit vom 11.01.2010 bis 09.02.2010 wurde die Protonentherapie bei der Versicherten im R. durchgeführt (22 Bestrahlungstermine). Die Versicherte suchte am jeweiligen Behandlungstag die Behandlungsräume des R. in der Ch. Klinik Dr. R. zur (wenige Minuten dauernden) Protonenbestrahlung auf. Nach erfolgter Bestrahlung konnte sie die Räumlichkeiten des R. bzw. die Ch. Klinik Dr. R. verlassen; Krankenhausleistungen, wie Unterkunft und (Krankenhaus-)Verpflegung oder pflegerische Betreuung durch Krankenhauspersonal der Ch. Klinik Dr. R., wurden nicht in Anspruch genommen. Während der Behandlungszeit war die Versicherte im Gästehaus des R. untergebracht (Anreise/Abreise: 17.01.2010/23.01.2010 - 24.01.2010/29.01.2010 - 31.01.2010/05.02.2010 - 08.02.2010/ 10.02.2010). Die Kosten hierfür beliefen sich auf 2.260,76 EUR (Rechnungen vom 10.02.2010, 05.02.2010, 29.01.2010, 23.01.2010 und 17.01.2010). Für die Protonentherapie wurden der Versicherten mit Rechnung des R.-Trägers vom 11.03.2010 Kosten i.H.v. 18.978,45 EUR in Rechnung gestellt. Die Rechnung trägt die Bezeichnung „Rechnung über teilstationäre Krankenhausbehandlung“; sie ist nicht nach Maßgabe der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ausgestellt und weist den genannten Rechnungsbetrag als Pauschalbetrag aus.
18 
Im (abschließenden) MDK-Gutachten (nach Aktenlage) vom 15.02.2010 führte Dr. F. aus, nach den Unterlagen des R. liege bei der Versicherten ein seltenes Krankheitsbild vor. Eine akut lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation habe wohl im November 2009 bestanden. Informationen oder Unterlagen über den weiteren klinischen Verlauf seit August 2009 seien nicht vorgelegt worden. Gesicherte Erkenntnisse über die Überlegenheit der Protonentherapie gegenüber vertragsärztlichen Standardtherapien, wie Chemotherapie und konventionelle Bestrahlung, lägen nicht vor. Es gebe auch keine Informationen über eine anhaltende Wirksamkeit der Protonentherapie gegenüber vertragsärztlichen Therapien. Man empfehle die Vorstellung der Versicherten in einem Tumorzentrum, etwa einer Universitätsklinik, um die Möglichkeiten eines multimodalen Therapieansatzes zu überprüfen.
19 
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die ambulante Protonentherapie sei eine neue Behandlungsmethode i.S.d. § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), für die eine Empfehlung des GBA zur Anerkennung des therapeutischen Nutzens nicht vorliege. Die Protonentherapie könne auch nicht nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs gewährt werden. Es stünden noch allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden (wie die palliative systemische Chemotherapie und die konventionelle Strahlentherapie) zur Verfügung. Für die Protonentherapie liege ein Wirksamkeitsnachweis an Hand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken nicht vor. Überlegenheit, medizinischer Nutzen und Wirtschaftlichkeit der Protonentherapie gegenüber den vertraglichen Behandlungsmethoden seien bisher nicht belegt.
20 
Am 19.10.2010 erhob die Versicherte Klage beim Sozialgericht Ulm (SG). Sie verstarb 2012. Der Kläger ist Alleinerbe der Versicherten. Er führte das Klageverfahren fort.
21 
Zur Begründung der Klage wurde (unter Vorlage u.a. von Arztberichten des R. vom 10.02.2010, 28.04.2010, 26.08.2010 und 10.12.2010 über Nachuntersuchungen der Versicherten) vorgetragen, nachdem sich die Krebserkrankung als inoperabel erwiesen habe, sei die angeratene systemische Chemotherapie durchgeführt worden, obwohl diese nur bei einem verschwindend geringen Teil (ca. 2%) der an Leber- bzw. Gallenkrebs erkrankten Patienten anspreche; eine Tumorremission habe nicht erreicht werden können. Sowohl die Ärzte des Klinikums Sch.-G. wie die Ärzte des R.-B.-Krankenhauses, St., hätten eine konventionelle Strahlentherapie wegen der gesicherten Lebermetastasierung nicht befürwortet. Die Versicherte sei sodann auf die Protonentherapie aufmerksam geworden, die an der Universitätsklinik H. im Rahmen von Studien bei Hirntumoren und im R. auch bei Weichteiltumoren angewendet werde. Auf Grund der mit dem fortschreitenden Tumorwachstum verbundenen Dringlichkeit sei die Protonentherapie während des Widerspruchsverfahrens durchgeführt worden. Für die regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung habe nach (erfolgloser) Durchführung der Chemotherapie eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht mehr zur Verfügung gestanden. Nach erfolgter Protonentherapie habe der Tumor das Wachstum eingestellt und er sei um 10% kleiner geworden, wobei sich die Laborparameter, insbesondere der Tumormarker, erheblich verbessert hätten. Der Stent im Gallengang habe entfernt werden können. Die Versicherte habe am 08. oder 09.12.2009 bei der Beklagten vorgesprochen. Die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten habe mitgeteilt, die Kosten der Protonentherapie würden definitiv nicht übernommen; das sei intern geklärt worden und der Ablehnungsbescheid werde umgehend versandt. Der Ablehnungsbescheid sei bei der Vorsprache auch gezeigt worden. Am 15. und 16.12.2009 habe sich die Versicherte im R. zu einem Erstgespräch und zur Durchführung von Voruntersuchungen vorgestellt. Außerdem hätten Aufklärungsgespräche stattgefunden. Auf Grund der Einschätzung und der Voruntersuchungen habe sie sich am 16.12.2009 zur Durchführung der Protonentherapie entschlossen und an diesem Tag den Aufnahmetermin für den 11.01.2010 vereinbart. Der vorgeschriebene Beschaffungsweg sei damit eingehalten worden. Die Beklagte habe mittlerweile mit der Universitätsklinik E. einen Vertrag über die Behandlung u.a. des Leberzellkarzinoms durch Protonentherapie abgeschlossen. Die GOÄ sei nicht anwendbar; daher sei unschädlich, dass die Rechnung vom 11.03.2010 nicht nach Maßgabe der GOÄ ausgestellt worden sei (Schreiben des R.-Trägers vom 04.12.2013).
22 
Hingewiesen wurde außerdem auf eine Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 06.11.2009, die im Verfahren des GBA über eine Änderung der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus (RL Methoden Krankenhausbehandlung) - Protonentherapie bei der Indikation Lebermetastasen - abgegeben worden ist. Darin heißt es (u.a.), es werde vorgeschlagen, bei der Indikation „Lebermetastasen“ den Einsatz einer Protonentherapie unter Berücksichtigung besonderer Kriterien als individuelle Therapieentscheidung bei inoperablen bzw. anderen lokal-ablativen Behandlungsansätzen nicht zugänglichen Lebermetastasen im begründeten Einzelfall zu ermöglichen; der entsprechende Ergänzungsvorschlag der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Patientenvertreter werde nachdrücklich unterstützt. Nach Rücksprache mit den Fachexperten wäre zu erwägen, die mögliche Indikation für eine Protonentherapie (im Rahmen der Krankenhausbehandlung) auf Patienten mit Lebermetastasen insbesondere eines kolorektalen Karzinoms oder eines Nierenzellkarzinoms mit höchstens 3 intrahepatischen Tumoren und einer prognostischen Lebenserwartung von zumindest 6 Monaten einzugrenzen.
23 
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Bei der Versicherten habe eine notstandsähnliche Situation nicht vorgelegen. Außerdem hätten noch allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden zur Verfügung gestanden, wie die (in einem Bericht der Universitätsklinik H. vom 26.08.2009 angeratene) systemische Kombinations-Chemotherapie mit Gemcitabine und Cisplatin oder Oxaliplatin. Der MDK habe festgestellt, dass ein Wirksamkeitsnachweis für die Protonentherapie nicht geführt sei. Es gebe weder eine evidenzbasierte Studienlage noch eine ausgedehnte Erfahrung bei der Tumorentität der Versicherten noch einschlägige Leitlinien. Die Protonentherapie habe damit experimentellen Charakter. Der GBA habe die Protonentherapie bei Lebermetastasen mittlerweile durch Beschluss vom 20.01.2011 aus der Leistungserbringung zu Lasten der GKV im Rahmen der Krankenhausbehandlung ausgeschlossen. Das R. sei zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen; ggf. hätte die Behandlung in der Universitätsklinik H. durchgeführt werden können. Ob die Versicherte den vorgeschriebenen Beschaffungsweg eingehalten habe, sei ebenfalls zweifelhaft, da sie die Kosten für die Protonentherapie bereits am 10.12.2009 überwiesen habe und die Protonentherapie ab dem 15.12.2009 durchgeführt worden sei. Der Ablehnungsbescheid sei aber erst unter dem 10.12.2009 erlassen worden. Zuvor - vor Eingang des MDK-Gutachtens vom 09.12.2009 am 10.12.2009 - habe man den Leistungsantrag nicht im Zuge einer Vorsprache der Versicherten (mündlich) abgelehnt. Offenbar habe die Versicherte den (Untersuchungs-)Termin vom 15.12.2009 noch vor der abschließenden Entscheidung über ihren Antrag vereinbart. Ein Notfall habe nicht vorgelegen.
24 
Die Beklagte legte das MDK-Gutachten (nach Aktenlage) des Dr. B. vom 25.07.2011 vor. Darin ist (u.a.) ausgeführt, Gallengangtumore oder cholangiozelluläre Karzinome träten in Deutschland in ca. 5.000 Neuerkrankungsfällen im Jahr auf; der Klatskin-Tumor sei eine Sonderform des cholangiozellulären Karzinoms. Die Erkrankung der Versicherten stelle zwar eine seltene, nicht aber eine singuläre Krankheit (i.S.d. der Rechtsprechung zu „Seltenheitsfällen“) dar, d.h., es sei prinzipiell möglich, Studien durchzuführen, um Wirksamkeit und Nutzen einer Behandlung zu erforschen. Der GBA habe bislang 3 Indikationen für die Protonentherapie positiv bewertet, 3 Verfahren ausgesetzt und 10 Indikationen ausgeschlossen. Für die hier vorliegenden Lebermetastasen sei die Protonentherapie - seit 20.01.2011 - (aus der Krankenhausbehandlung) ausgeschlossen worden. Karzinome der Gallenwege stellten eine prognostisch ungünstige Tumorentität dar. Beim Nachweis von Fernmetastasen liege die mediane Überlebenszeit unter Supportiv-Therapie bei ca. 3 Monaten. Nach chirurgischer Intervention liege bei extrahepatischen Gallenwegen die 5-Jahres-Überlebensrate bei 20% bis 40 %. Bei der Versicherten habe unzweifelhaft eine weit fortgeschrittene, inoperable Tumorerkrankung vorgelegen, die nicht mehr kurativ, sondern nur noch palliativ habe behandelt werden können; das sei auch das Behandlungsziel der Protonentherapie im R. gewesen. Bei Durchführung der Protonentherapie seien die schulmedizinischen/vertraglichen Behandlungsmethoden, insbesondere die Chemotherapie oder auch die (herkömmliche) Strahlentherapie (mit Photonenbestrahlung) nicht ausgeschöpft gewesen. Die Literaturrecherche habe keine einzige Publikation zur Anwendung der Protonentherapie beim Cholangiokarzinom ergeben. Selbst bei dem viel häufigeren Krankheitsbild des kolorektalen Karzinoms und Lebermetastasen habe der GBA im Rahmen der Bewertung der Protonentherapie im Januar 2011 weltweit nur 5 publizierte Patienten gefunden. Daher liege für die in Rede stehende Behandlungsmethode nach aktuellem Stand ein Wirksamkeitsnachweis an Hand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken nicht vor. Die Angaben des R. zur Schonung umliegender Organe würden durch den bei der Versicherten eingetretenen Behandlungsverlauf widerlegt. Im Zuge der Protonenbestrahlung bis 09.02.2010 sei es zu einer ausgeprägten Strahlenschädigung des Magenantrums gekommen mit ausgedehnten Magenulzerationen und Blutungen, die mehrfach ambulant und stationär behandelt worden seien (mit akut lebensbedrohlicher Komplikation); schließlich habe man als ultima ratio den Magen weitgehend entfernt. Damit sei letztendlich gerade die der konventionellen Strahlenbehandlung zugeschriebene Komplikation eingetreten. Die Protonentherapie stelle bei Patienten mit inoperablen Lebermetastasen derzeit kein Verfahren dar, für das in dem insgesamt mit Unsicherheiten behafteten Indikationsbereich der metastasierten Erkrankungen ausreichend Hinweise für einen Nutzen vorlägen. Der GBA habe außerdem dargelegt, dass es für den theoretischen Vorteil der Protonentherapie (steilere Dosisgradienz zwischen Zielvolumen und Risikoorganen) noch keine Belege gebe. Deshalb solle die Anwendung der Protonentherapie unter Bedingungen erfolgen, die dem experimentellen Handeln gerecht würden, also regelmäßig in klinisch kontrollierten Studien. Demgegenüber biete das R. die Protonentherapie als kommerzieller Anbieter jedem an, der bereit sei, die Kosten im Voraus zu bezahlen. Der GBA komme zu dem Ergebnis, dass die Protonentherapie bei der Indikation Lebermetastasen für eine ausreichende zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gemäß § 137c SGB V nicht erforderlich und damit nicht (mehr) Leistung der GKV im Rahmen der Krankenhausbehandlung sei. Zwei der vom R. angeführten Publikationen hätten nicht die Protonentherapie, sondern die konventionelle Strahlentherapie zum Gegenstand; eine dritte Publikation betreffe eine zusätzlich zur chirurgischen Intervention durchgeführte Strahlentherapie. Insgesamt sei derzeit nicht bekannt, ob der Nutzen der Protonentherapie die Risiken überwiege. Für die bei der Versicherten vorliegende Indikation gebe es keine Erfahrungswerte hinsichtlich der notwendigen Strahlendosen. Die Behandlungspläne für die konventionelle Strahlentherapie seien demgegenüber besser evaluiert und standardisiert. Die Protonentherapie sei auch nicht als Empfehlung einer Tumorkonferenz, sondern auf Wunsch der Versicherten durchgeführt worden.
25 
Das SG führte am 08.03.2013 eine Erörterungsverhandlung durch. Der Kläger gab an, auf die Protonentherapie habe sein Bruder aus A. aufmerksam gemacht; man habe dann das R. gefunden. Am 08. oder 09.12.2010 habe man bei der Beklagten vorgesprochen und dabei den Ablehnungsbescheid gesehen. Die Mitarbeiterin der Beklagten habe gesagt, der Bescheid werde in Kürze versandt, das MDK-Gutachten liege nunmehr vor. Der Vertreter der Beklagten gab an, wenn eine Leistungsablehnung bei einer Vorsprache erklärt werde, werde ein entsprechender (hier nicht vorliegender) Vermerk angefertigt. Möglicherweise sei beim MDK angerufen und nach dem Sachstand gefragt worden. Eine Ablehnungsentscheidung ergehe aber erst nach Vorliegen des MDK-Gutachtens.
26 
Das SG befragte sodann behandelnde Ärzte. Prof. Dr. H. (St. Sch. G.) führte im Bericht vom 16.07.2013 (u.a.) aus, die Versicherte sei vom R.-B.-Krankenhaus, St., zur Durchführung der palliativen Chemotherapie mit Platin und Gemcitabine überwiesen worden. Von September 2009 bis November 2009 habe man 3 Zyklen palliative Chemotherapie durchgeführt. Hierunter sei im Abdomen-CT eine stabile Erkrankungssituation dokumentiert worden. Zwischenzeitlich habe sich die Versicherte im R. zur Protonentherapie vorgestellt. Die zytostatische Therapie des cholangiozellulären Karzinoms sei insgesamt schwierig, da der Tumor nur ein geringes Ansprechen auf diese Behandlung zeige. Für die Versicherte wäre lediglich die Fortführung der Chemotherapie über 3 weitere Zyklen in Betracht gekommen, ggf. dann bei Tumorprogression und gutem Allgemeinzustand eine Zweitlinienchemotherapie. Die Behandlungsoptionen seien sicherlich sehr begrenzt gewesen. Studienergebnisse zur Protonentherapie seien ihm nicht bekannt. Die konventionelle Strahlentherapie im Bereich des Leberhilus/Gallenblasenbetts sei auf Grund der Toxizität sehr problematisch und werde in der Regel nicht durchgeführt. Bei der Versicherten habe insgesamt eine metastasierte und lokal fortgeschrittene Tumorerkrankung mit eher begrenzten therapeutischen Möglichkeiten vorgelegen. Rückblickend könne man sicherlich sagen, dass sie sehr von der lokalen Strahlentherapie profitiert habe und dass die konventionellen und etablierten Therapiemöglichkeiten beim Tumortyp der Versicherten sehr begrenzt seien. Dr. W. (R.) führte im Bericht vom 25.07.2013 aus, durch die Protonentherapie habe das Tumorgeschehen für 21 Monate größtenteils stabil gehalten werden können. Im November 2011 hätten sich 2 Metastasen in der Leber größenprogredient gezeigt, weshalb eine Radiofrequenzablation durchgeführt worden sei, die zumindest bis ins Frühjahr 2012 eine Tumorkontrolle erreicht habe. In Anbetracht dE., dass Inoperabilität und Unverträglichkeit für Chemotherapie bestanden habe, seien die schulmedizinischen Standardverfahren bis auf die Strahlentherapie ausgeschöpft gewesen. In der Strahlenbehandlung biete die Protonentherapie die günstigsten physikalischen Eigenschaften. Da der Klatskin-Tumor äußerst selten sei, hätten 2009 keine publizierten Studien zur Behandlung dieses Tumors mit Protonen vorgelegen. Auch für die Photonentherapie gebe es keine Phase-III-Studien. Der GBA habe die Protonentherapie zur Behandlung von Gallengangkarzinomen, speziell von Klatskin-Tumoren, nicht beurteilt. Die Beurteilung der Protonentherapie zur Behandlung des hepatozellulären Karzinoms habe der GBA ausgesetzt, bis neuere Daten aus Phase-III-Studien vorlägen. Der Behandlungsvertrag sei von der Versicherten am 16.12.2009 unterschrieben worden. Die Behandlungskosten müssten jeweils vor Behandlungsbeginn gezahlt werden.
27 
Mit Urteil vom 21.03.2014 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V seien nicht erfüllt. Eine unaufschiebbare Leistung (Notfall) i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V stehe nicht in Rede. Zwischen dem Erstkontakt der Versicherten mit dem R. - Kostenvoranschlag des R.-Trägers vom 20.10.2009 bzw. Bescheinigung vom 03.11.2009 - und der Voruntersuchung am 15.12.2009 bzw. dem Therapiebeginn am 11.01.2010 lägen nahezu 3 Monate. Auch auf § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) könne der Erstattungsanspruch nicht gestützt werden. Es fehle am Ursachenzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Leistungsbeschaffung. Die Versicherte sei schon vor Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 10.12.2009 zur Durchführung der Protonentherapie im R. fest entschlossen gewesen. Sie habe die gesamten Behandlungskosten bereits am 10.12.2009, also vor Erhalt des Ablehnungsbescheids, im Voraus überwiesen. Dass der Leistungsantrag bei einer Vorsprache der Versicherten am 08.12.2009 oder 09.12.2009 abgelehnt worden sei, könne ausgeschlossen werden, da das maßgebliche MDK-Gutachten erst am 09.12.2009 erstellt worden und der Beklagten erst am 10.12.2009 zugegangen sei. Außerdem finde sich in den Verwaltungsakten kein entsprechender Gesprächsvermerk. Die Versicherte hätte die für die Protonentherapie geforderte Vergütung nicht zahlen müssen; es fehle an einer rechtlich wirksamen Kostenbelastung. Für die Rechnungsstellung gelte die GOÄ, wenn - wie hier - kein totaler Krankenhausaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag abgeschlossen worden sei. Für die (privatärztlich) ambulant erbrachte Behandlung könne eine Vergütung nur bei ordnungsgemäßer Rechnungsstellung nach Maßgabe der GOÄ beansprucht werden. Daran fehle es hier. In der Rechnung des R.-Trägers vom 11.03.2010 sei ein Pauschalbetrag ausgewiesen, was gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 GOÄ unzulässig sei. Hiervon dürfe auch nicht durch Vereinbarung abgewichen werden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GOÄ). Gemäß § 12 Abs. 1 GOÄ werde die Vergütung nur fällig, wenn eine der GOÄ entsprechende Rechnung erteilt worden sei. Die nachträgliche Vorlage einer GOÄ-konformen Rechnung könne den Mangel nicht heilen. Schließlich habe die Beklagte die Gewährung der Protonentherapie auch nicht zu Unrecht abgelehnt; die Versicherte habe die Behandlung als Leistung der GKV nicht beanspruchen können. Die Protonentherapie sei weder als voll- noch als teilstationäre Krankenhausbehandlung (durch die Ch. Klinik Dr. R. bzw. deren Träger) erbracht worden. Die Patienten kämen zur Protonenbehandlung erst unmittelbar vor dem Bestrahlungstermin in das R., wo ihnen ein Behandlungsraum zugewiesen werde. Die Bestrahlung dauere wenige Minuten, danach könnten die Patienten den Rest des Tages frei gestalten und etwa im Gästehaus des R. oder in einer anderen Unterkunft übernachten. Verpflegung werde nicht gewährt und die Patienten müssten abgesehen von der Bestrahlung im R. auch nicht anwesend sein. Die Versicherte habe nur eine ärztliche Leistung, nicht jedoch die medizinisch-organisatorische Leistung eines Krankenhauses in Anspruch genommen; das gehe auch aus dem Kostenvoranschlag des R.-Trägers vom 20.10.2009 hervor. Die Voraussetzungen für die Erbringung einer ambulanten Krankenhausbehandlung zu Lasten der GKV (§ 116b SGB V) seien nicht erfüllt gewesen. Auch als ambulante ärztliche Behandlung habe die Protonentherapie nicht zu Lasten der GKV erbracht werden können. Die Ärzte des R. seien zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen. Außerdem fehle es für die ambulante Behandlung des Klatskin-Tumors durch Protonentherapie an der gemäß § 135 Abs. 1 SGB V notwendigen Empfehlung des GBA; die genannte Behandlungsmethode gehöre daher nicht zum Leistungskatalog der GKV. Ein Seltenheitsfall liege bei ca. 5.000 Neuerkrankungen im Jahr in Deutschland nicht vor; Anhaltspunkte für ein Systemversagen gebe es nicht. Auch die Voraussetzungen der Leistungsgewährung in grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungskatalogs seien nicht erfüllt gewesen. Zweifelhaft sei, ob die schulmedizinischen Behandlungsmethoden (Chemotherapie) ausgeschöpft gewesen seien. Die Protonentherapie sei zudem ausschließlich palliativ und nicht kurativ angewendet worden; von der Möglichkeit der Heilung der Tumorerkrankung sei auch das R. nicht ausgegangen. Schließlich fehlten für die Wirksamkeit der Protonentherapie stichhaltige wissenschaftliche Nachweise. Das gehe aus dem MDK-Gutachten des Dr. B. vom 25.07.2011 hervor. Publikationen zur Anwendung der Protonentherapie bei Gallengangtumoren gebe es nicht. Die Protonentherapie sei daher im Rahmen eines experimentellen Heilversuchs ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Nutzen für die Versicherte durchgeführt worden.
28 
Gegen das ihm am 20.06.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.07.2014 Berufung eingelegt. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V (unaufschiebbare Leistung) setze einen Notfall i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht voraus und sei auch bei einer - hier vorliegenden - anderweitigen dringlichen Bedarfslage anwendbar. Der für den Erstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) notwendige Beschaffungsweg sei eingehalten worden; bei der Vorsprache am 08. oder 09.12.2009 habe die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten den Leistungsantrag abgelehnt. Hierzu hätte das SG weitere Ermittlungen anstellen und Zeugenvernehmungen durchführen müssen. Die Versicherte habe sich erst nach den Voruntersuchungen und den Aufklärungsgesprächen im R. vom 16.12.2009 zur Inanspruchnahme der Protonentherapie entschlossen. Dass sie die Behandlungskosten schon am 10.12.2009 überwiesen habe, ändere daran nichts. Dies sei notwendig gewesen, um die Voruntersuchungen durchzuführen. Die GOÄ sei nicht anwendbar. Die Behandlung sei von einem Krankenhaus erbracht worden, das auch alleiniger Vertragspartner der Versicherten gewesen sei. Schließlich seien die Voraussetzungen für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs erfüllt gewesen. Die schulmedizinischen Behandlungsmethoden seien ausgeschöpft gewesen. Im R. habe man eine Tumorremission angestrebt. Zur Frage, ob eine rein palliative Behandlung stattgefunden habe - die auch durch palliative Chemotherapie möglich gewesen wäre - hätten weitere Ermittlungen angestellt werden müssen. Die Beklagte habe mittlerweile einen Kooperationsvertrag mit der Universitätsklinik E. über die Behandlung (u.a.) von Patienten mit Leberzellkarzinom durch Protonentherapie abgeschlossen und kooperiere nach Pressemitteilungen auch mit dem Protonentherapiezentrum der Universitätsklinik H.. Das zeige, dass offenbar konkrete Anhaltspunkte für den Nutzen der Protonentherapie vorlägen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21.03.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2010 zu verurteilen, die Kosten für die Krebsbehandlung der Versicherten mit Protonentherapie im R. P. Th. C., M., i.H.v. 18.978,45 EUR zu erstatten,
31 
hilfsweise,
32 
zum Beweis der Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns im R. Anhaltspunkte für die Wirksamkeit der Protonentherapie vorlagen, die Einholung eines strahlentherapeutischen- bzw. onkologischen Fachgutachtens. Der Gutachter wird bestätigen, dass zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns Anhaltspunkte vorlagen, dass die Protonentherapie bei der Versicherten positive Wirkung entfalten kann.
33 
Die Beklagte beantragt,
34 
die Berufung zurückzuweisen.
35 
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
36 
Mit Beschluss vom 31.08.2015 hat der Senat das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf das beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Aktenzeichen B 1 KR 14/14 R anhängige Revisionsverfahren angeordnet.
37 
Am 16.03.2016 hat der Kläger das Verfahren (nach Ergehen des Urteils des BSG vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris) wieder angerufen. Es wird unter dem Aktenzeichen L 5 KR 1036/16 fortgeführt.
38 
Der Kläger trägt abschließend vor, der Kostenerstattungsanspruch könne nicht mangels rechtlich wirksamer Kostenbelastung der Versicherten ausgeschlossen werden (BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris). In der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2017 hat er noch eine Mehrfertigung des „w. j.“ (4/2010) vorgelegt, in der der Artikel „Klatskin Tumor - Neues zu Diagnostik und Therapie des hilären Gallenwegskarzinoms“ veröffentlicht ist.
39 
Die Beklagte weist abschließend auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23.09.2015 (- L 1 KR 524/12 -, nicht veröffentlicht) hin; dieses Urteil stütze ihre Rechtsaufassung.
40 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
41 
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Streitgegenstand des Klage- und des Berufungsverfahrens ist die Erstattung der Aufwendungen, die der Versicherten für die Behandlung ihrer Krebserkrankung durch Protonentherapie entstanden sind. Die Kosten, die der Versicherten hierfür in Rechnung gestellt worden sind, belaufen sich auf 18.978,45 EUR. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist damit überschritten. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher auch im Übrigen gemäß § 151 SGG zulässig. Der Kläger macht den Erstattungsanspruch zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG). Er ist hierfür gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten (als mit ihr zur Zeit ihres Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebender Ehegatte) prozessführungsbefugt. Da der Erstattungsanspruch über mehrere Zeitabschnitte selbst beschaffte Leistungen zum Gegenstand hat, stellt er (in jedem Fall) einen Anspruch auf laufende Geldleistungen i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I dar (dazu BSG, Urteil vom 03.07.2012, - B 1 KR 6/11 R -, in juris).
II.
42 
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Behandlung der Krebserkrankung der Versicherten durch Protonentherapie.
43 
1.) Da die Versicherte nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Die Vorschrift bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Das Gesetz sieht damit in Ergänzung des Sachleistungssystems der GKV (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst beschaffen musste, weil sie von der Krankenkasse als Sachleistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 02.11.2007, - B 1 KR 14/07 R -; Urteil vom 14.12.2006, - B 1 KR 8/06 R -, beide in juris). Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 (1. und 2. Alt.) SGB V reicht daher nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse (etwa auf Krankenbehandlung nach § 27 SGB V). Die Krankenkasse muss Aufwendungen des Versicherten nur erstatten, wenn die selbst beschaffte Leistung (nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Rechts, BSG, Urteil vom 08.03.1995, - 1 RK 8/94 -, in juris) ihrer Art nach oder allgemein von den Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen ist oder nur deswegen nicht erbracht werden kann, weil ein Systemversagen die Erfüllung des Leistungsanspruchs im Wege der Sachleistung gerade ausschließt (BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris). Die Selbstbeschaffung der Leistung muss außerdem zu einer (zivil-) rechtlich wirksamen Kostenlast des Versicherten geführt haben. Daran kann es insbesondere bei Verstößen gegen das einschlägige öffentlich-rechtliche Preisrecht fehlen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - zur GOÄ und zum Preisrecht für Krankenhausleistungen; auch etwa jurisPK-SGB V Schlegel/Voelzke, § 33 Rdnr. 49).
44 
Der regelmäßig im Vordergrund stehende Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) setzt die rechtswidrige Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und außerdem einen Ursachenzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Leistungsablehnung und der dem Versicherten durch die Selbstbeschaffung der Leistung entstandenen Kostenlast voraus. Dieser Ursachenzusammenhang fehlt, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 30.06.2009, - B 1 KR 5/09 R -, in juris; vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sowie ab 01.01.2013 die Beschleunigungsvorschrift in § 13 Abs. 3a SGB V) oder wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte. Das mit einer Entscheidung der Krankenkasse abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt weder einen „Formalismus“ in dem Sinne dar, dass es ganz entbehrlich ist, noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Versicherte nicht gehalten ist, die Entscheidung der Krankenkasse in seine eigene Entscheidung inhaltlich einzubeziehen, sondern den Abschluss des Verwaltungsverfahrens nur „formal“ abwarten muss, jedoch schon vorbereitende Schritte einleiten darf, die Ausdruck seiner Entschlossenheit sind, sich die Leistung in jedem Fall endgültig zu verschaffen. § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der GKV gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (so: BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris). Dem steht nicht entgegen, dass § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; Beschluss vom 19.03.2009, - 1 BvR 316/09 -, in juris) nicht in der Weise ausgelegt werden darf, dass er für einen bestehenden Leistungsanspruch die Funktion eines anspruchsvernichtenden Tatbestands entwickelt.
45 
Der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V (unaufschiebbare Leistung) setzt voraus, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder z.B. wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist. Es kommt nicht (mehr) darauf an, ob es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten; die gegenteilige Rechtsprechung hat das BSG im Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris) aufgegeben. Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der Krankenkasse nicht abzusehen ist. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V erfasst auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der Krankenkasse stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte (BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris). Liegt hingegen nicht nur ein Eilfall in diesem Sinne, sondern (sogar) ein (medizinischer) Notfall i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor, muss also ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden, ist der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V nicht einschlägig, sondern ausgeschlossen. Der Leistungserbringer erhält seine Vergütung für Notfallleistungen nicht vom (erstattungsberechtigten) Versicherten, sondern bei ambulanter Leistungserbringung von der Kassenärztlichen Vereinigung (aus der Gesamtvergütung, § 85 SGB V) und bei stationärer Leistungserbringung von der Krankenkasse. Der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V kann daher (gerade) auch dann erfüllt sein, wenn zwischen der erstmaligen Anfrage des Versicherten bei einem Behandler, einer etwaigen Voruntersuchung und dem eigentlichen Behandlungsbeginn längere (Warte-)Zeiten, ggf. auch mehrere Wochen, verstreichen (auch dazu: BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris). Auch bei Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V ist aber notwendig, dass die selbst beschaffte Leistung zu den von der GKV als Sachleistung zu gewährenden Leistungen (zu ihrem Leistungskatalog) gehört (BSG; Urteil vom 08.09.2015, a.a.O.).
46 
2.) Davon ausgehend kann der Kläger die Erstattung der Aufwendungen, die der Versicherten für die Behandlung ihrer Krebserkrankung durch Protonentherapie entstanden sind, nicht beanspruchen.
47 
Der Senat kann zunächst - im Hinblick auf beide Erstattungstatbestände des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V - offen lassen, ob die für die Erbringung der Protonentherapie vereinbarte Vergütung gegen öffentlich-rechtliches Preisrecht verstoßen und es deshalb an einer rechtswirksamen Kostenbelastung der Versicherten gefehlt hat (vgl. dazu BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris Rdnr. 21; Urteil vom 11.09.2012, - B 1 KR 3/12 R -, in juris Rdnr. 38 ff.). Der Senat kann - im Hinblick auf den Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V - weiter offen lassen, ob eine unaufschiebbare Leistung im Sinne dieser Vorschrift erbracht bzw. beschafft worden ist. Es spricht freilich viel dafür, dass die Protonentherapie nicht im Eilfall als unaufschiebbare Therapiemaßnahme, sondern nach vorheriger Überlegung und Abwägung des Für und Wider planmäßig durchgeführt worden ist. Die Versicherte hatte sich, nachdem sie durch den Bruder des Klägers auf die Protonentherapie aufmerksam gemacht worden war, an das R. gewandt, dort (vom R.-Träger) den Kostenvoranschlag vom 20.10.2009 hinsichtlich der anfallenden Behandlungskosten eingeholt, die Gewährung bzw. die Übernahme der Kosten dieser Behandlung Anfang November 2009 bei der Beklagten beantragt, sich am 15.12.2009 im R. zur Aufnahmeuntersuchung vorgestellt und die Protonentherapie sodann am 11.01.2010 aufgenommen. Bei diesem Verfahrensgang wird eine unaufschiebbare Leistung i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V kaum angenommen werden können. Schließlich kann der Senat - im Hinblick auf den Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V - auch offen lassen, ob die Versicherte von vornherein auf die Protonenbehandlung im R. festgelegt und fest entschlossen gewesen ist, sich diese Behandlungsleistung selbst dann zu beschaffen, wenn der Leistungsantrag abgelehnt werden sollte, und ob der Beschaffungsweg im Übrigen eingehalten worden ist; für eine Vorfestlegung der Versicherten spricht freilich, dass die gesamten (erheblichen) Behandlungskosten i.H.v. 18.978,45 EUR bereits am 10.12.2009 und noch vor Ergehen des Ablehnungsbescheids vom gleichen Tag überwiesen worden sind. Auf all diese Fragen kommt es entscheidungserheblich nicht an, weshalb der Senat nähere Feststellungen hierzu nicht treffen muss. Er muss weder weitere Ermittlungen in medizinischer Hinsicht anstellen noch (zum Inhalt des Beratungsgesprächs vom 08. bzw. 09.12.2009) die vom Kläger beantragte Zeugenvernehmung durchführen. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch scheitert nämlich auch bei Vorliegen einer rechtlich wirksamen Kostenbelastung der Versicherten, bei Vorliegen eines Eilfalls (§ 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V) bzw. bei fehlender Vorfestlegung auf die Protonentherapie im R. und bei Einhaltung des Beschaffungswegs (§ 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V) daran, dass sich die Versicherte eine Behandlungsleistung beschafft hat, die vom Leistungskatalog der GKV nicht umfasst gewesen ist und deren Kosten die Gemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten daher nicht übernehmen muss. Die Beklagte hat die Leistungsgewährung in Einklang mit den hierfür geltenden Vorschriften und Rechtsgrundsätzen zu Recht abgelehnt.
48 
Das SG hat zutreffend dargelegt, dass die Protonentherapie nicht als (voll- oder teilstationäre) Krankenhausbehandlung, sondern als ambulante Behandlungsleistung erbracht worden ist; der Kläger macht anderes auch nicht mehr geltend. Die Versicherte hat Krankenhausleistungen der Ch. Klinik Dr. R., wie Krankenhausverpflegung, Unterkunft oder pflegerische Betreuung und Medikation, nicht in Anspruch genommen. Sie hat die Behandlungsräume des R. in der Ch. Klinik Dr. R. nur zur (einmal wochentäglichen - Bericht des Arztes W. vom 05.02.2010) Durchführung der (wenige Minuten dauernden) Protonenbestrahlung aufgesucht, die Behandlungsräume nach erfolgter Bestrahlung wieder verlassen und sie ist im Übrigen im Gästehaus des R. untergebracht gewesen (vgl. hierzu auch Beschluss des erkennenden Senats vom 21.09.2016, - L 5 KR 2884/14 - und Urteil vom 14.12.2016, - L 5 KR 3913/15 -, beide nicht veröffentlicht).
49 
Als ambulante (vertragsärztliche) Behandlungsleistung hat die Protonentherapie nicht zu Lasten der GKV erbracht werden können. Hierfür fehlt die gemäß § 135 Abs. 1 SGB V notwendige und hier auch nicht entbehrliche positive Empfehlung des GBA. Das SG hat das in seinem Urteil zutreffend dargelegt; hierauf wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG; vgl. hierzu auch Beschluss des erkennenden Senats vom 21.09.2016, - L 5 KR 2884/14 - und Urteil vom 14.12.2016, - L 5 KR 3913/15 -, beide nicht veröffentlicht). Die Beklagte hat der Versicherten die Protonentherapie auch nicht nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (jetzt kodifiziert in § 2 Abs. 1a SGB V) gewähren müssen. Die Protonentherapie war - zur (maßgeblichen) Zeit der Leistungserbringung - durch Richtlinienentscheidung des GBA zwar nicht ausdrücklich aus dem Katalog der zu Lasten der GKV ambulant erbringbaren Leistungen ausgeschlossen (vgl. zur Krankenhausbehandlung jetzt: § 4 Abs. 1 Nr. 3.10. RL Methoden Krankenhausbehandlung ), so dass eine Anspruchsbegründung aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach § 2 Abs. 1a SGB V ohne Weiteres statthaft ist (dazu auch Senatsurteil vom 18.03.2015, a.a.O. m.w.N. und Senatsurteil vom 27.07.2016, - L 5 KR 4217/14 -, in juris; vgl. auch § 2 Abs. 2 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung, MethodRL). Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung in grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungskatalogs sind jedoch nicht erfüllt gewesen.
50 
In seinem grundlegenden Beschluss vom 06.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -, in juris) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und mit der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dE. lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn diese Behandlungsmethode eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG, a.a.O. Rdnr. 64). Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ist in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig. Übernimmt der Staat mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten, so gehört die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung unter den genannten Voraussetzungen zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Mindestversorgung (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 65). Das BSG hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach - so etwa BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, beide in juris, - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige GBA diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit (BSG, Urteil vom 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht etwa bei BSG, Urteil vom 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -, alle in juris) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015, - 1 BvR 2056/12 - und vom 26.03.2014, - 1 BvR 2415/13 -, beide in juris), wobei das BVerfG es in einer speziellen Situation (Apharesebehandlung in einem besonderen Fall) hat ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschluss vom 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -, in juris; zu alledem auch Senatsurteile vom 18.03.2015, - L 5 KR 3861/12 - und vom 27.07.2016, - L 5 KR 442/16 -, beide in juris).
51 
Bei der Versicherten hat mit dem cholangiozellulären Karzinom mit Lebermetastasen (unstreitig) eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorgelegen; die Versicherte ist an dieser Erkrankung auch verstorben. Angesichts des weit fortgeschrittenen Krankheitsstadiums (so auch Dr. B. im MDK-Gutachten vom 25.07.2011 unter Hinweis auf eine mediane Überlebenszeit bei Fernmetastasen von ca. 3 Monaten) hat sich die Versicherte bei Aufnahme der Protonentherapie in einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage befunden; das geht aus dem MDK-Gutachten des Dr. F. vom 09.12.2009 hervor. Eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung hat nicht mehr zur Verfügung gestanden. Der Senat entnimmt das dem Bericht des Prof. Dr. H. vom 16.07.2013. Danach ist die zytostatische Therapie (Chemotherapie) des cholangiozellulären Karzinoms insgesamt schwierig, weil der Tumor nur ein geringes Ansprechen auf diese Behandlung zeigt. Bei der Versicherten hat die Anwendung von 3 Zyklen Chemotherapie seit September 2009 auch keine wesentliche Wirkung gehabt; der Tumor hat sich nicht verkleinert. Die Fortführung der Chemotherapie über 3 weitere Zyklen, ggf. bei dennoch stattfindender Tumorprogression (und gutem Allgemeinzustand) eine Zweitlinientherapie ist danach wenig aussichtsreich gewesen. Die konventionelle Strahlentherapie (Photonenbestrahlung) ist im Bereich des Leberhilus/Gallenblasenbetts auf Grund der Toxizität sehr problematisch und wird deswegen in der Regel nicht durchgeführt. Damit sind die (schulmedizinischen) therapeutischen Methoden zur Behandlung der metastasierten und lokal fortgeschrittenen Tumorerkrankung der Versicherten - so die Einschätzung des Prof. Dr. H. - sehr begrenzt und nach Auffassung des Senats ausgeschöpft gewesen.
52 
Ausschlaggebend ist daher, ob für die bei der Versicherten durchgeführte Protonentherapie eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden hat. Das ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall gewesen.
53 
Die Anforderungen an das für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs vielfach - so auch hier - im Vordergrund stehende Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (dazu näher, insbesondere zur abstrakten und konkret-individuellen Prüfung und Abwägung von Risiken und Nutzen der Behandlungsmethode, BSG, Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 4/13 R -, in juris Rdnr. 16) dürfen nicht (gänzlich) aufgelöst werden. Das subjektive Empfinden des Versicherten, ggf. auch gestützt durch die entsprechende Einschätzung oder Empfehlung behandelnder Ärzte oder deren Erfahrungen bei Behandlungen der in Rede stehenden Art im Einzelfall, genügt für sich allein genommen regelmäßig nicht (vgl. dazu auch etwa BSG, Urteil vom 07.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -, in juris Rdnr 32 f.; Senatsurteil vom 27.07.2016, - L 5 KR 442/16 -, in juris). Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, muss die GKV auch nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (bzw. des § 2 Abs. 1a SGB V) nicht gewähren (BSG, Urteil vom 07.05.2013, - B 1 KR 26/12 R -, in juris Rdnr. 21). Außerdem dürfen den Versicherten nicht die im Krankenversicherungsrecht vorgesehenen Schutzmechanismen entzogen werden. Das Vorliegen indiziengestützter Erfolgsaussichten der in Rede stehenden Behandlungsmethode ist daher nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (BSG, Urteil vom 07.05.2013, a.a.O., auch zum Arztvorbehalt des § 15 SGB V).
54 
Die Anforderungen an das Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf dürfen im Einzelfall freilich auch nicht überspannt werden. Hierzu neigt der MDK nach den Erfahrungen des Senats tendenziell, etwa durch das Verlangen eines Wirksamkeits- und Nutzennachweises durch evidenzbasierte Studien (vgl. etwa Senatsurteil vom 19.03.2014, - L 5 KR 1496/13 -, in juris: Behandlung des Schleimhautmelanoms durch Immuntherapie mit dendritischen Zellen; auch BSG, Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 4/13 R - in juris Rdnr. 16). Im Unterschied zur Anwendung von Arzneimitteln im Off-Label-Use (dazu BSG, Urteil vom 03.07.2012, - B 1 KR 25/11 R -; Urteil vom 08.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -, beide in juris) genügen nämlich schon (Wirksamkeits-)Indizien. Solche Indizien können sich auch außerhalb von Studien oder vergleichbaren Erkenntnisquellen oder von Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften finden. Das BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -, in juris) hat als (so BVerfG a.a.O.) „Hinweise“ auf einen individuellen Wirkungszusammenhang etwa einen Vergleich des Gesundheitszustands des Versicherten mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankter, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelter Personen sowie auch mit dem solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden oder behandelt werden, angeführt, wobei derartige Erfahrungen insbesondere bei einer länger andauernden Behandlung Folgerungen für die Wirksamkeit der Behandlung erlauben können. Auch der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten, die die Symptome seiner Krankheit behandeln, kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG Bedeutung zu und es können sich „Hinweise“ auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben (so: BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -, in juris Rdnr. 66; auch BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015, - 1 BvR 2056/12 -, in juris Rdnr. 14). Davon ausgehend hat das BSG etwa Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten und Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen (Urteil vom 04.02.2006, - B 1 KR 7/05 R -, in juris) oder Verlaufsbeobachtungen an Hand von 126 operierten Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle (Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 4/13 R -, in juris) für geeignete Indizien erachtet, um das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt (fern) liegenden Aussichten auf eine spürbar(e) positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch eine Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu begründen (Urteil vom 02.09.2014, a.a.O.). Steht bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen bzw. wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung eine nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethode generell nicht zur Verfügung oder scheidet sie im konkreten Einzelfall (nachgewiesenermaßen) aus, sind schließlich Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen: je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ernsthaften „Hinweise“ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg (vgl. ebenfalls etwa BSG, Urteil vom 02.09.2014, a.a.O., Rdnr. 17).
55 
Der nicht ganz entfernt liegende „Behandlungserfolg“ der Alternativbehandlung muss auch bei Versicherten, die sich schulmedizinisch betrachtet in einer Palliativsituation befinden, keinen kurativen Behandlungsverfolg in dem Sinne darstellen, dass die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung als Wiederherstellung der Gesundheit (restitutio ad integrum) bestehen und die Alternativbehandlung hierauf gerichtet sein und mit diesem Anspruch auftreten müsste. Der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Einschränkung der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs dieser Art, wovon das SG aber offenbar ausgegangen ist (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.06.2014, - L 11 KR 3597/13 -, in juris), nicht zu entnehmen. Eine solche Einschränkung würde die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Pflicht der GKV zum Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten auch unzulässig verkürzen, zumal in den Fallgestaltungen, in denen die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs in Betracht kommt, eine Heilungsaussicht im vorstehend beschriebenen Sinne der Kuration (als restitutio ad integrum) vielfach nicht (mehr) besteht. Das BVerfG hat die Fälle der (nicht ganz fern liegenden) Aussicht auf Heilung und der (nicht ganz fern liegenden) Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf mit der Wendung „oder“ alternativ nebeneinander gestellt und mit der Wendung „wenigstens“ (zusätzlich) zum Ausdruck gebracht, dass es bei der zweiten Alternative „spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ nicht wie bei der ersten Alternative um „Heilung“ gehen muss (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -, in juris Rdnr. 64). Aus dem Beschluss des BVerfG vom 26.02.2013 (- 1 BvR 2045/12 -, in juris), auf den sich das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 24.06.2014 (- L 11 KR 3597/13 -, in juris) stützt, folgt nichts anderes. Danach kommt eine Alternativbehandlung bei krankheitsbedingter Lebensgefahr, wenn die Schulmedizin jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet und nur noch palliative Therapien anbietet, zwar nur in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen „über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg“ besteht; Versicherte könnten jedenfalls dann nicht auf eine palliative Standardtherapie verwiesen werden, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernt liegende „Aussicht auf Heilung“ bestehe (so BVerfG, a.a.O.). Das bedeutet aber nicht, dass Versicherte, die sich aus schulmedizinischer Sicht in einer Palliativsituation befinden, grundrechtsfundiert nur solche Alternativbehandlungen beanspruchen könnten, die einen kurativen Anspruch im (engeren) Sinne der restitutio ad integrum erheben (können). Mit „Heilung“ im Sinne des genannten Beschlusses des BVerfG ist vielmehr (auch) die spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, etwa durch Verlängerung der möglichst beschwerdefreien oder beschwerdearmen (Über-)Lebenszeit des (Tod-)Kranken, namentlich durch das vorübergehende Aufhalten oder Verlangsamen des Fortschreitens der nicht mehr heilbaren und deshalb kurativ nicht behandelbaren Erkrankung gemeint; das gilt insbesondere für nicht mehr heilbare Tumorerkrankungen, bei denen das Tumorwachstum zur Verlängerung der Lebenszeit des Erkrankten vorübergehend aufgehalten oder verlangsamt werden soll. In der Lebenszeitverlängerung als solcher liegt dann die positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, die freilich außerdem auch spürbar sein muss (in diesem Sinne ersichtlich auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2016, - L 11 KR 1180/15 -, in juris Rdnr. 33; zu alledem auch Senatsurteil vom 22.02.2017, - L 5 KR 1653/15 -, in juris: Behandlung des Glioblastoms durch Immuntherapie mit dendritischen Zellen).
56 
Nach Maßgabe dE. sind ausreichende Indizien für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im vorstehend beschriebenen Sinn nicht festzustellen.
57 
Im Ausgangspunkt unschädlich ist zwar, dass für die Versicherte bei Beginn der Protonentherapie eine Aussicht auf Heilung ihrer Krebserkrankung unstreitig nicht mehr bestanden, sie sich also in einer Palliativsituation befunden hat, und die in Rede stehende Behandlungsmethode nicht mit der Zielsetzung und dem Anspruch der Heilung angewendet worden ist, es vielmehr um eine (spürbare) Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch Verlängerung der möglichst beschwerdefreien oder beschwerdearmen Überlebenszeit bis zum nicht mehr abzuwendenden (Krebs-)Tod gegangen ist (so auch der Arzt W. - R. - im Bericht vom 05.02.2010). Aus dem MDK-Gutachten des Dr. B. vom 25.07.2011 geht aber hervor, dass es für die Protonentherapie (hier) zur Behandlung des cholangiozellulären Karzinoms mit Lebermetastasen keine ausreichenden Indizien für eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gibt. Die von Dr. B. durchgeführte Literaturrecherche hat keine (einzige) Publikation zur Anwendung der Protonentherapie beim Cholangiokarzinom ergeben. Die vom R. angeführten drei Publikationen sind, wie Dr. B. schlüssig dargelegt hat, nicht einschlägig. Zwei Publikationen haben nicht die Protonentherapie, sondern die (schulmedizinische) Photonentherapie zum Gegenstand, die dritte Publikation betrifft die zusätzlich zur (hier mangels Operabilität des Tumors ausscheidenden) chirurgischen Intervention durchgeführte Strahlentherapie. Bei dem viel häufigeren Krankheitsbild des kolorektalen Karzinoms und Lebermetastasen hat der GBA (im Januar 2011) weltweit nur 5 publizierte Patienten auffinden können. Der Arzt W. (R.) hat insoweit bestätigt, dass die Protonentherapie nur sporadisch angewendet wird und man im R. die Protonenbestrahlung eines malignen Gallengangtumors bislang nur in einem Fall durchgeführt hat (Bericht vom 05.02.2010). Fallserien oder Fallberichte kommen als Indizien daher nicht in Betracht. Leitlinien von Fachgesellschaften existieren für die Protonentherapie ebenfalls nicht. Für den im wissenschaftlich-theoretischen Ansatz bzw. im wissenschaftlichen Erklärungsmodell postulierten Nutzen der Protonentherapie - Schonung der Tumornachbarschaft infolge steilerer Dosisgradienz zwischen Zielvolumen und Risikoorganen - gibt es nach der von Dr. B. in seinem Gutachten angeführten Auffassung des GBA noch keine Belege. Erfahrungswerte hinsichtlich der notwendigen Strahlendosis liegen nicht vor. Aus den seit 01.11.2009 an der Universitätsklinik H. durchgeführten Studien zur Anwendung der Protonentherapie bei Hirntumoren können (Wirksamkeits-)Indizien für die hier vorliegende Fallgestaltung nicht abgeleitet werden, da die Protonentherapie - als experimentelles Verfahren - (erst) im Rahmen kontrollierter klinischer Studien praktiziert wird und die Studien auch eine andere Krebserkrankung betreffen. Die vom Kläger angeführte (spätere) Kooperation der Beklagten mit den Universitätskliniken E. und H. ist nicht von Belang. (Wirksamkeits-)Indizien müssen sich aus Erkenntnissen (vor allem) der medizinischen Wissenschaft oder der (klinischen) Behandlungspraxis ergeben. Die Verwaltungspraxis einer Krankenkasse kommt hierfür nicht in Betracht. Entsprechendes gilt für die im Richtlinienverfahren des GBA nach § 137c SGB V abgegebene Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 06.11.2009. Bei dieser Stellungnahme handelt es sich nicht um eine medizinisch-wissenschaftliche Expertise, sondern um die Äußerung einer im Richtlinienverfahren angehörten Körperschaft (vgl. § 91 Abs. 5 SGB V). Dass der GBA die Erbringung der Protonentherapie bei Lebermetastasen mit Beschluss vom 20.01.2011 aus der stationären Krankenhausbehandlung zu Lasten der GKV ausgeschlossen hat, ist hier nicht von Belang, weil es auf die Rechtslage bei Durchführung der streitigen Behandlung (im Januar/Februar 2010) ankommt. Unerheblich ist auch, ob die Versicherte die Protonentherapie in ihrem Fall als hilfreich empfunden hat und ihr im Nachhinein betrachtet ein individueller Nutzen zugeschrieben werden soll. Für die Begründung einer Leistungspflicht bzw. Erstattungspflicht der GKV genügt das nicht.
58 
Die Versicherte hat sich die Protonentherapie im R. auf eigenen Wunsch als experimentelles und vom Leistungskatalog der GKV nicht umfasstes Behandlungsverfahren im Rahmen eines Heilversuchs beschafft. Die ihr hierfür entstandenen Aufwendungen muss die Gemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten nicht übernehmen.
59 
Angesichts der vorliegenden Arztberichte und - eingehenden - MDK-Gutachten (zuletzt des Dr. B. vom 25.07.2011) drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen in medizinischer Hinsicht nicht auf. Die Erhebung eines (weiteren) Gutachtens, wie vom Kläger hilfsweise beantragt, ist nicht durchzuführen. Gegen die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Erkenntnisse des MDK sind stichhaltige Einwendungen nicht erhoben; begründete Zweifel sind nicht ersichtlich. Das gilt auch im Hinblick auf ein in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegtes Journal des W. Tumorzentrums (W.), in dem (auf S. 7) zu den Möglichkeiten der Strahlentherapie im Hinblick auf die Zielsetzung moderner Bestrahlungstechniken (Intensivierung der lokalen Tumorbehandlung bei weitestgehender Schonung der dem Tumorbett angrenzenden Strukturen) ohne weitere Vertiefung von der intraoperativen Strahlentherapie, der stereotaktischen 3-D-Bestrahlung und - (auch lediglich) als Option für die Zukunft - von der Protonentherapie die Rede ist. Die angesprochene deutliche Verlängerung der Überlebenszeit bezieht sich außerdem (allgemein) auf die intraoperative Bestrahlung des Klatskin-Tumors bzw. auf Patienten nach einer Lebertransplantation, worum es hier nicht geht.
III.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Gründe

 
I.
41 
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Streitgegenstand des Klage- und des Berufungsverfahrens ist die Erstattung der Aufwendungen, die der Versicherten für die Behandlung ihrer Krebserkrankung durch Protonentherapie entstanden sind. Die Kosten, die der Versicherten hierfür in Rechnung gestellt worden sind, belaufen sich auf 18.978,45 EUR. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist damit überschritten. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher auch im Übrigen gemäß § 151 SGG zulässig. Der Kläger macht den Erstattungsanspruch zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG). Er ist hierfür gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten (als mit ihr zur Zeit ihres Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebender Ehegatte) prozessführungsbefugt. Da der Erstattungsanspruch über mehrere Zeitabschnitte selbst beschaffte Leistungen zum Gegenstand hat, stellt er (in jedem Fall) einen Anspruch auf laufende Geldleistungen i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I dar (dazu BSG, Urteil vom 03.07.2012, - B 1 KR 6/11 R -, in juris).
II.
42 
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Behandlung der Krebserkrankung der Versicherten durch Protonentherapie.
43 
1.) Da die Versicherte nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Die Vorschrift bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Das Gesetz sieht damit in Ergänzung des Sachleistungssystems der GKV (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst beschaffen musste, weil sie von der Krankenkasse als Sachleistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 02.11.2007, - B 1 KR 14/07 R -; Urteil vom 14.12.2006, - B 1 KR 8/06 R -, beide in juris). Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 (1. und 2. Alt.) SGB V reicht daher nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse (etwa auf Krankenbehandlung nach § 27 SGB V). Die Krankenkasse muss Aufwendungen des Versicherten nur erstatten, wenn die selbst beschaffte Leistung (nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Rechts, BSG, Urteil vom 08.03.1995, - 1 RK 8/94 -, in juris) ihrer Art nach oder allgemein von den Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen ist oder nur deswegen nicht erbracht werden kann, weil ein Systemversagen die Erfüllung des Leistungsanspruchs im Wege der Sachleistung gerade ausschließt (BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris). Die Selbstbeschaffung der Leistung muss außerdem zu einer (zivil-) rechtlich wirksamen Kostenlast des Versicherten geführt haben. Daran kann es insbesondere bei Verstößen gegen das einschlägige öffentlich-rechtliche Preisrecht fehlen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - zur GOÄ und zum Preisrecht für Krankenhausleistungen; auch etwa jurisPK-SGB V Schlegel/Voelzke, § 33 Rdnr. 49).
44 
Der regelmäßig im Vordergrund stehende Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) setzt die rechtswidrige Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und außerdem einen Ursachenzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Leistungsablehnung und der dem Versicherten durch die Selbstbeschaffung der Leistung entstandenen Kostenlast voraus. Dieser Ursachenzusammenhang fehlt, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 30.06.2009, - B 1 KR 5/09 R -, in juris; vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sowie ab 01.01.2013 die Beschleunigungsvorschrift in § 13 Abs. 3a SGB V) oder wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte. Das mit einer Entscheidung der Krankenkasse abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt weder einen „Formalismus“ in dem Sinne dar, dass es ganz entbehrlich ist, noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Versicherte nicht gehalten ist, die Entscheidung der Krankenkasse in seine eigene Entscheidung inhaltlich einzubeziehen, sondern den Abschluss des Verwaltungsverfahrens nur „formal“ abwarten muss, jedoch schon vorbereitende Schritte einleiten darf, die Ausdruck seiner Entschlossenheit sind, sich die Leistung in jedem Fall endgültig zu verschaffen. § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der GKV gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (so: BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris). Dem steht nicht entgegen, dass § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; Beschluss vom 19.03.2009, - 1 BvR 316/09 -, in juris) nicht in der Weise ausgelegt werden darf, dass er für einen bestehenden Leistungsanspruch die Funktion eines anspruchsvernichtenden Tatbestands entwickelt.
45 
Der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V (unaufschiebbare Leistung) setzt voraus, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder z.B. wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist. Es kommt nicht (mehr) darauf an, ob es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten; die gegenteilige Rechtsprechung hat das BSG im Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris) aufgegeben. Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der Krankenkasse nicht abzusehen ist. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V erfasst auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der Krankenkasse stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte (BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris). Liegt hingegen nicht nur ein Eilfall in diesem Sinne, sondern (sogar) ein (medizinischer) Notfall i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor, muss also ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden, ist der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V nicht einschlägig, sondern ausgeschlossen. Der Leistungserbringer erhält seine Vergütung für Notfallleistungen nicht vom (erstattungsberechtigten) Versicherten, sondern bei ambulanter Leistungserbringung von der Kassenärztlichen Vereinigung (aus der Gesamtvergütung, § 85 SGB V) und bei stationärer Leistungserbringung von der Krankenkasse. Der Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V kann daher (gerade) auch dann erfüllt sein, wenn zwischen der erstmaligen Anfrage des Versicherten bei einem Behandler, einer etwaigen Voruntersuchung und dem eigentlichen Behandlungsbeginn längere (Warte-)Zeiten, ggf. auch mehrere Wochen, verstreichen (auch dazu: BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris). Auch bei Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V ist aber notwendig, dass die selbst beschaffte Leistung zu den von der GKV als Sachleistung zu gewährenden Leistungen (zu ihrem Leistungskatalog) gehört (BSG; Urteil vom 08.09.2015, a.a.O.).
46 
2.) Davon ausgehend kann der Kläger die Erstattung der Aufwendungen, die der Versicherten für die Behandlung ihrer Krebserkrankung durch Protonentherapie entstanden sind, nicht beanspruchen.
47 
Der Senat kann zunächst - im Hinblick auf beide Erstattungstatbestände des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V - offen lassen, ob die für die Erbringung der Protonentherapie vereinbarte Vergütung gegen öffentlich-rechtliches Preisrecht verstoßen und es deshalb an einer rechtswirksamen Kostenbelastung der Versicherten gefehlt hat (vgl. dazu BSG, Urteil vom 08.09.2015, - B 1 KR 14/14 R -, in juris Rdnr. 21; Urteil vom 11.09.2012, - B 1 KR 3/12 R -, in juris Rdnr. 38 ff.). Der Senat kann - im Hinblick auf den Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V - weiter offen lassen, ob eine unaufschiebbare Leistung im Sinne dieser Vorschrift erbracht bzw. beschafft worden ist. Es spricht freilich viel dafür, dass die Protonentherapie nicht im Eilfall als unaufschiebbare Therapiemaßnahme, sondern nach vorheriger Überlegung und Abwägung des Für und Wider planmäßig durchgeführt worden ist. Die Versicherte hatte sich, nachdem sie durch den Bruder des Klägers auf die Protonentherapie aufmerksam gemacht worden war, an das R. gewandt, dort (vom R.-Träger) den Kostenvoranschlag vom 20.10.2009 hinsichtlich der anfallenden Behandlungskosten eingeholt, die Gewährung bzw. die Übernahme der Kosten dieser Behandlung Anfang November 2009 bei der Beklagten beantragt, sich am 15.12.2009 im R. zur Aufnahmeuntersuchung vorgestellt und die Protonentherapie sodann am 11.01.2010 aufgenommen. Bei diesem Verfahrensgang wird eine unaufschiebbare Leistung i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V kaum angenommen werden können. Schließlich kann der Senat - im Hinblick auf den Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V - auch offen lassen, ob die Versicherte von vornherein auf die Protonenbehandlung im R. festgelegt und fest entschlossen gewesen ist, sich diese Behandlungsleistung selbst dann zu beschaffen, wenn der Leistungsantrag abgelehnt werden sollte, und ob der Beschaffungsweg im Übrigen eingehalten worden ist; für eine Vorfestlegung der Versicherten spricht freilich, dass die gesamten (erheblichen) Behandlungskosten i.H.v. 18.978,45 EUR bereits am 10.12.2009 und noch vor Ergehen des Ablehnungsbescheids vom gleichen Tag überwiesen worden sind. Auf all diese Fragen kommt es entscheidungserheblich nicht an, weshalb der Senat nähere Feststellungen hierzu nicht treffen muss. Er muss weder weitere Ermittlungen in medizinischer Hinsicht anstellen noch (zum Inhalt des Beratungsgesprächs vom 08. bzw. 09.12.2009) die vom Kläger beantragte Zeugenvernehmung durchführen. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch scheitert nämlich auch bei Vorliegen einer rechtlich wirksamen Kostenbelastung der Versicherten, bei Vorliegen eines Eilfalls (§ 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V) bzw. bei fehlender Vorfestlegung auf die Protonentherapie im R. und bei Einhaltung des Beschaffungswegs (§ 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V) daran, dass sich die Versicherte eine Behandlungsleistung beschafft hat, die vom Leistungskatalog der GKV nicht umfasst gewesen ist und deren Kosten die Gemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten daher nicht übernehmen muss. Die Beklagte hat die Leistungsgewährung in Einklang mit den hierfür geltenden Vorschriften und Rechtsgrundsätzen zu Recht abgelehnt.
48 
Das SG hat zutreffend dargelegt, dass die Protonentherapie nicht als (voll- oder teilstationäre) Krankenhausbehandlung, sondern als ambulante Behandlungsleistung erbracht worden ist; der Kläger macht anderes auch nicht mehr geltend. Die Versicherte hat Krankenhausleistungen der Ch. Klinik Dr. R., wie Krankenhausverpflegung, Unterkunft oder pflegerische Betreuung und Medikation, nicht in Anspruch genommen. Sie hat die Behandlungsräume des R. in der Ch. Klinik Dr. R. nur zur (einmal wochentäglichen - Bericht des Arztes W. vom 05.02.2010) Durchführung der (wenige Minuten dauernden) Protonenbestrahlung aufgesucht, die Behandlungsräume nach erfolgter Bestrahlung wieder verlassen und sie ist im Übrigen im Gästehaus des R. untergebracht gewesen (vgl. hierzu auch Beschluss des erkennenden Senats vom 21.09.2016, - L 5 KR 2884/14 - und Urteil vom 14.12.2016, - L 5 KR 3913/15 -, beide nicht veröffentlicht).
49 
Als ambulante (vertragsärztliche) Behandlungsleistung hat die Protonentherapie nicht zu Lasten der GKV erbracht werden können. Hierfür fehlt die gemäß § 135 Abs. 1 SGB V notwendige und hier auch nicht entbehrliche positive Empfehlung des GBA. Das SG hat das in seinem Urteil zutreffend dargelegt; hierauf wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG; vgl. hierzu auch Beschluss des erkennenden Senats vom 21.09.2016, - L 5 KR 2884/14 - und Urteil vom 14.12.2016, - L 5 KR 3913/15 -, beide nicht veröffentlicht). Die Beklagte hat der Versicherten die Protonentherapie auch nicht nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (jetzt kodifiziert in § 2 Abs. 1a SGB V) gewähren müssen. Die Protonentherapie war - zur (maßgeblichen) Zeit der Leistungserbringung - durch Richtlinienentscheidung des GBA zwar nicht ausdrücklich aus dem Katalog der zu Lasten der GKV ambulant erbringbaren Leistungen ausgeschlossen (vgl. zur Krankenhausbehandlung jetzt: § 4 Abs. 1 Nr. 3.10. RL Methoden Krankenhausbehandlung ), so dass eine Anspruchsbegründung aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach § 2 Abs. 1a SGB V ohne Weiteres statthaft ist (dazu auch Senatsurteil vom 18.03.2015, a.a.O. m.w.N. und Senatsurteil vom 27.07.2016, - L 5 KR 4217/14 -, in juris; vgl. auch § 2 Abs. 2 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung, MethodRL). Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung in grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungskatalogs sind jedoch nicht erfüllt gewesen.
50 
In seinem grundlegenden Beschluss vom 06.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -, in juris) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und mit der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dE. lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn diese Behandlungsmethode eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG, a.a.O. Rdnr. 64). Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ist in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig. Übernimmt der Staat mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten, so gehört die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung unter den genannten Voraussetzungen zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Mindestversorgung (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 65). Das BSG hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach - so etwa BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, beide in juris, - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige GBA diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit (BSG, Urteil vom 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht etwa bei BSG, Urteil vom 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -, alle in juris) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015, - 1 BvR 2056/12 - und vom 26.03.2014, - 1 BvR 2415/13 -, beide in juris), wobei das BVerfG es in einer speziellen Situation (Apharesebehandlung in einem besonderen Fall) hat ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschluss vom 06.02.2007, - 1 BvR 3101/06 -, in juris; zu alledem auch Senatsurteile vom 18.03.2015, - L 5 KR 3861/12 - und vom 27.07.2016, - L 5 KR 442/16 -, beide in juris).
51 
Bei der Versicherten hat mit dem cholangiozellulären Karzinom mit Lebermetastasen (unstreitig) eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorgelegen; die Versicherte ist an dieser Erkrankung auch verstorben. Angesichts des weit fortgeschrittenen Krankheitsstadiums (so auch Dr. B. im MDK-Gutachten vom 25.07.2011 unter Hinweis auf eine mediane Überlebenszeit bei Fernmetastasen von ca. 3 Monaten) hat sich die Versicherte bei Aufnahme der Protonentherapie in einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage befunden; das geht aus dem MDK-Gutachten des Dr. F. vom 09.12.2009 hervor. Eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung hat nicht mehr zur Verfügung gestanden. Der Senat entnimmt das dem Bericht des Prof. Dr. H. vom 16.07.2013. Danach ist die zytostatische Therapie (Chemotherapie) des cholangiozellulären Karzinoms insgesamt schwierig, weil der Tumor nur ein geringes Ansprechen auf diese Behandlung zeigt. Bei der Versicherten hat die Anwendung von 3 Zyklen Chemotherapie seit September 2009 auch keine wesentliche Wirkung gehabt; der Tumor hat sich nicht verkleinert. Die Fortführung der Chemotherapie über 3 weitere Zyklen, ggf. bei dennoch stattfindender Tumorprogression (und gutem Allgemeinzustand) eine Zweitlinientherapie ist danach wenig aussichtsreich gewesen. Die konventionelle Strahlentherapie (Photonenbestrahlung) ist im Bereich des Leberhilus/Gallenblasenbetts auf Grund der Toxizität sehr problematisch und wird deswegen in der Regel nicht durchgeführt. Damit sind die (schulmedizinischen) therapeutischen Methoden zur Behandlung der metastasierten und lokal fortgeschrittenen Tumorerkrankung der Versicherten - so die Einschätzung des Prof. Dr. H. - sehr begrenzt und nach Auffassung des Senats ausgeschöpft gewesen.
52 
Ausschlaggebend ist daher, ob für die bei der Versicherten durchgeführte Protonentherapie eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden hat. Das ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall gewesen.
53 
Die Anforderungen an das für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs vielfach - so auch hier - im Vordergrund stehende Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (dazu näher, insbesondere zur abstrakten und konkret-individuellen Prüfung und Abwägung von Risiken und Nutzen der Behandlungsmethode, BSG, Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 4/13 R -, in juris Rdnr. 16) dürfen nicht (gänzlich) aufgelöst werden. Das subjektive Empfinden des Versicherten, ggf. auch gestützt durch die entsprechende Einschätzung oder Empfehlung behandelnder Ärzte oder deren Erfahrungen bei Behandlungen der in Rede stehenden Art im Einzelfall, genügt für sich allein genommen regelmäßig nicht (vgl. dazu auch etwa BSG, Urteil vom 07.11.2006, - B 1 KR 24/06 R -, in juris Rdnr 32 f.; Senatsurteil vom 27.07.2016, - L 5 KR 442/16 -, in juris). Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, muss die GKV auch nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (bzw. des § 2 Abs. 1a SGB V) nicht gewähren (BSG, Urteil vom 07.05.2013, - B 1 KR 26/12 R -, in juris Rdnr. 21). Außerdem dürfen den Versicherten nicht die im Krankenversicherungsrecht vorgesehenen Schutzmechanismen entzogen werden. Das Vorliegen indiziengestützter Erfolgsaussichten der in Rede stehenden Behandlungsmethode ist daher nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (BSG, Urteil vom 07.05.2013, a.a.O., auch zum Arztvorbehalt des § 15 SGB V).
54 
Die Anforderungen an das Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf dürfen im Einzelfall freilich auch nicht überspannt werden. Hierzu neigt der MDK nach den Erfahrungen des Senats tendenziell, etwa durch das Verlangen eines Wirksamkeits- und Nutzennachweises durch evidenzbasierte Studien (vgl. etwa Senatsurteil vom 19.03.2014, - L 5 KR 1496/13 -, in juris: Behandlung des Schleimhautmelanoms durch Immuntherapie mit dendritischen Zellen; auch BSG, Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 4/13 R - in juris Rdnr. 16). Im Unterschied zur Anwendung von Arzneimitteln im Off-Label-Use (dazu BSG, Urteil vom 03.07.2012, - B 1 KR 25/11 R -; Urteil vom 08.11.2011, - B 1 KR 19/10 R -, beide in juris) genügen nämlich schon (Wirksamkeits-)Indizien. Solche Indizien können sich auch außerhalb von Studien oder vergleichbaren Erkenntnisquellen oder von Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften finden. Das BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -, in juris) hat als (so BVerfG a.a.O.) „Hinweise“ auf einen individuellen Wirkungszusammenhang etwa einen Vergleich des Gesundheitszustands des Versicherten mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankter, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelter Personen sowie auch mit dem solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden oder behandelt werden, angeführt, wobei derartige Erfahrungen insbesondere bei einer länger andauernden Behandlung Folgerungen für die Wirksamkeit der Behandlung erlauben können. Auch der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten, die die Symptome seiner Krankheit behandeln, kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG Bedeutung zu und es können sich „Hinweise“ auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben (so: BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -, in juris Rdnr. 66; auch BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015, - 1 BvR 2056/12 -, in juris Rdnr. 14). Davon ausgehend hat das BSG etwa Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten und Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen (Urteil vom 04.02.2006, - B 1 KR 7/05 R -, in juris) oder Verlaufsbeobachtungen an Hand von 126 operierten Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle (Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 4/13 R -, in juris) für geeignete Indizien erachtet, um das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt (fern) liegenden Aussichten auf eine spürbar(e) positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch eine Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu begründen (Urteil vom 02.09.2014, a.a.O.). Steht bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen bzw. wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung eine nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethode generell nicht zur Verfügung oder scheidet sie im konkreten Einzelfall (nachgewiesenermaßen) aus, sind schließlich Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen: je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ernsthaften „Hinweise“ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg (vgl. ebenfalls etwa BSG, Urteil vom 02.09.2014, a.a.O., Rdnr. 17).
55 
Der nicht ganz entfernt liegende „Behandlungserfolg“ der Alternativbehandlung muss auch bei Versicherten, die sich schulmedizinisch betrachtet in einer Palliativsituation befinden, keinen kurativen Behandlungsverfolg in dem Sinne darstellen, dass die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung als Wiederherstellung der Gesundheit (restitutio ad integrum) bestehen und die Alternativbehandlung hierauf gerichtet sein und mit diesem Anspruch auftreten müsste. Der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Einschränkung der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs dieser Art, wovon das SG aber offenbar ausgegangen ist (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.06.2014, - L 11 KR 3597/13 -, in juris), nicht zu entnehmen. Eine solche Einschränkung würde die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Pflicht der GKV zum Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten auch unzulässig verkürzen, zumal in den Fallgestaltungen, in denen die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs in Betracht kommt, eine Heilungsaussicht im vorstehend beschriebenen Sinne der Kuration (als restitutio ad integrum) vielfach nicht (mehr) besteht. Das BVerfG hat die Fälle der (nicht ganz fern liegenden) Aussicht auf Heilung und der (nicht ganz fern liegenden) Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf mit der Wendung „oder“ alternativ nebeneinander gestellt und mit der Wendung „wenigstens“ (zusätzlich) zum Ausdruck gebracht, dass es bei der zweiten Alternative „spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ nicht wie bei der ersten Alternative um „Heilung“ gehen muss (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -, in juris Rdnr. 64). Aus dem Beschluss des BVerfG vom 26.02.2013 (- 1 BvR 2045/12 -, in juris), auf den sich das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 24.06.2014 (- L 11 KR 3597/13 -, in juris) stützt, folgt nichts anderes. Danach kommt eine Alternativbehandlung bei krankheitsbedingter Lebensgefahr, wenn die Schulmedizin jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet und nur noch palliative Therapien anbietet, zwar nur in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen „über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg“ besteht; Versicherte könnten jedenfalls dann nicht auf eine palliative Standardtherapie verwiesen werden, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernt liegende „Aussicht auf Heilung“ bestehe (so BVerfG, a.a.O.). Das bedeutet aber nicht, dass Versicherte, die sich aus schulmedizinischer Sicht in einer Palliativsituation befinden, grundrechtsfundiert nur solche Alternativbehandlungen beanspruchen könnten, die einen kurativen Anspruch im (engeren) Sinne der restitutio ad integrum erheben (können). Mit „Heilung“ im Sinne des genannten Beschlusses des BVerfG ist vielmehr (auch) die spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, etwa durch Verlängerung der möglichst beschwerdefreien oder beschwerdearmen (Über-)Lebenszeit des (Tod-)Kranken, namentlich durch das vorübergehende Aufhalten oder Verlangsamen des Fortschreitens der nicht mehr heilbaren und deshalb kurativ nicht behandelbaren Erkrankung gemeint; das gilt insbesondere für nicht mehr heilbare Tumorerkrankungen, bei denen das Tumorwachstum zur Verlängerung der Lebenszeit des Erkrankten vorübergehend aufgehalten oder verlangsamt werden soll. In der Lebenszeitverlängerung als solcher liegt dann die positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, die freilich außerdem auch spürbar sein muss (in diesem Sinne ersichtlich auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2016, - L 11 KR 1180/15 -, in juris Rdnr. 33; zu alledem auch Senatsurteil vom 22.02.2017, - L 5 KR 1653/15 -, in juris: Behandlung des Glioblastoms durch Immuntherapie mit dendritischen Zellen).
56 
Nach Maßgabe dE. sind ausreichende Indizien für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im vorstehend beschriebenen Sinn nicht festzustellen.
57 
Im Ausgangspunkt unschädlich ist zwar, dass für die Versicherte bei Beginn der Protonentherapie eine Aussicht auf Heilung ihrer Krebserkrankung unstreitig nicht mehr bestanden, sie sich also in einer Palliativsituation befunden hat, und die in Rede stehende Behandlungsmethode nicht mit der Zielsetzung und dem Anspruch der Heilung angewendet worden ist, es vielmehr um eine (spürbare) Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch Verlängerung der möglichst beschwerdefreien oder beschwerdearmen Überlebenszeit bis zum nicht mehr abzuwendenden (Krebs-)Tod gegangen ist (so auch der Arzt W. - R. - im Bericht vom 05.02.2010). Aus dem MDK-Gutachten des Dr. B. vom 25.07.2011 geht aber hervor, dass es für die Protonentherapie (hier) zur Behandlung des cholangiozellulären Karzinoms mit Lebermetastasen keine ausreichenden Indizien für eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gibt. Die von Dr. B. durchgeführte Literaturrecherche hat keine (einzige) Publikation zur Anwendung der Protonentherapie beim Cholangiokarzinom ergeben. Die vom R. angeführten drei Publikationen sind, wie Dr. B. schlüssig dargelegt hat, nicht einschlägig. Zwei Publikationen haben nicht die Protonentherapie, sondern die (schulmedizinische) Photonentherapie zum Gegenstand, die dritte Publikation betrifft die zusätzlich zur (hier mangels Operabilität des Tumors ausscheidenden) chirurgischen Intervention durchgeführte Strahlentherapie. Bei dem viel häufigeren Krankheitsbild des kolorektalen Karzinoms und Lebermetastasen hat der GBA (im Januar 2011) weltweit nur 5 publizierte Patienten auffinden können. Der Arzt W. (R.) hat insoweit bestätigt, dass die Protonentherapie nur sporadisch angewendet wird und man im R. die Protonenbestrahlung eines malignen Gallengangtumors bislang nur in einem Fall durchgeführt hat (Bericht vom 05.02.2010). Fallserien oder Fallberichte kommen als Indizien daher nicht in Betracht. Leitlinien von Fachgesellschaften existieren für die Protonentherapie ebenfalls nicht. Für den im wissenschaftlich-theoretischen Ansatz bzw. im wissenschaftlichen Erklärungsmodell postulierten Nutzen der Protonentherapie - Schonung der Tumornachbarschaft infolge steilerer Dosisgradienz zwischen Zielvolumen und Risikoorganen - gibt es nach der von Dr. B. in seinem Gutachten angeführten Auffassung des GBA noch keine Belege. Erfahrungswerte hinsichtlich der notwendigen Strahlendosis liegen nicht vor. Aus den seit 01.11.2009 an der Universitätsklinik H. durchgeführten Studien zur Anwendung der Protonentherapie bei Hirntumoren können (Wirksamkeits-)Indizien für die hier vorliegende Fallgestaltung nicht abgeleitet werden, da die Protonentherapie - als experimentelles Verfahren - (erst) im Rahmen kontrollierter klinischer Studien praktiziert wird und die Studien auch eine andere Krebserkrankung betreffen. Die vom Kläger angeführte (spätere) Kooperation der Beklagten mit den Universitätskliniken E. und H. ist nicht von Belang. (Wirksamkeits-)Indizien müssen sich aus Erkenntnissen (vor allem) der medizinischen Wissenschaft oder der (klinischen) Behandlungspraxis ergeben. Die Verwaltungspraxis einer Krankenkasse kommt hierfür nicht in Betracht. Entsprechendes gilt für die im Richtlinienverfahren des GBA nach § 137c SGB V abgegebene Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 06.11.2009. Bei dieser Stellungnahme handelt es sich nicht um eine medizinisch-wissenschaftliche Expertise, sondern um die Äußerung einer im Richtlinienverfahren angehörten Körperschaft (vgl. § 91 Abs. 5 SGB V). Dass der GBA die Erbringung der Protonentherapie bei Lebermetastasen mit Beschluss vom 20.01.2011 aus der stationären Krankenhausbehandlung zu Lasten der GKV ausgeschlossen hat, ist hier nicht von Belang, weil es auf die Rechtslage bei Durchführung der streitigen Behandlung (im Januar/Februar 2010) ankommt. Unerheblich ist auch, ob die Versicherte die Protonentherapie in ihrem Fall als hilfreich empfunden hat und ihr im Nachhinein betrachtet ein individueller Nutzen zugeschrieben werden soll. Für die Begründung einer Leistungspflicht bzw. Erstattungspflicht der GKV genügt das nicht.
58 
Die Versicherte hat sich die Protonentherapie im R. auf eigenen Wunsch als experimentelles und vom Leistungskatalog der GKV nicht umfasstes Behandlungsverfahren im Rahmen eines Heilversuchs beschafft. Die ihr hierfür entstandenen Aufwendungen muss die Gemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten nicht übernehmen.
59 
Angesichts der vorliegenden Arztberichte und - eingehenden - MDK-Gutachten (zuletzt des Dr. B. vom 25.07.2011) drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen in medizinischer Hinsicht nicht auf. Die Erhebung eines (weiteren) Gutachtens, wie vom Kläger hilfsweise beantragt, ist nicht durchzuführen. Gegen die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Erkenntnisse des MDK sind stichhaltige Einwendungen nicht erhoben; begründete Zweifel sind nicht ersichtlich. Das gilt auch im Hinblick auf ein in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegtes Journal des W. Tumorzentrums (W.), in dem (auf S. 7) zu den Möglichkeiten der Strahlentherapie im Hinblick auf die Zielsetzung moderner Bestrahlungstechniken (Intensivierung der lokalen Tumorbehandlung bei weitestgehender Schonung der dem Tumorbett angrenzenden Strukturen) ohne weitere Vertiefung von der intraoperativen Strahlentherapie, der stereotaktischen 3-D-Bestrahlung und - (auch lediglich) als Option für die Zukunft - von der Protonentherapie die Rede ist. Die angesprochene deutliche Verlängerung der Überlebenszeit bezieht sich außerdem (allgemein) auf die intraoperative Bestrahlung des Klatskin-Tumors bzw. auf Patienten nach einer Lebertransplantation, worum es hier nicht geht.
III.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kosten in Höhe von 21.435,05 EUR für die bei der Ehefrau des Klägers und Versicherten S. G. von April 2010 bis August 2010 durchgeführte Immuntherapie, bestehend aus einer Therapie mit dendritischen Zellen, kostimulatorischen natürlichen Killerzellen und Hitzeschockproteinen, einer kombinierten Hyperthermie (aktiv und passiv) und einer Therapie mit onkolytischen Viren bei dem Arzt für Allgemeinmedizin G …

Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau S. G., geboren 1956, verstorben am 14.11.2010, die Erstattung der Behandlungskosten bei dem Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren G … Die Versicherte litt an einem im Oktober 1997 beginnenden progredienten Mammakarzinom links. Im August 1999 kam es zu einem Lokalrezidiv links mit anschließender Operation und Bestrahlung. Ein erneutes Lokalrezidiv links trat im September 2003 auf mit Mammakarzinom rechts. Es erfolgte eine bilaterale Mastektomie und 4 Zyklen FEC-Chemotherapie mit anschließender Therapie mit Tamoxifen und Zoladex bis zum Jahre 2006. Im Jahr 2007 kam es zu einer generalisierten Metastasierung; es wurde eine palliative Hormontherapie eingeleitet. Wegen des weiteren Fortschreitens wurde eine palliative Chemotherapie von April 2008 bis September 2008 durchgeführt. Eine progrediente Metastasierung mit steigenden Tumormarkern ist im März 2010 dokumentiert. Neben einer onkologischen Betreuung vorwiegend in der Gemeinschaftspraxis Onkologie C-Stadt und stationär im Klinikum C-Stadt erfolgte auch eine palliative Betreuung bis zum Tod am 14. November 2010 über das Klinikum C-Stadt.

Mit Schreiben vom 06.05.2010 beantragte G. für die Ehefrau des Klägers die Kostenerstattung der Immuntherapie für metastasierendes Mammakarzinom mit dendritischen Zellen und kostimulatorischen natürlichen Killerzellen, Hitzeschockproteinen sowie kombinierter Hyperthermie und natürlichen Killerzellen. Aus dem dargestellten Krankheitsverlauf ergebe sich, dass es schulmedizinisch keine kurativen Therapiestrategien mehr gebe; ob es nur eine palliative gebe, sei wissenschaftlich nicht erwiesen. Was nun der Patientin an Chemotherapie angeboten werde, sei „wildes herum experimentieren“ mit toxischen Substanzen in einem ethisch nicht zu rechtfertigenden Wirkung-Nebenwirkungsverhältnis. Deshalb sei der Versicherten entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 die von ihm vorgeschlagene Therapie zu bewilligen. Die von ihm beabsichtigten Therapien wurden dargelegt. Beigefügt waren auch Befundunterlagen, Grafiken, bildgebende Untersuchungsberichte über die Therapie und die damit erzielten Erfolge bei anderen Patienten sowie veröffentlichte Aufsätze.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern kam in einer Stellungnahme vom 09.06.2010 zu dem Ergebnis, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung der Versicherten vorliege. Er vertrat allerdings die Auffassung, dass allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungen in den zertifizierten Brustzentren zum Beispiel in B-Stadt Klinikum G., Klinikum I., Klinikum D. oder Klinikum H. zur Verfügung ständen. Für die beantragte Behandlungsmethode liege keine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung vor, so dass der Kasse die Kostenbeteiligung oder -übernahme nicht empfohlen werde.

Die Versicherte präzisierte am 10. Juni 2010 ihren Antrag dahingehend, dass jede der Einzeltherapien wie aktive Hyperthermie, Tiefenhyperthermie oder onkolytische Viren auch einzeln beurteilt werden sollten.

Mit Bescheid vom 11.06.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Dendritische Zelltherapie bei dem Arzt G. ab. Die nicht vertragsärztliche Therapie könne nicht befürwortet werden, da nach Auskunft des MDK die Voraussetzungen auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG nicht vorlägen.

Gegen diese Ablehnung legten sowohl Herr G. als auch die Versicherte Widerspruch ein. Sie habe die dem Standard entsprechenden Therapien bereits durchlaufen; die zuletzt durchgeführte Chemotherapie sei nicht mehr wirksam gewesen. In Hinblick auf die massiven Nebenwirkungen könne sie diese Therapie deshalb nicht mehr weiterführen. Im Übrigen sei sie durch die Nebenwirkungen dieser Therapie so geschwächt, dass in regelmäßigen Abständen Bluttransfusionen benötigt würden und deshalb auch diese Therapie nicht fortgesetzt werden könnte. Die zwar noch nicht anerkannten Behandlungen durch den Arzt G. hätten in vielen Fällen Erfolge gezeigt.

Die Beklagte holte ein Gutachten des MDK vom 05.08.2010 ein. Zweifelsohne liege eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche verlaufende Erkrankung vor. Ob derzeit eine notstandsähnliche Situation bestehe, könne anhand der Angaben nicht beurteilt werden. Da es sich bei dem Krankheitsbild der Versicherten um ein metastasierendes Mammakarzinom handle, sei das primäre Behandlungsziel palliativ, das bedeute, dass trotz Einsatzes der zur Verfügung stehenden therapeutischen Maßnahmen nicht mit einer Heilung gerechnet werden könne. Behandlungsziel sei daher die Verbesserung der tumorbedingten Beschwerden, der Lebensqualität und der Versuch, die Überlebenszeit zu verlängern. Hierfür stünde eine Vielzahl von Therapien zur Verfügung, die im konkreten Fall der Versicherten nicht ausgeschöpft seien. Deshalb werde, wie im Vorgutachten schon empfohlen, dringend die Vorstellung in einem von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Brustzentrum empfohlen. Für die Behandlung mit onkolytischen Viren seien zwar im Bereich der Grundlagenforschung Aktivitäten erkennbar, an klinischen Daten gebe es lediglich Einzelfallberichte und Pilotstudien mit Phase-I-Charakter, die nicht geeignet seien, Sicherheit und Wirksamkeit dieser Methode im Sinne der evidenzbasierten Medizin nachzuweisen. Die genannten Forschungsaktivitäten unter Zuhilfenahme gentechnischer Methoden an wissenschaftlichen Zentren seien allerdings in keinster Weise mit dem von Herrn G. beantragten unkontrollierten Einsatz von Wildviren zu vergleichen. Aufgrund eines fehlenden Unbedenklichkeitsnachweises könne auch ein individueller Heilversuch wie hier beantragt nicht empfohlen werden. Die beantragte Behandlung mit onkolytischen Viren sei deshalb eine hoch experimentelle Methode, welche nach § 135 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) als neues Verfahren aufzufassen sei und zulasten der Krankenkasse nur angewandt werden könne, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sie als wirksam und therapeutisch zweckmäßig anerkannt habe. Dies sei bisher nicht geschehen, der Nutzen bzw. die Gefahren dieses Verfahren seien gegenwärtig nicht abschätzbar. Bezüglich der dendritischen Zellen wies der MDK darauf hin, dass es mehrere Herstellungsverfahren und Anwendungsmodalitäten gebe und eine Standardisierung des Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennbar sei. In den Leitlinien werde wiederholt darauf hingewiesen, dass Immuntherapie, und dazu gehöre auch die Vakzination (Impfung) mit dendritischen Zellen, aufgrund des ungesicherten Überlebensvorteils, der hohen Toxizität und damit erheblichen Einschränkung der Lebensqualität, ausschließlich innerhalb von Studien durchgeführt werden sollten. Randomisierte Studien lägen bislang nicht vor, auch diese Therapie befinde sich noch in der Phase der experimentellen klinischen Forschung. Sie sei vom G-BA bisher weder als wirksam noch als therapeutisch zweckmäßig anerkannt worden. Bezüglich der Hyperthermie-Verfahren habe der G-BA im Januar 2005 verschiedene Verfahren bewertet. Für alle überprüften Tumorindikationen sei aufgezeigt worden, dass der Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit auch im Vergleich zu bereits zulasten der Krankenkasse erbrachten Methoden nach gegenwärtigem Stand nicht valide belegt sei. Es sei deshalb eine Anwendung und Anerkennung nicht empfohlen worden, für den ambulanten Sektor liege ein negatives Votum des G-BA vor. Insgesamt seien daher die beantragten Behandlungsmethoden nicht zu übernehmen.

Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2010 zurück.

Hiergegen hat die Versicherte Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat dargelegt, welche Behandlungsmethoden in der Zeit zwischen 1997 und 2010 bereits angewandt worden waren. Ferner hat sie einen Bericht des Klinikums C-Stadt vorgelegt, in dem sich die damalige Klägerin im Anschluss an die Behandlung bei Herrn G. vom 26.08.2010 bis 03.09.2010 in stationärer Behandlung befand. Dort wurde eine Untersuchung vor allem in Hinblick auf die nachgewiesenen Metastasen in der Wirbelsäule durchgeführt und der Versicherten empfohlen, sich in einer strahlentherapeutischen Einrichtung vorzustellen, mit der Bitte, dort die Möglichkeit einer Bestrahlung der Wirbelsäule sowie einer Schädelbestrahlung zu überprüfen. Zur Begründung der Klage ist vor allem darauf hingewiesen worden, dass es schulmedizinisch keine kurativen Therapiestrategien für die Ehefrau des Klägers mehr gegeben habe. Es sei nicht einmal wissenschaftlich erwiesen, ob es überhaupt eine palliative schulmedizinische Behandlungsstrategie gegen habe. Alle Standardtherapien seien vorliegend aber ausgeschöpft gewesen, daher sei es nur zu verständlich, dass sich die Versicherte in der aussichtslosen Situation im April 2010 in die Praxis von Hr. G. begeben habe, um sich dessen Therapie zu unterziehen. Im Unterschied zu den schulmedizinischen Behandlungsmethoden handele sich bei der zellulären Immuntherapie um eine kurative Behandlungsweise, mit der Hr. G. jahrzehntelangen Erfolg habe. Bereits vor der Therapie mit dendritischen Zellen sei eine Verminderung des Sehvermögens festgestellt worden und die weiterführenden Untersuchungen hätten eine Metastase am rechten Auge und mehrere Befunde am linken Auge ergeben. Im Hinblick auf die Bestätigung einer Hirnmetastase sei eine Bestrahlung in der strahlentherapeutischen Praxis des Klinikums S. durchgeführt worden. Die empfohlene Chemotherapie sei verantwortlich für den desolaten körperlichen Zustand der Versicherten während der ersten Chemotherapie 2003/2004 gewesen. Aufgrund der festgestellten Hirnmetastase und einer Schwäche des linken Beines sei eine Behandlung in der Palliativstation des Klinikums C-Stadt durchgeführt worden. Die Versicherte habe zwar beabsichtigt, die Therapie insbesondere mit dendritischen Zellen wieder aufzunehmen. Sie sei jedoch dann am 14.11.2010 infolge der multiplen Metastasen verstorben.

Im Hinblick auf die o.g. Entscheidung des BVerfG und die dort genannten Voraussetzungen hat der Kläger dargelegt, dass die Hyperthermie im Rahmen einer Untersuchung der Universität F. als erfolgversprechend angesehen worden sei, so dass die grundsätzliche Wirksamkeit der Hyperthermie bei malignen Erkrankungen außer Frage stehe. Dies gelte auch für die Tiefenhyperthermie. Dieses Verfahren sei international in Wissenschaft und Praxis anerkannt, vor allem im asiatischen Raum. Diese Therapie sei nicht als Monotherapie anzuwenden, sondern eine Facette in einem immuntherapeutischen Gesamtkonzept. Daher sei sie nicht mit der Entscheidung des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu vergleichen, mit der deren Aufnahme in die früheren BuB-Richtlinien abgelehnt worden sei. Dabei sei darauf hinzuweisen, dass es eine Entscheidung des BVerfG vom 29.11.2007 gebe, wo die Hyperthermiebehandlung als Schmerztherapie bei einem Rectumkarzinom zugesprochen worden sei. Bezüglich der onkolytischen Viren laufe zurzeit eine Pilotstudie mit gegenwärtig 14 Patienten mit Glioblastom. Da habe diese Methode besonderen Erfolg, da es keine Therapieoption gebe, die auch nur einen annähernd ähnlichen Erfolg einer Heilung von etwa 1/3 der Patienten mit sonst infauster Prognose habe. Die Methode mit dendritische Zellen habe beim metastasierenden Melanom eine Prüfung der Phase III bereits durchlaufen. Insgesamt sei festzustellen, dass bei der Ehefrau des Klägers die Vorgaben des BVerfG erfüllt gewesen seien, da kein Behandler mit Facharztqualität und keine Klinik mit onkologischer Ausrichtung benannt werden könnten, die die begehrte oder eine vergleichbare Therapie durchführen hätten können.

Mit Schriftsatz vom 16.02.2011 ist der Klageantrag dahingehend präzisiert worden, dass eine Zahlung von 21.435,05 Euro zusätzlich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen sind. Vorgelegt wurden die Rechnungen von G. für die Behandlungen vom 26.4.2010 bis 23.08.2010.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und darauf hingewiesen, dass aus den Ausführungen des klägerischen Prozessbevollmächtigten zu entnehmen sei, dass er selbst davon ausgehe, dass die streitige Behandlungsmethode jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Anwendung nicht mehr geeignet gewesen sei. Die Beklagte hat ergänzend auf das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16.11.2010 (L 11 KR 1871/10) verwiesen.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat der Auffassung der Beklagten widersprochen, die streitige Behandlungsmethode sei bereits zum Zeitpunkt ihrer Anwendung nicht mehr geeignet gewesen. Vielmehr sei darauf hinzuweisen, dass, hätte die Versicherte anstelle der Immuntherapie eine Chemotherapie erhalten, diese nicht nur ungeeignet gewesen wäre, sondern noch dazu die Lebensqualität extrem beeinträchtigt worden wäre, wenn nicht gar das Leben verkürzt worden wäre. Im Übrigen verkenne die Beklagte, dass es nicht um die Wirksamkeit der streitigen Behandlungsmethode gehe, sondern um eine auf Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Dies habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg in einer Entscheidung vom 14.03.2011 (Az.: L 4 KR 4341/10 ER-B) nochmals deutlich herausgestellt.

Die Beklagte hat sowohl auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Hyperthermiebehandlung als auch auf die Frage des nicht eingehaltenen Beschaffungsweges hingewiesen. Außerdem sei darauf hinzuweisen, dass die zitierte Entscheidung des LSG Baden-Württemberg eine Entscheidung im Eilverfahren gewesen sei und der Senat dort ausgeführt habe, dass aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes nicht die Aussage getroffen werden könne, ob die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten beständen.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Internisten Dr. R. (Klinikum B-Stadt H.) vom 18.07.2012 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es habe sich zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns im April 2010 um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung gehandelt; ob auch eine akut lebensbedrohliche Erkrankung vorgelegen habe, könne aus den zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht mit Sicherheit beurteilt werden. Es habe im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) alternative Behandlungsmöglichkeiten und zwar in Form einer Hormontherapie mit Gestagenen oder mit zu diesem Zeitpunkt noch verwendeten Zytostatikamedikamenten in wöchentlichen Verabreichungen gegeben. Diese Behandlungsmöglichkeiten hätten wohnortnäher durchgeführt werden können, zum Beispiel in den zertifizierten Zentren zur Brusttumorbehandlung in B-Stadt im Klinikum G., Klinikum I., R-Klinikum oder im Klinikum H … Weiter hat der Gutachter ausgeführt, dass im konkreten Fall keine ernsthaften Hinweise auf eine nicht ganz fernliegende Heilungsaussicht oder zumindest eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Therapie von Herrn G. bestanden habe. Dieser Beurteilung geht voraus eine ausführliche Auseinandersetzung mit den vorgelegten Unterlagen und den bekannten Ausführungen von Herrn G …

Die Bevollmächtigte des Klägers hat dem Ergebnis der Begutachtung widersprochen. Da es offensichtlich auch in der schulmedizinischen Behandlung in diesem Stadium keinen entsprechenden Standard mehr gebe, habe auch der Gutachter einräumen müssen, wie vom MDK bereits dargestellt, dass es sich bei den genannten Therapien um „ungezieltes und wissenschaftlich nicht überprüftes Herumprobieren“ handle. Damit stehe auch nach dem Gutachten fest, dass eine allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung gestanden habe und die Methode von Herrn G. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung versprochen habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2012 ist eine grafische Darstellung der Entwicklung der Tumormarker für die Zeit vom 26.4.2010 bis 23.8.2010 vorgelegt worden. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 25. Oktober 2012 die Klage abgewiesen und sich dabei auf das Gutachten des Dr. R. gestützt.

Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger ergänzend zum bisher Vorgebrachten auf eine Pilotstudie zur Hyperthermie der Universität I-Stadt sowie auf eine Studie der Universität F. Bezug genommen.

Die Beklagte hat ebenfalls erneut ausgeführt, warum nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen für die Kostenerstattung nicht vorliegen. Insbesondere handele es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung, da eine Standardtherapie zur Verfügung gestanden habe.

Der Kläger hat ferner u.a. Unterlagen zur Dendritischen Zelltherapie vorgelegt. Die Versicherte habe sich in einer lebensbedrohlichen Situation befunden. Er hat auf einen Beschluss des G-BA vom 20.01.2011 hingewiesen, der ausdrücklich festgelegt habe, dass der G-BA nicht den Einzelfall regele, sondern dass der Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 auch bei ausgeschlossenen Methoden Gültigkeit habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2015 hat der Kläger angegeben, dass laufend eine weitere Behandlung seiner Frau auch während der Behandlung durch Hr. G. stattgefunden habe, insbesondere mit Xeloda (eine orale Chemotherapie mit Capecitabine). Der Rechtsstreit ist daraufhin vertagt worden.

Der Senat hat einen Befundbericht der Dr. C. vom 03.05.2015 eingeholt. Die Versicherte sei seit 2008 regelmäßig mit Xeloda behandelt worden. Sie habe die Versicherte von Ende 2008 bis November 2010 regelmäßig behandelt. Auch während der Behandlung durch Hr. G. sei sie in ihrer onkologischen Behandlung gewesen; die Chemotherapie mit Capecitabine sei fortgesetzt worden, zusätzlich eine Bisphosphonat-Therapie ca. alle vier Wochen sowie eine Schmerztherapie und regelmäßige Bluttransfusionen bei Tumoranämie.

Der Senat hat weitere ärztliche Behandlungsunterlagen eingeholt, u.a. auch von der Praxisklinik G. vom 10.08.2015 zu den durchgeführten Therapien onkolytische Viren, dendritische Zellen und Hyperthermie. Der Patientenvertrag datiert vom 26.04.2010 mit Regelungen zu den Leistungen, die nicht Kassenleistungen sind.

Am 06.04.2016 hat eine zweite mündliche Verhandlung stattgefunden. Der Senat hat einen Vertagungsbeschluss zur Einholung eines Gutachtens durch Dr. S. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erlassen. Der Antrag ist abgeändert worden auf Einholung eines Gutachtens durch Prof. Dr. H. I., em. Professor für Immunologie an der Universität I-Stadt. Prof. I. hat in seinem Gutachten vom 23.08.2016 ausgeführt, dass folgende Therapien eingesetzt worden seien: zelluläre Immuntherapie mit Dendritischen Zellen, zelluläre Immuntherapie mit natürlichen Killerzellen, inaktivierte onkolytische Viren, Hyperthermie. Mit jeder der drei Therapie-Facetten (Hyperthermie, onkolytische Viren und dendritische Zellen) seien Heilungen auch in „unheilbaren“ Stadien der Krebserkrankung dokumentiert worden. In Kombination wirkten sie überadditiv. Zusammenfassend werde die kombinierte Therapie vom Sachverständigen unterstützt. Es hätten im konkreten Fall ernsthafte Hinweise auf eine nicht ganz fernliegende Heilungsaussicht oder zumindest auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Der Kläger hat sich im Folgenden auf dieses Gutachten gestützt und ergänzend auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19.03.2014 verwiesen (Az.: L 5 KR 1496/13).

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach § 106 SGG, auf Anraten der zunächst beauftragten Prof. Dr. L. und Prof. Dr. H., durch Prof. Dr. H. L. K., Gynäkologische Onkologie am Klinikum der Universität B-Stadt, vom 20.04.2017. Für die beteiligten Ärzte sei es im Jahre 2009/2010 eindeutig gewesen, dass eine absolut palliative Situation vorgelegen habe. Dementsprechend sei die Therapie gestaltet worden. Eine Heilung sei zum damaligen Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen gewesen. Es sei um eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gegangen. Der Verlauf seit 2007 spreche für ein aggressives Wachstum; das zusätzliche Vorhandensein von Lebermetastasen ab 2010 belege eindeutig, dass ein kuratives Behandlungsziel nicht mehr verfügbar gewesen sei. Zu Beginn der streitigen Behandlung habe es noch eine Reihe anerkannter palliativer Behandlungsmöglichkeiten gegeben, die auch wesentlich durch die Praxis für Hämato-Onkologie C-Stadt umgesetzt worden seien (Bluttransfusionen; Schmerzmedikation, Bestrahlungstherapien etc.). Die komplementäre Unterstützung durch Naturheilkunde wäre der richtige Weg gewesen, gemeinsam mit der betreuenden onkologischen Praxis. Es sei ein aufwändiger, wenn auch nebenwirkungsarmer, alternativer Behandlungspfad beschritten worden. Diese Therapie in den letzten Lebensmonaten sei nicht erfolgsversprechend gewesen. Entsprechend der 2010 gültigen S-3-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms und auch entsprechend der damals gültigen Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie (AGO), Gruppe Mamma, wäre es richtig gewesen, die psychoonkologische Intervention und Betreuung anstelle einer Polypragmasie zum Einsatz zu bringen. Hinsichtlich der Hyperthermie sei allerdings nach Ansicht des Sachverständigen eindeutig bewiesen, dass diese gemeinsam z.B. mit einer Chemotherapie oder einer bessere Ergebnisse bringe als letztgenannte Therapien allein. Es sei aber sehr fraglich, ob eine Tiefen-Hyperthermie bei der Versicherten entsprechend gezielt eingesetzt worden sei. Die systematische Therapie mit onkolytischen Viren und dendritischen Zellen sei bei einigen Tumorarten allenfalls im Anfangsstadium bisher in Erfahrungen und Studien erfolgreich gewesen, allerdings nicht beim Brustkrebs. Mit der Zielstellung Verbesserung der Lebensqualität hätten diese Therapien keine Funktion.

Die Beklagte hat aus dem Gutachten geschlossen, dass zu Beginn der Behandlung bei Hr. G. eine palliative Situation bestanden habe und dass diese palliative Situation durch die angebotenen Alternativbehandlungen nicht zu beeinflussen gewesen sei. Eine Heilung sei ausgeschlossen gewesen und eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu erwarten gewesen. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass insbesondere im Hinblick auf die Hyperthermiebehandlung der Sachverständige Prof. Dr. I. von der Einschätzung des MDK und des gerichtlich bestellten Sachverständigen abweiche. Fachlich wäre die Zuführung einer psychoonkologischen Intervention und Betreuung richtig gewesen, aus ethischer Sicht wäre eine Therapiebegrenzung angezeigt gewesen.

Demgegenüber hat der Kläger auf das Gutachten des Prof. Dr. I. verwiesen. Abgesehen vom Bereich Hyperthermien werde die Kompetenz des Sachverständigen Prof. Dr. K. angezweifelt. Im Übrigen werden Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht. Die streitgegenständliche Behandlung sei im Ganzen zu sehen und könne nicht auf die Hyperthermie reduziert werden. Insgesamt sei somit dem Gutachten des Prof. Dr. I. zu folgen, der im konkreten Fall ernsthafte Hinweise auf eine nicht ganz fernliegende Heilungsaussicht oder zumindest auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Therapien von Hr. G. gesehen habe. Verwiesen hat der Kläger hinsichtlich der Immuntherapie auf eine Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 22.02.2017 (L 5 KR 1653/15). Durch den Rückgang der Tumormarker sei nachgewiesen worden, dass wenigstens eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Behandlung bei Hr. G. vorgelegen habe. Dabei sei die Behandlungsintention durch Hr. G. kurativ, nicht palliativ gewesen.

Auf gerichtliche Nachfrage hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28.09.2017 mitgeteilt, dass es sich bei den Präparaten und Wirkstoffen „Gepon“, „Immomax/Amp.“ um alternative, teils homöopathische Arzneimittel handle, die z.T. - wie das Präparat Gepon - nur im Ausland erhältlich seien. Eine Kostentragungspflicht bestehe für die Präparate und Mittel nicht. Akupunktur sei nur bei bestimmten Diagnosen als vertragsärztliche Leistung anerkannt; bei der Versicherten habe eine dieser Diagnosen nicht vorgelegen. Der G-BA habe Akupunktur für weitere Indikationsbereiche nicht als GKV-Leistung anerkannt; es ergebe sich folglich keine Kostenerstattungspflicht. Für alternative Krebsbehandlungen gelte der allgemeine Grundsatz, dass die Kosten nicht übernommen werden könnten, solange der G-BA keine positive Bewertung vorgenommen habe. Abweichende Satzungsbestimmungen bestünden bei der Beklagten nicht.

Auf gerichtlichen Hinweis hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2017 klargestellt, dass die Erstattung der Kosten in Höhe von 21.435,05 EUR nebst Zinsen begehrt werde. Inhaltlich werde an der Auffassung festgehalten, dass es sich bei von Hr. G. angewandten Therapien und verabreichten Medikamenten und Wirkstoffen um ein Gesamtkonzept gehandelt habe. Dies gelte auch für Gepon und Immunomax, die aus Russland importiert worden seien. Die gesamte Behandlung sei in ihrer Kombination sinnvoll und kurativ gewesen. Schließlich ist nochmals auf den Beschluss des G-BA vom 20.01.2011 hingewiesen worden.

Einem schriftsätzlich gestellten Antrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme durch Prof. Dr. I. nach § 109 SGG ist der Senat nicht nachgekommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2017 sind vor allem die Gutachten des Prof. Dr. K. einerseits sowie des Prof. Dr. I. andererseits erörtert worden. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. und auch des MDK von einer palliativen Situation auszugehen war. Hierzu hat der Senat auch nochmals den Verlauf der Tumormarker gesichtet. Demgegenüber hat der Kläger die Ansicht vertreten, dass hier, auf jeden Fall subjektiv, davon ausgegangen werden müsse, dass eine Aussicht auf Heilung oder ein positives Auswirken auf den Krankheitsverlauf bestanden habe. Auf die Niederschrift der Sitzung wird verwiesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.10.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Therapie bei dem Arzt G. vom 26.04.2010 bis 23.08.2010 in Höhe von 21.435,05 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG zulässig. Zulässige Klageart ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG).

Der Kläger war zur Zeit des Todes der Versicherten der mit dieser in einem gemeinsam Haushalt lebende Ehegatte; er ist somit gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) als Sonderrechtsnachfolger prozessführungsbefugt. Er macht einen Anspruch auf laufende Geldleistungen im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I geltend (vgl. BSG, Urt. v. 3. Juli 2012, B 1 KR 6/11 R - juris). Zum einen handelt es sich nach dieser Entscheidung des BSG bei einem Kostenerstattungsanspruch um einen Anspruch, der auf Geldleistungen gerichtet ist. Zum anderen handelt es sich hierbei auch um eine „laufende“ Geldleistung jedenfalls dann, wenn er - wie vorliegend - über mehrere Zeitabschnitte selbst beschaffte Leistungen betrifft.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für die Behandlung seiner Ehefrau nicht zu.

Als Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch kommt hier nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Hierbei hat der Gesetzgeber wie bei § 13 Abs. 2 SGB V eine Ausnahme von dem in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geltenden Sachleistungsgrundsatz im Sinne der §§ 2 Abs. 2 Satz 1, 13 Abs. 1 SGB V geschaffen. § 13 Abs. 3 SGB V gibt für den Ausnahmefall einen Kostenerstattungsanspruch, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann.

Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe).

Die erste Fallgruppe erfasst nicht nur Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V (unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf, der sofort befriedigt werden muss). Unaufschiebbar kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann (BSGE 73, 271, 287). Die zweite Fallgruppe setzt eine Kausalität zwischen Ablehnung und Kostenentstehung voraus. Der Kostenerstattungsanspruch setzt insoweit voraus, dass der Versicherte durch die Ablehnung der Krankenkasse veranlasst wird, sich die Behandlung auf eigene Kosten zu beschaffen (BSG, Breith. 2002, 154 ff).

Stets ist es jedoch notwendig, dass die selbst beschaffte Leistung zu den von der GKV als Sachleistung zu gewährenden Leistungen, also zum Leistungskatalog der GKV, gehört (BSG, Urt. v. 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R - juris).

Aus den vorgelegten Rechnungen ergibt sich, dass zunächst neben der Anamnese und Akupunktur vor allem die Tiefenhyperthermie durchgeführt wurde. Dazu wurden Mono Max bzw. Immunomax und Gepon verabreicht. Ferner wurde eine Acidum Ascorbicum-Therapie (30 g/100 ml) durchgeführt. Erstmals am 24.06.2010 kam hinzu eine Eigenblutbehandlung mit Ozon, die entsprechend den Rechnungen bis August 2010 weitergeführt wurde. Daneben ist erstmals am 24.06.2010 eine tumoradaptive onkolytische Virenbehandlung begonnen worden, die insgesamt im Juni dreimal erfolgte sowie im Juli und August fortgeführt wurde. Dendritische Zellen sind erstmals in der Rechnung am 13.08.2010 neben den tumoradaptierten onkolytischen Viren erwähnt. Am 06.08.2010 wurden offenbar mit Spenderlymphozyten die entsprechenden Behandlungsstoffe hergestellt.

Nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. wurden folgende Therapien angewandt: - Akupunktur - Tiefenhyperthermie - Eigenblutbehandlung mit Ozon - Tumoradaptierte onkolytische Viren - Dendritische Zellen u.a. Eine nähere Differenzierung - außer nach den vorgelegten Rechnungen - war dem Gutachter im Hinblick auf die „höchst unterschiedlichen therapeutischen Ansätze für die personalisierte Krebsimmuntherapie“ nicht möglich.

Prof. Dr. I. geht von den folgenden, eingesetzten Therapien aus: - Zelluläre Immuntherapie mit dendritischen Zellen, in Kombination mit einer - zellulären Immuntherapie mit natürlichen Killerzellen; - inaktivierte onkolytische Viren - Hyperthermie.

Der Sachverständige Prof. Dr. I. führt zu den onkolytischen Viren aus, dass derzeit über 50 klinische Studien zur Wirksamkeit onkolytischer Viren laufen, darunter auch Phase-III-Studien z.B. eines Herpes-Virus beim Schwarzen Hautkrebs und eines REO-Virus beim Pankreas-Karzinom. Es handelt sich nach seiner Einschätzung um einen hochaktuellen Forschungstrend. Eine Zulassung durch den G-BA liegt nicht vor.

Prof. Dr. I. beschreibt in seinem Gutachten auch die Kombination der Therapien Hyperthermie, onkolytische Viren und dendritische Zellen; in Kombination wirkten diese zusätzlich als sog. danger-Signale für die Immuntherapie; sie seien überadditiv wirksam. Auch für die Kombination fehlt es jedoch an der notwendigen Zulassung durch den G-B Die Behandlung erfolgte ambulant. Ein Anspruch auf Behandlung gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen; zu erbringen sind nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung bedarf es gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V einer positiven Empfehlung des G-BA über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V. Eine Empfehlung des G-BA zu den von Hr. G. angewandten Behandlungsmethoden liegt jeweils nicht vor.

Die genannten Therapien zur Behandlung des rezidivierten Mammakarzinoms können vorliegend somit als ambulante ärztliche Leistung zu Lasten der GKV nur nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach dem seit 01.01.2012 geltenden § 2 Abs. 1 a SGB V erbracht werden. Auch nach Ansicht der Beteiligten kommt vorliegend eine Kostenerstattung nur im Hinblick auf die vom BVerfG am 06.12.2015 (BVerfG, a.a.O.) entwickelten Grundsätze in Betracht.

Das BVerfG hat in dem Beschluss vom 06.12.2005 dargelegt, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Besonderheiten gelten jedoch in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr.

Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung hat das BSG (Urt. v. 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R; Urt. v. 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R - jeweils juris) näher ausgeführt, dass eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das Grundgesetz verstößt, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: - Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. - Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. - Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine „auf Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BVerfG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 Rn. 33: zitiert: BSG, Urt. v. 07.11.2006, a.a.O., juris Rn. 21). Das BVerfG hat es dabei ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG, Beschluss vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06 - juris).

Die Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit § 2 Abs. 1 a SGB V, eingefügt jedoch erst mit Gesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983), umgesetzt.

Der Senat geht vom (unstreitigen) Vorliegen der ersten Voraussetzung aus. Ob die zweite Voraussetzung gegeben ist, kann dahinstehen, da es jedenfalls an der dritten der genannten Voraussetzungen fehlt.

Dabei kommt es - anders als beim off-label-use von Arzneimitteln - nicht darauf an, ob Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das konkrete Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob Indizien für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht bestehen, dass entweder eine Heilung oder ein verlängertes progressionsfreies Überleben mit Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann.

Das BSG hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass bei der Frage, ob Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, zunächst das konkrete Behandlungsziel der streitigen Methode im Sinne von § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V zu klären ist. Es muss festgestellt werden, ob es um die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden geht, ob eine Behandlung kurative oder palliative Ziele verfolgt. Ausgehend hiervon ist die Wirksamkeit der Therapie zu ermitteln und das Vorhandensein alternativer Methoden gerade auf das mit ihr beabsichtige Behandlungsziel abzufragen (BSG, a.a.O., juris Rn. 31).

Dabei teilt der Senat im Grundsatz die Ausführungen des LSG für das Land Baden-Württemberg (Urt. v. 22.02.2017, a.a.O.), wonach die Anforderungen an das Merkmal der indiziengestützten nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Einzelfall nicht überspannt werden dürfen (a.a.O., Rn. 48 m.w. Ausführungen). Die Indizien sind in ihrer Gesamtheit vom Senat zu würdigen. Dies stellt eine Rechtsfrage und keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Tatsachenfrage dar (so z.B. auch LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 51)

Nicht ausreichend für die Bejahung dieser Voraussetzung ist das subjektive Empfinden des Versicherten, ggf. gestützt auf eine entsprechende Einschätzung oder Empfehlung des behandelnden Arztes (BSG, Urt. v. 07.11.2006, a.a.O., juris Rn. 32 f) - hier also wohl die Einschätzung der Versicherten sowie des Klägers, mit der Behandlungsmethode noch eine Wende im Krankheitsverlauf erreichen zu können, nach klägerischen Angaben gestützt auch auf Ausführungen des behandelnden Arztes G … Ausgeschlossen sind auch rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind (BSG, Urt. v. 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R - juris Rn. 21). Maßgeblich für das Vorliegen der Voraussetzungen ist auch hier gemäß § 15 SGB V eine Beurteilung nach den Regeln der ärztlichen Kunst (BSG, Urt. v. 07.05.2013, a.a.O.).

Im Hinblick auf die Krankheitsgeschichte der Versicherten ist und war nach Überzeugung des Senats nicht mehr davon auszugehen, dass durch die von Hr. G. angewandte Behandlungsmethode eine „auf Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestand. Bei der Versicherten war 1997 ein Mammakarzinom links aufgetreten. Bereits im August 1999 kam es zu einem Lokalrezidiv links mit anschließender Operation und Bestrahlung. Ein erneutes Lokalrezidiv links trat im September 2003 auf mit Mammakarzinom rechts. Es erfolgte eine bilaterale Mastektomie und 4 Zyklen FEC-Chemotherapie mit anschließender Therapie mit Tamoxifen und Zoladex bis zum Jahre 2006. Im Jahre 2007 wurde eine generalisierte Metastasierung festgestellt; es wurde eine palliative Hormontherapie eingeleitet. Wegen des weiteren Fortschreitens wurde eine palliative Chemotherapie von April 2008 bis September 2008 durchgeführt. Eine progrediente Metastasierung mit steigenden Tumormarkern ist im März 2010 dokumentiert. Im März 2010 sind eine Lebermetastasierung und gemäß Computertomographie eine Knochenmetastasierung belegt. Nach dem Befund des Hr. G. bestanden bei der Aufnahme seiner Therapie am 26. April 2010 ein „Progress (Knochen-Schmerzen im Beckenbereich)“. Der Tumormarker lag an diesem Tag bereits bei 354. Er ist innerhalb weniger Tage auf 860 (3. Mai 2010) angestiegen und stabilisierte sich gegen Ende Mai zwischen 586 und 684, um dann wieder ab Juli auf den Spitzenwert von 907 (2. August 2010) anzusteigen. Zum Ende der Behandlung bei Hr. G. betrug er 539. Während der Behandlung ist die Metastasierung fortgeschritten bis hin zu Aderhautmetastasen links mit Gesichtsfeldausfall im August 2010.

Der Senat teilt im Hinblick auf diese Krankheitsentwicklung die Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. K. wie auch des Dr. R. sowie des MDK, dass hier eindeutig eine absolut palliative Situation vorlag. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. stand zu dem streitigen Zeitraum ab April 2010 ein kuratives Behandlungsziel nicht mehr zur Verfügung. Zu Beginn dieses Zeitraums gab es nur noch eine Reihe anerkannter palliativer Behandlungsmöglichkeiten. Diese sind nach dem Gutachter auch wesentlich durch die Praxis für Hämato-Onkologie C-Stadt umgesetzt worden, wie z.B. Bluttransfusionen, Schmerzmedikation, spezieller Medikamentenplan. Auch weitere palliative Optionen wie Bestrahlungstherapien oder eine niedrig dosierte Chemotherapie kamen zum Einsatz. Auch Prof. Dr. I. kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine fortschreitende Tumorerkrankung mit Leber-, Lymphknoten- und Knochenmetastasen sowie Schmerzen und behandlungsbedürftiger Symptomatik vorlagen. Er bestätigte, dass bereits zu Beginn der Behandlung durch Hr. G. der Verlauf der Erkrankung „unabwendbar tödlich“ (Seite 3 des Gutachtens) war. Für den Senat nicht nachvollziehbar ist demgegenüber seine Einschätzung am Ende des Gutachtens, dass die Intention der von ihm als sinnvoll benannten Behandlungsmethoden durch Hr. G. als „kurativ“ (Seite 8 des Gutachtens) bezeichnet wird. Dieser Widerspruch wird in dem Gutachten nicht überzeugend aufgeklärt. Entgegen dem Sachverständigen Prof. Dr. I. vermag der Senat, gestützt auch auf die Gutachten des Prof. Dr. K. und Dr. R., Indizien für eine „nicht ganz fernliegende Heilungsaussicht“ oder zumindest eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nicht zu erkennen. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. K. ist die Bewertung des Prof. Dr. I. kritisch zu bewerten: Prof. Dr. K. spricht sich klar dafür aus, dass die neuen Therapien für die Versicherte keine Wende im Krankheitsverlauf bringen konnten. Der Einsatz einer ungewohnt neuen Methode wirke sich bei einer ausweglosen Situation allerdings durchaus psychologisch aufbauend aus. Es entsteht eine Illusion, die aber nur für begrenzte Zeit Auftrieb gibt, Lebenswillen fördert und die Lebensqualität anhebt. Für die Annahme von Indizien für eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ist dies nicht ausreichend, zumal sowohl diese psychologische Auswirkung nur relativ kurz andauert als auch vorliegend die Behandlung bei Hr. G. wegen der weiteren Verschlechterung bereits nach wenigen Monaten abgebrochen wurde.

Soweit Herr G. die schulmedizinisch begründeten Behandlungsvorschläge als „wildes Herumexperimentieren“ bezeichnet, ist dies dem Endstadium des 1997 begonnenen Krankheitsverlaufs geschuldet. Es lag, wie ausgeführt, keine kurative, sondern eine palliative Situation vor.

Zwar kann auch bei einer palliativen Situation noch eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen. Diese muss sich jedoch auch für den Versicherten positiv auswirken bzw. „spürbar sein“ (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 22.02.2017, a.a.O., juris Rn. 49, unter Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.11.2016, Az.: L 11 KR 1180/15 - juris Rn. 33). Die von dem Arzt G. angewandte Methode führte jedoch gerade nicht - abgesehen von der oben dargestellten psychologischen Auswirkung des Einsatzes einer neuen Behandlungsmethode - zu einer positiven Auswirkung für die Versicherte, wie der Tumormarkerverlauf und die aggressive Ausbreitung des Tumors in Form von weiteren Metastasierungen auch während der Behandlung durch Hr. G. zeigen. Eine tatsächliche positive Auswirkung ist somit nach allen Gutachten nicht objektivierbar zu machen.

Palliative Methoden waren, wie Prof. Dr. K. darlegte, im April 2010 im Übrigen noch nicht ausgeschöpft. Der Sachverständige verweist auf die 2010 gültige S-3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms und die damals gültigen Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft gynäkologischer Onkologie (AGO), Gruppe Mamma: Hiernach wären als zutreffende Methoden eine psychoonkologische Intervention und Betreuung anstelle einer Polypragmasie angezeigt gewesen.

Da somit bei der Versicherten bereits zu Behandlungsbeginn bei Hr. G. im April 2010 eine absolut palliative Situation bestand, kommen die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze nicht zum Zuge. Ein Eingehen auf die einzelnen Therapien sowie auf das Gesamtkonzept der von Hr. G. angewandten Methoden erübrigt sich daher.

Der medizinische Sachverhalt war vor allem durch die Gutachten des MDK, des Dr. R. sowie des Prof. Dr. K. umfassend aufgeklärt. Dabei handelt es sich entgegen den klägerischen Ausführungen sowohl bei Dr. R. als im internistisch-onkologischen Bereich bzw. im interdisziplinären Tumorzentrum des Klinikums H. tätigen Arzt als auch bei Prof. Dr. K. als gynäkologischem Onkologen im Klinikum der Universität B-Stadt Tätigen um fachlich anerkannte Ärzte. Die Gutachten sind fachlich fundiert und für den Senat überzeugend.

Dem nur schriftsätzlich am 10.08.2017 gestellte Antrag, auch von Prof. Dr. I. eine ergänzende Stellungnahme einzuholen, war nicht zu folgen. Da sich der Antrag auf ein Gutachten nach § 109 SGG bezieht, ist der Antrag auch auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nach § 109 SGG auszulegen. Es besteht jedoch kein Recht, dass stets zuletzt der nach § 109 SGG beauftragte Gutachter zu hören ist. Die Einholung eines Gutachtens von Amts wegen nach Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG führt nicht ohne Weiteres dazu, dass eine ergänzende Stellungnahme des nach § 109 SGG beauftragten Gutachters einzuholen ist. Ein Anspruch auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nach § 109 SGG besteht nur, wenn sich durch das neue Gutachten - hier des Prof. Dr. K. - wesentliche Gesichtspunkte ergeben haben, zu denen sich der Gutachter nach § 109 SGG noch nicht hatte äußern können (so z.B. auch: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 109 Rn. 10 b). Dies ist vorliegend im Hinblick auf die vorhandenen Vorgutachten nicht der Fall.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach auf § 193 SGG (siehe hierzu oben unter Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für in der Ukraine erfolgte Behandlungsmaßnahmen.

2

Der im Juli 1978 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an Zerebralparese mit Bewegungsstörungen seit Geburt im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ließ sich seit 1993 regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)" nennt (im Folgenden Methode Kozijavkin), besteht in einer sogenannten multimodalen Behandlung. Es hat zum Ziel, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten bei Personen mit infantilen Zentralparesen herbeizuführen. Dazu werden ua Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie und Krankengymnastik eingesetzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie, mit deren Hilfe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Behandlungsphase schließt sich eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisierungsphase an, der wiederum eine zweiwöchige intensive Behandlung in der Ukraine folgt. Die Beklagte lehnte Anträge für die Erteilung von Kostenzusagen für Behandlungen vom 19.9. bis 3.10.2000, 10. bis 24.4.2001, 28.9. bis 12.10.2001, 20.3. bis 3.4.2002 und vom 25.3. bis 8.4.2003 jeweils ab (Bescheid vom 17.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 5.3.2001; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 21.8.2001; Widerspruchsbescheid vom 5.12.2001; Bescheide vom 6.3.2002 und 26.2.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2003). Der Kläger ließ sich dennoch in den jeweils beantragten Zeiten in der Ukraine in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin behandeln und zahlte hierfür insgesamt 20 348,58 Euro.

3

Das SG hat die deshalb erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage dazu verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 3.2.2005). Das BSG hat auf die Sprungrevision der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - nv), weil über den vom Kläger erhobenen Anspruch ohne weitere Sachaufklärung zu bestimmten generellen und individuellen Tatsachen nicht entschieden werden kann. Das LSG hat die Klage abgewiesen, ohne weiteren Beweis zu erheben (LSG-Beschluss vom 3.3.2010). Das BSG hat den LSG-Beschluss wegen Missachtung der Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG zurückverwiesen (BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 1 KR 46/10 B -). Das LSG hat nunmehr nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen: Die Methode Kozijavkin sei zur Zeit der betroffenen Behandlungen nicht allgemein anerkannt gewesen. Eine grundrechtsorientierte Auslegung komme nicht in Betracht, da die Krankheit des Klägers mit einer regelmäßig tödlichen Erkrankung nicht wertungsmäßig vergleichbar sei (Urteil vom 22.3.2012).

4

Der Kläger rügt sinngemäß die Verletzung der Bindungswirkung des ersten Revisionsurteils (vgl § 170 Abs 5 SGG)und des Rechtsgedankens des § 2 Abs 1a SGB V entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das LSG hätte sich aufgrund seines Vorbringens gedrängt sehen müssen, durch Sachverständige festzustellen, dass er durch die Spastik am ganzen Körper infolge der infantilen Zentralparese schmerzintensiv betroffen sei. Dies sei weit unerträglicher als eine Erblindung. Belege für den Nutzen der Methode Kozijavkin bestünden aus jüngerer Zeit und seien zu berücksichtigen.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das zur Neubescheidung verurteilende SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger kann keine Neubescheidung verlangen, denn er hat keinen Anspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V auf Erstattung der Kosten in Höhe von 20 348,58 Euro, die ihm durch die mehrfachen Behandlungen in der Ukraine nach der Methode Kozijavkin innerhalb der Gesamtzeit vom 19.9.2000 bis 8.4.2003 entstanden sind. Die Methode Kozijavkin entsprach in diesem Zeitraum nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (dazu 1.). Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V sind nicht erfüllt(dazu 2.).

9

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG)des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 12, nv) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Der Anspruch setzt voraus, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit des Klägers nur im Ausland, im Institut Prof. Dr. Kozijavkins in der Ukraine, in den genannten Zeiträumen möglich war. Daran fehlt es.

10

Gemäß den bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 20 ff, nv) ist entscheidend, dass die Leistung im Ausland zur Zeit der Behandlung den Kriterien des in § 2 Abs 1 S 3 SGB V geregelten Qualitätsgebots entsprach. Das wiederum ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (vgl bereits BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f - Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff - Kozijavkin II).

11

Nach dem überzeugenden Ergebnis der Beweisaufnahme des LSG war die Methode Kozijavkin noch im Jahr 2005 - und darüber hinaus - nicht allgemein anerkannt. Es fehlten bis zum damaligen Zeitpunkt unabhängige Studien nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zur Wirksamkeit der Methode. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG sich nicht allein auf deutsche Quellen beschränkt, sondern etwa über die Datenbank DIMDI internationale Publikationen einbezogen (zB Mijna Hadders-Algra, Tineke Dirks, Cornill Blauw-Hospers, Victorine de Graaf-Peters, The Kozijavkin method: giving parents false hope? The Lancet, Bd 365, Lieferung 9462, S 842, 5.3.2005). Die Methode Kozijavkin wird weder in Deutschland noch in anderen Ländern der EU eingesetzt.

12

2. Der Kläger kann sich im Ergebnis auch nicht auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V zu seinen Gunsten berufen.

13

a) Der erkennende Senat muss trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)seines ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - Juris) darüber entscheiden, ob der Kläger aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V den zu prüfenden Anspruch hat. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG). Das erste Revisionsurteil enthält keine ausdrücklichen Ausführungen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung. Die diese Rechtsfigur entwickelnde Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5),die den Beteiligten des dortigen Verfahrens nach dem 6.12.2005 zugestellt wurde, war dem 1. Senat des BSG bei seiner Entscheidung vom 13.12.2005 noch nicht bekannt. Der erkennende Senat hat seine Rechtsprechung zu § 18 Abs 1 S 1 SGB V später dahingehend fortentwickelt, dass ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach dieser Rechtsgrundlage auch dann besteht, wenn für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich ist(vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21, 29 mwN - Tomudex), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht (vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose).

14

b) Der Kläger kann aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V nichts für sich herleiten, da sie erst zum 1.1.2012 in Kraft getreten ist (vgl Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983). In der Sache führt die Regelung allerdings die Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats zur grundrechtsorientierten Auslegung fort. Auf diese Rechtsprechung (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 30 - D-Ribose)sucht sich der Kläger zu stützen. Sie ist ihrer Art nach anzuwenden, greift aber vorliegend nicht ein.

15

c) Die grundrechtsorientierte Auslegung einer Regelung des SGB V über einen Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zu Lasten der GKV setzt voraus, dass folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1.) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung vor. (2.) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 21 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht alle erfüllt.

16

aa) Es ist beim Kläger allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass die Auswirkungen seiner infantilen Zerebralparese mit Bewegungsstörungen, einer spastischen Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung eine Ausprägung erreichen, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist. Der erkennende Senat hat zwar entschieden, dass ein Versicherter, der an einer infantilen Zerebralparese mit spastischer Paraparese der Beine, Sekundärschäden am knöchernen Apparat (Coxarthrose, Pseudoradikulärsyndrom) und sich dadurch verstärkender Spastik bei in Ruhe einschießenden schmerzhaften Spasmen leidet, nicht die Schwelle erreicht, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 23). Bei einer spastischen Tetraplegie sind indes nicht lediglich die Beine, sondern alle vier Extremitäten betroffen. Die Körperhaltung ist meist asymmetrisch. Kopf- und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik sind regelmäßig erschwert. Der Kläger beruft sich sinngemäß darauf, ein von ihm beantragtes Sachverständigengutachten hätte eine Spastik des ganzen Körpers ergeben. Ohne genaue Feststellung und Analyse der Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht klar, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die wertungsmäßig einen Schweregrad etwa wie bei einer völligen Erblindung erreicht. Der erkennende Senat unterstellt dies. Denn der Kläger hat die Feststellungen des LSG zur geringfügigeren Erkrankung des Klägers mit durchgreifenden Rügen angegriffen (vgl zu den Anforderungen § 164 Abs 2 S 3 SGG und hierzu BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 27 f mwN). Der Senat kann dennoch abschließend über die Sache entscheiden, da die weiteren Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung nicht erfüllt sind.

17

bb) Bezüglich seiner Krankheit stand dem Kläger im betroffenen Zeitraum eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung in Deutschland zur Verfügung. Die infantile Zerebralparese wird nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse als Symptomenkomplex angesehen, für den es keine pauschale, auf alle Patienten in gleicher Weise ausgerichtete Standardtherapie gibt. Vielmehr erfordert die Erkrankung ein individuelles Behandlungskonzept, das den festgestellten Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen Rechnung trägt. Therapieelemente sind regelmäßig funktionelle Übungsbehandlungen der motorischen Störungen einschließlich verordneter Heilmittel (Maßnahmen der physikalischen Therapie, der Ergo-, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie), Pharmakotherapien zur Verringerung von Muskelspasmen oder Verhinderung von Krampfanfällen, verordnete Hilfsmittel, operative Behandlungen bei Kontrakturen und Sehnenverkürzungen, Therapien zusätzlicher Störungen sowie medizinische ambulante, erforderlichenfalls stationäre Rehabilitationsleistungen (vgl Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkasse eV vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff). Es gibt aufgrund des umfassenden ambulanten und stationären Angebots in Deutschland für die keinesfalls seltenen Fälle infantiler Zerebralparesen insoweit keinerlei Hinweis auf quantitative Versorgungslücken. Die bei der Methode Kozijavkin eingesetzten, sich teilweise mit dem Behandlungsangebot in Deutschland überschneidenden Therapieelemente belegen die Verträglichkeit einer individuellen Therapie nach Standard in Deutschland für den Kläger.

18

Das Ziel der Methode Kozijavkin besteht entsprechend den Feststellungen des LSG darin, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von Personen mit infantiler Zerebralparese zu erreichen. Es geht lediglich darum, Symptome der infantilen Zerebralparese zu lindern und ihre Verschlimmerung zu verhüten. Eine Heilung der Krankheit kommt nicht in Betracht. Auch die in Deutschland angewandten anerkannten Behandlungsstrategien zielen auf eine Linderung und Verhütung der Verschlimmerung der Symptome der infantilen Zerebralparese (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff).

19

cc) Bezüglich der Methode Kozijavkin besteht auch lediglich eine ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht dazu führen, dass unabhängig von wissenschaftlichen Maßstäben allein die entfernte Hoffnung auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu einer Kostenerstattung zwingt. Abmilderungen des Qualitätsgebots kommen zwar infolge grundrechtsorientierter Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die dazu inzwischen ergangene umfangreiche Folgerechtsprechung des Senats (vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 f mwN - Tomudex; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 20 ff mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 mwN - ICL; vgl zu weiteren Anwendungsfällen zB: Kretschmer, MEDSACH 2009, 54 ff) auch im Anwendungsbereich des § 18 Abs 1 S 1 SGB V in Betracht(vgl Hauck in Festschrift 50 Jahre saarländische Sozialgerichtsbarkeit, 2009, S 49, 67). Ist für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

20

Die Folge der verfassungskonformen Auslegung ist es indes, dass zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bei neuen Behandlungsmethoden die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich bleiben. Dies gilt auch, wenn es beim Versicherten zu einer notstandsähnlichen behandlungsbedürftigen Situation kommt. Gleichermaßen ist das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (vgl näher BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22 ff mwN - LITT). Dies ändert mithin nichts an der Heranziehung und Maßgeblichkeit allein wissenschaftlicher Maßstäbe zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs im Recht der GKV, wie sie sich zB in § 2 Abs 1 S 3 SGB V und auch in § 18 Abs 1 S 1 SGB V niederschlagen und in Sondersituationen evidenzbezogen abgestuft zur Anwendung gelangen können(vgl auch BVerfG Beschluss vom 28.8.2007 - 1 BvR 1617/05 - zur "Kuba-Therapie" bei Retinitis pigmentosa, Verfassungsbeschwerde ua gerichtet gegen den Beschluss des Senats vom 15.6.2005 - B 1 KR 111/04 B - und das Urteil des Bayerischen LSG vom 11.11.2004 - L 4 KR 296/03 -; vgl zum Ganzen BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29 ff). Ziel der grundrechtsorientierten Auslegung ist es, die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art 2 Abs 2 S 1 GG zu stellen.

21

Die aufgezeigte Zielsetzung begrenzt zugleich die Reichweite einer grundrechtsorientierten Auslegung. So reichen rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, hierfür nicht aus (vgl zB BVerfG Beschluss vom 26.2.2013 - 1 BvR 2045/12 - NZS 2013, 500, 501 = NJW 2013, 1664, 1665 = Juris RdNr 15). Es ist auch nicht zulässig, den Rechtsgütern des Art 2 Abs 2 S 1 GG die Schutzmechanismen zu entziehen, die die Rechtsordnung hierfür vorsieht. Das hat der erkennende Senat für Arzneimittel - vom BVerfG bestätigt - entschieden und der Gesetzgeber ist dem ebenfalls gefolgt (vgl zu § 2 Abs 1a SGB V GKV-VStG, BR-Drucks 456/11 S 74; BVerfG Beschluss vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - SozR 4-2500 § 31 Nr 17 im Anschluss an BSG USK 2007-25 - mnesis). In diesem Sinne bleiben für nicht oder nicht in der betreffenden Indikation zugelassene Arzneimittel neben der mit dem neuen § 2 Abs 1a SGB V vorgenommenen leistungsrechtlichen Klarstellung die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Leistungspflicht der GKV unberührt, die vom BVerfG nicht beanstandet wurden(vgl ebenda).

22

Eine weitere Begrenzung der sich aus der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V ergebenden Ansprüche auf Methoden, die noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, folgt aus der Mitwirkungsobliegenheit der Behandler. Die aus der grundrechtsorientierten Auslegung und aus § 2 Abs 1a SGB V resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, verlangt unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrundeliegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.

23

Nichts anderes kann gelten für Fälle der Auslandsbehandlung nach einer neuen Methode gemäß § 18 Abs 1 S 1 SGB V, deren grundsätzlicher Anwendbarkeit durch Ärzte im Inland bei hinreichend wissenschaftlicher Fundierung nichts im Wege stünde. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden. Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWiR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWiR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(vgl zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN; zu seiner Geltung für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung vgl BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52; BSG Urteil vom 18.12.2012 - B 1 KR 34/12 R - RdNr 34 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137 Nr 2 vorgesehen; zur Geltung des Qualitätsgebots für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen iS von § 107 Abs 2 Nr 2 SGB V vgl BSGE 81, 189, 195 = SozR 3-2500 § 111 Nr 1; BSGE 89, 294, 305 = SozR 3-2500 § 111 Nr 3; Wahl in jurisPK-SGB V, § 111, 2. Aufl, Stand 1.4.2012, RdNr 37 mwN).

24

So liegt es hier. Die Zahl nach der Methode Kozijavkin in der Ukraine behandelter Patienten mit einer Zerebralparese von 10 521 allein im Zeitraum 1991 - 1999, davon 68 % mit Tetraparese (vgl Nachweis im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 43: Kozijavkin/Del Bello, Praktische Paediatrie 2000, Nr 6-8; vgl auch die Zahlen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 12 f) belegt, dass das dortige Patientenvolumen ohne Weiteres geeignet ist, aussagekräftige statistische Daten zu generieren, um den Nutzen der Therapie zu beurteilen. Es ist ebenfalls wissenschaftlich gesichert, dass kontrollierte prospektive klinische Studien mit einem aussagekräftigen Design über die Methode Kozijavkin möglich sind (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 46 bei Fn 6). Zu einer in Aussicht genommenen Wirksamkeitsstudie zur Methode Kozijavkin (vgl Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 14) ist es bisher nicht gekommen. Die Behandlungseinrichtungen in Deutschland wären bei wissenschaftlich hinreichend belegter Wirksamkeit und nachgewiesenem Nutzen der Methode nach dem Sinngehalt des Grundsatzgutachtens des MDS ohne Weiteres in der Lage, hiernach zu verfahren. In diesem Falle würde damit aber auch ein wesentlicher Grund für Patienten aus Deutschland entfallen, zwecks Behandlung nach der Methode Kozijavkin in die Ukraine zu reisen.

25

Die Defizite in der wissenschaftlichen Beweisführung für einen Nutzen der Methode Kozijavkin sind seit langem bekannt. Der erkennende Senat stützte schon seine erste Entscheidung zur Methode Kozijavkin darauf, dass diese Methode bisher nicht ausreichend erforscht und eine abschließende Bewertung ihrer Wirksamkeit und ihrer Risiken deshalb nicht möglich ist. Bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts war die Erfolgsrate der umstrittenen Therapie mangels vergleichender Effektivitätsstudien nicht objektivierbar (Prof. Dr. Hanefeld, Zentrum für Kinderheilkunde der Universität Göttingen, Stellungnahme vom 13.7.1993; Dr. Rosenkötter, Sozialpädiatrisches Zentrum Ludwigsburg). Die Schwierigkeiten bei der Überprüfung und Bewertung wurden damals auch darauf zurückgeführt, dass die Behandlungsmethode eng an die Person von Dr. Kozijavkin gebunden und eine Einweisung ausländischer Ärzte bisher nicht erfolgt sei. Damit fehlte eine unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der wissenschaftlichen Anerkennung, nämlich die Möglichkeit, die Behandlung an anderer Stelle und durch andere Ärzte zu wiederholen und ihre Ergebnisse überprüfbar zu machen (vgl insgesamt BSGE 84, 90, 97 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4).

26

Der kritische wissenschaftliche Umgang ärztlicher Behandler in Deutschland mit der Methode Kozijavkin drückt sich ua auch darin aus, dass sie nicht pauschal alle hierbei aufgeführten Therapieelemente verwenden, sondern lediglich jene Teile, die nach wissenschaftlichen Kriterien für den Patienten einen Nutzen versprechen (vgl die Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff). Dementsprechend bejaht etwa die Gesellschaft für Neuropädiatrie in ihrer Stellungnahme zur Methode Kozijavkin den Einsatz therapeutischer Techniken der Manuellen Medizin bei spastischen infantilen Zerebralparesen, allerdings lediglich in nach wissenschaftlichem Standard gesichertem Umfang, welches sie bei der Methode Kozijavkin schon als nicht gewährleistet ansieht. Sie lehnt aber Einzelelemente wie die Apitherapie wegen ihres Risikopotentials ohne gesicherten Nutzen ab (vgl die Wiedergabe im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 58 ff und Stellungnahme des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011). In Einklang hiermit hat die Methode Kozijavkin in den vergangenen zehn Jahren im Rahmen der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Zerebralparesen in den deutschen Sozialpädiatrischen Zentren keine wesentliche Rolle mehr gespielt (vgl Stellungnahme Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011).

27

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten in Höhe von 11 564 Euro für eine auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung.

2

Der 1984 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an Retinitis pigmentosa, einer Netzhauterkrankung, die zu Tunnelblick und in ihrem Endstadium zur Erblindung führt. Im Jahr 2002 beantragte er - ua auf seine nur noch 3 % bis 5 % betragende Sehfähigkeit hinweisend - die Kostenübernahme für eine sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P in H ; dieser Arzt habe eine Therapie entwickelt, die das weitere Absterben der Netzhaut verhindere und das Sehvermögen verbessern könne. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Behandlungsmethode schulmedizinisch nicht allgemein anerkannt sei (Bescheid vom 19.11.2002; Widerspruchsbescheid vom 5.2.2003). Vom 10.1. bis 31.1.2003 ließ sich der Kläger auf Kuba auf eigene Kosten (nach eigenen Angaben 11 564 Euro) entsprechend behandeln.

3

Die Klage auf Kostenerstattung ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 24.3.2006; Urteil des LSG vom 1.8.2007). Auf die Revision des Klägers hat der erkennende Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, soweit die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung für die auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung betroffen gewesen ist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3), weil das LSG dem nach § 109 SGG gestellten Antrag des Klägers, Beweis zur Eignung der durchgeführten Heilbehandlung durch den Sachverständigen Prof. M (Universität Bologna) zu erheben, nicht nachgekommen war. Das LSG hat ein Gutachten nach Aktenlage bei Prof. M
dazu eingeholt, ob die Kuba-Therapie dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche, und anschließend die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, es fehle an einem hinreichend objektiven Wirksamkeitsnachweis der sog Kuba-Therapie (Urteil vom 16.11.2011).

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art 2 Abs 2 S 1 sowie von Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip. Das LSG verkenne mit seiner Forderung nach validen Studien oder aussagekräftige Statistiken die Anforderungen, die an Hinweise für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine zumindest spürbare positive Einwirkung der Behandlung auf den Krankheitsverlauf zu stellen seien.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 24. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2003 zu verurteilen, ihm 11 564 Euro zu zahlen,

6

hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das an-gefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung materiellen Rechts beruht und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von 11 564 Euro Kosten für die Auslandsbehandlung hat, vermag der Senat wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht abschließend zu beurteilen. Es steht nicht fest, dass die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V erfüllt sind.

10

Das LSG hat zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Erstattungsanspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V bei Beachtung des Qualitätsgebots(§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) abgelehnt (dazu 1.), aber unzureichende Feststellungen zur grundrechtsorientierten Auslegung getroffen (dazu 2.). Eine grundrechtsorientierte Auslegung scheidet allerdings aus, wenn die Überprüfbarkeit der Methode an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten scheitert (dazu 3.).

11

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Danach kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Der Anspruch setzt ua nach den bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29) grundsätzlich voraus, dass die Leistung im Ausland den Anforderungen an das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) entspricht. Das hat das LSG im Ergebnis - unangegriffen und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden - verneint, weil nicht die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie kein Konsens besteht.

12

2. Nach den bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30) kommen Abmilderungen der Anforderungen des Qualitätsgebots infolge grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts der GKV auch im Anwendungsbereich des § 18 SGB V in Betracht. Ist für Versicherte eine nach Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

13

Nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30), bedarf es hierfür zunächst der Feststellung, dass der Kläger im Zeitpunkt der Behandlung an einer Krankheit litt, die zumindest wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar ist. Diesbezüglich hat das erste Revisionsurteil vorgegeben, dass hierfür eine drohende Erblindung in Betracht kommt, hochgradige Sehstörungen demgegenüber nicht ausreichen (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31). Sodann ist nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 32), die Feststellung erforderlich, ob, und wenn ja mit welcher Zielrichtung, bezüglich dieser Krankheit zumindest eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht und für den Kläger anwendbar ist. Des Weiteren ist nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 32), festzustellen, mit welcher Zielsetzung die sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P durchgeführt wird und ob bezüglich dieser Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers bestand. Hierzu bedarf es der Feststellungen, die für eine abstrakte Nutzen-Risiko-Analyse und für eine Abwägung der Chancen und Risiken dieser Behandlungsmethode gerade im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse bei dem Kläger erforderlich sind. Maßgeblich sind für diese Feststellungen nach den bindenden Vorgaben (§ 170 Abs 5 SGG) die Regeln der ärztlichen Kunst.

14

Das LSG hat zur konkreten Krankheitssituation des Klägers, zu den regelmäßigen, schulmäßigen Behandlungsmethoden bei seiner Augenkrankheit, zu einer Unverträglichkeit dieser Methoden bei dem Kläger und zu den Chancen und Risiken der Kuba-Therapie im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse des Klägers im Behandlungszeitpunkt keine Feststellungen getroffen. Soweit es eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verneint hat, weil es an einem objektiven Wirksamkeitsnachweis fehle, verkennt es die bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (§ 170 Abs 5 SGG).

15

Das LSG hat ausgeführt, die Methode sei nicht ausreichend an Menschen evaluiert und werde von der überwiegenden Mehrheit der einschlägigen Fachleute jedenfalls nicht befürwortet, vom wissenschaftlichen Beirat von Pro Retina Deutschland e.V. nicht empfohlen, vom "Health Council of the Netherlands" in den Niederlanden nicht anerkannt und auch in den USA und überwiegend in Europa nicht akzeptiert. Prof. M gehöre zur Minderheit der Befürworter und zu den wenigen Anwendern, gleichwohl vermöge er nur auf seine eigenen klinischen Erfahrungen an Menschen (und Tieren) hinzuweisen, ohne dass valide Studien oder aussagekräftige Statistiken zur Wirksamkeit der Therapie existierten. Die bisherigen Erkenntnisse würden zwar einen positiven Einfluss nicht ausschließen, genügten aber nicht, um von einer "ausreichend gesicherten" positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf auszugehen, weil sich der Sachverständige nur auf die Feststellungen der von ihm operierten 126 Menschen stütze und eine graduelle Verzögerung des Sehschärfeverlustes um 18 bis 24 Monaten nicht ausreichend erscheine.

16

Damit überspannt das LSG die Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts. Nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30), ist es bei der abstrakten und konkreten Prüfung von Risiken und Nutzen geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu berücksichtigen. Der bei beiden Analysen von Nutzen und Risiken zu beachtende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der den Zurechnungszusammenhang zwischen Therapie, Erfolg und Risiken betrifft, unterliegt - ähnlich wie bei der Anwendung von Pharmakotherapien mit Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV - aufgrund von Verfassungsrecht Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen. Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen (vgl zum Ganzen zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 25 f mwN - LITT, bezogen in BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30).

17

Die Folge dieser Rechtsprechung ist, dass, wenn eine nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethode für eine wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbare Krankheit (generell) überhaupt nicht zur Verfügung steht oder im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte diese nachgewiesenermaßen nicht verträgt, der Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einem der notstandsähnlichen Situation angemessenen geringeren Wahrscheinlichkeitsmaßstab unterfällt. Dabei sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen "je schwerwiegender die Erkrankung und 'hoffnungsloser' die Situation, desto geringere Anforderungen an die 'ernsthaften Hinweise' auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg" (BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 40; mit ähnlicher Tendenz schon: Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, 179; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl 2002, § 130 RdNr 23).

18

Wissenschaftliche Verlaufsbeobachtungen anhand von operierten 126 Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle sind ihrer Art nach ohne Weiteres geeignet, nach den Regeln der ärztlichen Kunst als Grundlage für "Indizien" im dargelegten Sinne für eine positive Einwirkung zu dienen. Nach den Feststellungen des LSG hat Prof. M 126 Patienten mit der Pelaez-Technik jeweils an einem Auge operiert - das nicht operierte Auge diente der Kontrolle - und stellte dabei fest, dass es zu Verbesserungen kam, die sich schrittweise verringerten, bis sie 18 bis 24 Monate nach Einsetzen des Implantats verschwanden.

19

Es entspricht auch nicht den dargelegten bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (§ 170 Abs 5 SGB V), einen Erhalt der Sehfähigkeit durch Verbesserung des Sehvermögens für 18 bis 24 Monate als unerheblich anzusehen. Vielmehr handelt es sich ohne Zweifel um eine offenkundig positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Zu den Behandlungszielen des § 27 Abs 1 S 1 SGB V gehören die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung sowie die Linderung von Krankheitsbeschwerden. Eine "Verhütung der Verschlimmerung" setzt nicht voraus, dass diese dauerhaft ist, also die Erkrankung zum Stillstand kommt. Bei schicksalhaftem Verlauf der Erkrankung genügt es vielmehr, dass ihr Eintritt - hier die Erblindung - hinausgezögert wird (Steege in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2014, K § 27 RdNr 59).

20

Ob die Kuba-Therapie im Zeitpunkt der Behandlung nach den aufgezeigten Maßstäben geeignet war, beim Kläger eine Verschlimmerung im oben genannten Sinne zu vermeiden, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Nach Angaben von Prof. M soll die Behandlung nur auf Fälle mit hoher Progredienz des Krankheitsverlaufs angewendet werden, bei denen andere Methoden fehlschlugen. Das LSG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die Frage offen gelassen, ob bei dem Kläger eine derartig schnelle Degeneration vorliegt. Entsprechende und ggf die übrigen, oben umschriebenen Feststellungen wird es nachzuholen haben. Mit Blick auf die gebotene abstrakte Nutzen-Risiko-Bewertung genügt es nicht - wie durch das LSG geschehen - nur allgemein mögliche Risiken zu nennen, ohne deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die zu beurteilenden Risiken (nicht unerhebliches Operationsrisiko, Doppelsehen, welliges Sehen, schnellerer Verfall der Sehschärfe und des Gesichtsfelds als vor der Operation) wird das LSG deshalb abstrakt sowie bezogen auf den Einzelfall fest umreißen und mit dem möglichen Erfolg der Therapie in Anlehnung an Art 2 Abs 2 GG abzuwägen haben.

21

3. Die Notwendigkeit für das LSG, weitere ergänzende Feststellungen zu treffen, kann sich aus den in neuerer Rechtsprechung des erkennenden Senats entwickelten Anforderungen ergeben. Der erkennende Senat darf diese neueren Anforderungen trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG) seines ersten Revisionsurteils auch in diesem Verfahren zugrunde legen. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 13 mwN).

22

Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 22 f) verlangt die aus der grundrechtsorientierten Auslegung (heute: § 2 Abs 1a SGB V) resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrunde liegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden(BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 22 f). Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(BSG aaO mwN zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V). Das LSG hat zur Ursache bestehender Erkenntnismängel im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers keine Feststellungen getroffen. Auch dies wird es nachzuholen haben.

23

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten in Höhe von 11 564 Euro für eine auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung.

2

Der 1984 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an Retinitis pigmentosa, einer Netzhauterkrankung, die zu Tunnelblick und in ihrem Endstadium zur Erblindung führt. Im Jahr 2002 beantragte er - ua auf seine nur noch 3 % bis 5 % betragende Sehfähigkeit hinweisend - die Kostenübernahme für eine sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P in H ; dieser Arzt habe eine Therapie entwickelt, die das weitere Absterben der Netzhaut verhindere und das Sehvermögen verbessern könne. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Behandlungsmethode schulmedizinisch nicht allgemein anerkannt sei (Bescheid vom 19.11.2002; Widerspruchsbescheid vom 5.2.2003). Vom 10.1. bis 31.1.2003 ließ sich der Kläger auf Kuba auf eigene Kosten (nach eigenen Angaben 11 564 Euro) entsprechend behandeln.

3

Die Klage auf Kostenerstattung ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 24.3.2006; Urteil des LSG vom 1.8.2007). Auf die Revision des Klägers hat der erkennende Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, soweit die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung für die auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung betroffen gewesen ist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3), weil das LSG dem nach § 109 SGG gestellten Antrag des Klägers, Beweis zur Eignung der durchgeführten Heilbehandlung durch den Sachverständigen Prof. M (Universität Bologna) zu erheben, nicht nachgekommen war. Das LSG hat ein Gutachten nach Aktenlage bei Prof. M
dazu eingeholt, ob die Kuba-Therapie dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche, und anschließend die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, es fehle an einem hinreichend objektiven Wirksamkeitsnachweis der sog Kuba-Therapie (Urteil vom 16.11.2011).

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art 2 Abs 2 S 1 sowie von Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip. Das LSG verkenne mit seiner Forderung nach validen Studien oder aussagekräftige Statistiken die Anforderungen, die an Hinweise für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine zumindest spürbare positive Einwirkung der Behandlung auf den Krankheitsverlauf zu stellen seien.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 24. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2003 zu verurteilen, ihm 11 564 Euro zu zahlen,

6

hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. November 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das an-gefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung materiellen Rechts beruht und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von 11 564 Euro Kosten für die Auslandsbehandlung hat, vermag der Senat wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht abschließend zu beurteilen. Es steht nicht fest, dass die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V erfüllt sind.

10

Das LSG hat zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Erstattungsanspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V bei Beachtung des Qualitätsgebots(§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) abgelehnt (dazu 1.), aber unzureichende Feststellungen zur grundrechtsorientierten Auslegung getroffen (dazu 2.). Eine grundrechtsorientierte Auslegung scheidet allerdings aus, wenn die Überprüfbarkeit der Methode an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten scheitert (dazu 3.).

11

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Danach kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Der Anspruch setzt ua nach den bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29) grundsätzlich voraus, dass die Leistung im Ausland den Anforderungen an das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) entspricht. Das hat das LSG im Ergebnis - unangegriffen und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden - verneint, weil nicht die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie kein Konsens besteht.

12

2. Nach den bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG) des ersten Revisionsurteils (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30) kommen Abmilderungen der Anforderungen des Qualitätsgebots infolge grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts der GKV auch im Anwendungsbereich des § 18 SGB V in Betracht. Ist für Versicherte eine nach Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

13

Nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30), bedarf es hierfür zunächst der Feststellung, dass der Kläger im Zeitpunkt der Behandlung an einer Krankheit litt, die zumindest wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar ist. Diesbezüglich hat das erste Revisionsurteil vorgegeben, dass hierfür eine drohende Erblindung in Betracht kommt, hochgradige Sehstörungen demgegenüber nicht ausreichen (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31). Sodann ist nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 32), die Feststellung erforderlich, ob, und wenn ja mit welcher Zielrichtung, bezüglich dieser Krankheit zumindest eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht und für den Kläger anwendbar ist. Des Weiteren ist nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 32), festzustellen, mit welcher Zielsetzung die sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P durchgeführt wird und ob bezüglich dieser Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers bestand. Hierzu bedarf es der Feststellungen, die für eine abstrakte Nutzen-Risiko-Analyse und für eine Abwägung der Chancen und Risiken dieser Behandlungsmethode gerade im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse bei dem Kläger erforderlich sind. Maßgeblich sind für diese Feststellungen nach den bindenden Vorgaben (§ 170 Abs 5 SGG) die Regeln der ärztlichen Kunst.

14

Das LSG hat zur konkreten Krankheitssituation des Klägers, zu den regelmäßigen, schulmäßigen Behandlungsmethoden bei seiner Augenkrankheit, zu einer Unverträglichkeit dieser Methoden bei dem Kläger und zu den Chancen und Risiken der Kuba-Therapie im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse des Klägers im Behandlungszeitpunkt keine Feststellungen getroffen. Soweit es eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verneint hat, weil es an einem objektiven Wirksamkeitsnachweis fehle, verkennt es die bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (§ 170 Abs 5 SGG).

15

Das LSG hat ausgeführt, die Methode sei nicht ausreichend an Menschen evaluiert und werde von der überwiegenden Mehrheit der einschlägigen Fachleute jedenfalls nicht befürwortet, vom wissenschaftlichen Beirat von Pro Retina Deutschland e.V. nicht empfohlen, vom "Health Council of the Netherlands" in den Niederlanden nicht anerkannt und auch in den USA und überwiegend in Europa nicht akzeptiert. Prof. M gehöre zur Minderheit der Befürworter und zu den wenigen Anwendern, gleichwohl vermöge er nur auf seine eigenen klinischen Erfahrungen an Menschen (und Tieren) hinzuweisen, ohne dass valide Studien oder aussagekräftige Statistiken zur Wirksamkeit der Therapie existierten. Die bisherigen Erkenntnisse würden zwar einen positiven Einfluss nicht ausschließen, genügten aber nicht, um von einer "ausreichend gesicherten" positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf auszugehen, weil sich der Sachverständige nur auf die Feststellungen der von ihm operierten 126 Menschen stütze und eine graduelle Verzögerung des Sehschärfeverlustes um 18 bis 24 Monaten nicht ausreichend erscheine.

16

Damit überspannt das LSG die Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts. Nach der Rechtsprechung, auf die das erste Revisionsurteil verweist (BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30), ist es bei der abstrakten und konkreten Prüfung von Risiken und Nutzen geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu berücksichtigen. Der bei beiden Analysen von Nutzen und Risiken zu beachtende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der den Zurechnungszusammenhang zwischen Therapie, Erfolg und Risiken betrifft, unterliegt - ähnlich wie bei der Anwendung von Pharmakotherapien mit Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV - aufgrund von Verfassungsrecht Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen. Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen (vgl zum Ganzen zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 25 f mwN - LITT, bezogen in BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30).

17

Die Folge dieser Rechtsprechung ist, dass, wenn eine nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethode für eine wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbare Krankheit (generell) überhaupt nicht zur Verfügung steht oder im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte diese nachgewiesenermaßen nicht verträgt, der Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einem der notstandsähnlichen Situation angemessenen geringeren Wahrscheinlichkeitsmaßstab unterfällt. Dabei sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen "je schwerwiegender die Erkrankung und 'hoffnungsloser' die Situation, desto geringere Anforderungen an die 'ernsthaften Hinweise' auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg" (BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 40; mit ähnlicher Tendenz schon: Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, 179; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl 2002, § 130 RdNr 23).

18

Wissenschaftliche Verlaufsbeobachtungen anhand von operierten 126 Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle sind ihrer Art nach ohne Weiteres geeignet, nach den Regeln der ärztlichen Kunst als Grundlage für "Indizien" im dargelegten Sinne für eine positive Einwirkung zu dienen. Nach den Feststellungen des LSG hat Prof. M 126 Patienten mit der Pelaez-Technik jeweils an einem Auge operiert - das nicht operierte Auge diente der Kontrolle - und stellte dabei fest, dass es zu Verbesserungen kam, die sich schrittweise verringerten, bis sie 18 bis 24 Monate nach Einsetzen des Implantats verschwanden.

19

Es entspricht auch nicht den dargelegten bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (§ 170 Abs 5 SGB V), einen Erhalt der Sehfähigkeit durch Verbesserung des Sehvermögens für 18 bis 24 Monate als unerheblich anzusehen. Vielmehr handelt es sich ohne Zweifel um eine offenkundig positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Zu den Behandlungszielen des § 27 Abs 1 S 1 SGB V gehören die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung sowie die Linderung von Krankheitsbeschwerden. Eine "Verhütung der Verschlimmerung" setzt nicht voraus, dass diese dauerhaft ist, also die Erkrankung zum Stillstand kommt. Bei schicksalhaftem Verlauf der Erkrankung genügt es vielmehr, dass ihr Eintritt - hier die Erblindung - hinausgezögert wird (Steege in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2014, K § 27 RdNr 59).

20

Ob die Kuba-Therapie im Zeitpunkt der Behandlung nach den aufgezeigten Maßstäben geeignet war, beim Kläger eine Verschlimmerung im oben genannten Sinne zu vermeiden, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Nach Angaben von Prof. M soll die Behandlung nur auf Fälle mit hoher Progredienz des Krankheitsverlaufs angewendet werden, bei denen andere Methoden fehlschlugen. Das LSG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die Frage offen gelassen, ob bei dem Kläger eine derartig schnelle Degeneration vorliegt. Entsprechende und ggf die übrigen, oben umschriebenen Feststellungen wird es nachzuholen haben. Mit Blick auf die gebotene abstrakte Nutzen-Risiko-Bewertung genügt es nicht - wie durch das LSG geschehen - nur allgemein mögliche Risiken zu nennen, ohne deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die zu beurteilenden Risiken (nicht unerhebliches Operationsrisiko, Doppelsehen, welliges Sehen, schnellerer Verfall der Sehschärfe und des Gesichtsfelds als vor der Operation) wird das LSG deshalb abstrakt sowie bezogen auf den Einzelfall fest umreißen und mit dem möglichen Erfolg der Therapie in Anlehnung an Art 2 Abs 2 GG abzuwägen haben.

21

3. Die Notwendigkeit für das LSG, weitere ergänzende Feststellungen zu treffen, kann sich aus den in neuerer Rechtsprechung des erkennenden Senats entwickelten Anforderungen ergeben. Der erkennende Senat darf diese neueren Anforderungen trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG) seines ersten Revisionsurteils auch in diesem Verfahren zugrunde legen. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 13 mwN).

22

Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 22 f) verlangt die aus der grundrechtsorientierten Auslegung (heute: § 2 Abs 1a SGB V) resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrunde liegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden(BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 22 f). Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(BSG aaO mwN zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V). Das LSG hat zur Ursache bestehender Erkenntnismängel im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers keine Feststellungen getroffen. Auch dies wird es nachzuholen haben.

23

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für in der Ukraine erfolgte Behandlungsmaßnahmen.

2

Der im Juli 1978 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an Zerebralparese mit Bewegungsstörungen seit Geburt im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ließ sich seit 1993 regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)" nennt (im Folgenden Methode Kozijavkin), besteht in einer sogenannten multimodalen Behandlung. Es hat zum Ziel, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten bei Personen mit infantilen Zentralparesen herbeizuführen. Dazu werden ua Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie und Krankengymnastik eingesetzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie, mit deren Hilfe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Behandlungsphase schließt sich eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisierungsphase an, der wiederum eine zweiwöchige intensive Behandlung in der Ukraine folgt. Die Beklagte lehnte Anträge für die Erteilung von Kostenzusagen für Behandlungen vom 19.9. bis 3.10.2000, 10. bis 24.4.2001, 28.9. bis 12.10.2001, 20.3. bis 3.4.2002 und vom 25.3. bis 8.4.2003 jeweils ab (Bescheid vom 17.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 5.3.2001; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 21.8.2001; Widerspruchsbescheid vom 5.12.2001; Bescheide vom 6.3.2002 und 26.2.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2003). Der Kläger ließ sich dennoch in den jeweils beantragten Zeiten in der Ukraine in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin behandeln und zahlte hierfür insgesamt 20 348,58 Euro.

3

Das SG hat die deshalb erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage dazu verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 3.2.2005). Das BSG hat auf die Sprungrevision der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - nv), weil über den vom Kläger erhobenen Anspruch ohne weitere Sachaufklärung zu bestimmten generellen und individuellen Tatsachen nicht entschieden werden kann. Das LSG hat die Klage abgewiesen, ohne weiteren Beweis zu erheben (LSG-Beschluss vom 3.3.2010). Das BSG hat den LSG-Beschluss wegen Missachtung der Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG zurückverwiesen (BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 1 KR 46/10 B -). Das LSG hat nunmehr nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen: Die Methode Kozijavkin sei zur Zeit der betroffenen Behandlungen nicht allgemein anerkannt gewesen. Eine grundrechtsorientierte Auslegung komme nicht in Betracht, da die Krankheit des Klägers mit einer regelmäßig tödlichen Erkrankung nicht wertungsmäßig vergleichbar sei (Urteil vom 22.3.2012).

4

Der Kläger rügt sinngemäß die Verletzung der Bindungswirkung des ersten Revisionsurteils (vgl § 170 Abs 5 SGG)und des Rechtsgedankens des § 2 Abs 1a SGB V entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das LSG hätte sich aufgrund seines Vorbringens gedrängt sehen müssen, durch Sachverständige festzustellen, dass er durch die Spastik am ganzen Körper infolge der infantilen Zentralparese schmerzintensiv betroffen sei. Dies sei weit unerträglicher als eine Erblindung. Belege für den Nutzen der Methode Kozijavkin bestünden aus jüngerer Zeit und seien zu berücksichtigen.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das zur Neubescheidung verurteilende SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger kann keine Neubescheidung verlangen, denn er hat keinen Anspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V auf Erstattung der Kosten in Höhe von 20 348,58 Euro, die ihm durch die mehrfachen Behandlungen in der Ukraine nach der Methode Kozijavkin innerhalb der Gesamtzeit vom 19.9.2000 bis 8.4.2003 entstanden sind. Die Methode Kozijavkin entsprach in diesem Zeitraum nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (dazu 1.). Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V sind nicht erfüllt(dazu 2.).

9

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG)des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 12, nv) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Der Anspruch setzt voraus, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit des Klägers nur im Ausland, im Institut Prof. Dr. Kozijavkins in der Ukraine, in den genannten Zeiträumen möglich war. Daran fehlt es.

10

Gemäß den bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 20 ff, nv) ist entscheidend, dass die Leistung im Ausland zur Zeit der Behandlung den Kriterien des in § 2 Abs 1 S 3 SGB V geregelten Qualitätsgebots entsprach. Das wiederum ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (vgl bereits BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f - Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff - Kozijavkin II).

11

Nach dem überzeugenden Ergebnis der Beweisaufnahme des LSG war die Methode Kozijavkin noch im Jahr 2005 - und darüber hinaus - nicht allgemein anerkannt. Es fehlten bis zum damaligen Zeitpunkt unabhängige Studien nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zur Wirksamkeit der Methode. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG sich nicht allein auf deutsche Quellen beschränkt, sondern etwa über die Datenbank DIMDI internationale Publikationen einbezogen (zB Mijna Hadders-Algra, Tineke Dirks, Cornill Blauw-Hospers, Victorine de Graaf-Peters, The Kozijavkin method: giving parents false hope? The Lancet, Bd 365, Lieferung 9462, S 842, 5.3.2005). Die Methode Kozijavkin wird weder in Deutschland noch in anderen Ländern der EU eingesetzt.

12

2. Der Kläger kann sich im Ergebnis auch nicht auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V zu seinen Gunsten berufen.

13

a) Der erkennende Senat muss trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)seines ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - Juris) darüber entscheiden, ob der Kläger aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V den zu prüfenden Anspruch hat. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG). Das erste Revisionsurteil enthält keine ausdrücklichen Ausführungen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung. Die diese Rechtsfigur entwickelnde Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5),die den Beteiligten des dortigen Verfahrens nach dem 6.12.2005 zugestellt wurde, war dem 1. Senat des BSG bei seiner Entscheidung vom 13.12.2005 noch nicht bekannt. Der erkennende Senat hat seine Rechtsprechung zu § 18 Abs 1 S 1 SGB V später dahingehend fortentwickelt, dass ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach dieser Rechtsgrundlage auch dann besteht, wenn für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich ist(vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21, 29 mwN - Tomudex), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht (vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose).

14

b) Der Kläger kann aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V nichts für sich herleiten, da sie erst zum 1.1.2012 in Kraft getreten ist (vgl Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983). In der Sache führt die Regelung allerdings die Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats zur grundrechtsorientierten Auslegung fort. Auf diese Rechtsprechung (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 30 - D-Ribose)sucht sich der Kläger zu stützen. Sie ist ihrer Art nach anzuwenden, greift aber vorliegend nicht ein.

15

c) Die grundrechtsorientierte Auslegung einer Regelung des SGB V über einen Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zu Lasten der GKV setzt voraus, dass folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1.) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung vor. (2.) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 21 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht alle erfüllt.

16

aa) Es ist beim Kläger allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass die Auswirkungen seiner infantilen Zerebralparese mit Bewegungsstörungen, einer spastischen Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung eine Ausprägung erreichen, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist. Der erkennende Senat hat zwar entschieden, dass ein Versicherter, der an einer infantilen Zerebralparese mit spastischer Paraparese der Beine, Sekundärschäden am knöchernen Apparat (Coxarthrose, Pseudoradikulärsyndrom) und sich dadurch verstärkender Spastik bei in Ruhe einschießenden schmerzhaften Spasmen leidet, nicht die Schwelle erreicht, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 23). Bei einer spastischen Tetraplegie sind indes nicht lediglich die Beine, sondern alle vier Extremitäten betroffen. Die Körperhaltung ist meist asymmetrisch. Kopf- und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik sind regelmäßig erschwert. Der Kläger beruft sich sinngemäß darauf, ein von ihm beantragtes Sachverständigengutachten hätte eine Spastik des ganzen Körpers ergeben. Ohne genaue Feststellung und Analyse der Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht klar, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die wertungsmäßig einen Schweregrad etwa wie bei einer völligen Erblindung erreicht. Der erkennende Senat unterstellt dies. Denn der Kläger hat die Feststellungen des LSG zur geringfügigeren Erkrankung des Klägers mit durchgreifenden Rügen angegriffen (vgl zu den Anforderungen § 164 Abs 2 S 3 SGG und hierzu BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 27 f mwN). Der Senat kann dennoch abschließend über die Sache entscheiden, da die weiteren Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung nicht erfüllt sind.

17

bb) Bezüglich seiner Krankheit stand dem Kläger im betroffenen Zeitraum eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung in Deutschland zur Verfügung. Die infantile Zerebralparese wird nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse als Symptomenkomplex angesehen, für den es keine pauschale, auf alle Patienten in gleicher Weise ausgerichtete Standardtherapie gibt. Vielmehr erfordert die Erkrankung ein individuelles Behandlungskonzept, das den festgestellten Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen Rechnung trägt. Therapieelemente sind regelmäßig funktionelle Übungsbehandlungen der motorischen Störungen einschließlich verordneter Heilmittel (Maßnahmen der physikalischen Therapie, der Ergo-, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie), Pharmakotherapien zur Verringerung von Muskelspasmen oder Verhinderung von Krampfanfällen, verordnete Hilfsmittel, operative Behandlungen bei Kontrakturen und Sehnenverkürzungen, Therapien zusätzlicher Störungen sowie medizinische ambulante, erforderlichenfalls stationäre Rehabilitationsleistungen (vgl Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkasse eV vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff). Es gibt aufgrund des umfassenden ambulanten und stationären Angebots in Deutschland für die keinesfalls seltenen Fälle infantiler Zerebralparesen insoweit keinerlei Hinweis auf quantitative Versorgungslücken. Die bei der Methode Kozijavkin eingesetzten, sich teilweise mit dem Behandlungsangebot in Deutschland überschneidenden Therapieelemente belegen die Verträglichkeit einer individuellen Therapie nach Standard in Deutschland für den Kläger.

18

Das Ziel der Methode Kozijavkin besteht entsprechend den Feststellungen des LSG darin, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von Personen mit infantiler Zerebralparese zu erreichen. Es geht lediglich darum, Symptome der infantilen Zerebralparese zu lindern und ihre Verschlimmerung zu verhüten. Eine Heilung der Krankheit kommt nicht in Betracht. Auch die in Deutschland angewandten anerkannten Behandlungsstrategien zielen auf eine Linderung und Verhütung der Verschlimmerung der Symptome der infantilen Zerebralparese (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff).

19

cc) Bezüglich der Methode Kozijavkin besteht auch lediglich eine ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht dazu führen, dass unabhängig von wissenschaftlichen Maßstäben allein die entfernte Hoffnung auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu einer Kostenerstattung zwingt. Abmilderungen des Qualitätsgebots kommen zwar infolge grundrechtsorientierter Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die dazu inzwischen ergangene umfangreiche Folgerechtsprechung des Senats (vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 f mwN - Tomudex; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 20 ff mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 mwN - ICL; vgl zu weiteren Anwendungsfällen zB: Kretschmer, MEDSACH 2009, 54 ff) auch im Anwendungsbereich des § 18 Abs 1 S 1 SGB V in Betracht(vgl Hauck in Festschrift 50 Jahre saarländische Sozialgerichtsbarkeit, 2009, S 49, 67). Ist für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

20

Die Folge der verfassungskonformen Auslegung ist es indes, dass zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bei neuen Behandlungsmethoden die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich bleiben. Dies gilt auch, wenn es beim Versicherten zu einer notstandsähnlichen behandlungsbedürftigen Situation kommt. Gleichermaßen ist das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (vgl näher BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22 ff mwN - LITT). Dies ändert mithin nichts an der Heranziehung und Maßgeblichkeit allein wissenschaftlicher Maßstäbe zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs im Recht der GKV, wie sie sich zB in § 2 Abs 1 S 3 SGB V und auch in § 18 Abs 1 S 1 SGB V niederschlagen und in Sondersituationen evidenzbezogen abgestuft zur Anwendung gelangen können(vgl auch BVerfG Beschluss vom 28.8.2007 - 1 BvR 1617/05 - zur "Kuba-Therapie" bei Retinitis pigmentosa, Verfassungsbeschwerde ua gerichtet gegen den Beschluss des Senats vom 15.6.2005 - B 1 KR 111/04 B - und das Urteil des Bayerischen LSG vom 11.11.2004 - L 4 KR 296/03 -; vgl zum Ganzen BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29 ff). Ziel der grundrechtsorientierten Auslegung ist es, die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art 2 Abs 2 S 1 GG zu stellen.

21

Die aufgezeigte Zielsetzung begrenzt zugleich die Reichweite einer grundrechtsorientierten Auslegung. So reichen rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, hierfür nicht aus (vgl zB BVerfG Beschluss vom 26.2.2013 - 1 BvR 2045/12 - NZS 2013, 500, 501 = NJW 2013, 1664, 1665 = Juris RdNr 15). Es ist auch nicht zulässig, den Rechtsgütern des Art 2 Abs 2 S 1 GG die Schutzmechanismen zu entziehen, die die Rechtsordnung hierfür vorsieht. Das hat der erkennende Senat für Arzneimittel - vom BVerfG bestätigt - entschieden und der Gesetzgeber ist dem ebenfalls gefolgt (vgl zu § 2 Abs 1a SGB V GKV-VStG, BR-Drucks 456/11 S 74; BVerfG Beschluss vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - SozR 4-2500 § 31 Nr 17 im Anschluss an BSG USK 2007-25 - mnesis). In diesem Sinne bleiben für nicht oder nicht in der betreffenden Indikation zugelassene Arzneimittel neben der mit dem neuen § 2 Abs 1a SGB V vorgenommenen leistungsrechtlichen Klarstellung die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Leistungspflicht der GKV unberührt, die vom BVerfG nicht beanstandet wurden(vgl ebenda).

22

Eine weitere Begrenzung der sich aus der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V ergebenden Ansprüche auf Methoden, die noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, folgt aus der Mitwirkungsobliegenheit der Behandler. Die aus der grundrechtsorientierten Auslegung und aus § 2 Abs 1a SGB V resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, verlangt unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrundeliegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.

23

Nichts anderes kann gelten für Fälle der Auslandsbehandlung nach einer neuen Methode gemäß § 18 Abs 1 S 1 SGB V, deren grundsätzlicher Anwendbarkeit durch Ärzte im Inland bei hinreichend wissenschaftlicher Fundierung nichts im Wege stünde. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden. Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWiR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWiR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(vgl zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN; zu seiner Geltung für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung vgl BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52; BSG Urteil vom 18.12.2012 - B 1 KR 34/12 R - RdNr 34 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137 Nr 2 vorgesehen; zur Geltung des Qualitätsgebots für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen iS von § 107 Abs 2 Nr 2 SGB V vgl BSGE 81, 189, 195 = SozR 3-2500 § 111 Nr 1; BSGE 89, 294, 305 = SozR 3-2500 § 111 Nr 3; Wahl in jurisPK-SGB V, § 111, 2. Aufl, Stand 1.4.2012, RdNr 37 mwN).

24

So liegt es hier. Die Zahl nach der Methode Kozijavkin in der Ukraine behandelter Patienten mit einer Zerebralparese von 10 521 allein im Zeitraum 1991 - 1999, davon 68 % mit Tetraparese (vgl Nachweis im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 43: Kozijavkin/Del Bello, Praktische Paediatrie 2000, Nr 6-8; vgl auch die Zahlen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 12 f) belegt, dass das dortige Patientenvolumen ohne Weiteres geeignet ist, aussagekräftige statistische Daten zu generieren, um den Nutzen der Therapie zu beurteilen. Es ist ebenfalls wissenschaftlich gesichert, dass kontrollierte prospektive klinische Studien mit einem aussagekräftigen Design über die Methode Kozijavkin möglich sind (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 46 bei Fn 6). Zu einer in Aussicht genommenen Wirksamkeitsstudie zur Methode Kozijavkin (vgl Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 14) ist es bisher nicht gekommen. Die Behandlungseinrichtungen in Deutschland wären bei wissenschaftlich hinreichend belegter Wirksamkeit und nachgewiesenem Nutzen der Methode nach dem Sinngehalt des Grundsatzgutachtens des MDS ohne Weiteres in der Lage, hiernach zu verfahren. In diesem Falle würde damit aber auch ein wesentlicher Grund für Patienten aus Deutschland entfallen, zwecks Behandlung nach der Methode Kozijavkin in die Ukraine zu reisen.

25

Die Defizite in der wissenschaftlichen Beweisführung für einen Nutzen der Methode Kozijavkin sind seit langem bekannt. Der erkennende Senat stützte schon seine erste Entscheidung zur Methode Kozijavkin darauf, dass diese Methode bisher nicht ausreichend erforscht und eine abschließende Bewertung ihrer Wirksamkeit und ihrer Risiken deshalb nicht möglich ist. Bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts war die Erfolgsrate der umstrittenen Therapie mangels vergleichender Effektivitätsstudien nicht objektivierbar (Prof. Dr. Hanefeld, Zentrum für Kinderheilkunde der Universität Göttingen, Stellungnahme vom 13.7.1993; Dr. Rosenkötter, Sozialpädiatrisches Zentrum Ludwigsburg). Die Schwierigkeiten bei der Überprüfung und Bewertung wurden damals auch darauf zurückgeführt, dass die Behandlungsmethode eng an die Person von Dr. Kozijavkin gebunden und eine Einweisung ausländischer Ärzte bisher nicht erfolgt sei. Damit fehlte eine unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der wissenschaftlichen Anerkennung, nämlich die Möglichkeit, die Behandlung an anderer Stelle und durch andere Ärzte zu wiederholen und ihre Ergebnisse überprüfbar zu machen (vgl insgesamt BSGE 84, 90, 97 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4).

26

Der kritische wissenschaftliche Umgang ärztlicher Behandler in Deutschland mit der Methode Kozijavkin drückt sich ua auch darin aus, dass sie nicht pauschal alle hierbei aufgeführten Therapieelemente verwenden, sondern lediglich jene Teile, die nach wissenschaftlichen Kriterien für den Patienten einen Nutzen versprechen (vgl die Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff). Dementsprechend bejaht etwa die Gesellschaft für Neuropädiatrie in ihrer Stellungnahme zur Methode Kozijavkin den Einsatz therapeutischer Techniken der Manuellen Medizin bei spastischen infantilen Zerebralparesen, allerdings lediglich in nach wissenschaftlichem Standard gesichertem Umfang, welches sie bei der Methode Kozijavkin schon als nicht gewährleistet ansieht. Sie lehnt aber Einzelelemente wie die Apitherapie wegen ihres Risikopotentials ohne gesicherten Nutzen ab (vgl die Wiedergabe im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 58 ff und Stellungnahme des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011). In Einklang hiermit hat die Methode Kozijavkin in den vergangenen zehn Jahren im Rahmen der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Zerebralparesen in den deutschen Sozialpädiatrischen Zentren keine wesentliche Rolle mehr gespielt (vgl Stellungnahme Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011).

27

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.