Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12

published on 21/04/2015 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12
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Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob eine beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung (Glomerulonephritis) und ein daraus resultierender Bluthochdruck als Schädigungsfolge nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) anzuerkennen sind.

Der Kläger ist im Jahr 1955 geboren und lebte bis 1979 in der ehemaligen DDR. Er wurde wegen zweier Versuche der illegalen Ausreise aus DDR strafrechtlich verurteilt.

Wegen des ersten Ausreiseversuchs im Jahr 1971 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, wegen des zweiten Fluchtversuchs im Jahr 1973 mit Urteil des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Er befand sich vom 29.07.1973 bis zum 17.10.1974 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft in der Jugendstrafanstalt I.. Dort war er in der Montage zunächst von Handwasserpumpen und anschließend von Wechselsprechanlagen für Büros eingesetzt, nachdem bei der ersten Tätigkeit gesundheitliche Probleme aufgetreten waren.

Im März 1975 ging beim Kläger ein Nierenstein ab, im Frühjahr 1977 wurde durch eine Nierenbiopsie eine Glomerulonephritis diagnostiziert; die einschlägigen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen erfolgten zu einem Großteil in der Universitätsklinik J..

Am 29.04.1982 beantragte der Kläger eine Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz und dabei die Anerkennung einer chronischen Nierenbeckenentzündung als Schädigungsfolge. Zur Begründung gab er an, dass er nach einem Jahr Haft sehr starke Schmerzen in der rechten Hüfte gehabt habe und nur mangelhaft ärztlich versorgt worden sei. Die Ursache für die Erkrankung sehe er in der Unterkühlung und der schlechten Ernährung. Die Internistin Dr. W. berichtete dem damals zuständigen Versorgungsamt Ravensburg am 25.08.1982, dass ihr der Kläger seit Juni 1979 bekannt sei. Er befinde sich seit 1976 in ständiger ärztlicher Betreuung. 1975 sei ein Nierenstein festgestellt worden. Er leide unter einer chronischen glomerulären Nierenerkrankung. Die Erkrankung sei nicht aktiviert. Der Kläger sei leistungsfähig und beschwerdefrei. Die Blutdruckwerte - so Dr. W. - hätten stets im Normbereich gelegen. Der Urologe Dr. L. gab in seinem Arztbrief vom 02.11.1979 an, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht seien. Im Schreiben des Landambulatoriums R. vom 27.08.1979 wurde berichtet, dass sich der Kläger seit drei Jahren in ständiger ärztlicher ambulanter Behandlung befinde. Beim Kläger liege eine durch eine Nierenbiopsie gesicherte mesangioproliverative Glomerulonephritis im Sinn einerTyp IgA-Nephropathie vor. Der Blutdruck habe im Durchschnitt 150/90 betragen. Zur Frage der Schädigungsfolgen erstellte Dr. B. am 22.12.1982 ein Gutachten nach Aktenlage sowie - nach Untersuchung des Klägers - am 27.01.1983 einen Nachtrag. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der mesangioproliverativen Glomerulonephritis und den Haftbedingungen in der DDR sah der Sachverständige nicht. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.02.1983 wurde der Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz abgelehnt.

Die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile wurden mit Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992 aufgehoben und der Kläger rehabilitiert. Es wurde jeweils festgestellt, dass dem Kläger dem Grunde nach Ansprüche nach Maßgabe des Rehabilitierungsgesetzes zustünden.

Am 10.06.2008 beantragte der Kläger (beim damals zuständigen Versorgungsamt in Bayern) eine Versorgung nach dem StrRehaG. Er gab an, während der Haft einen Nierenstein mit der Folge einer chronischen Nierenbeckenentzündung gehabt zu haben und seitdem unter Bluthochdruck zu leiden. Während der Haft in I. habe er eine Tätigkeit ausüben müssen, bei der Gussteile abgeschliffen worden seien. Er habe sich wegen Hautausschlags im Februar 1974 in Behandlung begeben müssen. Im April habe er erstmals eine Nierenkolik erlitten. Die Koliken seien immer öfter aufgetreten und nach der Haftentlassung sei ein Nierenstein festgestellt worden, der nach einem halben Jahr durch Medikamente abgegangen sei.

Medizinische Unterlagen über die Behandlung in der Universitätsklinik J. waren wegen Ablauf der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist (so die Auskunft der Uniklinik im sozialgerichtlichen Verfahren) nicht mehr ausfindig zu machen, insbesondere auch nicht der Bericht über die Nierenbiopsie von 1977. Später stellte sich heraus, dass Prof. Dr. F., der den Kläger bereits 1977 in der Universitätsklinik J. behandelt hatte, im Jahr 1990 dem Kläger den schriftlichen Befund seiner Nierenbiopsie ausgehändigt und dieser dann den Bericht seinem Hausarzt gebracht hatte (vgl. Ausführungen im Gutachten des Prof. Dr. D. vom 11.03.2012). Nach Aufgabe der Praxis ist dieser Befund heute nicht mehr auffindbar. Die Jugendstrafanstalt I. legte die vorhandenen Unterlagen über die dortige Unterbringung des Klägers mit Schreiben vom Juni 2008 vor. Darunter befanden sich auch die medizinischen Behandlungsunterlagen aus der Krankenanstalt in der Jugendstrafanstalt.

Im Verfahren nach dem StrRehaG hat der Kläger auch ein vom ihm verfasstes und an die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gerichtetes Schreiben vom 24.03.1993 vorgelegt, in dem er Angaben zu seinen Lebensbedingungen von 1971 bis 1979 und seinem Gesundheitszustand von 1973 bis 1993 gemacht hatte. U. a. Folgendes ist daraus zu entnehmen:

* Im Spätherbst 1973 habe er - so der Kläger in diesem Schreiben - in der Jugendstrafanstalt I. vor allem im Gesicht und am Kopf Hautausschlag bekommen, der immer schlimmer geworden sei. Er habe zu dieser Zeit in der Wasserpumpenabteilung arbeiten müssen. Dabei sei durch Schleifarbeiten sehr viel Eisenstaub und Öl angefallen, was sein Körper nicht vertragen habe. Mehrmals habe er wochenlang auf der Krankenstation im Gefängnis gelegen, bis er in eine andere Abteilung verlegt worden sei. Dort habe er dann Wechselsprechanlagen für Büros montiert, das Krankheitsbild habe sich zusehends gebessert.

* Im Frühsommer 1974 habe er eines Nachts so heftige Schmerzen in der linken Hüfte bekommen, dass er weder stehen, sitzen noch liegen habe können. Er sei wieder für eine Woche auf die Krankenstation gekommen; ihm seien dort Eisbeutel auf den Bauch gelegt worden. Dies habe sich einige Male wiederholt. Man habe gedacht, er sei ein Simulant, und ihn nicht behandeln wollen. Als er vor Schmerzen wütend geworden sei, habe man ihn in eine schmale Einzelzelle gebracht. Dort habe er über einen Tag lang weder zu essen noch zu trinken bekommen. Die Schmerzen hätten sich bis zur Haftentlassung regelmäßig alle 2 - 3 Wochen wiederholt.

* Einige Tage nach der Haftentlassung habe er wieder einen derartigen Schmerzanfall bekommen, der sich kurze Zeit später wiederholt habe. Daraufhin sei er in der Universitätsklinik J. untersucht worden, wo ein Nierenstein festgestellt worden sei. Es sei weiter in medizinischer Behandlung gewesen; die medizinischen Werte hätten sich verbessert und stabilisiert, seien aber nicht mehr normal geworden. Er habe sehr oft an Schwäche und an Müdigkeit gelitten, dazu habe er sehr häufig eine Angina gehabt, wahrscheinlich bedingt durch seine Arbeit. Im Sommer 1976 seien die Mandeln entfernt worden, aber auch das habe den Gesundheitszustand nicht verbessert.

Der versorgungsärztliche Dienst wies in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 24.02.2009 darauf hin, dass eine chronische Nierenbeckenentzündung nie vorgelegen habe, sondern eine derzeit nicht aktive IgA-Nephritis, die durch eine Biopsie gesichert sei. Bereits im Gutachten im Rahmen des Häftlingshilfegesetzes sei die Anerkennung der IgA-Nephritis als Schädigungsfolge nicht empfohlen worden. Während der Haft seien keine Erkrankungen aufgetreten, die gehäuft mit dem Erkrankungsbeginn einer IgA-Nephritis vergesellschaftet seien. Das Nierensteinleiden sei ausgeheilt. Dem Gutachten vom Dezember 1982 könne auch heute noch voll gefolgt werden. Da es keine als Schädigungsfolge anzuerkennende Nierenerkrankung gebe, könne auch keine Kausalkette konstruiert werden, in der der Bluthochdruck auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden könnte.

Mit Bescheid vom 12.03.2009 lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG ab.

Dagegen legten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 14.04.2009 Widerspruch ein und begründeten diesen wie folgt: Ein Krankenblatt aus der Haftzeit des Antragstellers vom 02.08.1974 zeige in der Fieberkurve zumindest eine erhöhte Temperatur. Im Krankheitsverlauf werde von heftigen Schmerzen im rechten Mittelbauch berichtet sowie von Erbrechen. Dies lasse den Verdacht eines fiebrigen Magen-Darm-Infekts durchaus zu. Man bedenke darüber hinaus auch die zusätzlichen psychologischen Belastungen während der Inhaftierung. Der Antragsteller leide seit seiner Haftzeit ständig an Nierenschmerzen. Dies würden auch die zeitlich nachfolgenden Befundberichte belegen. Damit seien die notwendigen Symptome für eine entschädigungspflichtige Erkrankung aufgezeigt.

Der versorgungsärztliche Dienst äußerte sich zu diesem Vorbringen mit Schreiben vom 06.05.2009 und 25.05.2009 wie folgt: Den vorliegenden Krankenblattunterlagen sei eine vorübergehende Behandlung wegen abdomineller Beschwerden im rechten Mittelbauch sowie wegen einer Dermatitis zu entnehmen. Soweit den Fieberkurven zu entnehmen sei, habe sich am 09.02.1974 eine Temperatur von 37,3°C und am 12.02.1974 von 37,2°C gefunden bei ansonsten dokumentierten Temperaturwerten von unter 37°C. Eine infektiöse fieberhafte Erkrankung sei somit aus den Unterlagen nicht ableitbar. An der bisherigen Beurteilung sei festzuhalten; die Haftbedingungen könnten nicht für die etwa zweieinhalb Jahre nach der Haftentlastung diagnostizierte IgA-Nephritis verantwortlich gemacht werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 17.06.2009, das sich mit dem Widerspruchsbescheid überschnitten hatte, legten die Bevollmächtigten des Klägers eine Kopie der Heilbehandlungsseiten aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers vor, woraus sich - so die Bevollmächtigten - ergebe, dass der Kläger unmittelbar nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 mehrfach einen Facharzt für Innere Krankheiten wegen seines Nierenleidens aufsuchen habe müssen.

Mit Schreiben vom 30.07.2009 haben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben. Sie haben die Klage damit begründet, dass der Kläger zu Unrecht inhaftiert gewesen sei und sich im Zeitraum der letzten Inhaftierung aufgrund schlechter Unterbringung und mangelnder ärztlicher Versorgung sowie anhaltender Nierenkoliken ein Nierensteinleiden, eine chronische Nierenbeckenentzündung und einen Bluthochdruck zugezogen habe. Unmittelbar nach der Haftentlassung sei beim Kläger ein Nierenstein festgestellt worden. 1977 sei dann eine IgA-Nephritis diagnostiziert worden. Die Blutdruckwerte des Klägers seien immer noch überhöht.

Unter dem Datum vom 25.03.2011 hat der Internist und Sozialmediziner Dr. T. sein im Auftrag des SG angefertigtes Gutachten vorgelegt. Er ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen in keinem wahrscheinlichen Zusammenhang mit dem Haftaufenthalt des Klägers stünden. Auch die medizinischen Voraussetzungen für eine Kannversorgung lägen nicht vor.

Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, während der Haft an einer Ölakne im Rahmen der Tätigkeit in der metallverarbeitenden Werkstätte erkrankt zu sein. Während der Haft sei die Ernährung einseitig gewesen (Margarine und Marmelade, einfaches Brot, nur sonntags Semmeln), 1975 sei spontan ein Nierenstein abgegangen. 1977 habe er einen schwarzen Urin bemerkt (Farbe wie Kaffee).

Zu der beim Kläger vorliegenden mesangioproliverativen Glomerulonephritis hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Diese Erkrankung sei die häufigste Glomerulopathie bei jüngeren Menschen. Die Verursachung der IgA-Glomerulonephritis sei nicht endgültig aufgeklärt. Häufig würden die ersten Erscheinungen nach einem respiratorischen Infekt auftreten. Insgesamt bestehe bezüglich der Genese dieser Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft weiterhin eine gewisse Unsicherheit. Dies habe dazu geführt, dass für diese Erkrankung nach den Anhaltspunkten das Institut der Kannversorgung in Anspruch genommen werde. Voraussetzung für die Annahme einer Kannversorgung sei eine enge zeitliche Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet seien, die Resistenz erheblich herabzusetzen. Diese Voraussetzungen könnten beim Kläger nicht bejaht werden, da keine besonders beeinträchtigenden körperlichen Belastungen und Witterungseinflüsse vorgelegen hätten. Auch fehle der enge zeitliche Zusammenhang mit den Extrembelastungen. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei die IgA-Glomerulonephritis 1977 durch eine Nierenbiopsie festgestellt worden. Für ein Bestehen bereits bei Haftentlassung ergebe sich aus den Aktenunterlagen kein Beweis. Die Angabe eines kaffeefarbenen Urins im Jahr 1977 könne auf den Beginn der Erkrankung zu diesem Zeitpunkt hinweisen.

Der Einschätzung des Sachverständigen haben sich die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 27.05.2011 nicht angeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die Kausalität der Erkrankung dadurch nachgewiesen werden könne, dass sich der Kläger bereits im Januar 1975, also lediglich zweieinhalb Monate nach Haftentlassung, in entsprechender Behandlung wegen einer chronischen Nierenbeckenentzündung (im Universitätsklinikum J.) befunden habe.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. T. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2011 darauf hingewiesen, dass eine Nierenbeckenentzündung in keinerlei Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis stehe; es handle sich dabei um zwei völlig verschiedene Krankheitsbilder.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Internist und Nephrologe Prof. Dr. D. unter dem Datum vom 11.03.2012 ein Gutachten und am 17.04.2012 ein ergänzendes Schreiben erstellt. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass die Voraussetzungen der Kannversorgung bei der Nierenerkrankung des Klägers erfüllt seien. Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, dass im Rahmen der Haft blutiger Urin aufgetreten sei, der wie Coca-Cola oder Malzkaffee ausgesehen habe. Seine Annahme eines Zusammenhangs der Glomerulonephritis mit der Haft hat der Sachverständige wie folgt begründet: Der Kläger sei während der Haft an einer Nierenentzündung erkrankt, die übersehen worden sei. Dass hier eine Entzündung abgelaufen sei, sei durch die subfebrilen bis febrilen Temperaturen dokumentiert. Auch der Gewichtsverlust von 3 kg durch Nulldiät, keine Flüssigkeitszufuhr und Unterbringung bzw. Isolierung zeitweise in einer Einzelzelle würden dies belegen. IgA-Nierenentzündungen hätten, wie sich aus der Literatur ergebe, ein erhöhtes Risiko für umweltbedingte Faktoren wie Exposition zu Kohlenwasserstoffen, wie sie bestimmt in Schmierölen und den in der Haftanstalt verwendeten Substanzen vorhanden gewesen seien. Die Unterbringung auf der Krankenstation der Haftanstalt sei primär wegen einer durch Ölprodukte ausgelösten Hautentzündung mit Haarverlust erfolgt. Sie sei aber auch einhergegangen mit einer Schädigung innerer Organe, die von den behandelnden Ärzten übersehen worden sei. Dass die Histologie der Nierenbiopsie nicht mehr auffindbar sei, könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Es sei nachgewiesen, dass die mesangioproliverative Glomerulonephritis bereits während des Haftaufenthalts begonnen habe.

Der versorgungsärztliche Dienst hat sich dieser Einschätzung nicht angeschlossen (Stellungnahme vom 08.05.2012). Er hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. erstmals angegeben habe, dass er bereits während des Gefängnisaufenthalts Blut im Urin bemerkt habe. In den vom Gutachter genannten medizinischen Veröffentlichungen - so der versorgungsärztliche Dienst - werde keine mit der des Klägers vergleichbare Situation beschrieben. In diesen Artikeln seien Personengruppen untersucht worden, bei denen das Vorliegen einer glomerulären Nierenerkrankung durch eine Biopsie gesichert gewesen sei. Bei diesen Personen sei dann im weiteren Verlauf die Verschlechterung ihrer Nierenleistung in den nächsten Jahren in Bezug gesetzt worden zum Ausmaß der Exposition mit chemischen Substanzen wie Lösungsmitteln. Hierbei habe es sich um Personen gehandelt, die von Berufs wegen jahrelang mit entsprechenden Substanzen zu tun gehabt hätten. Eine Übertragung auf den Kläger, der nur wenige Monate Eisenstaub und Öl ausgesetzt gewesen sei, sei nicht gerechtfertigt. In der Gesamtschau könne der Einschätzung des Gutachters nicht zugestimmt werden. Der geschilderte Verlauf und insbesondere die vom Kläger geschilderte Schmerzsymptomatik während der Haft, die sich nach der Haft in gleicher Weise fortgesetzt habe, die schließlich zur Diagnose eines Nierensteins rechts geführt habe und nach Entfernung dieses Nierensteins ein Abklingen dieser Beschwerden zur Folge gehabt habe, stelle ein gewichtiges Kriterium gegen eine chronische Glomerulonephritis, aber für einen Nierenstein als Ursache dieser Beschwerden dar.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2012 ist die Klage abgewiesen worden; das Gericht hat sich dabei dem Gutachten des Prof. Dr. D. nicht angeschlossen, sondern ist dem Sachverständigen Dr. T. gefolgt.

Mit Schreiben vom 17.09.2012 haben die Bevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt. Sie haben sich dabei auf das Gutachten des Prof. Dr. D. gestützt. Soweit das SG gerügt habe, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Haft und festgestellter Erkrankung nicht bestehe, habe sich der Gutachter mit dieser Frage sehr wohl auseinandergesetzt. Es wäre erforderlich gewesen, dass das SG den Sachverständigen noch einmal nachbefrage. Der Kläger lasse zudem ausführen, dass der bei ihm festgestellte Bluthochdruck seit der Haftentlassung durchgehend bestehe und damit ein eindeutiges Zeichen dafür darstelle, dass der Kläger sich die Erkrankung während der Haftzeit zugezogen habe.

Nach einem Erörterungstermin am 23.01.2014 und umfassender Erläuterung der medizinisch-rechtlichen Problematik und der rechtlichen Fachbegriffe hat sich Prof. Dr. D. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.07.2014 wie folgt geäußert: Die mesangioproliverative Glomerulonephritis vom IgA-Typ entstehe durch Autoimmunprozesse, wobei grippale Infekte, insbesondere im HNO-Bereich, aber auch in den Lungen als Hauptauslöser bei dieser Konstellation aufgefasst würden. Die Entzündungsherde könnten aber auch in anderen Regionen des Körpers liegen. Aber auch andere Ursachen, wie Lösungsmittel, könnten eine ungünstige Auswirkung „auf die Progression (Verschlechterung bzw. Fortschreiten) der IgA-Nephritis“ haben. Auch eine vermehrte Kalziumausscheidung im Urin mit Nierensteinbildung könne gleichzeitig oder zeitverschoben auftreten und die Diagnose der IgA-Nephritis verschleiern oder erschweren. Zudem sei ein bislang nicht berücksichtigtes zweites Krankheitsgeschehen zu beachten, das mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, und zwar eine Purpura-Schönlein-Henoch. Dies sei eine systemische, auch immunologische Erkrankung mit renaler intermittierender Variante, die neben der Purpura (Hautausschlag mit punktuellen kleinen Einblutungen) auch mit gastrointestinalen Beschwerden wie Bauchbeschwerden und auch Gelenkbeschwerden einhergehe. Diese Symptome habe der Kläger bis auf die Gelenkbeschwerden aufgewiesen. Eine Nierenbeteiligung bei Purpura-Schönlein-Henoch trete bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle auf, eine arterielle, in diesem Fall renale Hypertonie in 22%. Zum Nachteil des Klägers sei auch eine schlechte Dokumentation auf der Krankenstation ohne Durchführung einer Urinuntersuchung zu finden. Nicht im Widerspruch zur Annahme eines Zusammenhangs stehe die Tatsache, dass der Kläger nach Entlassung aus der Haft einen kalziumhaltigen Nierenstein ausgeschieden habe. Für ihn, den Sachverständigen, bestehe kein Zweifel an der Erstdiagnose einer mesangialen Glomerulonephritis vom IgA-Typ für die Haftzeit; es liege ein Vollbeweis vor. Dies schließe er aus der klinischen Symptomatik und der Vorgeschichte. Beim Kläger hätten subfebrile bis febrile Temperaturen um 37°C vorgelegen. Diese könnten ein „bedingter“ Hinweis auf eine Glomerulonephritis sein, die ohne größere Fieberschübe einhergehen könne. Der Kläger habe sich in einem schlechten Allgemein-und Ernährungszustand befunden, er habe zu wenig getrunken. Es sei wahrscheinlich ausgetrocknet gewesen und habe an Gewicht verloren, obwohl er wahrscheinlich Ödeme im Rahmen des Eiweißverlusts über die Nieren gehabt habe. Befragt zum medizinischen Kenntnisstand bezüglich der Entstehung einer Glumerolonephritis hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich bei den Probanden der von ihm angeführten Studien um Arbeiter gehandelt habe, die lange mit diesen Solventien gearbeitet hätten. Zum Glück für den Kläger habe dessen Exposition nur kurz (Wochen) gedauert.

Der versorgungsärztliche Dienst hat der Einschätzung des Prof. Dr. D. widersprochen und die Erkrankung an einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft als unwahrscheinlich bezeichnet. Auch sei der Kläger nur wenige Wochen gegenüber Lösungsmitteln exponiert gewesen. Aus den in der Krankenakte enthaltenen Temperaturmessungen könne nicht auf ein febriles oder subfebriles Krankheitsgeschehen geschlossen werden. Die Annahme einer Austrocknung des Klägers sei eine Spekulation.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben dem mit Schreiben vom 14.10.2014 entgegengehalten, dass der Versorgungsarzt die Augen vor gegebenen Tatsachen verschließe. Selbstverständlich lasse sich bei jeder Erkrankung auch irgendwo eine Alternativursache finden. Maßgebend sei jedoch der Grad der Wahrscheinlichkeit.

Über den nach Umzug des Klägers kraft Gesetzes eingetretenen Beklagtenwechsel sind die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 04.02.2015 informiert worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Bayreuth vom 20.08.2012 aufzuheben, den Bescheid vom 12.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, als Folge der Inhaftierung vom 06.01.1971 bis 01.02.1971 und vom 20.07.1973 bis 19.10.1974 die Glomerulonephritis und den Bluthochdruck als Schädigungsfolgen festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Verwaltungsakten zu den Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz und dem StrRehaG sowie die Akten des SG Bayreuth beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Wegen des Wohnortwechsels des Klägers ist in diesem Verfahren, das keine reine Anfechtungsklage beinhaltet, ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetretenen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 05.07.2007, Az.: B 9/9a SB 2/07 R), so dass das Land der richtige Beklagte ist.

Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Nierenleiden in Form einer mesangioproliverativen Glomerulonephritis, medikamentös gut eingestellter Bluthochdruck) sind nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen, da ein Zusammenhang mit der Haft nicht nachgewiesen ist.

1. Voraussetzungen einer Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge - Allgemeines

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 von einer Freiheitsentziehung betroffen gewesen ist und infolge dessen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Tatbestand und Gesundheitsstörung. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt eine Anerkennung im Rahmen der sogenannten Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG in Betracht.

Die Anerkennung von Schädigungsfolgen setzt - wie auch sonst im Versorgungsrecht - eine zumindest dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit der Freiheitsentziehung zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum, ggf. über eine sog. Umwegskrankheit (mögliches 3. Glied) (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06 R; Urteil des Senats vom 06.11.2012, Az.: L 15 VS 13/08 ZVW), die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. oder 4. Glied) bedingt. Auch wenn nach Ansicht des Senats eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar sein sollte (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11), wie dies auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung praktiziert wird, scheint die versorgungsrechtliche Rechtsprechung des BSG „grundsätzlich“ auf der exakten Differenzierung zu bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06).

Die einzelnen Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Die bloße Wahrscheinlichkeit und erst recht nur die Möglichkeit genügen nicht.

Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang der Glieder aus, wenn dieser jeweils mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Lässt sich der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen der Freiheitsentziehung und einer Gesundheitsstörung nur deshalb nicht herstellen, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG die sogenannte Kannversorgung in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Es muss daher für eine Versorgung im Sinn der Kannversorgung wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt. Eine Kannversorgung ist daher dann zu bejahen, wenn nach dieser einen Lehrmeinung der Kausalzusammenhang im konkreten Fall positiv festzustellen ist, also nach den von dieser Meinung aufgestellten Kriterien von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang auszugehen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008 (AHP 2008) ist unter den Krankheiten, für die eine Kannversorgung nach Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Betracht zu ziehen ist - eine fehlende Zustimmung wäre im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung als lediglich verwaltungsinterner Vorgang ersetzbar (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98; offengelassen: BSG, Urteil vom 16.03.1994, Az.: 9 RV 11/93) -, auch die chronische Glomerulonephritis genannt (vgl. AHP 2008 Nr. 39, Abs. 7 i. V. m. Nr. 111). In den AHP 2008, Nr. 111, ist dazu Folgendes ausgeführt:

„Die chronische Glomerulonephritis kann sich an eine akute Glomerulonephritis anschließen; die Kausalitätsbeurteilung richtet sich dann nach derjenigen des akuten Stadiums.

Bei der Mehrzahl der chronischen Glomerulonephritiden kann jedoch weder auf ein akutes Vorstadium noch auf eine vorangegangene Infektion geschlossen werden. Die Ätiologie dieser chronischen Glomerulonephritiden ist in der medizinischen Wissenschaft noch nicht ausreichend geklärt; Autoimmunvorgänge spielen eine Rolle. Dementsprechend ist eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen, wenn ein Krankheitsbeginn in enger zeitlicher Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet waren, die Resistenz erheblich herabzusetzen, angenommen werden kann.“

Von einem engen zeitlichen Zusammenhang kann gesprochen werden, wenn die Erkrankung spätestens innerhalb von sechs Monaten ab Ende der potenziell schädigenden Umstände aufgetreten ist (vgl. Pressevorbericht Nr. 9 des BSG vom 27.01.2000; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

2. Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge im zu entscheidenden Fall

Zwar liegt eine einen Versorgungsanspruch eröffnende Freiheitsentziehung im Sinn des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG vor. Es lässt sich aber ein Zusammenhang der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (mesangioproliverative Glomerulonephritis, Bluthochdruck) damit nicht herstellen.

2.1. Freiheitsentziehung

Der Kläger hat infolge des für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Urteils des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 eine Freiheitsentziehung vom 20.07.1973 bis zum 19.10.1974 im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlitten. Das Vorliegen einer Maßnahme nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG ist mit Beschluss des Bezirksgerichts G. vom 15.04.1992 verbindlich festgestellt worden.

2.2. Schädigungsfolgen

Ein Zusammenhang zwischen Freiheitsentziehung und den vom Kläger als Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen lässt sich nicht herstellen.

2.2.1. Geltend gemachte Gesundheitsstörungen

Als potentiell berücksichtigungsfähige Gesundheitsstörungen kommen in Betracht die mesangioproliverative Glomerulonephritis und ein daraus resultierender Bluthochdruck.

Keine Anerkennung finden kann die vom Kläger in der Vergangenheit angegebene Nierenbeckenentzündung, da eine derartige Erkrankung nie vorgelegen hat - der Kläger hat diesen Begriff wohl irrtümlich verwendet, weil er davon ausgegangen ist, dass eine mesangioproliverative Glomerulonephritis als Nierenkörperchenentzündung gleichzusetzen sei mit einer Nierenbeckenentzündung; der Kläger hat diesen ursprünglichen Antrag im Berufungsverfahren auch nicht weiter verfolgt.

Nicht anerkennungsfähig - darauf weist der Senat nur der Vollständigkeit halber hin - wäre auch ein Nierensteinleiden oder eine Neigung zu Nierensteinen, weil eine derartige Gesundheitsstörung seit vielen Jahren nicht mehr aufgetreten ist und das im zeitlichen Zusammenhang mit der Haft erlittene Nierensteinleiden vollständig und folgenlos verheilt ist.

2.2.2. Kein Zusammenhang im Sinn der Wahrscheinlichkeit des § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG

Keiner der mit der Erkrankung des Klägers befassten Ärzte und Sachverständigen, auch nicht der vom Kläger gemäß § 109 SGG benannte Gutachter, haben einen Zusammenhang zwischen der Nierenerkrankung des Klägers und den Haftbedingungen im Sinn der Wahrscheinlichkeit gesehen. Weitere Ausführungen des Senats erübrigen sich daher, zumal auch von Seiten des Klägers keine abweichende Auffassung vorgebracht worden ist.

2.2.3. Kein Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG

Im vorliegenden Fall scheitert eine Anerkennung der mesangioproliverativen Glomerulonephritis (und eines vermutlich daraus resultierenden Bluthochdrucks) als Schädigungsfolge schon daran, dass ein mit der Haft zusammenhängender potentiell schädigender Vorgang nicht nachgewiesen ist. Im Übrigen würde einer Anerkennung auch der dafür geforderte enge zeitliche Zusammenhang zwischen belastenden Umständen und Erkrankungsbeginn fehlen.

2.2.3.1. Potenziell schädigender Vorgang

Unter dem Aspekt potentiell schädigender Vorgänge während der Haft ist zu denken an schlechte Lebensbedingungen im weiteren Sinn verbunden mit schlechter Ernährung, haftbedingte infektiöse Erkrankungen und ein Kontakt mit Lösungsmitteln bzw. Ölen im Rahmen der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung.

Unter allen Gesichtspunkten ist ein potentiell schädigender Vorgang nicht im Vollbeweis nachgewiesen

2.2.3.1.1.

Schlechte Lebensbedingungen

Derartige potentiell schadensverursachende Lebensbedingungen in der Haftanstalt sind nicht im Vollbeweis nachgewiesen; dies hat auch der gerichtliche Sachverständige Dr. T. erläutert, dessen Einschätzung sich der Senat zu eigen macht.

Wie den Anhaltspunkten 2008 (vgl. dort Nr. 111, Abs. 2) zu entnehmen ist, wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis vor allem postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen (z. B. nach Angina, Scharlach, Grippe) oder parainfektiös herdförmig bzw. diffus z. B. im Verlauf eitrige Erkrankungen angenommen. Auch schwere körperliche Belastungen, u. U. in Verbindung mit Kälte- und Nässeeinflüssen, die nach Art und Dauer die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen vermögen, können bei der Krankheitsmanifestation eine mitursächliche Bedeutung haben.

Es mag zwar durchaus so sein, dass die Ernährung während der Haftzeit des Klägers nicht hochwertig und ausgewogen, sondern eher wenig qualitätsvoll gewesen ist. Weitergehende, insbesondere erhebliche körperliche Belastungen, die die Art und Dauer der Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabsetzen hätten können, sind aber vom Kläger nicht behauptet worden, geschweige denn im Vollbeweis nachgewiesen.

Eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr infolge der Haftbedingungen ist nicht nachgewiesen und auch so nicht vom Kläger vorgetragen worden. Fest steht - auch aufgrund der eigenen Angaben des Klägers -, dass er nur an einem einzigen Tag während der Haft nichts zum Trinken erhalten hat. Dies ist zweifellos, auch nach dem Vortrag des Prof. Dr. D., nicht dazu geeignet, die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen. Dass über diesen Tag hinaus dem Kläger vorübergehend eine Nulldiät verordnet war, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, da eine derartige Diät einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr nicht entgegensteht. Wenn Prof. Dr. D. eine Austrocknung des Klägers vermutet, handelt es sich dabei lediglich um eine Spekulation, der keinerlei greifbare Fakten zugrunde liegen. Weder hat der Kläger dies behauptet noch lässt sich den Unterlagen irgendetwas entnehmen, was auf eine Austrocknung hindeuten könnte. Auch lässt sich eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr nicht mit der Entwicklung des Körpergewichts des Klägers begründen. Sofern Prof. Dr. D. hier zunächst von einer Gewichtsabnahme von 3 kg ausgegangen ist, hat er dies später selbst korrigieren müssen. Tatsächlich belegen die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nämlich eine Gewichtszu-, nicht -abnahme von 3 kg. Die Gewichtsentwicklung steht auch einer erheblichen Beeinträchtigung durch unzureichende Nahrungszufuhr entgegen.

2.2.3.1.2. Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen

Der Kläger hat während seiner Haftzeit über mehrere Wochen in der Wasserpumpenabteilung der Haftanstalt gearbeitet. Dort ist er unstrittig mit Lösungsmitteln und Ölen in Kontakt gekommen.

Dieser Kontakt stellt im Fall des Klägers aber wegen zu geringer zeitlicher Ausprägung keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Der Senat geht zusammen mit dem Gutachter Prof. Dr. D. davon aus, dass die Verursachung einer Glomerulonephritis nicht nur aus den in den AHP aufgeführten Gründen im Sinn der Kannversorgung möglich ist, sondern auch infolge eines Kontakts mit Lösungsmitteln und Ölen.

Wie sich den Studien, die sowohl der Sachverständige Prof. Dr. D. als auch anschließend der Beklagte zitiert haben, entnehmen lässt, ist nach allen diesen Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln erforderlich, um einen Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis in Betracht ziehen zu können:

* Porro u. a. haben in einer Veröffentlichung aus dem Oktober 1992 einen Zusammenhang zwischen einer langjährigen beruflichen Exposition mit Lösungsmitteldämpfen und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis gesehen, wobei sie zu der Einschätzung gekommen sind, dass vermutlich viele weitere Faktoren zusammenkommen müssten.

* In der Studie von Stengel u. a. vom Oktober 1994 ist ein Zusammenhang zwischen einem ausgeprägten lebenslangen Lösungsmittelkontakt und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis mit Niereninsuffizienz gesehen worden.

* Jacob u. a. sind in einer Studie vom Januar 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass Lösungsmittel bei der Progression einer chronischen Nierenerkrankung eine wichtige Rolle spielen.

* In einer weiteren Veröffentlichung ebenfalls von Jacob u. a. im Juni 2007 ist ausgeführt, dass vor allem bestimmte Lösungsmittel das Fortschreiten einer Glomerulonephritis bis hin zur Dialysepflichtigkeit begünstigen würden.

Diese Einschätzung zum erforderlichen langen Expositionszeitraum entspricht auch der unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung. So hat das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 16.01. 2003, Az.: L 6 U 28/01, Folgendes ausgeführt:

„Nach der von allen Ärzten referierten Entwicklung hat sich der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand über die Verursachung von Glomerulonephritiden durch Lösungsmittel seit den 70er Jahren verdichtet. - Prof. Dr. D. hat im nephrologischen Gutachten vom 10. Februar 1992 im Einzelnen den Kenntnisgewinn seit einer Untersuchung von BEIRNE/BRENNAN (1972) dargestellt und auf die Zusammenfassung durch NELSON (1990) hingewiesen. - Daran hat Prof. Dr. Dr. N. im Gutachten vom 24. Mai 1993 angeknüpft und im Einzelnen dargelegt, dass diese Übersichtsarbeit für die Beurteilung der Erkrankung des Versicherten deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil sie Einzelberichte über Zusammenhänge membranöser Glomerulonephritiden mit Lösungsmitteln darstellt. Die Einzelfallmitteilungen konzentrieren sich auf Fälle mit langjähriger Exposition gegenüber höherer Konzentration gemischter organischer Lösungsmittel, von der der Senat, wie dargelegt, auch im vorliegenden Fall ausgeht. Von besonderer Bedeutung ist auch die Aussage der Autoren dieser Studie, dass „chronische Glomerulonephritiden als lösungsmittelbedingte Krankheiten einzustufen sind“ (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 12). - Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat insbesondere auf die von HUBER (2000) durchgeführte Fall-Kontroll-Studie hingewiesen, die ein signifikant erhöhtes Risiko für die Erkrankung an Glomerulonephritis bei chronischem Kontakt mit Lösungsmitteln belegt. Dabei korreliert das relative Risiko zu Dauer und Dosis der Lösungsmittelexposition. Bei einer über 30jährigen Exposition, wie sie bei dem Versicherten vorlag, wird ein relatives Risiko deutlich über den Faktor 2 auf 10 berechnet (S. 19 f. des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000). Auch die Fall-Kontroll-Studie von STENGEL (1996) beschreibt ein relatives Risiko einer eingeschränkten Nierenfunktion bei chronischer Lösungsmittelexposition in Abhängigkeit von der Expositionsdauer deutlich über dem Faktor 2 (3,5 bis 7,7 - S. 11 des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000; vgl. auch das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. O., S. 34). Nephropathien als Folgen einer Lösungsmittelexposition sind auch von MUTTI (1996) beobachtet worden (ebd.). - Insgesamt überzeugt den Senat die Schlussfolgerung, dass eine sehr hohe berufliche Lösungsmittelexposition über eine lange Zeit zu einem erheblich höheren Risiko führt, an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken. Davon geht mittlerweile wohl auch die Beklagte aus (S. 2 oben des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2002). Allerdings trifft - wie oben bereits ausgeführt - ihr neuer Vortrag nicht zu, die berufliche Belastung des Versicherten sei nicht sehr hoch („nur geringfügige Überschreitungen der Grenzwerte“) und damit innerhalb eines Bereiches gewesen, dessen Bedeutung für die Entstehung von Glomerulonephritiden gering ist (S. 3 der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. N. an das LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1998; vgl. auch die - von dem Institut des Prof. Dr. M. mit erstellte - Heidelberger Malerstudie der Arbeitsgemeinschaft der Bau-BGen, Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. Sonderheft 23, 1997, 7.4.4).“

Entsprechendes zur Belastungsdauer ist auch dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28.08.2001, Az.: L 2 U 367/99, zu entnehmen:

Von besonderer Bedeutung ist insoweit, dass sich durch die Untersuchung von Huber et al eine überzeugende Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten lässt. Diese Untersuchung ergab, dass nach 30 Expositionsjahren das geschätzte Risiko auf das Zehnfache des Ausgangswertes stieg. Die Arbeit von Brautbahr et al untersucht die Literaturdaten der letzten Jahre im Hinblick auf Lösungsmittel und chronische Nierenerkrankungen. Die Mehrheit der Einzelfallbeschreibungen, Fallstudien und epidemiologischen Studien zeigt Brautbahr et al zufolge einen Zusammenhang zwischen Langzeitlösemittelexposition und chronischer Glomerulonephritis. Die Studien belegen eine zeitliche Korrelation, eine Dosis-Wirkungs-Korrelation, eine biologische Plausibilität, eine Konsistenz sowie eine statistische Assoziation.“

An einem derartigen, lang andauernden Kontakt fehlt es im Fall des Klägers ohne jeden Zweifel, so dass potentiell erkrankungsauslösende Arbeitsbedingungen nicht im Vollbeweis nachgewiesen sind.

Eine belastende Tätigkeit in dem vom Kläger ausgeübten vergleichsweise kurzen zeitlichen Umfang von einigen Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten, stellt bereits keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgegangen ist, dass der Kontakt des Klägers während der Haft mit Lösungsmitteln eine geeignete Belastung zur Krankheitsauslösung gewesen sei, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Denn diese Belastung hat keinesfalls lange angedauert, sondern war nur von ganz vorübergehender Art, nämlich bis zur Erkrankung des Klägers an den Hauterscheinungen und zur Einweisung in die Krankenabteilung, und hat sich auf einen Zeit von Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten beschränkt. Anschließend hat der Kläger Tätigkeiten in einer anderen Abteilung der Strafvollzugsanstalt ausgeübt, die mit derartigen Belastungen nicht mehr verbunden waren. Dies hat der Kläger selbst so angegeben. Im Übrigen muss dieser Gesichtspunkt auch dem Sachverständigen selbst bewusst gewesen sein, weil er explizit darauf hingewiesen hat, dass der Kläger glücklicherweise nur kurze Zeit unter entsprechenden Belastungen gearbeitet habe (S. 3 oben der Stellungnahme vom 15.07.2014 - Unterstreichungen durch den Sachverständigen: „Herr A. hatte hier insofern Glück, dass er nur wenige Wochen zu diesen Lösungsmitteln exponiert war.“). Insofern sind die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. D. in sich eklatant widersprüchlich, weil der Sachverständige einerseits darauf hingewiesen hat, dass nach den von ihm zitierten Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen erforderlich sei, und andererseits, ohne dies weiter zu hinterfragen, von einer im Fall des Klägers erkrankungsauslösenden Tätigkeit ausgeht, obwohl ihm der nur wenige Wochen andauernde Kontakt zu Lösungsmitteln bewusst ist.

Ob, wie der Beklagte unter Bezugnahme auf die Studienlage und zunächst auch der Sachverständige Prof. Dr. D. erläutert haben, langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln nur zu einer Beeinflussung einer Glomerulonephritis im Sinne einer Progression, also zu einer Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Erkrankung, führen kann, nicht aber zur einer Verursachung im Sinne der Entstehung, kann letztlich dahingestellt bleiben. Jedenfalls die vom Sachverständigen angeführten und vom Beklagten vorgelegten Studien sprechen dafür, dass sich aus diesen Studien keine Kausalität im Sinn der Entstehung einer Glomerulonephritis ableiten lässt, sondern nur eine Beeinflussung des Fortschreitens einer bereits vorliegenden Erkrankung, also eine Kausalität im Sinn einer Verschlimmerung. Damit korrespondiert auch der Hinweis des Sachverständigen Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass er nicht differenzieren könne zwischen einer Kausalität im Sinn der Entstehung einerseits und der Verschlimmerung andererseits. Da beim Kläger eine bereits vor der Haftzeit vorliegende Glomerulonephritis nicht nachgewiesen ist und nicht einmal behauptet wird, scheidet auch insofern eine Kausalität zwischen Belastung mit Lösungsmitteln und Ölen in der Haft und Erkrankung beim Kläger aus.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Belastung, die einen potentiellen Auslöser für die beim Kläger vorliegende Erkrankung darstellen könnte, nicht nur nicht im Vollbeweis nachgewiesen, sondern weitgehend widerlegt ist.

2.2.3.1.3. Haftbedingter Infekt

Atemwegserkrankungen wie z. B. Angina, Scharlach oder Grippe, nach denen an eine postinfektiöse Entstehung einer Glomerulonephritis zu denken wäre, sind für die Haftzeit des Klägers nicht im Vollbeweis nachgewiesen.

Im Gefolge vorgenannter Erkrankungen wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis diskutiert. Um einen Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung bejahen zu können, müssten derartige Erkrankungen während der Haftzeit im Vollbeweis nachgewiesen sein; zudem müsste ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Haft und den Erkrankungen belegt sein, um eine Versorgung in Betracht zu ziehen.

Derartige Erkrankungen insbesondere der Atemwege während der Haftzeit des Klägers sind nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden Krankenunterlagen und auch die Feststellungen der Sachverständigen. Irgendwelche fundierten Hinweise auf eine solche Erkrankung enthalten die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nicht. Es ist lediglich eine kurzzeitig über wenige Tage geringfügig erhöhte Körpertemperatur dokumentiert, mit der der Vollbeweis einer derartigen Erkrankung nicht zu führen ist.

2.2.3.1.4. Purpura-Schönlein-Henoch

Mit der vom Sachverständigen Prof. Dr. D. erstmals in seiner zuletzt angefertigten Stellungnahme von 15.07.2014 eingebrachten Hypothese, der Kläger sei während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt, die bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle mit einer Nierenbeteiligung einhergehe und mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, können potentiell eine Glumerolonephritis auslösende Bedingungen in Form einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft nicht bewiesen werden.

Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob der für eine Versorgung im Rahmen der Kausalitätskette erforderliche Zusammenhang zwischen der Haft und der Purpura-Schönlein-Henoch (im Sinn der Wahrscheinlichkeit bzw. der Kannversorgung) überhaupt in Betracht zu ziehen ist. Denn jedenfalls ist die Purpura-Schönlein-Henoch nicht in Vollbeweis nachgewiesen, der im Rahmen der Kausalitätskette auch für die (Umweg-)Erkrankung erforderlich ist. Sofern Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme für das LSG davon ausgeht, dass diese Erkrankung vorgelegen habe, weil bis auf die Gelenkbeschwerden alle Symptome der Purpura-Schönlein-Henoch vorgelegen hätten, beruht dies auf Spekulationen, nicht aber auf Tatsachen. Wie auch der versorgungsärztliche Dienst in seiner Stellungnahme vom 11.09.2014 nachvollziehbar erläutert hat, ist die Vermutung des Sachverständigen zum Vorliegen dieser Erkrankung vielmehr höchst zweifelhaft. Die in den Behandlungsunterlagen aus der Haftzeit enthaltenen Angaben zu einer Dermatitis bzw. wässrigen Ekzemen an Gesicht, Fingern, Kopf und Rücken entsprechen einer Purpura-Schönlein-Henoch eher nicht; neben dem Leitsymptom der für eine Purpura-Schönlein-Henoch typischen Hautveränderungen fehlen im Übrigen, was auch der Sachverständige zugestanden hat, die typischen Gelenkbeschwerden. Ein entscheidendes Argument gegen die Annahme des Sachverständigen bezüglich dieser Erkrankung ist auch die Tatsache, dass ein Haarausfall, wie ihn der Kläger beschrieben hat, bei dieser Erkrankung nicht bekannt ist. Es bestehen daher erheblich Zweifel daran, dass der Kläger während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt ist. Vielmehr spricht vieles dafür, dass damals eine Dermatitis oder Ölakne vorgelegen hat. Der Vollbeweis einer Purpura-Schönlein-Henoch ist jedenfalls nicht geführt.

Eine Anerkennung der beim Kläger vorliegenden Glomerulonephritis als Schädigungsfolge scheitert daher schon daran, dass der Kläger während der Haft keinen Bedingungen ausgesetzt war, bei deren Vorliegen eine Anerkennung der Glomerulonephritis im Sinn der Kannversorgung in Betracht gezogen werden könnte. Eine Anerkennung des Bluthochdrucks wiederum scheitert daran, dass diese Gesundheitsstörung die Folge der Beeinträchtigung der Nieren infolge der Glomerulonephritis ist, die aber nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden kann.

Lediglich der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass auch der zeitliche Abstand zwischen Haftende und nachgewiesenem Auftreten der Glomerulonephritis von rund zweieinhalb Jahren gegen die Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung spricht.

Eine Anerkennung als Schädigungsfolge würde nach den Vorgaben der Anhaltspunkte und den übereinstimmenden sachverständigen Ausführungen voraussetzen, dass die Glomerulonephritis in engem zeitlichem Zusammenhang mit den potentiell belastenden Umständen in der Haft, also spätestens sechs Monate nach Ende der potenziell krankheitsauslösenden Belastung, aufgetreten ist (vgl. oben Ziff. 1). Vom Auftreten der Krankheit kann erst dann ausgegangen werden, wenn sie im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Im vorliegenden Fall ist der Nachweis im Sinn des Vollbeweises erst für das Jahr 1977 geführt, allein die nicht auszuschließende Möglichkeit eines Auftretens innerhalb des Zeitraums von sechs Monaten ab Beendigung der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung reicht nicht.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgeht, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haft vorgelegen habe, ist dies für den Senat nach Abwägung aller Umstände nicht im Vollbeweis nachgewiesen; vielmehr verbleiben ganz erhebliche Zweifel. Diese Zweifel stützen sich auf folgende Umstände:

* Unzweifelhaft im Sinn des Vollbeweises nachgewiesen ist die Glomerulonephritis erstmals durch die Nierenbiopsie im Jahr 1977. Diese liegt mit rund zweieinhalb Jahren deutlich mehr als sechs Monate von der Haftzeit entfernt.

* Sofern der Sachverständige Prof. Dr. D. seine Annahme einer bereits während der Haftzeit entstandenen Glomerulonephritis u. a. darauf stützt, dass beim Kläger bereits während der Haftzeit ein verfärbter Urin als Hinweis auf diese Erkrankung aufgetreten sei, geht er von falschen Tatsachen aus. Denn ein bereits während der Haftzeit verfärbter Urin ist nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Der Kläger hat erstmals beim Sachverständigen Prof. Dr. D. - zu einem Zeitpunkt, als ihm die Wichtigkeit des Zeitpunkts des erstmaligen Auftretens von verfärbtem Urin bekannt gewesen sein muss - angegeben, dass die Verfärbung bereits während der Haftzeit aufgetreten sei. Damit hat er sich in eklatanten Widerspruch zu seinen früheren Angaben gesetzt. So hat er noch bei der Begutachtung durch Dr. T. ausdrücklich angegeben, dass der blutige Urin erstmals im Jahr 1977 - und damit in einem deutlichen zeitlichen Abstand zur Haftzeit - aufgetreten sei. Dies dürfte auch den Angaben entsprechen, die der Kläger im Rahmen der Begutachtung im Jahr 1983 gegenüber Dr. .B. gemacht hat; die Ausführungen im Gutachten vom 27.01.1983 können nur so verstanden werden, dass erstmals im Januar 1977 der Urin schwärzlich verfärbt gewesen sei und darin auch der Anlass für die 1977 durchgeführte Nierenbiopsie gelegen habe, was dem Senat naheliegend und plausibel erscheint. Ob die vom Kläger später bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. gemachten Angaben zielgerichtet gegenüber seinen früheren Aussagen abgewandelt worden sind oder die Änderung der mangelnden Erinnerung geschuldet ist, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn der Nachweis, dass die zuletzt gemachten Angaben die richtigen wären, ist für den Senat angesichts der abweichenden Angaben des Klägers im zeitlichen Ablauf nicht geführt; vielmehr spricht alles dafür, dass die zuerst bei Dr. T. gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen.

* Wenn der Sachverständige Prof. Dr. D. argumentiert, dass eine IgA-Nephritis zunächst auch als sogenannte idiopathische (unklare) Hyperkalziurie auftreten könne und es kein Widerspruch sei, dass der Kläger zunächst im Rahmen einer akut aufgetretenen IgA-Nephritis mit entsprechender Symptomatik (dunkler Urin) und erstmals Grenzwerthypertonie, mit Perioden von febrilen Temperaturen und stark subjektiver Symptomatik (Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit) erkrankt sei und es ihm nicht zum Nachteil des gereichen dürfte, dass auf der Krankenstation in der Haftanstalt eine schlechte Dokumentation erfolgt sei, ändert dies an der Beurteilung nichts. Denn auch wenn die Dokumentation während der Haft schlecht gewesen sein sollte - tatsächlich dürften schon die medizinischen Maßnahmen in der Haft von nur geringer Intensität gewesen sein, so dass letztlich keine Dokumentations-, sondern Untersuchungsmängel vorliegen -, lässt sich damit allenfalls nicht die Möglichkeit ausschließen, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haftzeit vorgelegen hat. Es lässt sich damit aber nicht der positive Nachweis im Sinn des Vollbeweises führen, dass diese Erkrankung bereits während der Haft vorgelegen hat.

* Sofern Prof. Dr. D. den von ihn angenommenen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis bereits während der Haft damit begründen will, dass die Erkrankung der inneren Organe (insbesondere Niere) während der Haftzeit übersehen worden sei, so ist dies nicht zur Nachweisführung geeignet. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Spekulation des Sachverständigen, die allenfalls die Möglichkeit eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haftzeit aufzeigt. Eine derartige Möglichkeit reicht aber nicht aus, um den Erkrankungsbeginn im Sinn des Vollbeweises auf die Haftzeit zu terminieren.

* Ein Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft kann auch nicht durch die unstrittig bereits während der Haft aufgetretenen Beschwerden im Bauch-/Nierenbereich begründet werden. Denn die vom Kläger angegebenen kolikartigen Schmerzen, die sich - auch nach der Haft - wiederholt haben (in 2 -3-wöchigem Abstand), sind mit größter Wahrscheinlichkeit durch den Nierensteinen zu erklären, der dann im März 1975 abgegangen ist. Dafür spricht deutlich, dass nach den eigenen Angaben des Klägers diese Schmerzen nach dem Abgang des Nierensteins über rund zwei Jahre bis zur Nierenbiopsie nicht mehr aufgetreten sind. Dass diese offenbar heftigen Schmerzen durch eine Glomerulonephritis begründet gewesen wären, ist daher wegen ihres Endes durch den Nierensteinabgang unwahrscheinlich, zumal - nach den Ausführungen des Prof. Dr. D. - eine Glomerulonephritis oft auch am Anfang ohne größere Symptome und Schmerzen vorliegen kann.

* Auch der Hinweis des Prof. Dr. D. darauf, dass beim Kläger erstmals in der Haft ein erhöhter Blutdruck dokumentiert sei und dies einen Hinweis auf eine Glomerulonephritis darstelle, kann den Vollbeweis eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haft nicht ermöglichen. Ganz abgesehen davon, dass lediglich eine einzige Blutdruckmessung mit leicht erhöhtem Blutdruck vorliegt, ist ein erhöhter Blutdruck kein zwingender Hinweis auf eine Glomerulonephritis. Zudem ist auch nicht nachgewiesen, dass ab diesem Zeitpunkt der Blutdruck durchgehend erhöht gewesen wäre. So liegen dazu widersprüchliche Arztberichte vor. So hat beispielsweise die Internistin Dr. W. im Arztbrief vom 25.08.1982 darauf hingewiesen, dass die Blutdruckwerte des Klägers stets im Normbereich gelegen hätten. Ob diese Angabe oder vielmehr die aus dem Landambulatorium R. vom 27.08.1979, wonach der Kläger seit drei Jahren behandelt worden sei und sich dabei im Durchschnitt ein erhöhter Blutdruck gezeigt habe, zutrifft, lässt sich nicht mehr aufklären. Jedenfalls verbleiben Zweifel daran, dass die Blutdruckwerte des Klägers bereits unmittelbar nach der Haftentlassung und dies durchgehend zu hoch gewesen sind, was dem Vollbeweis eines erhöhten Blutdrucks durchgehend ab der Haft entgegensteht.

* Die Annahme des Prof. Dr. D., der Kläger habe aufgrund der schlechten Haftbedingungen während der Haftzeit an Gewicht verloren, was er offenbar als Hinweis auf das erstmalige Auftreten der Glomerulonephritis sieht, steht in Widerspruch zu den vorliegenden Tatsachen. So hat der Kläger während der Haftzeit nicht abgenommen, sondern insgesamt 3 kg zugenommen. Dass zwischenzeitlich (erhebliche) Gewichtsschwankungen vorgelegen hätten, ist weder belegt noch vom Kläger behauptet worden. Insofern ist der Sachverständige offensichtlich von falschen Tatsachen ausgegangen.

* Sofern Prof. Dr. D. in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, dass sich bei Untersuchungen nach Abgang des Nierensteins im März 1975 ergeben habe, dass die rechte Niere kleiner als die linke sei, kann dies nicht als Zeichen für einen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft gedeutet werden. Einen derartigen Schluss hat auch Prof. Dr. D. nicht gezogen, sondern diese Feststellung zur Größe der rechten Niere nur ohne Wertung im Gutachten angeführt. Aber selbst wenn, was hier von keiner Seite geäußert worden ist, ein solcher Größenunterschied auf einen Erkrankungsbeginn während der Haft hindeuten könnte, würde sich im Fall des Klägers ein derartiger Schluss verbieten. Denn dass tatsächlich ein Größenunterschied der Nieren vorgelegen hat, ist nicht nachgewiesen, sondern vielmehr durch den Arztbrief des Urologen Dr. L. vom 02.11.1979 wiederlegt. Diesem Brief ist zu entnehmen, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht gewesen sind. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht ersichtlich, wie der Sachverständige Prof. Dr. D. überhaupt zu der Annahme gekommen ist, dass sich bei einer Nachuntersuchung nach Abgang des Nierensteins ein Größenunterschied der Nieren gezeigt habe. Denn Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. sind nicht mehr vorhanden. Insofern kann sich der Senat nur vorstellen, dass der Sachverständige unreflektiert und ungeprüft eine Angabe des Klägers aus dessen Erinnerung heraus übernommen und dies als Tatsache unterstellt hat. Ein derartiges Vorgehen missachtet jedoch die Beweisvorgaben im sozialgerichtlichen Verfahren.

* Wenn Prof. Dr. D. in seinem Gutachten davon ausgeht, dass der Kläger seit 1974 im Landambulatorium R. in Behandlung gewesen sei und dort aufgefallen sei, dass der Urin nicht in Ordnung gewesen und Blut ausgeschieden worden sei, entspricht dies nicht den vorhandenen Unterlagen. Vielmehr sind keinerlei Urinuntersuchungen zeitnah nach der Haftentlassung belegt. Nach den zunächst erfolgten Angaben des Klägers, die der Senat für glaubhaft hält, ist vielmehr von einem verfärbten Urin erstmals im Jahre 1977 auszugehen. Auch sind zeitnah nach der Haft Behandlungen wegen Nierenbeschwerden nur im Zusammenhang mit dem Nierenstein belegt, wie die nach dem ICD 8 (Ost) verschlüsselten Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers belegen.

* Es mag zwar zutreffen, dass die beim Kläger vorliegende und im Vollbeweis nachgewiesene Nierensteinerkrankung während der Haftzeit die Diagnose einer Glomerulonephritis grundsätzlich erschweren kann. Daraus kann aber nicht - zugunsten des Klägers - eine Beweiserleichterung oder gar Beweislastumkehr für den Nachweis der Glomerulonephritis abgeleitet werden. Dies stünde im Widerspruch zu den allgemeinen Beweisvorgaben im Sozialrecht.

* Auch der Hinweis des Klägers auf die Heilbehandlungsseiten in seinem Sozialversicherungsausweis belegt kein zeitnahes Auftreten der Glomerulonephritis nach der Haft. Es ist zwar richtig, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 internistisch und urologisch behandelt worden ist. Bei Entschlüsselung der nach der ICD 8 (Ost) eingetragenen Diagnosen zeigt sich aber, dass die Behandlungen wegen eines Nieren- und Uretersteins erfolgt sind, der dann im Frühjahr 1975 auch abgegangen ist. Eine Glomerulonephritis ist durch diese Behandlungen nicht belegt.

* Falsch ist auch die zwischenzeitlich erfolgte Angabe des Klägers, er habe durchgehend seit der Haft unter Beschwerden im Nierenbereich gelitten. Er selbst hat zuvor angegeben, dass nach Abgang des Nierensteins im Frühjahr 1975 die massiven Nierenbeschwerden nicht mehr aufgetreten seien; durchgehende Beschwerden sind auch nicht in den Behandlungsunterlagen dokumentiert.

Für eine Beweiserleichterung gemäß § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) ist kein Raum. Da diese Regelung für die hier vorliegende Nachweisschwierigkeit, die aus möglicherweise unzureichenden medizinischen Untersuchungen resultiert, nicht aber aus einer unvollständigen oder verloren gegangenen Dokumentation, ohnehin keine Hilfestellung gibt, kann es dahingestellt bleiben, ob es sich der Kläger im Rahmen des § 15 KOVVfG entgegen halten lassen müsste, dass er mit seiner Antragstellung so lange gewartet hat, bis die Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. mit dem Biopsiebericht bereits vernichtet waren. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 13.12.1994, Az.: 9/9a RV 9/92) stünde bei einer späten Antragstellung ein Verschulden im Raum, wenn kein Grund bestanden hat, den Antrag schon in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden haben (vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2013, Az.: L 15 VK 9/11). Von einem solchen Verschulden auszugehen, läge hier nahe. Ab den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992, mit denen die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile aufgehoben worden waren und der Kläger rehabilitiert worden war, hätte er den hier streitgegenständlichen Antrag auf Versorgung nach dem StrRehaG stellen können. Dies war ihm auch bekannt, da in den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. auf die Möglichkeit der Geltendmachung derartiger Ansprüche hingewiesen worden war. Auch die gesundheitliche Schädigung und eine potentielle Verursachung durch die Haft waren dem Kläger seit langem bekannt, wie dies auch im Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz aus den 80er Jahren zum Ausdruck kommt.

Nicht Aufgabe des Senats ist es, dem Kläger die wahrscheinliche Ursache für die bei ihm vorliegende Glomerulonephritis zu liefern, da dies über den Prüf- und Entscheidungsauftrag des Gerichts hinausgehen würde. Die allein entscheidungserhebliche Frage, mit der sich der Senat zu befassen hat, ist, ob die haftbedingten Belastungen die Glomerulonephritis wahrscheinlich verursacht haben Ganz abgesehen und abseits der Entscheidungsrelevanz ist dem Senat aber gleichwohl aufgefallen, dass der Kläger nach der Entlassung aus der Haft wiederholt an Anginen erkrankt war und dies auf die damaligen ungünstigen Arbeitsbedingungen nach der Haft zurückgeführt hat. Letztlich haben die wiederholten Erkrankungen dann auch zur operativen Entfernung der Mandeln geführt. Da in der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis auch postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen, z. B. nach einer Angina, gesehen wird (vgl. oben Ziff. 2.2.3.1.1.), könnte hierin durchaus die - haftfremde - Ursache für die Erkrankung an der Glomerulonephritis liegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung samt dem daraus resultierenden Bluthochdruck nicht als Schädigungsfolge nach dem StrRehaG anerkannt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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published on 19/11/2014 00:00

Tenor I. Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben. II. Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus
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published on 11/07/2018 00:00

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Juni 2015 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbes
published on 26/03/2019 00:00

Tenor I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wi
published on 25/07/2017 00:00

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. Dezember 2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand
published on 15/12/2015 00:00

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Versorgung ab Erkrankung des Ehemanns der Klägerin wird abgewiesen. II. Außergerichtliche K
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Annotations

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.