Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Mai 2014 - L 11 AS 620/13
Gericht
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) aus einem Urteil für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2011. Nach seinem Umzug aus dem M.-Kreis bezog der Kläger ab 01.11.2005 Alg II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 29.11.2010 bewilligte der Beklagte vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 i. H. v. monatlich 803,33 EUR. Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern (DRV) dem Beklagten mitgeteilt hatte, der Kläger erhalte ab 01.11.2010 bis 30.04.2012 eine arbeitsmarktbedingte Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, änderte dieser mit Bescheid vom 17.02.2011 die Bewilligung des Alg II für den Kläger im Hinblick auf die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 auf monatlich 231,10 EUR ab. Das Alg II in dieser Höhe wurde an den Kläger auch für März 2011 tatsächlich ausgezahlt. Mit Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 01.03.2011 ganz auf, da der Kläger keine Nachweise für die anfallenden Unterkunftskosten vorgelegt habe. Auf die dagegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobene Klage (S 9 AS 401/11) hat das SG mit Urteil 16.02.2012 den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 aufgehoben. Hiergegen haben die Beteiligten jeweils Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt (L 11 AS 261/12). Im Rahmen eines Widerspruchs am 11.01.2013 trug der Kläger u. a. vor, ihm sei die Nachzahlung aus dem Urteil des SG vom 16.02.2012 (S 9 AS 401/11) zu gewähren. Er benötige das Geld für seine Therapie. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2013 (WS 88/13) zurück und führte u. a. aus, eine Verpflichtung zur Nachzahlung von Leistungen im Hinblick auf das Urteil des SG vom 16.02.2012 bestehe nicht, da hiergegen Berufung eingelegt worden sei. Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG mit Urteil vom 18.06.2013 zurückgewiesen. Ein Auszahlungsanspruch im Hinblick auf das Urteil vom 16.02.2012 (S 9 AS 401/11) bestehe jedenfalls derzeit wegen des diesbezüglich anhängigen Berufungsverfahrens nicht. Dagegen hat der Kläger Berufung beim LSG eingelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.06.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2011 aus dem Bescheid vom 17.02.2011 in Höhe von insgesamt 693,30 Euro und Schadensersatz zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit einer Klageerweiterung auf Schadensersatz bestehe kein Einverständnis.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage im Hinblick auf das Begehren des Klägers zur Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der Leistungen für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2011 i. H. v. monatlich 231,10 EUR abgewiesen. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Alg II für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2011. Mit Urteil des SG vom 16.02.2012 (S 9 AS 401/11) ist der Bescheid des Beklagten vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 aufgehoben worden. Die dagegen eingelegte Berufung hat keine aufschiebende Wirkung. Nach § 154 Abs. 1 SGG setzt die aufschiebende Wirkung einer Berufung voraus, dass die Klage nach § 86a SGG aufschiebende Wirkung hätte. Die vorliegende Aufhebung der Leistungsbewilligung hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II jedoch keine aufschiebende Wirkung, sondern ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Auch § 154 Abs. 2 SGG ist nicht einschlägig, wonach die Berufung eines Versicherungsträgers oder in der Kriegsopferversorgung eines Landes Aufschub bewirkt, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Die Vorschrift gilt nicht für die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 154 Rn. 3 m. w. N.). Die Besonderheit der Grundsicherungsleistungen besteht in ihrer Nachrangigkeit. Fallen diese Leistungen weg, so gibt es keine Leistungen mehr, die eine entsprechende Notlage beheben könnten, weshalb es gerechtfertigt ist, Grundsicherungsleistungen nicht in den Anwendungsbereich des § 154 Abs. 2 SGG einzubeziehen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2013 - L 25 AS 1267/13 ER - juris). Das Urteil des SG vom 16.02.2012 ist zwar als Gestaltungsurteil von vornherein nicht vollstreckbar. Es entfaltet aber seine Wirkung mit Rechtskraft der Entscheidung, ohne dass insoweit eine Vollstreckung möglich wäre. Eine Vollstreckung aus dem Bewilligungsbescheid vom 29.11.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.02.2011 selbst kommt nicht in Betracht, es kann aber unmittelbar auf die hierin bezifferte Leistung geklagt werden, was erst zu einem entsprechend der Zivilprozessordnung (ZPO) durchsetzbaren Vollstreckungstitel nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG führt (BSG, Urteil vom 22.03.1995 - 10 RKg 10/89 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 24). Bei der Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG bedarf es keines vorherigen Antrages bei der Verwaltung, die Zahlung gemäß der Bewilligung fortzusetzen. Dennoch hat der Kläger beim Beklagten einen solchen ausdrücklich gestellt. Der Beklagte hat sich unter Verweis auf das anhängige Berufungsverfahren L 11 AS 261/12 gegen das Urteil des SG vom 16.02.2012 geweigert, vorläufig die Zahlungen aufgrund der Leistungsbewilligung zu erbringen (Widerspruchsbescheid vom 22.03.2013). Damit hat der Kläger einen (durchsetzbaren) Anspruch aus dem Bewilligungsbescheid vom 29.11.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.02.2011 i. H. v. 231,10 EUR monatlich für die Zeit vom 01.04.2011 bis 30.06.2011. Der Beklagte war demnach zur Zahlung von insgesamt 693,30 EUR zu verurteilen. Soweit der Kläger auch Schadenersatzansprüche im Berufungsverfahren geltend macht, hat er damit seinen ursprünglich im Klageverfahren vor dem SG gestellten Klageantrag abgeändert. Die Voraussetzungen für eine zulässige Klageänderung im Berufungsverfahren liegen nicht vor. Eine derartige Klageänderung i. S. d. § 99 Abs. 1 SGG ist nur zulässig, wenn der Beklagte zustimmt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Beides ist vorliegend nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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(1) Die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs. 1 haben aufschiebende Wirkung, soweit die Klage nach § 86a Aufschub bewirkt.
(2) Die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs. 1 eines Versicherungsträgers oder in der Kriegsopferversorgung eines Landes bewirken Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlaß des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung.
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt
- 1.
bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten, - 2.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen, - 3.
für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen, - 4.
in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen, - 5.
in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die nächsthöhere Behörde zuständig, es sei denn, diese ist eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde. Die Entscheidung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Die Stelle kann die Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben.
(4) Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Absatz 3 gilt entsprechend.
Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
- 1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, - 2.
mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird oder - 3.
mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird.
(1) Die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs. 1 haben aufschiebende Wirkung, soweit die Klage nach § 86a Aufschub bewirkt.
(2) Die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs. 1 eines Versicherungsträgers oder in der Kriegsopferversorgung eines Landes bewirken Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlaß des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.
(1) Vollstreckt wird
- 1.
aus gerichtlichen Entscheidungen, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen, - 4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen, - 5.
aus Vollstreckungsbescheiden.
(2) Hat ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, so kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Er kann die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen; die §§ 108, 109, 113 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Die Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden.
(3) Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend, wenn ein Urteil nach § 131 Abs. 4 bestimmt hat, daß eine Wahl oder eine Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane zu wiederholen ist. Die einstweilige Anordnung ergeht dahin, daß die Wiederholungswahl oder die Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens unterbleibt.
(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.
(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds
- 1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, - 2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, - 3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.
(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.