Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 28. Apr. 2014 - L 7 AS 337/14 ER
Gericht
Gründe
I.
Am 1. April 2014 hat das Sozialgerichts Landshut (SG) den Antragsteller (Ast) im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsgegnerin (Ag) ab sofort Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 21.02.2014 bis 31.07.2014 zu bewilligen.
Die schwerbehinderte Ag befindet sich in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung und erhält vom Ast laufend Leistungen nach dem SGB II. Die Ag ist Eigentümerin eines Wohnhauses mit einer Wohnfläche von 125 qm, das sie seit 01.03.2012 alleine bewohnt.
Auf Folgeantrag vom 27.12.2013 lehnte der Ast mit Bescheid vom 21.01.2014 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.01.2014. Das Wohnhaus stelle verwertbares Vermögen dar. Die AG habe sich unzureichend um eine Verwertung gekümmert. Ihr gesundheitlicher Zustand lasse einen Umzug zu.
Das SG hat seine einstweilige Anordnung damit begründet, dass im Eilverfahren nicht geklärt werden könne, ob die Ag umziehen könne bzw. das Wohnhaus in angemessener Frist hätte verwertet werden können. Angesichts dieser unklaren Sachlage sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Folgenabwägung vorzunehmen, die im Ergebnis dazu führe, dass das Interesse der Ag an Existenzsicherung die fiskalischen Interessen des Ast überwiegen, so dass der Ag Leistungen vorläufig zu gewähren seien.
Hiergegen hat der Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt, die unter Az.: L 7 AS 328/14 B ER im Senat anhängig ist, und gleichzeitig beantragt, die Vollziehung des Beschlusses des SG aufzuheben, hilfsweise insoweit abzuändern, dass lediglich ein um 30% abgesenkter Regelbedarf anzusetzen ist, eine Verzinsung der SGB II-Leistungen erfolgt und die Ag verpflichtet wird, eine dingliche Sicherungen der Leistungen einzurichten.
Die Ag hat sich bislang nicht geäußert.
II.
Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig.
Gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel im Sinne des § 199 Abs. 1 SGG liegt mit dem Beschluss des SG vor. Die Beschwerde des Ag hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 Satz 1 und 2 SGG).
Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.
Im Rahmen des nach herrschender Meinung (BSG Beschluss vom 08.12.2009 Az.: B 8 SO 1/17/09 R; BSG Beschluss vom 05.09.2011, Az.: B 3 KR 47/01 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 199 Rz. 8 m. w. N.) auszuübenden Ermessens unter Abwägung der Interessen des Leistungsempfängers und der leistungspflichtigen Behörde ist eine Aussetzung nicht gerechtfertigt.
Zum einen handelt es sich hier um ein Eilverfahren, bei dem der in § 175 SGG zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Beschwerden in der Regel keine aufschiebende Wirkung haben sollen. Eine Aussetzung kommt daher bei Beschwerden im Eilverfahren nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht (BSG Beschluss vom 28.10.2008, Az.: B 2 U 189/08 B).
Zum anderen hat im Bereich existenzsichernder Leistungen ein Antrag nach § 199 Ab 2 SGG schon deshalb kaum Aussicht auf Erfolg, weil den Vorgaben des Bundesverfassungsgericht bzgl. Eilverfahren für existenzsichere Leistungen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05) hier ein besonderes Gewicht beikommt und Nachteile, die einem Leistungsträger durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen, regelmäßig nicht die Nachteile überwiegen, die einem Ast bei Versorgung einer existenzsicheren Leistung entstünden (so ausdrücklich BSG Beschluss vom 08.12.2009 Az.: B 8 SO 1/17/09 R sogar für die Nachzahlung von Leistungen für die Vergangenheit). Im Bereich des SGB II kann daher ein Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG nur in seltenen Fällen Erfolg haben und ist regelmäßig aussichtslos (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 199 Rz. 8 m. w. N.; BayLSG Beschluss vom 29.06.2006, Az.: L 11 AS 95/06 ER); wegen der vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen von Eilverfahren bei der Bewilligung von existenzsicheren Leistungen vorgegebenen Folgenabwägung tritt das vom Ag angeführte Gebot der sparsam und effektiven Verwendung öffentlicher Steuermittel regelmäßig in den Hintergrund.
Aus den genannten Gründen kann ein Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG in Eilverfahren nur in ganz besonderen Ausnahmefällen Erfolg haben. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hängt davon ab ob die Erfolgsaussichten der Beschwerde offensichtlich fehlen oder offensichtlich bestehen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 199 Rz. 8 m. w. N.). Nur bei offenbarer Unrichtigkeit kann die Ermessensentscheidung dahingehend getroffen werden, dass nach § 199 Abs. 2 SGG vorläufig ausgesetzt wird,
Solche Fälle offenbarer Unrichtigkeit liegen etwa vor, wenn die angefochtene Entscheidung „völlig abwegig“ (vgl. BSG Beschluss vom 08.12.2009 Az.: B 8 SO 1/17/09 R Rz. 10) oder der Sachverhalt nach der Entscheidung der Vorinstanz sich als wesentlich verändert darstellt, z. B. wenn zwischenzeitlich Sozialbetrug von der Behörde aufgedeckt und zur Anzeige gebracht wurde.
Gemessen hieran kann die Entscheidung des SG nicht als offenbar unrichtig angesehen werden. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, wird im Rahmen der Hauptsache der Sachverhalt geklärt werden müssen im Hinblick auf eine mögliche zeitgerechte Verwertbarkeit des Wohneigentums sowie den Gesundheitszustand er Ag. Ob die Einschätzung des SG für das Eilverfahren aufgrund der aktuellen Sach- und Rechtslage tatsächlich zutrifft, bleibt m Beschwerdeverfahren selbst zu zu klären.
Offenkundige Unrichtigkeit bzgl. der Eilentscheidung des SG liegt im Ergebnis jedenfalls nicht vor, so dass eine Aussetzung im Rahmen der von der herrschenden Meinung verlangten Ermessenentscheidung nicht gerechtfertigt werden kann.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man in § 199 Abs. 2 SGG keine Ermessensentscheidung sieht, sondern das dort bezeichnete „Kann“ als „Kompetenz-Kann“ versteht und unter entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) mit § 719 Abs. 2 ZPO darauf abstellt, ob die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubiger entgegensteht (so BSG Beschluss vom 06.08.1999 SozR 3-1500 § 199 Nr. 1).
Denn der Ast hat nicht dargetan, welcher Nachteil ihm - über das ohnehin stets bestehende Fiskalinteresse hinaus - drohen würde (vgl. insoweit auch BSG Beschluss vom 08.12.2009 Az.: B 8 SO 1/17/09 R Rz. 11), also ob der Ag - über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung als solcher verbunden ist - ein im Nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde (BSG Beschluss vom 05.09.2010, Az.: B 3 KR 47/01 R). Dies gilt umso mehr, als die Ag über ein Wohnhaus verfügt und der Ast es bislang unterlassen hat, für eine ausreichende Sicherung eines eventuellen Rückforderungsanspruchs im Hinblick auf die erbrachten Leistungen über das Wohneigentum der Ag zu sorgen.
Den Hilfsanträgen ist ebenfalls nicht stattzugeben. Denn im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens nach § 199 Abs. 2 SGG kann nur der vorhandene Titel, also der Beschluss des SG, von der Vollsteckung ausgesetzt werden (ganz oder teilweise, soweit bzgl. der Vollstreckbarkeit Teile abgetrennt werden können, vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 199 Rz. 8b), nicht aber der Beschluss des SG inhaltlich abgeändert werden. Die Hilfsanträge zielen jedoch allesamt auf eine inhaltliche Änderung des Beschlusses des SG ab, über die nur im Rahmen des Beschwerdeverfahrens entschieden werden kann.
Anzumerken ist Folgendes: Berücksichtigt man, dass in Kürze der Senat eine Entscheidung über die Beschwerde des Ast im Rahmen des Eilverfahrens treffen wird und der Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG nur die Entscheidung über die Beschwerde, mit der eine dingliche Sicherung allein zu erreichen wäre, verzögert, erscheint der Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG wenig verständlich, insbesondere, wenn man zudem das Kostenrisiko bei einem Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG bedenkt.
Nach alledem ist dem Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 199 Abs. 2 SGG nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG und der Erwägung, dass der Ast mit seinem Begehren erfolglos blieb...
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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(1) Vollstreckt wird
- 1.
aus gerichtlichen Entscheidungen, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen, - 4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen, - 5.
aus Vollstreckungsbescheiden.
(2) Hat ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, so kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Er kann die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen; die §§ 108, 109, 113 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Die Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden.
(3) Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend, wenn ein Urteil nach § 131 Abs. 4 bestimmt hat, daß eine Wahl oder eine Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane zu wiederholen ist. Die einstweilige Anordnung ergeht dahin, daß die Wiederholungswahl oder die Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens unterbleibt.
(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat. Soweit dieses Gesetz auf Vorschriften der Zivilprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes verweist, regelt sich die aufschiebende Wirkung nach diesen Gesetzen. Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann bestimmen, daß der Vollzug der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen ist.
(1) Vollstreckt wird
- 1.
aus gerichtlichen Entscheidungen, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen, - 4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen, - 5.
aus Vollstreckungsbescheiden.
(2) Hat ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, so kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Er kann die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen; die §§ 108, 109, 113 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Die Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden.
(3) Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend, wenn ein Urteil nach § 131 Abs. 4 bestimmt hat, daß eine Wahl oder eine Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane zu wiederholen ist. Die einstweilige Anordnung ergeht dahin, daß die Wiederholungswahl oder die Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens unterbleibt.
(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
(1) Vollstreckt wird
- 1.
aus gerichtlichen Entscheidungen, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen, - 4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen, - 5.
aus Vollstreckungsbescheiden.
(2) Hat ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, so kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Er kann die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen; die §§ 108, 109, 113 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Die Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden.
(3) Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend, wenn ein Urteil nach § 131 Abs. 4 bestimmt hat, daß eine Wahl oder eine Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane zu wiederholen ist. Die einstweilige Anordnung ergeht dahin, daß die Wiederholungswahl oder die Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens unterbleibt.
(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.