Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Aug. 2017 - L 19 R 500/16
vorgehend
Tenor
Tatbestand
I.
II.
III.
Gründe
I.
1. Einschränkung der Gehfähigkeit nach Oberschenkelamputation links im April 2011 nach multiplen Voroperationen bei offener distaler Femurfraktur und Tibiakopf-trümmerfraktur links im Rahmen eines Motorradunfalls am 20.04.2006.
2. Teilamputation des linken Mittelfingers 1995, Arbeitsunfall, keine MdE, Greiffunktion erhalten.
3. Rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom ohne sichere neurologische Ausfälle.
1. Verlust des linken Beins in Oberschenkelmitte mit Prothesenversorgung und Einschränkung der Geh- und Standfähigkeit.
2. Belastungsbedingte Beschwerden des rechten Kniegelenks bei Verdacht auf Innenmeniskopathie, Fuß- und Zehenfehlform rechts.
3. Teilverlust des linken Mittelfingers bei erhaltener Handfunktion.
4. Fehlhaltungen und Verbiegungen an der Wirbelsäule mit rezidivierenden Beschwerden bei guter Beweglichkeit in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten.
5. Seelische Störung, wahrscheinlich mit depressiver Entwicklung.
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg
II.
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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.
(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- 1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder - 2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.
(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.
(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.
(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
teilweise erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
voll erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
- 1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und - 2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:
- 1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, - 2.
Berücksichtigungszeiten, - 3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt, - 4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.
Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.05.2011 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte aufgrund des Antrags vom 29.07.2008 Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente hat.
Die 1960 geborene Klägerin hat in der Zeit von 1977 bis 1979 eine Ausbildung als Teilzeichnerin (Technische Zeichnerin) absolviert. Zwischen 1981 und 1988 war sie als freiberufliche Zeichnerin, anschließend von 1988 bis 1996 (nach ihren eigenen Angaben) als selbständig tätige Zeichnerin tätig. Seit 1992 war die Klägerin nach einer Anlernzeit von einem Monat als Modellbaumechanikerin versicherungspflichtig in Teilzeit beschäftigt (täglich fünf Stunden). Ab dem 14.02.2007 bestand Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug bis 12.08.2008, anschließend Arbeitslosigkeit mit Bezug von Arbeitslosengeld I bis zur Anspruchserschöpfung.
Am 13.12.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme wegen Schmerzzuständen unklarer Genese (Druck, Schwellungsgefühl, Schmerzen in den Augen/Nasennebenhöhlen). Nach Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom 23.01.2008 holte die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. H. ein, die am 08.05.2008 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin zwar mehr als sechs Stunden täglich sowohl die letzte Tätigkeit als auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten könne. Sie hielt aber eine stationäre psychosomatische Reha-Maßnahme für angezeigt. Diese wurde in der Zeit vom 12.08.2008 bis 23.09.2008 in der Psychosomatischen Klinik B. absolviert. Aus dieser Maßnahme wurde die Klägerin (wegen eines unauflösbaren Arbeitsplatzkonfliktes) als arbeitsunfähig, jedoch mit einem Leistungsbild von mindestens sechs Stunden täglich sowohl für die letzte Tätigkeit als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen entlassen.
Am 29.07.2008 - also bereits vor Durchführung der stationären medizinischen Reha-Maßnahme - beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Erwerbsminderungsrente wegen Kopfschmerzen, Unwohlsein, Schwindel, brennenden Schmerzen in den Nebenhöhlen, Schwellungen im Kopfbereich und am Körper, erhöhten Bleigehalts, Konzentrationsstörungen. Sie halte sich seit Januar 2007 für erwerbsgemindert. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag nach Einholung einer prüfärztlichen Stellungnahme des Med.-Dir. H. vom 14.10.2008 zum Reha-Entlassungsbericht mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21.10.2008 ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 04.11.2008, den die Klägerin mit Schreiben vom 24.11.2008 begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2009 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 16.02.2009 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, ohne diese näher zu begründen. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin beigezogen, nämlich des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S., des Orthopäden Dr. S., des HNO-Arztes Dr. M. sowie der Universitätsklinik E-Stadt, Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin. Sodann hat das SG ein internistisches Sachverständigengutachten von Dr. S. eingeholt, der am 27.07.2009 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1. Autoimmunthyreopathie Typ Morbus Basedow (Erstdiagnose Ende 2004), Zustand nach Radiojodtherapie 01/05 mit endokriner Orbitopathie
2. Adipositas
3. Arterieller Hypertonus
4. Leichtes Schlafapnoesyndrom
5. Chondropathia patellae
6. Nasenmuschelhyperplasie, Zustand nach Nasennebenhöhlenoperation 2007
7. Vorübergehende Bleibelastung
Die Klägerin könne trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen eines allgemeinen Arbeitsverhältnisses noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein. Nicht mehr zumutbar seien schwere Arbeiten sowie Tätigkeiten mit Absturzgefahr, auf Leitern und Gerüsten sowie der direkte Hautkontakt zu Latexprodukten. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Der beschriebene Zustand und das daraus folgende Leistungsbild hätten bereits bei Antragstellung bestanden. Die Tätigkeit als Modellbaumechanikerin sei noch möglich unter der Voraussetzung einer erheblichen Verbesserung der Arbeitshygiene zur Verhinderung einer erneuten Bleiexposition. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin sei gegeben. Im Hinblick auf die Fragestellung nach einer psychischen Erkrankung werde die Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens für erforderlich gehalten.
Das SG hat ein nervenärztliches Gutachten von Dr. Z. eingeholt, die am 23.09.2009 zu der Hauptdiagnose Somatisierungsstörung gelangt ist. Die Klägerin wirke nicht deutlich depressiv, lediglich extrem beschwerdefixiert, klagsam, bei jedoch erhaltener affektiver Schwingungsfähigkeit und Mimik. Hobbys und häusliche Interessen seien normal erhalten. Die Klägerin könne ohne weiteres unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Es sollten keine schweren Tätigkeiten zugemutet werden, leichte und mittelschwere Tätigkeiten seien weiterhin möglich. Allzu schweres Heben und Tragen sollte nicht abverlangt werden. Aufgrund des subjektiven Erlebens einer Einschränkung der Gesamtbelastbarkeit sollten auch allzu stresshafte Tätigkeiten und Akkord vermieden werden, um möglichst keine Dekompensation der Klägerin zu verursachen. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Augenärztlich müsse aber die Dauer-Sehleistung und Fahreignung abgeklärt werden. Die Klägerin sei auch in der Lage ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Modellbauerin mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sofern entsprechende Arbeitsschutzvorrichtungen in der alten Firma geschaffen würden. Sie sei aber auch in der Lage, sich auf andere zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes umzustellen, z. B. als Küchenhilfe, Helferin in Versand oder Lager, Bürohilfskraft, Verpackerin, Montiererin, Pförtnerin an der Nebenpforte oder als Verkaufshilfe. Eine Besserung der Somatisierungsstörung wäre durchaus durch verhaltenstherapeutische Intervention denkbar, allerdings erschienen die Erklärungsmodelle der Klägerin bezüglich ihrer eventuellen Blei- oder Amalgambelastung sehr fixiert. Eine psychotherapeutische Behandlung erscheine als wünschenswert, um zu verhindern, dass die Klägerin weiter teilweise sehr belastende (z. B. Entfernung aller Zahnfüllungen) und teilweise auch sehr kostenintensive diagnostische Maßnahmen zu ihren eigenen Lasten durchführen lasse, in der Hoffnung, doch noch die vermutete, bislang unentdeckte körperliche Krankheit feststellen zu können. Es werde angeraten, eine augenärztliche Stellungnahme zur diagnostizierten endokrinen Orbitopathie einzuholen.
Das SG hat sodann noch Berichte der behandelnden Augenärzte Dr. K. und Frau Dr. S. sowie einen Befundbericht der Augenklinik des Universitätsklinikums E-Stadt beigezogen.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - wurde sodann ein umweltmedizinisches Gutachten ihres behandelnden Arztes Dr. B. eingeholt, der am 03.09.2010 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
„Eigene Diagnosen aus dem Fachbereich “Kurative Umweltmedizin":
Sehr stark ausgeprägte umweltassoziierte Erkrankung mit folgenden Hauptmanifestationsformen:
Stark ausgeprägter physischer Leistungsmangel im krassen Missverhältnis zum Lebensalter und zur Lebensführung der Patientin.
Kombiniertes sehr stark ausgeprägtes permanentes Schmerzsyndrom im gesamten Bereich der Weichteile, die sich ursächlich in einen orthopädischen Bereich und in einen umweltassoziierten Bereich aufgliedern.
Der umweltassoziierte Bereich stehe im ursächlichen Zusammenhang mit auffällig erhöhten entzündungsauslösenden Botenstoffen in der Blutbahn und im gesamten Organismus der Klägerin.
Stark ausgeprägte allergische Diathese sowohl Typ I-Reaktion als auch Typ IV-Sensibilisierungsreaktion peripherer T-Zellen. Dadurch ganzjährig im Bereich der oberen und unteren Atemwege schleimhautassoziierte Beschwerden wie Brennen, übermäßige Sekretabsonderungen und asthmoide Atembeschwerden.
Im Bereich des Verdauungstraktes chronisch entzündliche Veränderung der Darmschleimhäute und entsprechende Intoleranzen auf Nahrungsmittel ebenfalls ganzjährig stark ausgeprägte Verdauungsstörungen im Sinne von starken Krämpfen und Tenesmen, massiver Geblähtheit auch bei Schonkost.
Chronische Akkumulation von zum Teil zahnärztlich bedingten, teils berufsbedingten Metallen im gesamten Organismus.
Übernommene Diagnosen:
Latenter arterieller Hypertonus Diabetes mellitus Typ II Zustand nach Radiojodtherapie 2005 Neurologische Diagnosen (Juni 2010):
Verdacht auf cerviko-zephales Syndrom Verdacht auf endokrine Orbitopathie."
Für die Dauer von mindestens zwei bis drei Jahren sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, mindestens zwei Stunden täglich einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei wegen des komplexen Beschwerdebildes in Bezug auf den objektivierten Leistungsmangel durch permanente grippeähnliche Immunreaktionen und andererseits ein ausgeprägtes Ganzkörper-Schmerzbild nicht mehr gegeben. Die Entwicklung des schweren Krankheitsbildes der Klägerin in dieser Form hätte im Januar 2007 nach Renovierungsmaßnahmen im Privatwohnbereich der Klägerin begonnen. Die Tätigkeit einer Modellbaumechanikerin könne die Klägerin nicht mehr verrichten, ebenso wenig andere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Des Weiteren hat das SG von Amts wegen ein augenärztliches Sachverständigengutachten von Dr. L. eingeholt, der am 01.02.2011 zu folgenden Ergebnissen gelangt ist:
Brechungsfehler im Sinne einer Kurzsichtigkeit verbunden mit einer Stabsichtigkeit, die mit der vorhandenen Brille hinreichend korrigiert werde. Hinsichtlich der binokularen Aktionen könne ein gänzlich normales Binokularsehen im Gebrauchsblickfeld beobachtet werden. Morphologisch lägen normale Befunde vor. Wesentliche, d. h. das Sehvermögen in irgendeiner Form beeinträchtigende Hyperthyreosezeichen bestünden nicht mehr. Insbesondere sei die extraorbitale Prominenz beider Augäpfel normal, als Residuum einer möglichen früheren endokrinen Orbitopathie könne das im Grenzbereich liegende Graefe-Zeichen rechts gesehen werden. Eine Motilitätsstörung ergebe sich subjektiv beim Blick nach rechts oben, hierdurch ergebe sich im Gebrauchsblickfeld aber keine Einschränkung bzw. Diplopie. Die von der Klägerin geklagten subjektiven Beschwerden, die darin bestehen sollen, dass die Klägerin glaube, das linke Auge schalte sich aus, die linke Gesichtshälfte sei pelzig, das linke Auge reagiere nicht, könnten bei der morphologischen oder funktionellen Untersuchung keine Bestätigung erfahren. Es hätten sich keine Befunde ergeben, die Gesundheitsstörungen von bislang nicht bekannter oder nicht beachteter Art darstellen würden und erwerbsmindernde Bedeutung E-Stadt könnten. Die Klägerin sei aus augenärztlicher Sicht jederzeit in der Lage unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zu verrichten. Gegebenenfalls sei bei Naharbeiten eine Nahbrille zu verordnen. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Gegenüber den Befundberichten der Universitätsklinik E-Stadt aus dem Jahr 2007 sei sogar eine Besserung eingetreten.
Das SG hat sodann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2011 die Klage durch Urteil als unbegründet abgewiesen. Aufgrund der eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. S., Dr. Z. und Dr. L. sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. H. stehe zur Überzeugung des SG fest, dass die Klägerin noch in der Lage sei, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Ein Anspruch auf die Erwerbsminderungsrente nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - bestehe deshalb nicht. Da die Klägerin auch die letzte Tätigkeit als Modellbaumechanikerin noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne, stehe ihr auch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht zu. Dem Sachverständigengutachten von Dr. B. werde nicht gefolgt. Dieser habe die Leistungsunfähigkeit der Klägerin damit begründet, dass die Klägerin an einer schweren Umwelterkrankung leide, dies sei durch den Nachweis von erhöhten entzündungshemmenden Botenstoffen im Serum der Klägerin erkennbar. Diese Botenstoffe sollten bei der Klägerin ständig ununterbrochene grippeähnliche Immunreaktionen auslösen. Hierdurch sei ein objektiver schwerer körperlicher Leistungsmangel nachgewiesen, welcher zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen führe. Der Referenzwert für Zytokine von weniger 8,1 pg/ml sei bei der Klägerin mit 10,1 pg/ml deutlich überschritten. Allerdings sei in der Fachwelt bereits umstritten, ob überhaupt aussagekräftige Referenzwerte für Zytokine vorhanden seien. Sowohl bei Gesunden als auch bei Erkrankten bestünde hier eine relativ hohe individuelle Variabilität. Verwiesen werde insoweit auf einen Artikel aus dem Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 2004, 47, mit dem Titel „Bedeutung von Zytokin-Bestimmungen in der Umweltmedizinischen Praxis“. Die Aussage von Dr. B., dass die Gesundheitsstörungen der Klägerin mit den erhöhten entzündungshemmenden Botenstoffen nachgewiesen seien, sei für die Kammer nicht nachvollziehbar.
Zur Begründung der hiergegen am 11.07.2011 beim SG Nürnberg eingelegten Berufung, die am 18.08.2011 an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet worden ist, weist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 27.03.2012 darauf hin, dass sich das SG mit dem speziellen Krankheitsbild der Klägerin nicht ausreichend auseinander gesetzt habe. Weshalb dem widerstreitenden Gutachten von Dr. S. zu folgen sei, dem vom Dr. B. jedoch nicht, erschließe sich aus dem Urteil nicht. Es werde darauf hingewiesen, dass unter dem Az. ein Berufungsrechtsstreit gegen die Berufsgenossenschaft anhängig sei. Die Klägerin sei fortlaufend krankgeschrieben. Das SG habe den Gutachter Dr. B. von vornherein als Alternativmediziner eingestuft, der nicht die Linie der sogenannten Schulmedizin verfolge. Es müsse deshalb ein Obergutachten eingeholt werden. Der gesundheitliche Zustand der Klägerin habe sich im Verlauf des Rechtsstreits weiter verschlechtert.
Der Senat hat Befundberichte des behandelnden Hausarztes Dr. C. mit zahlreichen Behandlungsunterlagen beigezogen sowie Berichte des behandelnden HNO-Arztes Dr. H..
Mit Schriftsatz vom 28.02.2014 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass sich im Laufe des Jahres 2013 die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin massiv verschlechtert hätten. In einem Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg wegen Schwerbehinderung sei unter dem 24.10.2013 ein Gutachten zum aktuellen Gesundheitsstand der Kläger von Dr. S. erstellt worden, welches übersandt werde. Der Klägerin sei daraufhin ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 ab dem 17.01.2013 zuerkannt worden. Beigefügt waren zahlreiche weitere Befundunterlagen.
Mit Schriftsatz vom 12.11.2014 hat die Beklagte unter Vorlage eines aktuellen Versicherungsverlaufs mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente letztmalig bei einem Leistungsfall im April 2014 vorliegen würden.
Der Senat hat sodann ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. S. E. aus dem Bereich der Sozial- und Umweltmedizin eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 26.10.2015 zu folgenden Diagnosen gelangt:
1. Somatisierungsstörung seit 2007 mit diffusen wechselnden Beschwerden.
2. Depressive Reaktion, mittelgradig.
3. Morbus Basedow ED 2004, Z. n. Radiojodtherapie 01/2005, endokrine Orbithopathie 07/2015, hypothyreote Stoffwechsellage unter Substitution.
4. Blutbleiwert zeitweise oberhalb des Referenzwertes, aber unterhalb des biologischen Leitwertes.
5. Cervikalsyndrom bei degenerativen Veränderungen an C5 bis C7 und Impingement Syndrom rechts.
6. Chondropathia patellae beidseits.
7. Diabetes mellitus Typ II.
8. Fortgesetzter Nikotinabusus von ca. 20 packyears.
9. Arterielle Hypertonie.
10. Multiple Kontaktallergien (Vorratsmilben, Wespengift, Grundnahrungsmittelmischung), im LTT nachgewiesene Typ IV Sensibilisierung gegenüber Latex.
11. Z.n. chronischer Sinusitis und Nasennebenhöhlen-OP 2007.
12. Z.n. Psoriasis Arthritis, aktuell V.a. Psoriasis Effloreszenzen an beiden Armen.
13. Z.n. Sapho-Syndrom 2000.
14. 1991 und 1994 Sterilisationsoperationen bzw. Korrekturen von Verwachsungen im Bauchraum.
Die Klägerin sei in der Lage leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten in Tages- und Spätschicht durchzuführen. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs müsse jedoch ein Zusatzgutachten mit neuropsychologischer Testung eingeholt werden. Eine Wechseltätigkeit im Stehen, Gehen und Sitzen sei anzustreben. Der zuletzt ausgeübte Beruf der Modellbaumechanikerin sei aufgrund der ausgeprägten Angst vor erneuten Schadstoffbelastungen nicht mehr möglich. Sollte sich ein Arbeitsplatz als Modellbaumechanikerin ohne jegliche potentielle Schadstoffbelastung ergeben, wäre ein Einsatz denkbar mit Eingliederungsmanagement und begleitender psychotherapeutischer Behandlung. Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien ebenso möglich, hinsichtlich der zeitlichen Einschätzung nur aufgrund eines Zusatzgutachtens mit neuropsychologischer Testung. Die Gesundheitsstörungen, die in erster Linie die Leistungsfähigkeit der Klägerin beeinflussten, seien die Somatisierungsstörung. Es handle sich hierbei um Konzentrationsstörungen, Körperwahrnehmungsstörungen, Schmerzzustände und eine Angststörung. Die weiteren Diagnosen der Klägerin auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet schränkten die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht relevant ein. Diese bedingten allenfalls qualitative Einschränkungen. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Zur Besserung der Beschwerden würde eine stationäre psychotherapeutische Behandlung mit weiterführender ambulanter psychotherapeutischer Behandlung für notwendig erachtet. In Bezug auf eine berufliche Wiedereingliederung werde eine Reha mit Arbeitsversuch für sinnvoll erachtet.
Auf Nachfrage des Senats hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 08.12.2015 unter Vorlage entsprechender Berichte mitgeteilt, dass sich die Klägerin wie folgt in psychotherapeutischer oder psychiatrischer Behandlung befunden hat:
1. 12.08. bis 23.09.2008 Reha in der Psychosomatischen Klinik H./B.
2. seit 14.11.2011 bis aktuell Dr. F. - Gesprächstherapie
3. 03.06.2014 bis 29.06.2015 Dr. G. - Verhaltenstherapie
Der Senat hat daraufhin noch aktuelle Befundberichte von Dr. G., Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, Psychologische Psychotherapeutin sowie von Dr. F., Arzt für Neurologie und für Psychiatrie und Psychotherapie eingeholt. Des Weiteren hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. E. zu den vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin schriftsätzlich vorgetragenen „Unstimmigkeiten“ in seinem Gutachten eingeholt. In der ergänzenden Stellungnahme vom 17.05.2016 ist Prof. Dr. E. bei seinem gefundenen Ergebnis geblieben. Rein aus körperlicher Sicht sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht eingeschränkt. Es sei ihr möglich, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Schwerpunkt liege eindeutig auf psychiatrischem Fachgebiet. Neu sei allerdings die Erkenntnis, dass durch die Psychotherapie doch offenbar erlernbare Entspannungsfähigkeit und Verbesserung der Gedanken zum Umgang mit den chronischen Beschwerden geführt habe. Man habe im Gutachten ausführlich darauf hingewiesen, dass die Klägerin dringend psychotherapeutisch behandelt und anschließend mit einer Reha-Maßnahme und einem Arbeitsversuch ihre Leistungsfähigkeit geprüft werden sollte. Eine leitliniengerechte Behandlung der psychischen Erkrankung der Klägerin sei nicht dokumentiert. Eine Entgiftung/Schwermetallausleitung würde keinesfalls empfohlen. Es sei bekannt, dass je nach Therapie Schwermetallausleitungen mit bedeutenden internistischen Nebenwirkungen, wie beispielsweise einer Nierenschädigung einhergehen könnten. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme werde seinerseits stark angezweifelt.
Der Senat hat sodann ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. I. eingeholt, der am 08.11.2016 zu der Diagnose Somatisierungsstörung gelangt ist.
Bei der Klägerin liege eine Somatisierungsstörung mit subjektiver Einschränkung der Befindlichkeit und Beschwerden in mehreren körperlichen Bereichen einschließlich subjektiver Erschöpfung, Schmerzen und verringerter psycho-physischer Belastbarkeit vor. Diese Gesundheitsstörungen könne die Klägerin zumindest in wesentlichen Bereichen und insbesondere hinsichtlich deren Auswirkungen bei der Alltagsgestaltung noch mit eigener zumutbarer Willensanstrengung sowie mit ärztlicher und therapeutischer Hilfe in absehbarer Zeit überwinden. Die zumutbaren Behandlungsmöglichkeiten seien keinesfalls ausgeschöpft worden. Insbesondere sollte eine weitere stationäre Reha-Maßnahme in einer psychosomatischen-psychotherapeutischen Einrichtung erfolgen. Darüber hinaus sei eine intensive, regelmäßige und insbesondere konsequente psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung mit kombiniertem Ansatz einschließlich regelmäßiger Anwendung von Entspannungsmaßnahmen, aktivierenden Maßnahmen, auch medizinischen Fitnessmaßnahmen, sowie gegebenenfalls psychopharmakologischen Maßnahmen erforderlich. Insbesondere die Kombination und die aktivierende Ausrichtung seien durchaus erfolgversprechend. Unter Berücksichtigung der Gesundheitsstörungen sei der Klägerin zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zumutbar. Aufgrund ihrer Einschränkungen, insbesondere ihrer Ängste und Aversionen im Zusammenhang mit umweltbelastenden Substanzen sei allerdings eine Tätigkeit als Modellbaumechanikerin nicht mehr vollschichtig möglich. Diese Tätigkeit sei nur noch unter 3-stündig möglich. Es müsse sich um leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen sowie in wechselnder Stellung handeln, die noch vollschichtig verrichtet werden könnten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit nervlicher Belastung, beispielsweise Tätigkeiten im Akkord, am Fließband, unter Zeitdruck, in der Nachtschicht, in Gefahrenbereichen. Zu vermeiden seien auch körperlich belastende Tätigkeiten, beispielsweise Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten ohne Hilfsmittel, Arbeiten in Zwangshaltungen, überwiegendes Stehen oder Gehen. Auch sollten Tätigkeiten mit potentiell umwelttoxischen Substanzen vermieden werden. Diese Einschränkungen resultierten aus der subjektiven Versagenshaltung mit Neigung zu vorzeitiger Ermüdung und Erschöpfung bei vermeintlich geringer Belastbarkeit. Derartige Tätigkeiten würden ebenfalls mit dem hohen Risiko einer Symptomverschlechterung einhergehen. Störungsbedingte Einschränkungen der Leistungsmotivation, der Merk- und Konzentrationsfähigkeit, des Verantwortungsbewusstseins und der Gewissenhaftigkeit, der Selbständigkeit des Denkens und Handelns, des Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögens, des Reaktionsvermögens und der Umstellungsfähigkeit, der praktischen Anstelligkeit und Findigkeit sowie der Anpassungsfähigkeit an den technischen Wandel bestünden nicht. Störungsbedingt bestünden Einschränkungen der Ausdauer, insbesondere für psychisch und körperlich belastende Tätigkeiten. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin sei gegeben. Der beschriebene Zustand bestehe im Wesentlichen seit Antragstellung. Dies betreffe auch die genannten Einschränkungen als Modellbaumechanikerin, obwohl im Rahmen der Vorgutachten diesbezüglich von einem erhaltenen Leistungsvermögen ausgegangen worden sei. Diese Tätigkeit habe im Zentrum der psychischen Symptomentwicklung gestanden. Retrospektiv sei davon auszugehen, dass sie zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. schon zu Beginn der vermeintlichen Bleibelastung im Jahr 2007 hierzu nicht mehr vollschichtig in der Lage gewesen sei. Die qualitativen Leistungseinschränkungen sowie die Einschränkungen in Bezug auf die Tätigkeit als Modellbautechnikerin bestünden seit damals dauernd. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben.
In der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2017 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass eine große Diskrepanz zwischen dem subjektiven Empfinden der Klägerin und den gefundenen Gutachtensergebnissen bestehen würde. Vorgelegt wurde des Weiteren ein Attest des HNO-Arztes Dr. H. vom 17.01.2017, wonach die Klägerin wegen rezidivierender Schwindelattacken nicht selbständig ein Auto führen dürfe.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.05.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 29.07.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.05.2011 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Beigezogen wurden ferner die Akten des Berufungsverfahrens vor dem Bayer. Landessozialgericht mit dem Az. L 17 U 545/11. Mit Urteil vom 13.03.2014 hat der 17. Senat des Bayer. Landessozialgericht einen Anspruch der Klägerin gegen die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung - BKV - (Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen) abgelehnt. Die hiergegen zum Bundessozialgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 21.07.2014 als unzulässig verworfen (Az. B 2 U 115/14 B).
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 26.05.2011 einen Rentenanspruch der Klägerin abgelehnt. Ein Absinken des quantitativen Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter sechs Stunden täglich bis zum Zeitpunkt des letztmöglich denkbaren Leistungsfalles im April 2014 konnte von der Klägerin nicht nachgewiesen werden. Mangels Berufsschutz kommt auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht in Betracht.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
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1.teilweise erwerbsgemindert sind,
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2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
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3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin aufgrund des von der Beklagten mit Datum vom 09.06.2016 nochmals bestätigten Versicherungsverlaufs nur bis längstens April 2014 vor. Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit wurden von der Klägerin nur bis 27.03.2007 entrichtet, anschließend sind Pflichtbeitragszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit bis zum 24.09.2009 enthalten. In der Zeit vom 25.09.2009 bis 29.03.2012 bestand Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug. Spätere rentenrechtlich relevante Zeiten finden sich nicht mehr. Der im Versicherungsverlauf vom 09.06.2016 als Überbrückungszeit vermerkte Zeitraum vom 30.03.2012 bis 10.02.2015 ist insoweit ohne weitere Auswirkungen. Ein Rentenanspruch kann deshalb dem Grunde nach nur dann bestehen, wenn der Leistungsfall der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung bis spätestens April 2014 eingetreten ist.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin bis April 2014 (und auch noch aktuell) noch in der Lage war, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Zu vermeiden sind Tätigkeiten mit nervlicher Belastung wie Tätigkeiten im Akkord, am Fließband, unter Zeitdruck, in der Nachtschicht sowie in Gefahrenbereichen. Vermieden werden müssen auch körperlich belastende Tätigkeiten, wie beispielsweise schweres Heben und Tragen ohne Hilfsmittel, Arbeiten in Zwangshaltungen, überwiegendes Stehen oder auch Gehen. Zu vermeiden sind auch Tätigkeiten mit potentiell umwelttoxischen Substanzen.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf die eingeholten Gutachten von Prof. Dr. E. und Dr. I., die beide ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bejaht haben. Darüber hinaus haben auch im Rentenverfahren die tätig gewordene Sachverständige Dr. H. und im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens die Sachverständigen Dr. S., Dr. Z. und Dr. L. ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen bejaht. Einzig der behandelnde Arzt und Umweltmediziner Dr. B. hat in seinem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten ein unter 2-stündiges Leistungsvermögen für die Zeitdauer von zwei bis drei Jahren gesehen. Diesem Gutachten folgt der Senat nicht.
Die Klägerin ist auf unterschiedlichen Fachgebieten mehrfach begutachtet worden. Auf internistischem/umweltmedizinischem Fachgebiet hat Dr. S. in seinem Gutachten vom 27.07.2009 eine Schilddrüsenerkrankung der Klägerin festgestellt sowie den Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert. Die Schilddrüsenerkrankung der Klägerin wurde zwischenzeitlich behandelt und scheint überwiegend gut eingestellt zu sein. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Prof. Dr. E., der die Klägerin im Berufungsverfahren sozial- und umweltmedizinisch begutachtet hat. Prof. Dr. E. konnte eine somatische Erkrankung der Klägerin weitgehend ausschließen. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden in Form von Sehstörungen bei Konzentrationsleistungen, insbesondere des linken Auges, hätten keinem organischen Korrelat zugeordnet werden können. Augenärztliche Untersuchungen haben neben einer Myopathie und einem Astigmatismus keine weiteren Pathologien erbracht. Zum einen können die von der Klägerin geltend gemachten Sehbeeinträchtigungen durchaus in einem Zusammenhang mit der Schilddrüsenerkrankung (endokrine Orbitopathie) gesehen werden. Der behandelnde Augenarzt hat gegenüber dem Senat berichtet, dass insoweit gegenüber dem Zustand im Jahr 2007 eine deutliche Besserung eingetreten ist. Die von der Klägerin geschilderte Problematik der Funktionsstörung des linken Auges insbesondere bei Belastung und Stresssituationen konnte nicht objektiviert werden.
Der Umfang der augenärztlichen Erkrankung der Klägerin wurde vom SG durch Einholung eines augenärztlichen Gutachtens von Dr. L. abgeklärt. In diesem Gutachten wurden morphologisch normale Befunde festgestellt. Der Brechungsfehler im Sinne eines Astigmatismus myopticus kann durch eine entsprechende Brille korrigiert werden. Die Klägerin hat allerdings damals ein Problem mit der Nahsicht gehabt. Ob und inwieweit eine entsprechende Brillenanpassung erfolgt ist, ist rentenrechtlich nicht relevant, da diese jedenfalls durchgeführt werden könnte. Hingewiesen ist im Gutachten jedenfalls darauf, dass aufgrund des Brechungsfehlers des Auges durchaus Beschwerden ausgelöst werden könnten, sofern diese nicht augenärztlich optimal ausgeglichen werden. Eine quantitative Leistungsminderung der Klägerin ist aufgrund der Augenerkrankung nicht festzustellen.
Die Klägerin hat gegenüber Prof. Dr. E. auch Schulterbeschwerden rechts betont geltend gemacht. Hier wurde von Dr. E. die Diagnose eines Impingement-Syndroms gestellt, das allerdings noch behandelbar ist und keine dauerhafte Funktionseinschränkung mit sich bringt. Degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule bzw. im Schulter-Arm-Bereich begründen keine quantitative Leistungsminderung, sondern lediglich qualitative Einschränkungen hinsichtlich der Schwere der Tätigkeit und hinsichtlich der Vermeidung von Zwangshaltungen. Gleiches gilt für die Schmerzen in den Kniegelenken, wo sich Abnützungserscheinungen zeigen.
Sowohl Dr. S. als auch Prof. Dr. E. haben zutreffend darauf hingewiesen, dass der Schwerpunkt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen unzweifelhaft auf psychiatrischem Fachgebiet liegt. Dr. S. hat den Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert, wie vor ihm bereits Frau Dr. H. im Rentenverfahren. Frau Dr. H. sah damals ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen sowohl für die letzte Tätigkeit als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, hielt aber eine psychosomatische Reha-Maßnahme für sinnvoll, um die Leistungsfähigkeit der Klägerin zu erhalten. Diese psychosomatische Reha-Maßnahme wurde in der Klinik B. durchgeführt, aus der die Klägerin zwar als arbeitsunfähig, jedoch mit einem Leistungsbild von mehr als sechs Stunden täglich für die letzte Tätigkeit als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde. Im Entlassungsbericht ist die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin damit begründet worden, dass ein unlösbarer Arbeitsplatzkonflikt vorhanden sei. Offenbar hat die Klägerin in einem Betrieb gearbeitet, in dem eventuell die sogenannte „Arbeitsplatzhygiene“ nicht ausreichend beachtet worden sein könnte. Ob dies tatsächlich der Fall war oder nicht, kann dahingestellt bleiben, eine Schädigung der Klägerin durch eine derartige fehlende Arbeitsplatzhygiene im Sinne des Herbeiführens einer Berufskrankheit wurde im parallel dazu vor dem BayLSG geführten unfallversicherungsrechtlichen Rechtsstreit mit dem Az. L 17 U 545/11 ausgeschlossen. Festzuhalten ist, dass bei der Klägerin im Blut tatsächlich erhöhte Bleiwerte festgestellt wurden. Die Intoxikation war aber nie in einem Ausmaß vorhanden, dass damit relevante Grenzwerte überschritten worden wären und nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit hatten sich diese Bleiwerte sehr schnell zurückgebildet.
Die Diagnose einer Somatisierungsstörung der Klägerin wird von allen nervenärztlichen Gutachtern bestätigt. Gleichzeitig wird festgehalten, dass eine angemessene, leitliniengerechte Therapie dieser Störung bis April 2014, aber auch bis heute nicht erfolgt ist. Es fehlt an einer intensiven verhaltenstherapeutischen Behandlung. Eine Verhaltenstherapie hat nur in dem Zeitraum vom 03.06.2014 bis 29.06.2015 bei Dr. G. stattgefunden. Diese kurzzeitige Behandlung hat immerhin zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden geführt, so dass am Ende (Juni 2015) nur noch eine leichte depressive Episode bei der Klägerin bestätigt werden konnte. Darauf hatte auch Prof. Dr. E. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.05.2016 hingewiesen. Dr. I. hat in seinem Gutachten vom 08.11.2016 ebenfalls festgestellt, dass eine relevante depressive Erkrankung der Klägerin nicht vorliegt, auch nie vorgelegen hat, und dass insbesondere die leichte depressive Episode die zutreffende Diagnose darstellt. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die Klägerin nicht dauerhaft in einer entsprechenden Depression befindet, sondern sie selber ihre Stimmungsschwankungen schildert. Überwiegend ist von einem durchaus positiven Stimmungsbild auszugehen. Es wird ein geringer Leidensdruck der Klägerin konstatiert, nachdem die Klägerin selbst die Maßnahmen nicht durchführt, die sie als entlastend erlebt hat, z. B. die Anwendung von Entspannungstechniken, regelmäßige Verhaltenstherapie, die Einnahme von Psychopharmaka, die Durchführung einer stationären medizinischen Rehabilitation auf psychosomatischen Fachgebiet. Trotz Verspannungen und Muskelschmerzen steht die Klägerin auch nicht in physiotherapeutischer Behandlung, sie treibt keinen Sport, so dass auch hier eigenständige Behandlungsmöglichkeiten nicht ergriffen werden.
Hinsichtlich des Ausmaßes der psychischen Erkrankung der Klägerin sind sich die Gutachter darin einig, dass die Klägerin in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Problematisch erscheint dabei in erster Linie die Frage des Ausmaßes der noch vorhandenen Konzentrationsfähigkeit der Klägerin. Dr. I. führt in seinem Gutachten hierzu aus, dass sicherlich die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin schwierig erscheint, zumal sie eine Versagenshaltung an den Tag legt, die mit ihrer letzten Tätigkeit als Modellbaumechanikerin einhergeht. Gleichwohl weist er nach Ansicht des Senats zutreffend darauf hin, dass die Somatisierungsstörung der Klägerin nicht dazu geführt hat, dass wesentliche Einschränkungen in ihrem Alltagsablauf eingetreten wären und dass die Klägerin durchaus in der Lage gewesen ist, auch komplexe Handlungsvorgänge und Notwendigkeiten zu ergreifen und durchzustehen. Er verweist darauf, dass die Klägerin ohne Probleme in den vergangenen Jahren einen 4-Personen-Haushalt führen konnte, überwiegend allein, den dazugehörenden Garten und das Haus versorgen konnte, mit durchaus anstrengenden Tätigkeiten, wie Hecke schneiden und Rasen mähen. Der von ihr geschilderte Tagesablauf ist durchaus strukturiert, sie kann soziale Kontakte aufrechterhalten und auch pflegen. Die Angabe, keinen Urlaub machen zu können, weil sie nicht mehr lange Auto fahren könne, musste sie selbst relativieren, weil sie mit ihrer Tochter übers Wochenende ins Ruhrgebiet fahren und somit durchaus eine weite Fahrtstrecke bewältigen konnte. Dr. I. weist auch auf den Umstand hin, dass die Klägerin in ihrer Situation in der Lage war, sich von ihrem Ehemann zu trennen, eine neue Wohnung zu suchen und Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang zu handhaben. Bestätigt sieht der Senat diese Einschätzung von Dr. I. nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin in der Lage gewesen ist, verschiedene Sozialleistungen Tag genau zu beantragen und zu koordinieren. So findet sich in der Rentenakte der Beklagten ein Vermerk, wonach die Klägerin darauf gedrängt habe, dass die Rehamaßnahme in ihrem Interesse zügig umgesetzt werden müsse. Der Bezug von Übergangsgeld konnte ohne Lücke im Anschluss an das Krankengeld Tag genau sichergestellt werden, ebenso der anschließende Bezug von Arbeitslosengeld.
Dem Gutachten nach § 109 SGG von Dr. B. folgt der Senat - ebenso wie das SG - nicht. Auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des SG hierzu wird insoweit Bezug genommen. Dr. I. hat darüber hinaus in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass er keine objektivierbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer beeinträchtigten Hirnleistung bei der Klägerin sieht. Darüber hinaus handele es sich bei der von Dr. B. gestellten Diagnose eines „cervico-zephalen Syndroms“ um keine anerkannte Diagnose. Im Übrigen wäre eine Diagnose allein kein Grund für die Zuerkennung einer Erwerbsminderungsrente. Vielmehr kommt es rentenrechtlich entscheidend auf die aus einer Gesundheitsstörung bzw. Diagnose resultierenden Funktionseinschränkungen für den ausgeübten Beruf bzw. für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes an. Dr. I. hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass die Bleiintoxikation der Klägerin kein krankheitsrelevantes Niveau erreicht hat und auch die von ihr geäußerten Beschwerden nicht auf diese Bleiintoxikation zurückgeführt werden konnten. Das Gutachten von Dr. B. ist in sich auch nicht konsistent. Er sah eine wesentliche Ursache in den Amalgamfüllungen der Klägerin, die samt und sonders entfernt wurden, ohne dass im Verlauf der Begutachtungen eine Besserung von Seiten der Klägerin mitgeteilt wurde. Des Weiteren sah Dr. B. eine wesentliche Ursache in der Renovierung des Hauses der Klägerin durch Verwendung von toxischen Baumaterialien. Diesbezüglich findet sich aber ebenfalls kein Sachvortrag, dass die Klägerin hier aktiv tätig geworden wäre, derartige Baustoffe aus ihrem Haus zu entfernen. Die von der Klägerin tatsächlich ausgeübte Tätigkeit einer Modellbaumechanikerin, die die Klägerin als Krankheitsauslöser sieht, scheint im Gutachten von Dr. B. eher eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dr. B. ging in seinem Gutachten vom 03.09.2010 von einem max. 2 - 3 Jahre bestehenden geminderten Leistungsvermögen der Klägerin aus, sofern seine Behandlungsmethoden angewandt würden und Erfolg hätten. Dieser Zeitraum ist bereits verstrichen, die Klägerin berichtet nicht über eine Besserung, obwohl die Zahnfüllungen entfernt sind, sie die letzte Tätigkeit seit 2007 bereits nicht mehr geübt hat und sie auch nicht mehr in ihrem Haus lebt. Durchgeführt wurde auch eine sog. Schwermetallausleitung, obwohl Prof. Dr. E. ausdrücklich vor den denkbaren internistischen Schäden gewarnt hatte.
Ausgehend von der Diagnose einer Somatisierungsstörung ist festzuhalten, dass zu keiner Zeit eine leitliniengerechte Therapie erfolgt ist und die Klägerin nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens von Dr. I. auch bei Anstrengung ihres eigenen Willens und unter therapeutischer und ärztlicher Hilfe auch in absehbarer Zeit in der Lage wäre, ihre Einschränkung zu überwinden. Psychische Erkrankungen rechtfertigen erst dann einen Rentenanspruch, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant oder stationär) davon auszugehen ist, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft nicht mehr überwinden kann (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.03.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 12.10.2011 - L 19 R 738/08; BayLSG Urteil vom 30.11.2011 - L 20 R 229/08; BayLSG Urteil vom 18.01.2012 - L 20 R 979/09; BayLSG Urteil vom 15.02.2012 - L 19 R 774/06; BayLSG Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 35/08; Urteil vom 18.03.2015 - L 19 R 956/11).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Zwar wäre diese Vorschrift aufgrund des Alters der Klägerin auf sie anwendbar. Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Klägerin ihre zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Modellbaumechanikerin nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich ausüben könnte, wie dies Dr. I. in seinem Gutachten rückwirkend ab Rentenantragstellung angenommen hat. Auch Prof. Dr. E. kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine erhebliche Angst vor einer erneuten Intoxikation bei einer erneuten Arbeitsaufnahme dieser Tätigkeit besteht, die sie wohl insoweit nur schwer überwinden könne, bei gleichzeitiger Unterstützung durch Behandlungsmaßnahmen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Klägerin genießt aufgrund ihres beruflichen Werdegangs jedenfalls keinen Berufsschutz im Sinne des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (BSG) (BSGE 51, 50, 54). Die Klägerin hat zwar eine Berufsausbildung als Teilezeichnerin absolviert, hat sich aber von diesem Beruf mit Aufnahme der Tätigkeit als Modellbaumechanikerin im Jahr 1992 gelöst und damit zuletzt vor Eintritt des geltend gemachten Leistungsfalls eine versicherte Tätigkeit in einem Anlernberuf (mit einer Ausbildungszeit von max. 2 Jahren) ausgeübt. Nach den in den Akten enthaltenen Angaben des Arbeitgebers betrug die Anlernzeit jedoch nur einen Monat, so dass es sich um einen einfachen Anlernberuf gehandelt hat. Die Klägerin ist deshalb auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen, für den ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen gegeben ist. Die Benennung eines zumutbaren Verweisungsberufs durch die Beklagte ist deshalb nicht erforderlich gewesen.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des SG B-Stadt vom 26.05.2011 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
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Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
- 1
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.
- 2
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Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.
- 3
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Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.
- 4
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Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).
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Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.
- 6
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Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.
- 7
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.
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1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).
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2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
- 13
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Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,
a)
Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,
b)
Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den
c)
Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).
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a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.
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b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.
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c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.
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3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.
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a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.
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b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).
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4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.
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a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).
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b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).
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c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).
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5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):
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a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw
) , die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.
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b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).
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c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.
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6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.
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7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.
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Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).
(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
teilweise erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
voll erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
- 1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und - 2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:
- 1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, - 2.
Berücksichtigungszeiten, - 3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt, - 4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.
(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die
sind.(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.