Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 04. Juni 2019 - L 16 AS 858/18

published on 04/06/2019 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 04. Juni 2019 - L 16 AS 858/18
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Sozialgericht München, S 52 AS 1319/17, 30/07/2018

Gericht

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Tenor

I. Das vom Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30.07.2018 eingelegte Rechtsmittel wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig war der vollständige Wegfall der Leistungen des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Mai bis Juli 2016.

Der 1971 geborene und seit dem Auszug seiner Frau und seiner Tochter allein lebende Kläger bezieht vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Leistungen wurden wiederholt sanktionsbedingt gemindert oder gänzlich in Wegfall gebracht. Hintergrund war, dass der Kläger die Mitwirkung an den Eingliederungsversuchen des Beklagten verweigerte und auch dessen Schreiben zumeist ungeöffnet zurücksandte.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.03.2016 bis zum 31.08.2016 Arbeitslosengeld II, und zwar auf der Grundlage des Sanktionsbescheids vom 25.01.2016 für die Monate März und April in Höhe von 0 Euro und für die Zeit ab Mai in Höhe von 1194,97 € (Bescheid vom 25.02.2016, Änderungsbescheid vom 21.03.2016).

Mit Bescheid vom 15.10.2015 ersetzte der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt, in der geregelt war, dass das Jobcenter die Unterstützung durch die Bezirkssozialarbeit oder durch das Fallmanagement anbiete, Vermittlungsvorschläge hinsichtlich geeigneter Stellenangebote unterbreite und die Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen Bewerbungskosten unterstütze. Der Kläger habe bis zum 29.10.2015 einen tabellarischen Lebenslauf und Nachweise über fünf aktuelle Bewerbungsbemühungen einzusenden. Ab dem 01.11.2015 habe er während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung monatlich jeweils mindestens zehn Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nachzuweisen. Die Eigenbemühungen seien auf realistische Stellen außerhalb der bisherigen beruflichen Tätigkeiten/ Erfahrungen auszuweiten. Vermittlungsvorschläge habe er sofort nach Erhalt zu bearbeiten und die Ergebnisse bei der Arbeitsvermittlung vorzulegen.

Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 07.04.2016 mit der Maßgabe, dass er bis zum 24.04.2016 Stellung nehmen könne, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2016 den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengelds II für die Zeit vom 01.05.2016 bis zum 31.07.2016 fest. Er sei trotz schriftlicher Rechtsfolgenbelehrung seinen Pflichten aus dem Bescheid vom 15.10.2015 nicht nachgekommen, da er weder einen Lebenslauf noch die fünf bzw. ab 01.11.2015 zehn Bewerbungen monatlich vorgelegt habe. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe er nicht mitgeteilt. Das Arbeitslosengeld II entfalle vollständig, da er seinen Pflichten mehrfach nicht nachgekommen sei; vorangegangen seien die Pflichtverletzungen am 01.04.2015 und am 25.01.2016. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2017 zurückgewiesen (Az. W-84308-02410/16).

Die am 06.06.2017 gegen diesen Widerspruchsbescheid - und zeitgleich gegen sechs weitere Widerspruchsbescheide - erhobene Klage zum Sozialgericht München hat der Kläger damit begründet, dass alle darin enthaltenen Vorwürfe und Beschuldigungen an den Haaren herbeigezogen und vorsätzliche Verleumdungen gegen seine Person seien, die alle zurückgewiesen werden müssten. Gegebenenfalls müsste gegen das Jobcenter und diese Personen wegen vorsätzlicher Verleumdung Strafantrag gestellt werden. Er beantrage wegen Dringlichkeit eine schnelle Bearbeitung.

Das Sozialgericht hat über diese Klage nach Anhörung der Beteiligten am 30.07.2018 mit Gerichtsbescheid entschieden und den Bescheid vom 24.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2017 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil die bis zum 24.04.2016 eingeräumte Anhörungsfrist nicht abgewartet worden sei. Der Bescheid sei bereits am letzten Tag der Frist erlassen worden. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 11.08.2018 zugestellt worden.

Mit einem an das Bayerische Landessozialgericht adressierten Schreiben vom 03.09.2018, eingegangen am 07.09.2018, hat der Kläger „Widerspruch“ u.a. gegen den Gerichtsbescheid im Verfahren S 52 AS 1319/17 erhoben. Eine Stellungnahme zu seinem Widerspruch ist trotz der entsprechenden Ankündigung nicht erfolgt.

Der Beklagte hat beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Sie sei nicht zulässig, weil der Kläger nicht beschwert sei, nachdem das Sozialgericht München der Klage gegen den Sanktionsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid stattgegeben habe. Die aufgrund der Sanktion zu Unrecht nicht ausgezahlten Beträge seien inzwischen an den Kläger ausgezahlt worden. Ausweislich des als Anlage beigefügten Schreibens des Beklagten vom 09.10.2018 sind die Leistungen für die Monate Mai bis Juli 2016 in Höhe von jeweils 1194,97 € an den Kläger nachgezahlt worden.

Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 02.11.2018 darauf hingewiesen, dass mit „Widerspruch“ wohl das Rechtsmittel der Berufung gemeint gewesen sei, die Berufung aber unzulässig sei, weil er durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert sei. Das Sozialgericht habe nämlich seinem Begehren in vollem Umfang stattgegeben. Die für ihn günstige Entscheidung sei bereits umgesetzt worden. Es sei eine Entscheidung durch Beschluss beabsichtigt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Rechtsmittel des Klägers wird gemäß § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig verworfen.

Die Entscheidung des Senats kann gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen, d.h. ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter. Dem steht in der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation nicht das Gebot eines fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung entgegen (vgl. dazu ausführlich BSG, Beschluss vom 08.11.2005, B 1 KR 76/05 B, Juris Rn. 7 ff.). Die Beteiligten sind gehört worden.

Zwar gebietet es das Recht auf eine mündliche Verhandlung auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Grundsatz, von einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG abzusehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet. Anders verhält es sich aber, wenn der Kläger als Rechtsmittelführer gar nicht mehr beschwert ist, weil seinem Klagebegehren im erstinstanzlichen Verfahren vollständig entsprochen worden ist. Wenn das Ziel der Klage bereits erreicht ist, macht eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren von vornherein keinen Sinn mehr (zu einer gleichartigen Ausnahme vgl. BSG, Beschluss vom 08.04.2014, B 8 SO 22/14 B).

Der vom Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30.07.2018 eingelegte Widerspruch ist nicht das vom Gesetz vorgesehene Rechtsmittel gegen einen Gerichtsbescheid. Vielmehr wäre gegen den Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 3 i.V.m. § 143 SGG Berufung einzulegen gewesen, worauf der Kläger in der dem Gerichtsbescheid angefügten Rechtsmittelbelehrungauch hingewiesen worden ist. Der Senat kann allerdings offen lassen, ob der Widerspruch als nicht gesetzmäßiges Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid bereits aus diesem Grund unzulässig ist.

Das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel ist nämlich jedenfalls wegen fehlender Beschwer nicht zulässig. Mit dem Begriff Beschwer wird das Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz bezeichnet. Eine Beschwer des Klägers würde vorliegen, wenn ihm mit der angefochtenen Entscheidung etwas versagt worden wäre, das er im Klageverfahren beantragt hatte (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG 12. Auflage 2017, Vor § 143 Rn. 5 und 6). Das ist nicht der Fall. Seinem Klagebegehren auf Beseitigung des Sanktionsbescheids vom 24.04.2016 ist im erstinstanzlichen Verfahren vollständig entsprochen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und das Urteil nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
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published on 08/04/2014 00:00

Tenor Die Beschwerden der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. September 2013 - L 8 SO 304/13, L 8 SO 310/13 und L
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Annotations

Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.