Strafprozessrecht: Zur Auswechslung des Pflichtverteidigers beim Instanzenwechsel

published on 20/12/2016 22:16
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Im Falle eines Instanzenwechsels ist die Auswechslung eines Pflichtverteidigers dann zulässig, wenn keine Verfahrenverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen.
Weiterhin müssen bei Verteidiger damit einverstanden sein.

Das OLG Saarbrücken hat mit Beschluss vom 10.10.2016 (1 Ws 113/16) folgendes entschieden:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 12. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Juli 2016 aufgehoben, Rechtsanwalt Bernd F. aus Bremerhaven entpflichtet und dem Angeklagten Rechtsanwalt Hans M.-M1. aus Bremen zum Pflichtverteidiger bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gründe:

Dem Angeklagten wurde im Berufungsverfahren mit Beschluss des Vorsitzenden der 12. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Februar 2016 Rechtsanwalt F. aus Bremerhaven anstelle von Rechtsanwalt H. aus Bremen zum notwendigen Verteidiger bestellt. Mit Urteil vom 7. März 2016 änderte die Strafkammer unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 4. August 2015, durch welches der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt worden war, im Rechtsfolgenausspruch dahin ab, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legte Rechtsanwalt F. am 8. März 2016 für den Angeklagten Revision ein und beantragte zugleich „Akteneinsicht nach Vorlage der schriftlichen Urteilsgründe“. Mit Telefaxschreiben vom 9. März 2016 legte sodann Rechtsanwalt M.-M1. unter gleichzeitiger Anzeige seiner Beauftragung durch den Angeklagten ebenfalls Revision ein, die er nach erfolgter Urteilszustellung - das Urteil wurde am 25. April 2016 an Rechtsanwalt F. und am 28. April 2016 an Rechtsanwalt M.-M1. zugestellt - mit Telefaxschreiben vom 22. Mai 2016 mit mehreren Verfahrensrügen und der Sachrüge begründete. Eine Begründung der Revision durch Rechtsanwalt F., dem mit der Zustellung des schriftlichen Urteils die begehrte Akteneinsicht gewährt worden war, erfolgte in der Folgezeit nicht.

Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 beantragte Rechtsanwalt M.-M1., ihn unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F., der gegen eine Umbeiordnung keine Bedenken erhob, zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende der Strafkammer mit Beschluss vom 14. Juli 2016 zurückgewiesen, wobei er die Ablehnung der (einvernehmlichen) Auswechselung im Wesentlichen damit begründet hat, dass es an der für eine Auswechselung des Pflichtverteidigers notwendigen Verzichtserklärung eines der betroffenen Verteidiger, auf die Beanspruchung solcher Gebühren zu verzichten, die auch bei dem jeweils anderen Verteidiger bereits angefallen sind, trotz eines gerichtlichen Hinweises fehle. Nachdem Rechtsanwalt M.-M1. mit Telefaxschreiben vom 15. Juli 2016 erklärt hat, für den Fall der Umbeiordnung auf die Geltendmachung solcher Gebühren zu verzichten, die bereits bei Rechtsanwalt F. entstanden sind, hat er mit weiterem Telefaxschreiben vom 16. Juli 2016 namens und im Auftrag des Angeklagten Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss des Vorsitzenden der Kammer eingelegt.

Der Vertreter des Vorsitzenden der Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Bestellung von Rechtsanwalt M.-M1. zum Pflichtverteidiger unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F. beantragt.

Die gegen die Ablehnung der Auswechselung des Pflichtverteidigers gerichtete Beschwerde ist nach herrschender, vom Senat geteilter Auffassung statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Dem Rechtsmittel kann auch in der Sache der Erfolg nicht versagt bleiben.

Zwar liegt - wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt wird - ein Fall, der Anlass zum Widerruf der Bestellung von Rechtsanwalt F. aus wichtigem Grund geben könnte, nicht vor, da Umstände, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden, insbesondere Umstände, die eine endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem bisherigen Verteidiger zu begründen vermögen, weder dargetan noch sonst ersichtlich sind.

Nach zutreffender, vom Senat geteilter Auffassung ist eine Auswechselung des Verteidigers jedenfalls im Falle eines - wie hier vorliegenden - Instanzwechsels jedoch dann zulässig, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen. So liegt es hier.

Beide Verteidiger haben sich mit der Auswechselung des Pflichtverteidigers einverstanden erklärt, eine Verfahrensverzögerung ist hierdurch nicht zu besorgen. Durch einen Wechsel des bestellten Verteidigers entstehen für die Landeskasse auch keine Mehrkosten. Zwar hat Rechtsanwalt F. bereits die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und im Hinblick auf die nach Einlegung der Revision gewährte Akteneinsicht auch die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG verdient und stünde auch Rechtsanwalt M.-M1. im Falle seiner Bestellung grundsätzlich ein diese Gebühren umfassender Vergütungsanspruch zu, nachdem er die Revision des Angeklagten mit Schriftsatz vom 22. Mai 2016 begründet hat. Ein zweifacher Anfall der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG ist vorliegend jedoch - worauf die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht hinweist - ausgeschlossen, nachdem Rechtsanwalt M.-M1. nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erklärt hat, für den Fall der Umbeiordnung auf die Geltendmachung solcher Gebühren zu verzichten, die bereits bei Rechtsanwalt F. entstanden sind.

Dieser Gebührenverzicht ist nach überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur auch wirksam. Der abweichenden Ansicht, die im Hinblick auf § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, wonach es unzulässig ist, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt, einen derartigen Gebührenverzicht als unzulässig erachtet, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insoweit wird nämlich von der herrschenden Meinung zu Recht darauf hingewiesen, dass dem von § 49 b BRAO verfolgten Zweck, einen Preiswettbewerb um Mandate zu verhindern, in der vorliegenden Fallkonstellation ausreichend dadurch begegnet wird, dass ein Wechsel nur bei Einverständnis beider beteiligter Rechtsanwälte möglich ist.

Danach war der angefochtene Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer aufzuheben und Rechtsanwalt M.-M1. unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F. zum Verteidiger des Angeklagten zu bestellen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu
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Annotations

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.